Die steigende geostrategische Bedeutung des Indischen Ozeans Der frühere US-Außenminister John Hay konstatierte zu Anfang des 20. Jahrhunderts hellsichtig: „Das Mittelmeer ist der Ozean der Vergangenheit; der Atlantik ist der Ozean der Gegenwart; und der Pazifik ist der Ozean der Zukunft!“ Heute würde man aber vor allem auch den Wiederaufstieg des Indischen Ozeans als wichtigen Einflussfaktor hinzuzählen, um vom Anbruch eines „Asiatischen Jahrunderts“ sprechen zu können.1) Ein beträchtlicher Teil des Welthandels verläuft über die Meeresstraße zwischen Afrikas Ostküste, Asiens Südflanke und Australien. 84 Prozent der chinesischen Energieimporte passieren die Straße von Malakka; 90 Prozent des indischen Außenhandels finden auf dem Seeweg und somit über den Indischen Ozean statt. Derzeit baut das zur Großmacht aufgestiegene China am entschlossensten im Großraum seinen sozioökonomisch-politisch-militärischen Einfluss aus. Anders als im Südchinesischen Meer, wo Felsen zu Inseln und Inseln zu Hoheitsgebieten werden, ist das wichtigste Werkzeug der Führung in Peking dabei nicht der Bagger, sondern die Scheckbuchdiplomatie. China hat in den letzten Jahren akribisch bei verschiedenen Anrainerländern des Indischen Ozeans entweder in strategische Infrastrukturprojekte investiert oder Kredite für deren Bau vergeben. Chinas erste ausländische Militärbasis liegt im Westen des Indischen Ozeans in Djibouti – an einem wichtigen Drehkreuz des internationalen Handels am Horn von Afrika. Der dortige Stützpunkt der Chinesen zeigt genau auf, wie Peking seine Seewege im Rahmen der maritimen Neuen Seidenstraßenstrategie absichern will. Weiters unterstützt China die Infrastrukturvorhaben in Jiwani bei Gwadar/Pakistan und in Hambantota/Sri Lanka und forciert seine Bestrebungen, militärische Nutzungsrechte in Tansania und auf den Malediven zu gewinnen. Besonders beunruhigt dieser Entwicklungsprozess Indien. Die chinesische Initiative zur Sicherung der Handelswege nach Westen („One Belt, One Road“), die sowohl die See- als auch die Landrouten umfasst, wird in Dehli als Einkreisung wahrgenommen. Unter dem Slogan „Neighbourhood first“ versucht nun Indien, das zerrüttete Verhältnis zu diversen Nachbarstaaten zu reparieren. Bei Sri Lanka und Bangladesh gelang dies; bei Nepal oder den Malediven aber bislang nicht. Mit „ActEast“, einer weiteren Initiative, setzt Indien weitgehend auf die Kooperation mit Südostasien. Die Erreichbarkeit auf dem Land- und Seeweg soll verbessert werden. In Nordostindien zum Beispiel wird in Straßenverbindungen nach Burma investiert. Die Anrainerländer der Bucht von Bengalen als bisher wenig integrierte Großregion sollen unter indischer Führung näher zusammengebracht werden. Zudem fand der Gipfel der ASEAN-Staaten im Jänner 2018 in Delhi statt. Weiter westlich versucht Indien (als Gegengewicht zum pakistanisch-chinesischen Transportkorridor) eine Landbrücke nach Zentralasien und bis Russland zu schaffen. In Oman hat Indien Nutzungsrechte im Hafen von Duqm. Im Südchinesischen Meer hat China über internationales Recht hinweg Fakten geschaffen. Im Indischen Ozean soll sich das vor allem aus der Perspektive Indiens nicht wiederholen. Vor dem Hintergrund der rasanten chinesischen maritimen Aufrüstung erweiter auch Indien zunehmend seine militärischen Kapazitäten. 2017 war Indien der größte globale Waffenimporteur. Indien setzt parallel dazu auf eine umfangreiche Modernisierung seiner Streitkräfte in Verbindung mit einer markanten Umstrukturierung seiner Rüstungsbetriebe.2) Wie tiefgehend die atomare Rüstung Indiens weiter voranschreiten wird, hängt nicht zuletzt von den geopolitischen Spannungen – vor allem auch mit China – ab.3) Ein effektives Gegengewicht zu China lässt sich für die Regierung in Dehli nur mit starken Partnern erreichen. Dazu zählen vor allem die USA. Amerika als bisherige alleinige Weltmacht nach dem Ende des Kalten Krieges versucht seinerseits vor diesem Hintergrund versucht, neben einer Allianz pro-westlicher Anrainerstaaten im asiatisch-pazifischen Raum (allen voran mit Japan, Australien und Südkorea) insbesondere auch mit Indien ein Gegengewicht zum wachsenden Einfluss Chinas im Großraum aufzubauen.4) Die geopolitische Gemengelage ist nicht nur entlang der Seerouten von Asien nach Westen komplexer geworden, sonder nauch auf dem Land. Deutlich zeigt sich das in Afghanistan, wo sich in Umkehrung der Allianzen des Kalten Krieges Russland und Pakistan annähern und Indien auf der Seite der pro-amerikanischen Kräfte steht. Trotzdem hatte der Kreml Indiens Beitritt in die auf Zentralasien fokussierte Schanghai-Organisation unterstützt, um dort einen Gegenpol zur bisherigen Dominanz Pekings zu installieren. Zentralasiatische Raum befindet sich inmitten einer Wiederbelebung des „Großen Spiels“, wie das Ringen der Großmächte um Macht und Einfluss in der Region im 19. Jahrhundert genannt wurde.5) Der womöglich noch wichtigere Schauplatz dieses „Spiels“ liegt jedoch im Indischen Ozean. Bis 2030 wird erwartet, dass Indien zur drittgrößten Weltwirtschaft aufgestiegen sein wird[6], aber es wird wahrscheinlich zunehmend auch militärisch gegenüber dem großen Rivalen China immer mehr aufschließen. Die Amerikaner sprechen heute deshalb verstärkt vom indopazifischen Raum, in deren Sicht eben auch Indien künftig ein Teil der Machtbalance auf westlicher Seite zur Eindämmung Chinas ist. Es wäre deshalb auch ein Trugschluss, zu glauben, dass das 21. Jahrhundert und damit der Indische Ozean weitgehend vom Einfluss Chinas vorrangig beherrscht sein würde.
Anmerkungen 1) Siehe dazu etwa: Karl Pilny, Asia 2030, Campus 2018, 328 Seiten. Ansgar Graw, „Es wird, wie es war – Über das asiatische Jahrhundert“. In: Die politische Meinung 547/2017, Seite 66-70. PDF: http://www.kas.de/wf/doc/kas_50759-544-1-30.pdf?171120124224 Gideon Rachman, „Der Beginn des asiatischen Zeitalters - Der Aufstieg Chinas und Indiens verschiebt die globalen Machtgleichgewichte“. In: Internationale Politik 2/2018, Seite 8 – 13. 2) Srinath Raghavan, “Military Technological Innovation in India: A Tale of Three Projects”. In: India Review 1/2018, Seite 122 – 141. 3) Vipin Narang, “Indias Nuclear Strategy Twenty Years After: From Reluctance to Maturation”. In: India Review 1/2018, Seite 159 – 179. 4) Mark Metcalf, „China Envisions Growing Role in Regional Security”. In: Naval Institute Proceedings 4/2018, Seite 42 – 46. |