- Created by Stefan Lechner, last modified on Aug 26, 2021
Der Beitrag ist eine Fortsetzung zu „Suche und Versuchungen um nationale Größe auf dem Westbalkan - Mythen, Akteure, Implikationen“ in der ÖMZ 03/2021 und setzt mit dieser Analyse die Problematisierung der groß- bzw. panalbanischen Denkfigur fort.
Das Sicherheits- und Machtvakuum, das sich in Konsequenz des schleppenden EU-Integrationsprozesses vermehrt herausbildet, wird seit einigen Jahren mit der Hinauszögerung der Eröffnung von Beitrittsverhandlungen durch französische, niederländische und dänische Vetos verstärkt. Externe Mächte, wie die USA, die Volksrepublik China, die Russische Föderation und die Türkei stoßen mit ihren jeweiligen disparaten Interessen hinein und schaffen Fakten in sozioökonomischen, medialen und kulturell-religiösen Bereichen, die eines Tages im Rahmen der EU-Integration berücksichtigt werden müssen. Im März 2020 gaben die Europaminister ihre Zustimmung zur Eröffnung der Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien. Doch die spärlich ausgebauten Gesundheits- und Sozialsysteme der Westbalkanstaaten sind mit der Coronakrise stark überfordert. Mit Blick auf nationale Alleingänge im Krisenmanagement einiger EU-Mitgliedstaaten, klagen die Westbalkanstaaten über die mangelnde Solidarität und Hilfe der EU. Diese Wahrnehmung gefährdet nicht nur die Glaubwürdigkeit und den Zuspruch gegenüber der EU, sondern bietet externen Mächten eine neuerliche Angriffsfläche, um ihren Einfluss auszudehnen. Das integrierte Europa hat im Rahmen seiner Beitrittsagenda hinreichend Gestaltungsmacht, großstaatliche Visionen auf dem Westbalkan mit seinem Narrativ der Friedensstiftung auszutrocknen. Es waren diese historischen Schritte vom europäischen Gegeneinander zum Gegenüber, vom Gegenüber zum Nebeneinander und schließlich vom Nebeneinander zum Miteinander, die zur Herausbildung einer europäischen Identität führen könnten. Doch die EU befindet sich selber in schwerem Wasser. Die ökonomischen Implikationen der Corona-Pandemie, der Ausbruch aus dem Rechtsstaatsgefüge der Kopenhagener Kriterien einiger seiner Mitgliedsländer, die kaum zu harmonierenden Interessen zwischen den Mitgliedstaaten im Norden und im Süden, im historischen Westen und im neuen Osten sowie insbesondere die mangelnde Fähigkeit des Europäischen Rates wie auch der Europäischen Kommission eine gemeinsame Weltpolitik vorzugeben, unfähig zur Weltpolitik, sowie die immer schwierigeren Budgetverhandlungen, verengen eine strategische Sichtweise in den Hauptstädten und in Brüssel. Vor diesem Hintergrund entfaltet die EU für den Westbalkan gegenwärtig keine innovative Schubkraft.
Der Mythos und die groß- bzw. panalbanische Denkfigur widerhallt noch in der eigenen Echokammer. Die Politiken des Westbalkans balancieren insofern auf dem Schwebebalken des ihnen zuwinkenden westeuropäischen Posthumanismus mit flüssigen wie fluiden Identitäten und den an ihnen zerrenden tradierten manifesten Narrativen. Wer von den beiden wird hier den politischen Nährboden der Zukunftsgestaltung düngen?
Heute zeigt eine Vielzahl von Konflikten und kritischen Zerfallsszenarien, dass es neben Grenzziehungen, Verträgen und Verfassungen, doch auch die Gründungsmythen, Sprache, Kultur, Religion, ethnische Zugehörigkeit und Ideologie sind, welche ein Identitätsgefühl begründen.
The article is a continuation of "Search and Temptations for National Greatness in the Western Balkans - Myths, Actors, Implications" in the ÖMZ 03/2021 and with this analysis continues to expose the problems of the large- and pan-Albanian thought figure.
The security and power vacuum, which is becoming increasingly apparent as a result of the slow EU integration process, has been exacerbated by the delay in the opening of accession negotiations by French, Dutch and Danish vetoes for several years. External powers, such as the US, the People's Republic of China, the Russian Federation and Turkey, are pushing their respective disparate interests into the country, creating facts in socio-economic, media and cultural-religious areas that will one day have to be taken into account in the context of EU integration. In March 2020, the European Ministers gave their assent to the opening of accession talks with Albania and Northern Macedonia. But the sparsely developed health and social systems of the Western Balkans are severely overwhelmed by the corona crisis. With regard to national solo actions in the crisis management of some EU Member States, the Western Balkans complain about the lack of solidarity and assistance from the EU. This perception not only threatens credibility and encouragement of the EU, but also offers external powers a new area of attack to expand their influence. As part of its accession agenda, an integrated Europe has sufficient power to dry up large-scale visions in the Western Balkans with its narrative of peace-building. It was these historic steps from the European opposite to the opposite, from the opposite to the juxtaposition, and finally from juxtaposition to peaceful coexistence that could lead to the development of a European identity. The EU itself, however, is floating in heavy water. The economic implications of the Corona pandemic, the outbreak of the constitutional fabric of the Copenhagen criteria of some of its member States, the hard-to-harmonize interests between the member states in the North and the South, the historic West and the New East, and in particular the inability of both the European Council and the European Commission to establish a common world policy, incapable of world politics, and the increasingly difficult budget negotiations, narrow a strategic view in the capitals and in Brussels. Against this background, the EU currently is not developing an innovative thrust for the Western Balkans. The myth and the large- or pan-Albanian figure of thought still reverberate in their own echo chamber. In this respect, the policies of the Western Balkans poise on the balance beam of Western European posthumanism, which is beckoning to them, with both fluid and fluxional identities and the traditional manifest narratives that haul on them. Which of the two will fertilize the political hotbed of shaping the future? Today, a multitude of conflicts and critical disintegration scenarios show that, in addition to demarcations, treaties, and constitutions, it is also the founding myths, language, culture, religion, ethnicity, and ideology that create a sense of identity.
Manfried Rauchensteiner
Die Verteidigungsminister der Zweiten Republik - Serie
Karl Ferdinand (Freiherr von) Lütgendorf
Lütgendorf stammte aus einer altadeligen Familie und wurde 1914 in Brünn geboren. Sein Vater war damals k.u.k. Militärkommandanten von Brünn. Nach dem 1. Weltkrieg wurde sein Vater in das österreichische Bundesheer übernommen. Der junge Karl Ferdinand besuchte schließlich in Graz die Volksschule und das dortige Gymnasium. Im November 1933 wird er in das Bundesheer der Ersten Republik eingezogen und absolvierte schließlich 1937 erfolgreich die Theresianische Militärakademie. Im NS-Regime diente er als Offizier der Gebirgstruppen im Generalstab und nahm anschließenden an den Kämpfen des 2. Weltkrieges in Norwegen teil, wo der junge Offizier schwer verletzt worden war. Er kam gegen Ende des Krieges in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde aber schon 1946 wieder freigelassen. Lütgendorf ließ sich durch die Aussichten, die das zukünftige Bundesheer der Zweiten Republik bot, überzeugen und wurde am 16. Juli 1956 als Vertragsbediensteter mit Sondervertrag aufgenommen. Zwei Wochen später war er Chef des Stabes der 7. Gebirgsbrigade in Kärnten. Auch die rangmäßige Angleichung erfolgte kurz darauf, sodass er gewissermaßen von einem Tag auf den anderen vom Röhrenvertreter in Tirol zum Generalstabschef einer Brigade mutierte.
Einer seiner damaligen Vorgesetzten, Oberst dG Anton Leeb, gab Lütgendorf eine ausgezeichnete Dienstbeschreibung und führte im Einzelnen aus: „Gemäßigter Optimist mit Sinn für Humor…, verantwortungsfreudig, verlässlich, verschwiegen…Stark ausgeprägtes Selbstvertrauen, sehr beharrlich, schwer aus der Fassung zu bringen, dann aber ‚explosiv‘. Sehr intelligent, lebenserfahren… weiß sich in jeder Situation zu helfen… sehr gutes Organisationstalent…“ Ab 1958 war Lütgendorf Abteilungsleiter für militärische Ausbildung im Bundesministerium für Landesverteidigung. Ab 1961 diskutierte er den „Kleinkrieg“ als denkbares Verfahren für das Bundesheer der Zweiten Republik. Lütgendorf wurde am 10. Februar 1971 schließlich in die SPÖ-Alleinregierung von Bundeskanzler Bruno Kreisky als parteiloser Verteidigungsminister berufen. Mit seinem Bemühen, das Bundesheer neu zu positionieren, weckte Lütgendorf mehr oder weniger unvermeidlich die Gegnerschaft, ja Feindschaft pazifistischer und jedenfalls bundesheerfeindlicher Kreise. Als sich die gegen ihn gerichtete Polemik auch ins Parlament verlagerte, zeigte sich freilich nicht nur Lütgendorfs Beharrungswillen, sondern auch seine Unerfahrenheit. Er stand von der Ministerbank auf und verschwand. Im November 1971 tat der Minister den nächsten und entscheidenden Schritt und legte dem Landesverteidigungsrat den Entwurf einer neuen Heeresorganisation, die „Heeresgliederung 72“ vor.
Nach Jahren, in denen man hatte meinen können, Lütgendorf und der Armeekommandant Emil Spannocchi würden an einem Strang ziehen, zeigten sich Anzeichen eines schweren Zerwürfnisses in Bezug auf die Raumverteidigung.
Wegen des Verdachts, in illegale Waffengeschäfte verwickelt zu sein, bot der Minister auf Druck von Bundeskanzler Kreisky am 31. Mai 1977 dem damaligen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger seinen Rücktritt an.
Bis zu seinem Tod 1981 (mutmaßlicher Selbstmord, aber genaue Todesumstände ungeklärt) hielt er mehrere Aufsichtsratsposten und lebte auf seinem Jagdgut in Schwarzau im Gebirge in Niederösterreich.
Dieter Budde
Nukleare Rüstungskontrolle
Aktuelle Dimensionen und zukünftige Herausforderungen
Wichtige Abrüstungsverträge wie START I, START II, ABM, INF und Open Sky sind inzwischen Geschichte. Der ABM-Vertrag war ein Rüstungskontrollvertrag zwischen den USA und der UdSSR zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen. Er wurde am 28. Mai 1972 mit unbefristeter Gültigkeit abgeschlossen und konnte mit 6-monatigem Vorlauf gekündigt werden. Mit dem ABM-Vertrag verpflichteten sich die USA und die UdSSR, keine landesweiten Verteidigungssysteme gegen ballistische Raketen aufzubauen. Der ABM-Vertrag begrenzt die Entwicklung und den Einsatz von erlaubter strategischer Raketenverteidigung. Es sind nur zwei lokal begrenzte Raketenabwehranlagen für jeden Vertragspartner erlaubt. Am 13. Juni 2002 traten die USA einseitig vom Vertrag zurück. Die Vereinigten Staaten und Russland haben im Jahr 2019 den Intermediate Range Nuclear Forces (INF) Vertrag aufgekündigt. Damit wurde der Vertrag am 2. August 2020 außer Kraft gesetzt. Dieser Vertrag hatte dazu geführt, dass für und in Europa ein wesentlicher Schritt zur Reduzierung des Nuklearwaffenpotenzials getan wurde. Der INF-Vertrag war ein Grundpfeiler der europäischen Sicherheitsstruktur. Der Open-Skies-Vertrag wurde am 24.03.1992 am Rande des vierten KSZE-Folgetreffens von 24 Staaten unterzeichnet. Damit ist eine großräumige Beobachtung militärischer Anlagen und Aktivitäten im gesamten Gebiet Europas, Russlands und Nordamerikas möglich. In dem Vertrag sind eine große Anzahl von Einzelheiten, wie aktive und passive Quoten von Beobachtungsflügen, die Sensorausstattung der Flugzeuge, Verfügbarkeit gewonnener Informationen sowie Flugregeln und Flugpläne enthalten. Mit diesen Beobachtungsflügen können eine größere Anzahl von Staaten oder "Gruppen von Staaten" an einem Luftbeobachtungsregime teilhaben. Die USA kündigten diesen Vertrag im Mai 2020.
Nachdem die USA sich vom Open-Skies-Vertrag zurückgezogen haben, verließ auch Russland im Januar 2021 dieses Abkommen über militärische Beobachtungsflüge. Russland behält sich die Option offen, den Vertrag fortzuführen, wenn die USA wieder beitreten.
Besitz und Entwicklung von Nuklearwaffen waren wesentliche Rahmenbedingungen zurzeit des Kalten Kriegs. Sie waren Mittel der Weltmächte und regionaler Großmächte, ihre Machtpositionen im internationalen System zu behaupten. Mit der Entwicklung der Nuklearwaffen und ihrer Trägermittel verschoben sich auch Bedeutung und Einflussmöglichkeit.
Die nukleare Aufrüstung Chinas, Nordkoreas und des Iran sowie das Bestreben aller Nuklearmächte zur technologischen Modernisierung, Entwicklung von Trägersystemen, Verbesserung der Überlebensfähigkeiten der Nuklearwaffen und dem Streben oder der Verbesserung der Zweitschlagfähigkeit erzeugt einen Rüstungswettlauf. Die weitere Entwicklung von Rüstungskontrolle und Abrüstung im globalen Maßstab ist fraglich. Die strategischen Interessen der nuklearwaffenbesitzenden Staaten sind zu unterschiedlich, als dass in naheliegender Zukunft mit umfassenden Rüstungskontrollvereinbarungen oder Abrüstungen zu rechnen ist.
D'importants traités de désarmement tels que le START I, le START II, l’ABM, l’INF et l’Open Sky font déjà partie de l'histoire.
Le traité ABM était un traité de contrôle d’armement entre les États-Unis et l'URSS, visant à limiter les systèmes de défense antimissile. Il fut conclu le 28 mai 1972 pour une période illimitée et pouvait être résilié avec un préavis de 6 mois. Avec le traité ABM, les États-Unis et l'URSS se sont engagés à ne pas construire, à l'échelle nationale, de systèmes de défense contre des missiles balistiques. Ce contrat existe toujours et limite le développement et l’emploi de systèmes antimissile stratégiques : chaque partie contractante ne doit installer que deux systèmes de défense antimissile localement limités. Le 13 juin 2002, les États-Unis se sont retirés unilatéralement de ce traité. En 2019, les États-Unis et la Russie se sont retirés du traité sur les forces nucléaires à portée intermédiaire (FNI). En conséquence, le traité fut annulé le 2 août 2020. Ce traité avait permis de faire un pas important pour et en Europe en ce qui concerne la réduction du potentiel des armes nucléaires. Le traité FNI était un pilier de base pour la structure de la sécurité européenne.
Le traité « Open Skies » (Ciel Ouvert) fut signé par 24 États le 24 mars 1992, en marge de la quatrième réunion de suivi de la CSCE. Il permet d'observer, à grande échelle, les installations et activités militaires dans toute l'Europe, la Russie et l’Amérique du Nord. Ce contrat contient beaucoup de détails, tels que les quotas actifs et passifs concernant les vols d'observation, l'équipement en capteurs des avions, la disponibilité des informations acquises ainsi que les règles des plans de vol. Ces vols d'observation permettent à un plus grand nombre d'États ou de « groupes d'États » de participer à un régime d'observation aérienne. Les États-Unis quittèrent ce traité en mai 2020. Après que les États-Unis se furent retirés du traité « Ciel ouvert », la Russie quitta également cet accord sur les vols d'observation militaires en janvier 2021. Néanmoins, la Russie a conservé la possibilité de poursuivre ce traité si les États-Unis le rejoignent de nouveau.
Pendant la guerre froide, la possession et le développement d'armes nucléaires étaient des conditions-cadre essentielles. Ils étaient un moyen pour les puissances mondiales et les superpuissances régionales d'affirmer leurs positions de pouvoir dans le système international. Le développement des armes nucléaires et de leurs vecteurs a également changé l’importance et l’influence des puissances nucléaires. L'armement nucléaire de la Chine, de la Corée du Nord et de l'Iran ainsi que les efforts de toutes les puissances nucléaires afin de moderniser leur technologie, développer des vecteurs, améliorer la capacité de survie des armes nucléaires et obtenir ou améliorer une capacité de deuxième frappe, ont créé une course aux armements. Le développement futur du contrôle d’armes et du désarmement à l'échelle mondiale est discutable. Les intérêts stratégiques des États possédant des armes nucléaires sont trop différents pour que l'on puisse s'attendre, dans l’avenir proche, à des accords globaux sur le contrôle d’armes ou sur le désarmement.
Christian Herrmann/Stephan Maninger
Bleibt Stahl entscheidend?
Zur Bedeutung von Panzertruppen in modernen Streitkräften
Die Einführung des Panzerkampfwagens als ultimative Landkriegswaffe vor mehr als 100 Jahren revolutionierte die Kriegsführung (genau wie die Entstehung der Luftwaffe, die spätere Erschließung des Weltraums und das Hinzukommen der heutigen Cyberdimension). Für militärische Planer ist es daher immer entscheidend, sich dem „Verfallsdatum“ ihrer Wirkmittel bewusst zu sein. Emotionale Bindungen an den englischen Langbogen, farbige Uniformen oder schneidige Kavallerie, waren von militärischen Katastrophen begleitete Aspekte des menschlichen Strebens nach Kontinuität und Berechenbarkeit. Militärische Innovation ist hingegen zwangsläufig pragmatisch, d.h. fast ausschließlich auf Wirksamkeit, ausgerichtet, kennt zwar moralische Kategorien, doch orientiert sich ansonsten weder an Ideologie noch an „Denkmalpflege“. Selbst wenn konkurrierende Akteure über die identische Technologie verfügen, kann die Art der Anwendung zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die Erfinder des Panzerkampfwagens und Sieger des Ersten Weltkrieges mussten feststellen, dass sie in der ersten Phase des Zweiten Weltkrieges der „beweglichen Kriegführung“ der Wehrmacht unterlagen, ohne dabei technologisch (Char B, T-34) oder zahlenmäßig (Frankreich, Sowjetunion) im Nachteil gewesen zu sein. Daher stellt sich auch in Zeiten einer allgegenwärtigen technologischen „Revolution in militärischen Angelegenheiten“ die Frage, ob die klassischen Panzerkampfwagen und -verbände eine Zukunft haben. Der vorliegende Beitrag will in diesem Sinne kein Urteil zugunsten der einen oder anderen Seite fällen, sondern zum Nachdenken und zur Diskussion über die Zukunft der Panzertruppen anregen.
Es ist in Zukunft mit einer weiteren Diversifizierung des Einsatzspektrums und der Szenarien der Panzerkriegsführung zu rechnen. Das Einsatzspektrum in der absehbaren Zukunft reicht von Hilfseinsätzen über Friedensmissionen mit unterschiedlicher Bedrohungs- und Konfliktintensität bis hin zu friedenserzwingenden Maßnahmen im weltweiten Einsatz, auch unter schwierigen Gelände-, Sicht- und Klimabedingungen. Gleichermaßen wird die Bedrohung für zukünftige Gefechtsfahrzeuge breitbandiger und wirksamer. Sie ist in ihrer gesamten Entwicklung auch nicht sicher abschätzbar. Damit gestaltet sich die Entwicklung und Auslegung eines zukünftigen Gefechtssystems als eine extrem anspruchsvolle und schwierige Aufgabe.
Die Bedeutung des Panzers im konventionellen Sinne befindet sich zwar im Wandel, doch wird sie voraussichtlich kurzfristig erhalten bleiben. Hinzu behalten Panzerkräfte weiterhin eine erhebliche psychologische Wirkung auf die feindliche Infanterie. Gepanzerte Fahrzeuge, ihr Schutz, ihre Feuerkraft und ihre Mobilität werden somit weiterhin entscheidendes Mittel zur Durchsetzung gegen konventionelle und asymmetrisch operierende Gegner bleiben. Die Minimierung von Verlusten an eigenen Soldaten und das bessere Durchsetzungsprofil rechtfertigen noch den Aufwand für Beschaffung, Unterhalt und Ausbildung. Die meisten Streitkräfte planen damit, dass die aktuell im Einsatz stehenden Kampfpanzermodelle bis mindestens 2035 im Dienst bleiben. Gepanzerte Fahrzeuge werden somit das Bild moderner europäischer Armeen noch auf längere Zeit beherrschen, bis die nanotechnologische Entwicklung sie womöglich in weiterer Folge obsolet macht.
Matthias Kaiser
Der unsichtbare Dritte
Der Partisan, der Krieg und die Angst
Der Begriff Partisan aus dem Italienischen „partigiano“, was übersetzt Parteigänger bedeutet, soll für alles Folgende die Bezeichnungen von Freiheitskämpfer, Guerillero, Rebell, Freischärler, Widerstandskämpfer, Bauernhaufen, Aufständischer, Revolutionär und irregulärer Kämpfer ersetzen. Diese Begriffsfestlegung dient einerseits zur Verdeutlichung des epochenübergreifenden Phänomens, sowie des passenden Sinninhalts als Parteigänger einer neuen, eigenen, noch kommenden Ordnung. Egal welche politische Ideologie, territoriale Ausbreitung oder zu erreichende Staatsform diese neue Ordnung beinhaltet, der Partisan ergreift stets absolut Partei für diese Konzeptionen, ohne identisch mit dessen Sinninhalt zu sein. Der Partisan ist Parteigänger der neuen Ordnung, nicht notwendigerweise der Ausgestaltung sobald diese erkämpft ist. Der Partisan ist im Besitz von spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten; erst diese genuinen Merkmale ermöglichen ihn von anderen Kriegsteilnehmern abzugrenzen und machen ihn unterscheidbar. Die Unsichtbarkeit durch Verstecken oder Untertauchen sowie die Verbreitung von Angst in den Reihen seiner Feinde führen zu mehreren Paradoxien, u.a. auch jene der Verortung und Entgrenzung. Das Fischen im Urgrund dieser Erzählung könnte mit dem Ausspruch „l‘état c‘est moi“, der gerne mit der Herrschaft von Ludwig XIV. über Frankreich in Verbindung gebracht wird, umschrieben werden. Der Unterschied zum Partisanen ist nur, dass er den neuen anderen Staat nicht nur symbolisiert. Er ist dieser Staat, er verkörpert ihn mit seiner eigenen Leiblichkeit. Der Kampf gegen den Partisanen zielt deshalb nicht auf die Eroberung eines klar zu definierenden Raumes. Er zielt auf den Leib des Partisanen selbst, denn er ist dessen Verkörperung. Universalität und Welt wurzeln im Innersten von Individualität und Subjekt selbst. Man versteht es unmittelbar, wenn die Welt das Feld all unserer Erfahrungen ist und wir selbst nichts anderes sind als eine Sicht der Welt. Der Raum des Partisanen kann nicht erobert werden, denn er ist genauso fluide und nicht greifbar wie das Phänomen und die konkrete Figur des Partisans selbst. Resultat ist eine Entregelung, Entrechtung und Enthemmung nicht nur im Kampf gegen den Partisan, sondern auch hinsichtlich vormals staatlich gehegter Gewaltakteure. Die Unsichtbarkeit, die Entgrenzung und die Verbreitung von Angst erweitern nicht nur den Raum des Partisanen, sondern im Gegenzug auch den Ausnahmezustand. Das macht den Partisan zu einer Bedrohung der Souveränität der alten Ordnung als auch zu einer der öffentlichen Ordnung. Er wird zum Vogelfreien, zum absoluten Feind, zum homo sacer der postmodernen Kriegführung.
Die Geburt des Soldaten aus dem Geist der neuzeitlichen Staatenordnung machte ihm zum Monopolisten des Krieges. Partisanen hingegen waren lediglich ein Phänomen der Kolonialkriege und wurden als Randerscheinung betrachtet. Geordnete Streitkräfte sind voraussetzungsreiche Institution der Staatskriege, welche nur große Nationalstaaten unterhalten konnten.
Der Beruf des Soldaten, sowie das soldatische Handwerk des Krieges haben eine durchgreifende Transformation durchlaufen. Neben einer Technisierung und umfangreicher Spezialisierung sind jedoch vermehrt partisanische Analogien zu erkennen. So ist zu beachten, dass Soldaten vermehrt verdeckt und im Geheimen operieren. Diese vormaligen taktischen Ausnahmen häufen sich und werden zur Strategie, dies stellt jedoch die Regularität im Krieg und das Selbstverständnis als sichtbarer Monopolist in Frage. Der Wiederaufstieg des Söldners ist deshalb stets im Kontext der Veränderung des Soldaten zu betrachten. Durch den Teilverlust von Regularität verändert sich die Konzeption von Souveränität der Staaten, welche diese neuen Soldaten entsenden. Die Antwort auf die Herausforderung des Partisanenkrieges scheint bislang eine „Verpartisanisierung“ des Soldaten zu sein, oder einer Privatisierung des Krieges, welche den Söldner hervorbringt.