INDIEN ALS AUFSTEIGENDE MACHT

Indien befindet sich derzeit bezüglich seiner militärisch-politisch-ökonomischen Kapazitäten gegenüber denen Chinas insbesondere vor dem Hintergrund der chinesischen Aktivitäten im Rahmen der „Neuen Seidenstraßeninitiative“ noch deutlich im Hintertreffen. Doch nach Einschätzung vieler Experten dürfte Indien mit den Jahren immer mehr den Rückstand aufholen. Auch wenn New Delhi derzeit möglichst eine Konfrontation mit dem großen Konkurrenten und Nachbarn China vermeidet, so gehen Indiens langfristige Aspirationen doch in Richtung eines Erreichens eines Großmachtstatus auf internationaler Bühne. Obwohl sich Indiens außenpolitische Richtlinien nicht signifikant verändert haben, indem weiterhin eine Strategie der Zurückhaltung in internationalen Krisen als reaktiver internationaler Akteur lanciert wird, so zeigen sich doch gerade mit Blick auf die Konflikte in Syrien und dem Irak erkennbare Signale Indiens, schrittweise immer mehr als eine Großmacht in der internationalen Staatengemeinschaft wahrgenommen und auch als solche behandelt zu werden. [1]

Den vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush ausgerufenen globalen „Krieg gegen den Terror“ unmittelbar nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 wurde durch New Delhi als eine Strategie [2] angesehen, um effizienter gegen heimische Terrorgruppen vorzugehen. Die USA avancierten nicht zuletzt aufgrund verstärker chinesischer Machtprojektionen im Großraum immer mehr zu einem „Verbündeten“ Indiens. [3]

Indiens Nukleardoktrin

Seit 1974 ist Indien offizielle Atommacht. Indien steht vor zwei strategisch widersprüchlichen Problemen: Einerseits hat es noch keine ausreichende Abschreckungskapazität gegenüber China aufgebaut, auch wenn die beiderseitigen Beziehungen derzeit als stabil bezeichnet werden können. Andererseits verfügt Indien gegenüber dem nuklear gerüsteten Nachbarland Pakistan durchaus eine ausgereifte atomare Abschreckungskapazität [4], aber die Spannungen zwischen beiden Staaten bleiben aufgrund der nuklearen Eskalationsstrategie Pakistans bestehen. Hier hat Delhi bisher noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Pakistan hat in vielerlei Hinsicht keine Priorität aus Sicht der indischen militärischen nuklearen Abschreckungsstrategie. Vielmehr steht heute China im Fokus. Der Grund dafür ist klar: Indien besitzt immer noch keine ausreichenden militärischen Abschreckungskapazitäten gegenüber dem zur Großmacht aufsteigenden Reich der Mitte. Die Agni-3, die indische Rakete mit der größten Reichweite, könnte kaum über die Region Tibet hinausreichen, wenn sie aus Zentralindien auf China abgefeuert werden würde. Die Agni-5, die sich noch in der Testphase befindet, kann mit einer Reichweite von 5000 km auch nicht alle Ziele in China erreichen, wenn sie aus Südindien starten würde. Von indischen U-Booten abgefeuerte Raketen können derzeit nur eine Strecke von weniger als 1000 km zurücklegen. Somit bestehen noch erhebliche Defizite auf indischer Seite, um gegenüber China eine ausreichende Verteidigungsstruktur der nuklear-konventionellen Abschreckung hochziehen zu können. [5]

Im Gegensatz dazu ist die nukleare Beziehung zwischen Indien und Pakistan viel komplexer. Das pakistanische Atomwaffenarsenal gilt als das am schnellsten wachsende der Welt und dürfte heute etwas höher als das Indiens sein, obwohl die konventionellen Fähigkeiten Pakistans deutlich unter den indischen einzuschätzen sind. Während Pakistans Nuklearkapazität sich ausschließlich auf Indien konzentriert, muss Indiens Nuklearstreitmacht sowohl gegen China wie gegen Pakistan ausgerichtet werden. Die Tatsache, dass Pakistan über ein etwas größeres Nukleararsenal verfügt als Indien, gibt jedoch Delhi wenig Anlass zur Sorge. Innerhalb der politisch-strategischen Eliten Indiens besteht nämlich ein breiter Konsens darüber, dass die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung des Landes nicht auf der Anzahl der Sprengköpfe oder dem relativen Gleichgewicht der Atomstreitkräfte mit den potenziellen Gegnern Indiens beruht. Eine effiziente Abschreckungsfähigkeit gilt aus indischer Sicht als mit einer begrenzten Anzahl von Kernwaffen leicht erreichbar, sofern sie und die sie kontrollierenden Systeme in der Lage sind, einem Erstschlag standzuhalten. Die offizielle Nukleardoktrin Indiens beschreibt die Nuklearkapazität des eigenen Landes als „glaubwürdige Atommacht“ auf minimalem atomarem Niveau.

Indien hat im Umgang mit dem pakistanischen Bedrohungspotenzial die Doktrin „Cold Start“ entwickelt. Dabei handelt es sich um eine Strategie zur Lancierung eines begrenzten Krieges, mit der Pakistan im Ernstfall rasch okkupiert werden soll, ohne theoretisch einen Atomkonflikt zu riskieren. Indien lancierte im September 2016 begrenzte chirurgische Vergeltungsschläge im pakistanisch-indischen Grenzgebiet auf mutmaßliche militante Islamisten, die zuvor eine indische Militärbasis angegriffen hatten. Manche politischen Beobachter sahen dahinter bereits eine erste Umsetzung dieser militärstrategischen Vorgaben Indiens.

Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Indien damit wirklich schon eine effiziente Antwort auf Pakistans nukleare Eskalationsstrategie gefunden hat.

Maritime Präsenz

Die indische Marine kämpft zur Zeit mit akuten finanziellen Schwierigkeiten und andauernden Verzögerungen bzw. Verschiebungen großer Rüstungsprojekte durch das Verteidigungsministerium. Dazu zählt vor allem der geplante zweite eigenständig gebaute Flugzeugträger („Indigenous Aircraft Carrier“ - IAC-2) zur signifikanten Erhöhung der regionalen maritimen Machtprojektionen Indiens.

Die indische Marine operiert derzeit mit dem 46.000 Tonnen schweren und runderneuerten Flugzeugträger „Vikramaditya“ der ehemals sowjetischen KIEW-Klasse (das Schiff hieß in der Sowjet-Marine damals „Admiral Gorschkow“). Die Plattform wurde 2004 von der indischen Regierung in Russland gekauft, dort bis 2012 entsprechend den Anforderungen der indischen Marine umgebaut und im November 2013 als „Vikramaditya“ in Dienst gestellt. Auf der „Vikramaditya“ operiert ein Geschwader von MiG-29K
(„Fulcrum D“).

Im Jahr 2021 wird dann der erste, weitgehend von Indien selbst gebaute erste Flugzeugträger „Vikrant“ (als Typschiff der zwei Einheiten der VIKRANT-Klasse) in Dienst gehen. Seit 2009 wird die „Vikrant“ in der Cochin Shipyard Limited (CSL) an der Südostküste Indiens gebaut. Die Inbetriebnahme war ursprünglich für 2015/2016 vorgesehen, verzögert sich aber nun erheblich aufgrund fehlender Geldmittel, technologischer Probleme und durch die verspätet von Russland gelieferten flugzeugtechnischen Kapazitäten an Bord des Trägers. Die Luftwaffengeschwader der „Vikrant“ bestehen aus MiG-29K-Kampfflugzeugen, russischen Kamov Ka-31 Hubschraubern und in Indien entwickelten Dhruv-Mehrzweckhelikoptern. Die Schiffe der VIKRANT-Klasse sind mit einem STOBAR-System ausgerüstet. STOBAR steht für „Short Take Off But Arrested Recovery“. Hier starten die Jets mithilfe einer Sprungschanze und werden beim Landen durch Rückhalteseile abgebremst. [6]

Der zweite geplante Träger der VIKRANT-Klasse, „Vishal“, sollte voraussichtlich zwischen 2030 und 2032 nach den Richtlinien des Maritime Capability Perspective Plan der indischen Marine zugehen. Das indische Verteidigungsministerium sieht insgesamt 3 eigene Flugzeugträger vor – zwei davon sind stets operativ einsatzfähig; der dritte gilt als strategische Reserve -, um die maritimen Machtaspirationen Indiens zu erfüllen. Als Hauptgegner wird vor allem China mit seinen expansiven Ambitionen im Großraum angesehen.

2004 startete die Produktion. Nicht zuletzt gibt es mit den russischen MiG-29K Kampfjets erhebliche Instandhaltungsprobleme, wobei zudem Russland offenbar nicht imstande ist, alle im Kaufvertrag festgelegten Leistungsmerkmale auch ordnungsgemäß zu erfüllen. Ein Grund dafür sind die 2014 im Zuge der Ukraine-Krise vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen.

Russland und Indien haben unter anderem den Überschall-Seezielflugkörper BRAHMOS (PJ-10) entwickelt. [7]

Indien beobachtet die erhöhten Aktivitäten Chinas im Indischen Ozean mit wachsender Sorge. Der französische Der französische Präsident Emmanuel Macron besuchte Indien im März 2018, wobei die indische Regierung mit Frankreich ein Abkommen über Verteidigungslogistik abschloss, dass den Indern den Zugang zu französischen Militärbasen auf der Insel Reunion im Indischen Ozean und am Horn von Afrika (Dschibuti) erlaubt. Ende 2017 unterzeichnete Indien eine Vereinbarung mit Singapur, die es den Indern ermöglicht, ihre Kriegsschiffe für längere Zeit in den Häfen Singapurs zu belassen. Schließlich schloss Indien im Februar ein Abkommen mit dem Oman, um von den dortigen Häfen indische Flottenverbände vor allem logistisch zu unterstützen. Die Lenkwaffenzerstörer mit Stealth-Eigenschaften der KOLKATA-Klasse umfassen drei Schiffe - Kolkata, Kochi und Chennai, die alle von Mazagon Dock Limited in Indien gebaut wurden. Die Visakhapatnam-Klasse (Projekt 15B) ist eine Klasse neuer Stealth-Lenkflugkörperzerstörern, die sich derzeit in der Fertigung befinden. Die Klasse umfasst vier Schiffe: Visakhapatnam, Mormugao, Paradip und Porbandar. Die neuen Zerstörer besitzen umfassende Mittel zur U-Boot-Bekämpfung wie etwa russische RBU-6000 Smirch-2-Wasserbombenwerfer mit einer Reichweite von 6 km. Derzeit fehlt es aber an modernen und effizienten Hubschrauberkapazitäten insbesondere bei der U-Boot-Abwehr. Im August 2017 startete das indische Verteidigungsministerium das Ausschreibungsverfahren für 123 neue Mehrzweck-Marinehelikopter.

Insgesamt braucht es energische Schritte zur Stärkung institutioneller Kapazitäten, will Indien im Rahmen der Modernisierung seiner Streitkräfte seinen strategischen Einfluss im Großraum ausdehnen. [8]


Geoökonomie wird von New Delhi als die „Anwendung wirtschaftlicher Instrumente“ definiert, „um spezifische geopolitische Ergebnisse zu erreichen“. [9] Dabei werden der Stellenwert und die Instrumente indischer Staatskunst in Bezug auf die Wirtschaft als eine zentrale Komponente der eigenen Außenpolitik dargestellt, sowie die eigenen Stärken wie Begrenzungen in Beziehung zu anderen aufsteigenden Mächten erörtert. Bis 2030 wird erwartet, dass Indien zur drittgrößten Weltwirtschaft aufgestiegen sein wird. Inmitten der von der Weltmacht USA noch immer über weite Strecken dominierten ökonomischen Globalisierung seit Ende des Kalten Krieges konnten auch die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen Indiens gut gedeihen. Ein möglicher Rückgang dieses amerikanischen Einflusses in der globalen Ordnung hätte dementsprechend negative Folgewirkungen auch für Indien. Aufsteigende Mächte wie Indien könnten mittelfristig mit ihren eigenen ökonomischen Instrumenten ihre internationalen Interessen auch immer besser in der Welt durchsetzen. Ob dies für Indien auch so zutreffend sein wird, hängt vom heimischen kontinuierlichen Wirtschaftswachstum in Relation zu anderen großen Mächten ab.


Abgeschlossen: 14. Juni 2019

Weiterführende LINKS:

Official website of Indian Navy

Defence News - India

2019 India Military Strength - Global Firepower

Indian Army Entrance Exams 2019

India as a World Power - Foreign Affairs

India's Struggle to Become a Global Power Player | The National Interest

India in the New World Order as Regional Power - UK Essays

India's Evolving Grand Strategy to Becoming a Great Power

India's Role in the World | Council on Foreign Relations

India rising: Soft power and the world's largest democracy


Anmerkungen:

[1] Alan Bloomfield, „What does New Delhi's engagement with the war in Syria (and Iraq) reveal about India as an International Actor?“. In: India Review 2/2018, S. 209-241.

[2] Devesh Kapur / Rohan Mukherjee, „Indian security strategy in thought and practice“. In: India Review 1/2018, S. 1-11.

[3] Harsh V Pant / Ivan Lidarev, „Indian counterterrorism policy and the influence of the Global War on Terror“. In: India Review 2/2018, S. 181-208.

[4] Vipin Narang, „India's nuclear strategy twenty years later: From reluctance to maturation“. In: India Review 1/2018, S. 159-179.

[5] Rajesh Rajagopalan, Le défi nucleáire Indien: Contrer la stratégie d’escalade Pakistanaise“. In: Revue Défense Nationale 7-9/2018, S. 53-57.

[6] Rahul Bedi, „Arrested Development: India’s plans for second indigenous carrier hampered by setbacks“. In: Jane’s Navy International 1/2019, S. 24-27.

[7] Thomas Withington, „Fast and Furious - Anti-Ship Missile Countermeasures“. In: Naval Forces 4/2018, S. 30-32.

[8] Srinath Raghavan, „Military technological innovation in India: A tale of three projects“. India Review 1/2018, S. 122-141.

[9] Amit Ahuja / Devesh Kapur, „India's geoeconomic strategy“. In: India Review 1/2018, S. 76-99.