SAUDI-ARABIEN

Update


Mit der neuen US-Administration von Präsident Joe Biden scheint sich wieder eine Annäherung der arabischen Staaten unter Führung Saudi-Arabiens an die Türkei Erdogans abzuzeichnen. Trotz der regionalpolitischen Rivalitäten zwischen dem saudischen Königshaus und der Türkei mit unübersehbaren Differenzen beider Mächte etwa im Verlaufe des syrischen bzw. libyschen Bürgerkriegs dürften beide Seiten unter anderem vor dem Hintergrund des Drängens der neuen US-Regierung nach politischem Ausgleich, vermehrt auf Diplomatie setzen. Eine allzu stringente Fixierung auf das „Feindbild Iran“ sei laut Biden in Bezug auf die fortlaufenden Geschehnisse im erweiterten Mittleren Osten nicht sinnvoll.


Noch vor kurzer Zeit hatte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman die Türkei und den Iran zusammen mit islamistischen Gruppen als „Dreieck des Bösen“ bezeichnet. Dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan warf Salman vor, das „osmanische Großreich“ wieder errichten zu wollen, das früher auch weite Teile der Arabischen Halbinsel umfasst hatte (An dieser Einschätzung Riads dürfte sich aber trotzdem auch heute nicht so viel verändert haben). Dennoch müssen sich Saudi-Arabien und vor allem auch Ägypten an die aktuellen Gegebenheiten infolge der neuen US-Politik ausrichten. Anders als Amtsvorgänger Donald Trump hatte Biden den saudischen Kronprinzen klar für den Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi verantwortlich gemacht und damit signalisiert, dass die USA die Verfolgung von arabischen Dissidenten im Westen nicht länger dulden würden.

Noch im September 2020 verurteilte die Arabische Liga die „Einmischung“ der Türkei in Syrien, Libyen und dem Irak mit klaren Worten. Ankaras „provokatives Gehabe“ sei eine Gefahr für die regionale Sicherheit, wurde betont. Kurze Zeit später heizte Riad einen bereits laufenden Wirtschaftskrieg gegen die Türkei weiter an. Auf Twitter postete Ajlan al-Ajlan, der Vorsitzende der Handelskammer Saudi-Arabiens, dass saudische Geschäftsleute und Konsumenten „alles Türkische“ meiden sollten.


Ebenso spannungsgeladenes Verhältnis Ägyptens zur Türkei

Das Militärregime in Ägypten war für Erdogan stets ein Zankapfel wegens dessen gewaltsamer Unterdrückung der Muslimbrüder im Lande. Zerrüttet war auch Ägyptens Verhältnis zur Türkei. Erdogan kanzelte den ägyptischen Präsidenten Abdelfatah al-Sisi nach dessen Putsch im Sommer 2013 als „Tyrannen“ ab, während er den von Sisi gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi (aus den Reihen der Muslimbrüder) einen „Märtyrer“ nannte. Sisi seinerseits drohte der Türkei im Sommer 2020 mit einem Einmarsch in Libyen, sollten die von Ankara unterstützten Truppen weiter in Richtung Osten vorstoßen. Es blieb schließlich bei den Drohgebärden. Unübersehbar ist und bleibt trotz oberflächlicher Höflichkeitsfloskeln auf diplomatischem Parkett die Rivalität der beiden Mittelmeeranrainer-Mächte.


„Tauwetter“ im erweiterten Mittleren Osten mitsamt handfester ökonomisch-politisch-militärischer Überlegungen

Das erste Signal für eine Annäherung der unterschiedlichen Standpunkte und Positionen war ein Telefonat vor dem G-20-Gipfel in Riad zwischen Erdogan und dem saudischen König Salman. Die beiden Staatsführer betonten dabei, die bestehenden Konflikte im Dialog lösen zu wollen. Laut Erdogan könnte Riad künftig türkische Kampfdrohnen kaufen, die in den militärischen Auseinandersetzungen in Syrien, Libyen und in Nagorni-Karabach erfolgreich zum Zug gekommen waren.

Ankara sendete auch nach Kairo Gesten des guten Willens aus. So hatte die AKP-Regierung die in der Türkei ansässigen Fernsehsender der Muslimbruderschaft angewiesen, ihre Kritik am Militärregime in Ägypten zu „dämpfen“. Ägypten sei „das Hirn der arabischen Welt“, hielt Erdogans Berater Ibrahim Kalin fest. Parallel dazu verkündete der türkische Außenminister nach Jahren der Eiszeit die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Kairo.[1] Erdogan selbst betonte: „Wir hoffen, diesen Prozess mit Ägypten noch verstärken zu können.“


Erdogans Türkei ist bestrebt, die „antitürkische Achse im Nahen Osten“ aufzuweichen, die mittlerweile die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Saudi-Arabien, Ägypten, Israel Griechenland und Frankreich verbindet. Für Irritationen in der Türkei sorgte, dass saudische Kampfjets im März 2021 an griechischen Militärmanövern teilnahmen.[2] Laut der englischsprachigen saudi-arabischen Website Arab Weekly erhöhte die Ankunft der saudi-arabischen Kampfflugzeuge auf der griechischen Militärbasis Souda auf der Insel Kreta den „französisch-griechisch-ägyptischen Druck auf die Türkei, um deren Expansion im östlichen Mittelmeer einzudämmen“.


Wenn es der Türkei mit der derzeitigen Charmeoffensive gelingt, Ägypten aus dieser „Achse“ zu lösen, würden die VAE einen wichtigen Partner verlieren, über den sie etwa Teile des Waffennachschubs an den libyschen General Chalifa Haftar in Libyen organisiert hatten. Doch trotz der diplomatischen Annäherung der Türkei an Ägypten dürften sich die grundlegenden Differenzen kaum verändert haben. Für einen umfassenden Ausgleich müsste die Türkei wohl zu große Konzessionen in Libyen, im Mittelmeer und im Umgang mit der Muslimbruderschaft machen.

Saudi-Arabien wiederum wäre durchaus vordergründig an türkischen Waffensystemen und an Finanzhilfe Katars im anhaltenden Jemen-Konflikt interessiert. Dahinter stehen allerdings handfeste Sicherheitsinteressen, da die Emirate im Jemen schon seit einiger Zeit nicht mehr Riads eigentliches Kriegsziel verfolgen, die pro-iranische Huthi-Miliz zu bekämpfen.[3] Wesentlicher aber wiegt die Tatsache, dass die US-Administration unter Biden ihren militärischen Rückhalt vermindern wollen und die Saudis zu einer raschen diplomatischen Konfliktlösung mit den Huthi drängen.

Mit dem guten Draht zu Israel stärken die Emirate das Verhältnis zu den USA, der wichtigsten Schutzmacht der Golfstaaten. Die Emirate sind erbitterte Gegner der Muslimbrüder und setzen in der Region auf einen „autoritären Liberalismus“, um die Islamisten im Zaum zu halten.[4] Aus diesem Grund unterstützen sie Haftar in Libyen und finanzierten 2013 den Militärputsch in Ägypten gegen den demokratisch gewählten Präsidenten der Muslimbrüder. Aus ähnlichen Gründen begrüßten sie im Juli 2021 auch die Entmachtung des tunesischen Parlaments durch Staatschef Kais Saied.

Auch hundert Jahre nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs scheint die Staatenwelt im Nahen Osten nicht gefestigt. Es tobt ein Kampf um die Führungsrolle in der islamischen Welt und die politische Rolle der Religion. Dabei verlaufen religiöse und ethnische Loyalitäten und Rivalitäten oft über Staatsgrenzen hinweg.

Der Krieg im Jemen blieb im Berichtszeitraum weiter virulent. Dementsprechend würden von Riad auch im arabischen Ausland politische Eliten unter Druck gesetzt, die sich offen gegen die führende Rolle Saudi-Arabiens in diesem Krieg äußerten. Weil etwa der libanesische Informationsminister George Kordahi die saudische Intervention in Jemen kritisierte, musste der Minister im Libanon zurücktreten.

Saudi-Arabien muss seine Wirtschaft nicht zuletzt aufgrund der grassierenden Staatsverschuldung dringend diversifizieren, da die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft dafür nicht mehr ausreichen. Kronprinz Salman will seiner Bevölkerung mit utopischen Megaprojekten wie dem Bau einer ökologischen Zukunftsstadt in der Wüste eine positive Zukunft bescheren. Mit der Aussicht auf Wohlstand und wirtschaftlichen Fortschritt will der Kronprinz seine Macht sichern und auch das archaische saudische Staatsmodell retten – ein Spagat, dessen Realisierung auch in Bezug auf das anhaltende geopolitische Vormachtstreben im Raum zwischen Riad und Teheran Folgen hat.[5]


Abgeschlossen: Anfang Jänner 2022

Weiterführende LINKS:

Why Saudi Arabia and Iran are bitter rivals - BBC News

Iran, Saudi Arabia on the edge of rapprochement - Asia Times

‘Saudi Arabia, Iran unlikely to normalize ties soon’ – ANANDOLU News

What Brought Saudi Arabia and Iran to the Negotiating Table

How Iran and Saudi Arabia Can Together Bring Peace

Saudi Arabia, Iran and Middle East - A Dilemma – Global Political Review

Saudi Arabia’s New Dialogue With Iran was Long in the Making – The Arab Gulf States Institute in Washington

Saudi-Iran talks could move to Oman, an intriguing shift for Israel

Saudi Arabia and Iran have not always been foes - Al Jazeera

ADELPHI Iran-Saudi Arabia Relations and Regional Order

The emergence of GCC-Israel relations in a changing Middle East

Israel-Saudi Arabia relations | The Times of Israel

Why Saudi Arabia is now in no rush to recognize Israel - Haaretz

Saudi Arabia and Israel: From Secret to Public Engagement

Israel-Gaza: Conflict stalls Arab-Israeli rapprochement - BBC

Israel's normalisation deals with Arab states - France 24

US Security Cooperation With Saudi Arabia - State Department

Saudi Arabia is trying to make America jealous with its budding Russia ties

Dawn of a New Era in U.S.-Saudi Relations | Wilson Center

U.S.-Saudi Arabia Relations | Council on Foreign Relations

Saudi Arabia: Background and U.S. Relations

A Tough Nut to Crack: Rebalancing the US-Saudi Relationship

Why repressive Saudi Arabia remains a US ally

The US-Saudi ‘special’ relationship 20 years after 9/11


Anmerkungen:

[1] Turkey, Egypt hold first diplomatic contact since 2013. In: Hürriyet Daily News v. 12.3.2021.

[2] Saudi-arabische F-15 über Kreta: Signal an Türkei und Iran. In: Mena-Watch v. 17.3.2021.

[3] Dicke Luft zwischen den zwei ehemals dicken Freunden Saudi-Arabien und VAE. In: DER STANDARD-Online v. 7.7.2021: https://www.derstandard.at/story/2000127993157/dicke-luft-zwischen-den-zwei-ehemals-dicken-freunden-saudi-arabien

[4] Die Emirate schaffen eine neue Hackordnung am Persischen Golf. In: NZZ-Online v. 15.7.2021: https://www.nzz.ch/pro-global/perspektiven/ein-streit-um-erdoel-entzweit-die-verbuendeten-der-usa-am-persischen-golf-ld.1635154?reduced=true

[5] Saudi-Iranian Rapprochement Is Heading Nowhere. In: FOREIGNPOLICY.com v. 3.9.2021: https://foreignpolicy.com/2021/09/03/saudi-iranian-rapprochement-is-heading-nowhere/

SAUDI-ARABIEN ALS AUFSTREBENDE REGIONALMACHT

Seit den 1980er Jahren befindet sich die MENA-Region („Middle East and North Africa“  - „Naher Osten und Nordafrika“) unter dem Einfluss von anhaltenden zwischenstaatlichen Konflikten, gewalttätigen Übergriffen von nichtstaatlichen und substaatlichen Akteuren sowie einem intensiven Wettbewerb um Einfluss und geopolitischen Vorteil zwischen den Kernstaaten in einer mehr als volatilen Gemengelage. Darüber hinaus sorgte ein domino-ähnlicher Zusammenbruch autokratischer Regime im gesamten arabischen Raum nach 2010 für ein beispielloses Maß an Unordnung, Unsicherheit und Chaos. Die regionale Unordnung und die allgemeine Krise des Nationalstaates im arabischen Raum haben die regionale Fragmentierung verschärft und gleichzeitig Saudi-Arabien und eine kleine Gruppe seiner Nachbarn dazu ermutigt, eine militärisch-interventionistische Strategie in ihrer Außenpolitik zu lancieren.[1] Die von Saudi-Arabien angeführte sunnitisch geprägte Militärintervention zusammen mit den Staaten des Golfkooperationsrates (mit logistischer Unterstützung der USA und Großbritanniens im Hintergrund) im Nachbarland Jemen gegen die vom Iran geförderten schiitischen Huthi-Rebellen fällt mit der Amtsübernahme des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (Jahrgang 1985) als neuen Verteidigungsminister und stv. Ministerpräsidenten des saudischen Königreiches zusammen. Salman forciert innergesellschaftlich eine schrittweise Liberalisierung im Lande, während er außenpolitisch zunehmend resolut gegen den sich ausweitenden Einfluss des großen Gegenspielers in der Region, dem Iran, auftritt.

Den Zuwachs des iranischen Einflusses im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 betrachtete das saudische Königshaus zwar mit Sorge, hielt sich aber außenpolitisch zurück. Doch seit 2011 fühlt sich Riad immer mehr von iranisch dominierten Feinden umzingelt. Ob es die schiitische Bevölkerungsmehrheit im benachbarten Bahrain, der vom Iran unterstützte syrische Präsident Baschar al-Assad, die Hisbollah im Libanon oder die Huthi-Rebellen im Jemen sind – sie alle gelten aus saudischer Sicht als Marionetten Teherans, die alle darauf hinarbeiten, das saudische Königshaus zu stürzen.

Kronprinz Mohammed bin Salmans neuer Kurs

Salman geht mit aller Härte gegen innere und äußere Feinde und Konkurrenten vor - nicht zuletzt, um sich gegenüber der alten Herrscherklasse rund um seinen Vater, König Salman ibn Abd al-Aziz, zu beweisen, wie so manche Beobachter vermuten. Neben dem laufenden Militäreinsatz im Jemen, der Blockade des ökonomisch offenbar zu erfolgreich agierenden Emirats Katar und der wegen angeblicher Korruptionsvorwürfe kurzerhand in einem Hotel festgehaltenen Prinzen, Manager und Minister der saudischen Regierung, signalisiert Salman, dass es ihm Ernst ist mit seinen Visionen für eine grundlegende Reform der innenpolitischen und außenpolitischen Strategien des Königreiches.

Die Ermordung des regimekritischen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi am 2. Oktober 2018 in der saudischen Botschaft in Istanbul offensichtlich durch ein saudisches Killerkommando dürfte nicht zuletzt auf das Konto Salmans zu gehen, wie Kritiker meinen.[2]

Saudi-Arabien leidet heute unter einer anhaltenden wirtschaftlichen Rezession, die nicht zuletzt durch niedrige Ölpreise am Weltmarkt verursacht wurde. Die hohe Abhängigkeit vom Erdöl macht sich nun in Zeiten der Krise bemerkbar. Trotz der zweitgrößten fossilen Energiereserven der Welt stottert der Wirtschaftsmotor des Landes. Während das Haushaltsdefizit und die Verschuldung des saudischen Staates ansteigen, hat heute bereits jeder vierte saudische Bürger unter 25 Jahren keine Arbeit. Die Wohlfahrtsprogramme für Bildung und Gesundheit sowie die Befreiung von Steuern sind angesichts dessen nicht mehr finanzierbar.

Der Kronprinz versucht mit seiner „Vision 2030“ die saudische Volkswirtschaft im Zeitraum von 20 Jahren entschieden in Richtung Marktwirtschaft und Moderne umzukrempeln. Das Image eines strenggläubigen islamischen Landes soll endlich abgelegt werden. Durch eine neu von Mohammed bin Salman in ihre Ämter gesetzte junge Karste von technokratischen Reformern soll Saudi-Arabien an die Gegebenheiten, Denk- und Handelsweisen einer zunehmend kosmopolitisch ausgerichteten, oft westlich gebildeten, saudischen Gesellschaft des angebrochenen 21. Jahrhunderts angepasst werden. Der Kronprinz gilt als der Motor der Veränderung, wo Frauen selbst erstmals am Steuer ihrer Autos sitzen dürfen.

Vor allem müsse die heimische Wirtschaft diversifiziert werden – weg von der allzu großen Abhängigkeit vom Erdöl als Geldquelle. Wesentlich dabei ist eine deutliche Verringerung des wie in allen Golfstaaten sehr hohen Anteils an sogenannten „Arbeitsmigranten“ etwa aus Pakistan oder Indien, wie der Autor betont, die einfache, aber wichtige Jobs verrichten, ohne die das soziale Gefüge derzeit zusammenbrechen würde. Der Kronprinz fordert deshalb eine sogenannte „Saudisierung“ der heimischen Wirtschaft und Gesellschaft, um Arbeitsplätze für saudische Bürger bereitzustellen.

So plant Mohammed bin Salman unter anderem ein Touristenressort namens „Red Sea Project“, das 50 bisher unbewohnte Inseln am Roten Meer umfasst und gut betuchten Urlaubern alles bieten soll, was das Herz begehrt. Zudem soll nahe der saudischen Hauptstadt Riad „Qiddiya“ (eine Art „arabisches Disneyland“) entstehen, um künftig viele zahlende Besucher anzuziehen.[3]

Schließlich will der Kronprinz den Anstoß für den Bau eines saudischen „Silicon Valley“, genannt „Neom City“, geben.

Mit all diesen Wirtschaftsoffensiven versucht der Kronprinz Saudi-Arabien zukunftstauglich zu machen. Die Strategien der Vereinigten Arabischen Emirate gelten hier als Vorbild. Dennoch müssen alle Golfstaaten umstrukturieren, um ihre jeweiligen Wege in die Zukunft zwischen Tradition und Moderne zu finden.

Horn von Afrika: Vertiefter Einfluss Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) scheinen dabei immer offensichtlicher daranzugehen, ihren Einfluss im Jemen und am Horn von Afrika auszudehnen. Dabei zielen sie darauf ab, regionale Rivalen auszuschalten bzw. zu unterwerfen, um sich größere strategische Tiefe zu verschaffen. Die agiler auftretenden Truppen der VAE und effizientere staatliche Unternehmen sind am Horn von Afrika gegenüber den Saudis derzeit im Vorteil. Die Nutznießer jeglicher möglichen Spannungen zwischen Saudi-Arabien und den VAE werden Katar und die Türkei sein, wohingegen ein vorsichtigerer Umgang in einem harten regionalen Wettbewerb vor Ort erhebliche Vorteile bringen könne, betont der Autor.

Das Horn von Afrika stellt eine kritische Zone für den weltweiten Transit von Erdöl- und Erdgas dar. Aus Sicht Saudi-Arabiens und der VAE solle durch eine Kombination von militärisch-politischen Mitteln und durch ökonomische Hilfe im betroffenen Raum der weitere Machtzugriff vor allem des Irans, der Türkei und Katars gestoppt werden.

Der Krieg im Jemen hat Saudi-Arabien und die VAE immer stärker nach Westen in Richtung des Roten Meeres und des Horns von Afrika ausgerichtet. Der Bau von eigenen Militärbasen in der Region gehört auch dazu, um die eigenen Interessen abzusichern.

In Dschibuti, Eritrea, Äthiopien und Somalia konkurrieren sich derzeit Abu Dhabi und Riad mit der Türkei und Katar auf vielfältige Weise darum, eigene Häfen und Militärbasen auf afrikanischem Boden betreiben zu können.

Angesichts dieser unübersichtlichen Dynamik um Macht und Einfluss diverser Akteure im Raum besteht eine erhöhte Gefahr, dass die bilateralen Spannungen untereinander weiter zunehmen, wobei es auch durchaus möglich ist, dass die jetzige Freundschaft zwischen Saudi-Arabien und den VAE aufgrund regionaler bzw. überregionaler Zwistigkeiten um Macht und Geld zerbrechen könnte, wobei wiederum die Türkei und Katar daraus Profit schlagen dürften.[4]

Katar-Krise seit 2017

Die Krise um das Mitglied des Golfkooperationsrates Katar seit 2017 ist ein anderes anschauliches Beispiel für Salmans harte außenpolitische Haltung, der zwischenzeitlich in einem Boykott und einer Schließung der Grenzen zu Katar gipfelte. Katar gilt neben der Türkei unter Erdogan als wichtigster Unterstützer der Muslimbruderschaft und anderer radikaler Gruppen. Die Muslimbrüder werden mit ihrer Forderung zum Aufbau eines islamischen Staates von den arabischen Herrscherhäusern (vor allem aber von Riad selbst) als Bedrohung angesehen. Zugleich sahen die Saudis die allzu große Nähe Katars zum verfeindeten Iran mit immer größerem Argwohn.

Mittlerweile zeigt sich die „stille Achse“ Saudi-Arabiens mit Israel und anderen arabisch-sunnitischer Staaten in ihrem gemeinsamen Bestreben, die Machtprojektionen Teherans zusammen mit den verbündeten schiitischen Milizen in Syrien, dem Irak und vor allem im Libanon (Hisbollah) größtmöglich im Großraum einzudämmen. Diese arabisch-israelische „Allianz“ gegen den Iran wird von US-Präsident Donald Trump gestützt.

Der strategische Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran wird letztlich mit aller Härte in Form von Stellvertreterkriegen in schwachen bzw. kollabierenden Ländern der Region geführt wird. Libyen, Syrien und der Jemen sind die entsprechenden Kriegsschauplätze dafür. Auch die Gesellschaften des Libanons und des Iraks werden von diesen sunnitisch-schiitischen konfessionell-politischen Spannungen erschüttert, die im Kern von diesen bereits beschriebenen regionalen Vormächten ausgehen. Diese Konfliktlagen führen zu weiteren Verwerfungen und Instabilitäten im Nahen und Mittleren Osten, wobei die Aussichten auf Deeskalation und Frieden im Raum minimal bleiben.[5]

Israel erscheint neben den USA auch für die sunnitischen Golfmonarchien (allen voran Saudi-Arabien) ein natürlicher Verbündeter gegenüber dem großen Gegner Iran zu sein. Dabei scheint die Dringlichkeit der Lösung der palästinensisch-israelischen Konfliktlage nicht zuletzt aufgrund der anhaltenden Zwistigkeiten innerhalb der palästinensischen Gemeinschaft speziell für Kronprinz Salman in den Hintergrund zu rücken.[6]

Die Türkei und vor allem auch Russland versuchen ebenfalls insbesondere im mittelöstlichen Konfliktraum eine verstärkte Rolle als Ordnungsmacht (zum Teil in Absprache mit Teheran) zu spielen.

Somit bleibt auch nach der weitgehenden Niederringung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) eine hoch-explosive unübersichtliche Gemengelage aufgrund der Heterogenität der einwirkenden Akteure und Interessensfelder in der Gesamtregion bestehen.

Angesichts dieser Entwicklungen zeigt sich dennoch die internationale politisch-ökonomisch-militärische Aufwertung Saudi-Arabiens vor dem Hintergrund seiner intensivierten, durchaus risikobehafteten, pro-aktiven Strategie als aufstrebende Regional- und Erdölmacht.


Abgeschlossen: 14. Juni 2019

Weiterführende LINKS:

Saudi Arabia country profile - BBC News

All news about Saudi Arabia politics | Euronews

Saudi Arabia - Government and society | Britannica.com

Saudi Arabia | Freedom House

Saudi Arabia in the New Middle East | Council on Foreign Relations

Saudi Arabia | Foreign Affairs

Yemen crisis: Why is there a war? - BBC News - BBC.com

Mapping the Yemen conflict | European Council on Foreign Relations

Yemen | Crisis Group

The Saudi-Qatar Crisis Creates Collateral Damage in the Persian Gulf

Qatar crisis: What you need to know - BBC News

Saudi Arabia and Iran: The Struggle to Shape the Middle East

Iran, Saudi Arabia, and the Failure of America's Middle East Policy

Saudi Arabia and Iran | Center for Strategic and International Studies


Anmerkungen:

[1] Anoushiravan Ehteshami, „Saudi Arabia as a Resurgent Regional Power“. In: The International Spectator 4/2018, S. 75-94.

[2] Siehe dazu: Markus Bickel, „Jemen oder: das saudische Vietnam“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2018, S. 29-32.

[3] Sebastian Sons, „Visionen in der Wüste“. In: Internationale Politik 6/2018, S. 6-11.

[4] Michael Horton, „Westward Pivot“. In: Jane’s Intelligence Review 10/2018, S. 22-25.

[5] Siehe etwa: Mehran Kamrava, „Multipolarity and Instability in the Middle East“. In: Orbis 4/2018, S. 598-616.

[6] Vgl: Kristian Coates Ulrichsen, „Palestinians Sidelined in Saudi-Emirati Rapprochement with Israel“. In: Journal of Palestine Studies 4/2018, S. 79-89.