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Anfang 2019

Nach der überraschenden Ankündigung von US-Präsident Donald Trump vom 19. Dezember 2018, die noch ca. 2000 US-Soldaten aus Syrien weitgehend abzuziehen, erhob sich eine Welle des Unverständnisses über diese Entscheidung nicht nur bei den europäischen US-Verbündeten, sondern auch im Inland. Nicht nur demokratische Senatoren, sondern vor allem auch namhafte republikanische Kongressmitglieder empörten sich über diese Entscheidung. Schließlich erklärte der bisherige Garant in der US-Administration für möglichst enge verteidigungspolitische Kooperation mit den US-Partnern in der Welt, US-Verteidigungsminister James N. Mattis, seinen Rücktritt für Ende Februar 2019. (Auch der bisherige US-Sondergesandte für den Kampf gegen den IS, Brett McGurk, gab seinen Posten vorzeitig auf.)


In seinem Rücktrittsschreiben machte sichder  ehemaliger General der Marineinfanterie, ein Veteran der Kriege im Irak und in Afghanistan nochmals für die enge Zusammenarbeit mit internationalen Verbündeten und Respekt ihnen gegenüber stark.[i] Insbesondere wäre die NATO ein unverzichtbarer Kern der westlichen Verteidigungsarchitektur. Die Stärke der USA sei mit einem umfassenden System von Allianzen und Partnerschaften verknüpft. Washington müssten alles unternehmen, um eine internationale Ordnung zu fördern, die Amerikas Sicherheit, Wohlstand und Werte am besten gewährleiste, konstatierte Mattis. Trump habe das Recht, sich einen Verteidigungsminister auszusuchen, dessen Meinungen mehr auf einer Linie mit den Positionen des Präsidenten lägen. Es sei für ihn deswegen „richtig“, von seinem Amt zurückzutreten, so Mattis.


Trumps Entscheidung zum Abzug der US-Streitkräfte aus Syrien (sowie eine Reduktion der US-Truppen in Afghanistan) war mit seiner Auffassung von Außen- und Sicherheitspolitik nicht vereinbar. Der Beschluss zum US-Rückzug aus Syrien war offenbar eine einseitige Entscheidung des Präsidenten - ohne nähere Konsultationen mit dem Verteidigungsministerium oder dem Nationalen Sicherheitsrat.


Zuvor sickerten immer wieder Dissonanzen bezüglich der richtigen US-Strategie durch. Er liess sich auch nicht davon irritieren, dass der US-Präsident Mattis abschätzig als „eine Art Demokrat“ bezeichnete (im Gegensatz zu einem Anhänger der regierenden Partei der Republikaner). Mattis seinerseits soll daraufhin die Fähigkeiten des Präsidenten mit jenen eines „Primarschülers“ verglichen haben.


Er hielt unter anderem den Befehl des Präsidenten für unsinnig, Soldaten an die Grenze zu Mexiko zu senden, um eine angebliche Invasion von Einwanderern abzuwenden sowie Trumps Wunsch nach einer groß angelegten Militärparade nachzukommen.


Wie immer wieder hinter den Kulissen der US-Politik gemunkelt wurde, hatten Mattis und der bisherige Stabschef im Weißen Haus, John Kelly, eine Abmachung, wonach immer einer der beiden in Washington präsent gewesen sei, um ihrer Meinung nach „krasse“ Fehlentscheidungen Trumps abzumindern. Kelly – ebenfalls ein General – trat Ende 2018 ab. Bereits im März 2018 war H. R. McMaster von seinem Posten als Sicherheitsberater zurückgetreten – auch er ein General. Alle drei – ebenso wie der frühere Außenminister Rex Tillerson – zählten zur sogenannten „Brandmauer“ in der Regierung Trumps, um innerhalb der Trump-Administration stabilisierend zu wirken.


Am 23. Dezember 2018 gab Trump bekannt, dass der frühere Boeing-Manager und bisherige Vize-Verteidigungsminister Patrick Shanahan schon ab Jänner 2019 das Amt von Mattis übernehmen werde.


Übereinkommen zwischen Trump und Erdogan - Trump überlasst der Regionalmacht Türkei, aber vor allem Russland und dem Iran das Feld

Während US-Präsident Donald Trump die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien als weitgehend geschlagen ansah, so war und ist die Skepsis im US-Militär darüber groß. Hatte nicht der Rückzugsbefehl von Trumps Amtsvorgänger, Barack Obama, die eigenen Truppen aus dem Nachkriegsirak abzuziehen, letztlich den IS im Nahen und Mittleren Osten erst stark gemacht, wie viele Kritiker heute behaupten. Ein solcher Fehler sollte nicht schon wieder begangen werden.

Trump verteidigt hingegen seine Entscheidung zum Truppenabzug aus Syrien: „Wollen die USA der Polizist im Nahen Osten sein?“, schrieb er auf Twitter. „Sollen wir ewig dort bleiben?“ Die Präsenz bringe den USA nichts, koste aber das Leben von Soldaten sowie Billionen Dollar für den Schutz anderer. Nach dem angekündigten Truppenabzug setzt die US-Luftwaffe vorerst ihre Angriffe in Syrien auf mutmaßliche Rückzugsstellungen des IS in Syrien fort.

In einem zuvor stattgefundenen Telefonat zwischen Trump und dem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan fiel offenbar die Entscheidung des US-Präsidenten, die US-Einheiten aus Syrien abzuziehen. Zuvor hatte Erdogan tagelang mit einem Angriff gegen die besten US-Verbündeten im Krieg gegen den IS, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), gedroht. So warnte Erdogan den US-Präsidenten, die errichteten Militärposten an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei wieder zu entfernen. Trump habe angeblich Erdogan gefragt, ob er sich dann auch weiterhin den IS als Angriffsziel vornehme. Nach einer entsprechenden Zusage Erdogans habe Trump schließlich grünes Licht gegeben und seinen Nationalen Sicherheitsberater John Bolton angewiesen, entsprechende Schritte umzusetzen.

Erdogan hatte allerdings Trump gebeten, weiterhin der türkischen Armee logistische Unterstützung für den Angriff gegen den IS gebeten. Erdogan habe den US-Präsidenten darüber informiert, dass er „ausrotten wird, was auch immer vom IS in Syrien übrig geblieben ist“, schrieb Trump auf Twitter.

Frankreich kündigte allerdings an, seine Militärpräsenz in Syrien vorerst aufrechtzuerhalten. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte Frankreich vor einer weiteren Unterstützung der syrischen Kurden gewarnt. Es sei „für niemanden von Vorteil“, wenn die französischen Truppen weiterhin die YPG-Kämpfer in Syrien „schützen“, bekräftigte Cavusoglu.


Sich verändernde geopolitische Gemengelage in Syrien

Das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad schien zwischenzeitlich im ausgebrochenen syrischen Bürgerkrieg auf der Verliererstraße zu stehen. 2012, ein Jahr nach dem Beginn der Aufstände, waren nur noch die Hauptstadt Damaskus und die alawitisch geprägte Küstenregion unter der Kontrolle der Assad-Truppen. Doch nachdem im Herbst 2015 der russische Präsident Wladimir Putin signifikant militärisch zugunsten des bedrängten Regimes in Damaskus intervenierte, kam die Kriegswende für den traditionellen engen Verbündeten Assad. 2015 (ein Jahr nach der Annexion der Krim) transportierten die amphibischen Angriffsschiffe der russischen Schwarzmeerflotte den Großteil des russischen Militärkontigents nach Syrien.[ii] Inzwischen scheint die politische Zukunft des syrischen Präsidenten wieder gesichert – mit massiver Hilfe Russlands, der iranischen Revolutionsgarden und schiitischer Milizen wie der libanesischen Hisbollah. Die syrische Armee hat dadurch inzwischen viele der einstigen Rebellengebiete zurückerobert. Dementsprechend stehen die Truppen Assads nun am Euphrat den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG)[iii] gegenüber, die zuvor dank amerikanischer Unterstützung weite Teile Nordsyriens eingenommen hatten.

Lange hielt sich die Türkei im syrischen Bürgerkrieg zurück, griff aber während des Abwehrkampf der syrischen Kurden gegen die anstürmende Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS)  in die Kämpfe zugunsten der Verteidiger nicht ein. Für Ankara zählten und zählen die kurdischen Volksverteidigungsheinheiten (YPG) als verlängerter Arm der als Terrororganisation bezeichneten Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) – dem erklärten Erzfeind Erdogans, mit dem Ankara vorübergehend bemüht war, einen politischen Ausgleich zu finden. Im Gegensatz dazu stellten sich die YPG-Kämpfer aus Sicht Washingtons als besonders geeignete  „Bodentruppen“ im Kampf gegen den IS in Syrien heraus. Damit avancierten die syrischen Kurden zu Verbündeten Amerikas – zum Ärger Erdogans und seiner islamisch-konservativen AKP-Regierung, die zu jener Zeit den früheren „Freund“, Baschar al-Assad, im Zuge der offensichtlich auch von der syrischen Armee begangenen Kriegsverbrechen im laufenden Konflikt, fallen ließ und nunmehr vor allem sunnitische Oppositionsgruppen gegen das Regime in Damaskus ausrüstete und mobilisierte. Die mit US-Hilfe mittlerweile erzielten militärischen Erfolge in Nordysrien gegen den IS markierten für die kurdische Seite die Chance, ihren Traum von einem souveränen Staatsgebilde zu verwirklichen.

Genau das war bisher das Schreckensszenario Ankaras, das man unbedingt vermeiden möchte.[iv] Denn ein solche unabhängige Entität an den türkischen Grenzen würde auch die kurdische Bevölkerung vor allem auf türkischem Hoheitsgebiet zu neuen Unruhen und zu neuer Gewalt anstacheln, um sich am Ende vom türkischen Staatsverband lossagen zu können, so die türkischen Befürchtungen. Ab nun setzte Erdogan trotz aller vorhandenen Gegensätzlichkeiten vermehrt auf Russland und auf den Iran, die beide das Assad-Regime politisch und militärisch abstützen. Assad selbst wurde aus Rücksicht auf die Interessen beider Mächte als „Übergangspräsident“ zumindest akzeptiert, wobei die Geschlossenheit des syrischen Staatsgebietes für Ankara eine besonders dringliche Angelegenheit geworden ist, um jegliche syrisch-kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen möglichst im Keim zu ersticken. Parallel dazu ließ Erdogan eigene Truppen in Nordysrien einmarschieren, um die dortigen von den Kurden dominierten Demokratischen Kräfte Syriens zurückzudrängen. Parallel lancierte Ankara auch Angriffe gegen den IS im Raum.

Moskau tritt vermittelnd zwischen den kurdischen und türkischen Interessen auf. Russland ist gewissermaßen ein Garant dafür, dass am Ende des syrischen Konfliktes wesentlich dezentralere Verwaltungsstrukturen in einem neuen syrischen Staat entstehen. Schließlich müsste dann auch Ankara darangehen, zu den syrischen Kurden ähnliche normalisierte Verhältnisse  herzustellen wie zu den Kurden im Nordirak. Statt die syrischen Kurden weiter zu verteufeln, bräuchte es eigentlich entschiedene Schritte zur gegenseitigen Verständigung, um den Frieden in der Region langfristig zu sichern, betont etwa die Kurdische Regionalregierung in Erbil.[v]

Doch mit dem Wegfall des militärischen Machtfaktors USA in Syrien sehen sich die YPG nun einer weiteren drohenden türkischen Offensive gegenüber, um den Traum von staatlicher Unabhängigkeit bis hin zu weitgehender Autonomie an den Grenzen zur Türkei möglichst zu unterbinden. Die YPG fühlt sich nach der Entscheidung Trumps von Washington „verraten“. Vieles deutet darauf hin, dass ausgerechnet die syrische Armee von Präsident Assad nun den Kurden zu Hilfe eilt, um die Türken von einem möglichen Großangriff abzuhalten.


Rückzieher Trumps

Die US-Administration machte Anfang Jänner 2019 allerdings einen deutlichen Rückzieher, indem sie von der Türkei Garantien einforderte, die Kurden in Nordsyrien weitgehend ungeschoren zu lassen. Amerika will die Kurden in Syrien nicht im Stich lassen und Israel fortwährende Unterstützung gewähren, betonte US-Sicherheitsberater John Bolton am 6. Jänner 2019 bei einem Treffen mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu. (Im Hintergrund wurden die Geheimverhandlungen insbesondere zwischen Washington und Ankara intensiviert.)

Dennoch bleibt abzuwarten, wie stark der Einfluss von US-Außenminister Michael Pompeo und Sicherheitsberater Bolton als konservative Hardliner auf die Entscheidungen des US-Präsidenten sind.

Die Stadt Idlib im Nordwesten des Bürgerkriegslandes ist währenddessen zum letzten Zufluchtsort syrischer Aufständischer verschiedener politisch-religiöser Ausrichtungen geworden. Drei Millionen Zivilisten leben hier. Zeitweise sah es so aus, als ob russische und syrische Streitkräfte gemeinsam Idlib einnehmen würden und zwar um jeden Preis. Moskau Teheran und Ankara, das die syrischen Aufständischen unterstützt, einigten sich schließlich auf einen Fahrplan zur Befriedung.

So sollen schwere Waffen sollen aus der Stadt verschwinden. Extremistische Gruppierungen wie die aus der syrischen al Qaida hervorgegangene Hayat Tahrir al-Sham sollen die Zone verlassen. Allerdings geschieht dies nur schleppend. Zudem soll eine 15 Kilometer breite, delimitarisierte Zone entlang der Front humanitäre Versorgung ermöglichen. Doch die Lage bleibt unübersichtlich.

Die Raketenangriffe durch die USA, Frankreich und Großbritannien vom April 2018 hatten letztlich keine wirkliche Auswirkung auf den Syrien-Konflikt. Sie waren vielmehr eine Reaktion auf den mutmaßlichen Giftgasangriff auf die syrische Stadt Duma. Von einer entscheidenden, nachhaltigeren Beteiligung des Westens an dem Konflikt könne mit Ausnahme der amerikanischen Unterstützung der syrischen Kurden im Anti-IS-Kampf also nicht gesprochen werden.

Der russische Präsident Putin begrüßte währenddessen den Abzug der US-Kräfte aus Syrien. Unterdessen hatten Erdogan und sein iranischer Amtskollege Hassan Rohani bekräftigt, die territoriale Einheit Syriens wahren zu wollen.[vi]

Einmal mehr scheint nun Syrien zum Schauplatz regionaler Machtkämpfe zu werden, in denen auch Israel immer stärker eine militärische Rolle spielen dürfte – in seinem Bestreben, insbesondere das syrische Grenzland zu Israel nicht zu einem militärischen Aufmarschgebiet der Iraner unter der von Teheran gesteuerten schiitischen Hisbollah zu werden. 

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„Feichtinger kompakt“ Vertiefungen im Verlauf des Syrien-Konflikts:


Anmerkungen und weiterführende LINKS:

[i] Patrick Keller, „Bedingt schockresistent - Zur Sicherheitspolitik der Regierung Donald Trumps“. In: Internationale Politik 3/2018, S. 98-102.

[ii] Ein Programm zur Neuausrüstung der russischen Schwarzmeerflotte  ist heute im Laufen, um die Kapazitäten der 7 Kriegsschiffe, der 7 U-Boote, der 10 Korvetten, der 7 Landungsplattformen, der 9 Minenjagd-Boote, der Aufklärungseinheiten, der 33 Raketenboote, der amphibischen Einsatzkräfte, der landgestützten Anti-Schiff-Raketen und der landgestützten Luftwaffe, zu verbessern. In: Tim Ripley, „In the eye of the storm: Black Sea Fleet naval build-up and modernisation“. In: Jane’s Navy International 7/2018, S. 14-17.

[iii] Siehe dazu: Kerem Schamberger / Michael Meyen, Die Kurden – Ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion, Westend 2018, 236 Seiten.

[iv] Savas Genc, „Türkische Kehrtwende - Ankara will um jeden Preis einen Kurdenstaat in Syrien verhindern“. In: Internationale Politik 1/2018, S. 70-74.

[v] KRG Expects Extended Impact of US Withdrawal from Syria. In: BASNEWS-Online v. 21.12.2018: http://www.basnews.com/index.php/en/news/kurdistan/488835

[vi] Ruhani und Erdogan wollen territoriale Einheit Syriens wahren. In: DIE ZEIT-Online v. 20.12.2018: https://www.zeit.de/news/2018-12/20/ruhani-und-erdogan-wollen-territoriale-einheit-syriens-wahren-20181220-doc-1bq6nx