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UKRAINE

Update Mitte Februar 2023


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EXKURS:

DIE KRIM-HALBINSEL IM WANDEL DER GESCHICHTE


Die Halbinsel Krim, die tief in das Schwarze Meer hineinragt, hat seit jeher die Aufmerksamkeit verschiedener Nationen auf sich gezogen, die mit Waffengewalt um dieses fruchtbare Land kämpften. Die geografisch günstige Lage - Meer, fruchtbares Land und ein gesundes Klima - war schon immer das Markenzeichen der Halbinsel. Kimmerer, Skythen und Sarmaten, Griechen und Römer, Hunnen und Chasaren und andere Völker haben zu verschiedenen Zeiten auf der Krim gelebt.[1] Nach dem Fall der Goldenen Horde wurde 1441 auf dem Gebiet der Krim das Krim-Khanat gebildet, deren Hauptbevölkerung die Krim-Tataren waren. Im Jahr 1475 gingen die Küstenstädte und der größte Teil der Halbinsel unter die Kontrolle des Osmanischen Reiches über. Der Rest der Krim gehörte weiterhin zum Krim-Khanat, das unter die Vasallität der Osmanen gefallen war. Der russische Staat, der das Joch der Goldenen Horde abgeworfen hatte[2], dehnte seine Grenzen allmählich nach Süden aus - mit dem Ziel, das Schwarze Meer zu erreichen. Gleichzeitig wurde das Problem der Befreiung der russischen Gebiete von den Überfällen des Krim-Khanats gelöst, deren Streben es war, die Bevölkerung außerhalb ihres Territoriums zu versklaven und diese anschließend auf den osmanischen Märkten zu verkaufen. Im 18. Jahrhundert wurden diese beiden Probleme durch den Sieg Russlands in zwei russisch-türkischen Kriegen gelöst. Im April 1783 unterzeichnete die russische Zarin Katharina II. ein Manifest, mit dem die Krim dem Russischen Reich angegliedert wurde. Die Geschichte der russischen Krim-Halbinsel ist reich an wichtigen Ereignissen, die auch heute noch die Aufmerksamkeit derjenigen auf sich ziehen, die sich mit Kriegen und militärischen Konflikten befassen - darunter der Krimkrieg (1853-1856), der Exodus der Weißen Armee im Jahr 1920 und die Verteidigung von Sewastopol in den Jahren 1941-1942. Eines der folgenschweren Ereignisse war die Gründung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) 1921 als Teil der Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik (RSFSR). Die Idee der Autonomie bestand darin, der ganzen Welt zu zeigen, wie Vertreter der verschiedensten Nationalitäten auf einem kleinen Gebiet miteinander auskommen konnten. 1945 änderte sich die Situation jedoch grundlegend: Juden, Krimbewohner und Roma waren von Hitler-Schergen in ihren Konzentrationslagern großteils vernichtet worden. Krimtartaren, Griechen, Armenier, Bulgaren und andere wurden auf Beschluss der sowjetischen Behörden, die sie der Kollaboration mit den deutschen Invasoren beschuldigten, deportiert. Die Idee des Multinationalismus entsprach also nicht mehr der neuen Realität. Daher wurde die Krim-ASSR 1945 in den Oblast Krim der RSFSR umgewandelt, d. h. der Status der Krim wurde erheblich reduziert.

Das wichtigste Ereignis, das die heutige Situation auf der Krim weitgehend bestimmt, war die Übergabe der Halbinsel von der RSFSR an die Ukrainische SSR im Jahr 1954.[3] Unter den russischen Bürgern ist die Überzeugung weit verbreitet, dass die Krim vor allem wegen der Willkür des damaligen Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, an die Ukraine abgetreten wurde, der keine andere Meinung als seine eigene dulden konnte. Die Tatsache, dass Chruschtschow eine ganze Zeit lang in der Ukraine lebte und arbeitete, wird oft als Tatbestand angeführt. Zudem sieht die russische Orthodoxie stets die Krim als zur „russischen Heimat“ gehörig an, ebenso wie der Kreml unter Präsident Wladimir Putin und weite Teile der russischen Bevölkerung in der gegenwärtigen Russischen Föderation.[4]

Inmitten des zunehmenden Konflikts Moskaus mit Kiew gab Putin schließlich 2014 grünes Licht für die Besetzung und anschließende Annektierung der Krim-Halbinsel als Sitz der russischen Schwarzmeerflotte. Inmitten des seit Februar 2022 anhaltenden russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zur Rückeroberung der Ost- und Teile der Südukraine, bleibt die Krim-Halbinsel ein besonderer Hort der Instabilität im Spannungsfeld erhöhter Ost-West-Spannungen.


Die Gründung der UdSSR Ende 1922 markierte das Ende der militärischen Wirren nach dem Untergang des Zarenreiches und der Machtergreifung der Bolschewiken. In den Jahren seit 1917 hatte auch die Ukraine große Prüfungen durchlebt. In Kiew gab es in diesem Zeitraum nicht weniger als neun gewaltsame Machtwechsel. Viermal marschierte die Rote Armee in der Metropole am Dnipro ein, bis die Sowjetmacht letztendlich den „kleinen Bruder“ Ukraine unterwerfen konnte. Dies bedeutete zugleich das Scheitern des ersten ukrainischen Nationalstaates, der Ukrainischen Volksrepublik, die nur von 1918 bis 1920 Bestand hatte. In der Sowjetzeit wurde dieser Staat totgeschwiegen. Für die heutige Ukraine ist er ein wichtiger Bezugspunkt. So verwendet Kiew dieselbe Symbolik - die blau-gelbe Flagge und den Dreizack - wie jene kurzlebige Republik. Die Ukraine war gewaltsam in die neue Union geholt worden und erlebte die folgenden sieben Jahrzehnte bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991 als Zeit unter der zentralstaatlichen Dominanz Moskaus. Den gescheiterten Putsch reaktionärer KP-Führer in Moskau im August 1991 nahm der kommunistische Parteifunktionär Leonid Krawtschuk zum Anlass, die Unabhängigkeit auszurufen. Ein Referendum im Dezember bestätigte diesen Kurs, wobei alle Regionen zustimmten - auch die Krim und der Donbass. Die Ukraine hatte sich damit aus der erdrückenden Umarmung ihres „großen Bruders“ gelöst. Dieser hat sich jedoch, wie die russische Militärintervention von 2014 und der Angriffskrieg von 2022 zeigten, mit diesem Lauf der Geschichte noch nicht abgefunden.

Im Berichtszeitraum gelang es den russischen Truppen im Donbass Boden gut zu machen und die Kleinstadt Soledar nach schweren Kämpfen mit der ukrainischen Armee einzunehmen. Die Stadt mit früher 10.000 Einwohnern in der Industrieregion Donbass liegt nur wenige Kilometer von Bachmut entfernt. Ziel der russischen Einheiten war es, dadurch die ukrainischen Verbindungswege nach Bachmut zu unterbinden. Zudem konnten russische Einheiten auch im Gebiet um Saporischschja Erfolge erzielen. Trotzdem herrschte im Berichtszeitraum weitgehend ein Stellungskrieg ohne große Landgewinne auf beiden Seiten. Es mehrten sich aber bis Mitte Februar 2023 die Anzeichen, dass eine größere russische Offensive insbesondere im Osten der Ukraine bevorstand.

Mitte Jänner 2023 holte sich Präsident Wladimir Putin bereits den nächsten - mittlerweile den vierten - Oberbefehlshaber für sein verlustreiches Abenteuer. Künftig soll Waleri Gerassimow, der Generalstabschef der russischen Streitkräfte, persönlich das Kommando über die Operationen im Nachbarland führen. Als höchster Offizier des Landes spielte er schon bisher eine zentrale Rolle. Die vom Verteidigungsministerium in Moskau völlig überraschend verkündete neue Kommandostruktur hat jedoch zur Folge, dass der bisherige Ukraine-Befehlshaber, General Sergei Surowikin, ins zweite Glied versetzt wird. Er ist künftig nur noch als Stellvertreter in die Leitung der „militärischen Spezialoperation“ eingebunden. Zudem werden ihm zwei weitere Generäle gleichrangig zur Seite gestellt.

Nachdem die USA nunmehr auch Raketen mit 150 Kilometern Reichweite an die Ukraine liefern wollten, reagierte der Kreml mit deutlichen Drohungen gegen den - wie er sagt - „kollektiven Westen“.  Putin bei seiner Rede zum 80. Jahrestages der Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Stalingrad Anfang Februar 2023: „Diejenigen, die die westlichen Völker, unter anderem die Deutschen, in einen Krieg mit Russland führen und dieses auf dem Schlachtfeld besiegen wollten, müssten aber wissen: Es werde dies ein ganz anderer Krieg sein als damals. Russland sei in der Lage zu antworten, die Antwort begrenze sich nicht auf gepanzerte Fahrzeuge - ein klarer Hinweis auf die atomare Schlagkraft. Der russische Präsident erklärte einmal mehr, dass die moralische Überlegenheit und der Sieg aufseiten Russlands stünden. Die am 24. Februar 2022 begonnene „Spezialoperation“ wird als rechtzeitige Antwort auf einen bevorstehenden Angriff nicht nur der Ukraine, sondern des Westens auf russische Interessen und „historisches russisches Land“ dargestellt.

Die westliche Welt unter Führung der USA sieht dahinter einen geschickten propagandistischen Schachzug Putins, um die eigene Bevölkerung auf seiner Seite zu halten und die „Spezialoperation“ in der Ukraine gut zu heißen.

Bei seinen Auftritten in London, Paris und Brüssel am 8./9. Februar 2023 bedankte sich der ukrainische Präsident zwar bei den Europäern für die bisher geleistete Hilfe, forderte aber nunmehr auch vehement Kampfjets und Langstreckenraketen, damit Russlands Offensive im Osten des Landes gestoppt werden könnte. Insbesondere Großbritannien erwog die Lieferung moderner Kampfflugzeuge an die Ukraine. In Sachen eines EU-Beitritts der Ukraine blieben die EU-Staats- und Regierungschefs weiter zurückhaltend.

Die Lieferung moderner westlicher Kampfpanzer wie dem deutschen Leopard 2, dem britischen Challenger 2 und dem amerikanischen Abrams M1 an die Ukraine dürfte zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes führen und die ohnehin angespannten Ost-West-Beziehungen einem besonderen Belastungstest aussetzen.

 

Großbritannien liefert 14 britische „Challenger 2“-Kampfpanzer an die Ukraine

Inmitten einer neuen russischen Angriffswelle auf wichtige Infrastruktur in der Ukraine kündigte Großbritannien Mitte Jänner 2023 die Lieferung von 14 schweren Kampfpanzern an Kiew an. Die Bereitstellung der Panzer vom Typ Challenger 2 sowie zusätzlicher Artilleriesysteme solle der ukrainischen Armee dabei helfen, „die russischen Truppen zurückzudrängen“, betonte Premierminister Rishi Sunak.

Zudem erklärte sich Mitte Jänner 2023 die Niederlande dazu bereit, der Ukraine das Luftabwehrsystem PATRIOT zur Verfügung zu stellen.

Moskau warnte nach der Ankündigung aus London, ein solcher Schritt werde den Konflikt nur „intensivieren“.


Erdogan als Vermittler zwischen Ost und West

In einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am 16. Jänner 2023 habe Putin „auf die destruktive Linie des Kiewer Regimes hingewiesen“, hieß es. Putin warf dabei Kiew eine „destruktive“ Politik vor und kritisierte die zunehmenden westlichen Waffenlieferungen für die Ukraine mit harschem Ton. Die ukrainische Regierung setze „auf eine Intensivierung der Feindseligkeiten mit der Unterstützung westlicher Sponsoren, welche die Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung verstärken“, so der Kreml.

Im Telefonat ging es auch über den Austausch von Gefangenen, „vor allem von Verwundeten“, zwischen Moskau und Kiew. Nach türkischen Angaben bekräftigte Erdogan in dem Telefongespräch die Bereitschaft der Türkei, mögliche Friedensverhandlungen zwischen beiden Seiten zu unterstützen.[5]


Russland will seine Streitkräfte reformieren

Moskau kündigte Mitte Jänner 2023 einen großangelegten Umbau seiner Streitkräfte an. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sprach von „großen Veränderungen“, mit denen Russland in den kommenden drei Jahren unter anderem die Schlagkraft von Marine, Luftstreitkräften und der strategischen Raketentruppen offenbar deutlich erhöhen will.

Laut Kreml-Sprecher Dmitri Peskow seien die anstehenden Änderungen durch den „Stellvertreterkrieg“ notwendig geworden, den der Westen mit der Lieferung immer schwererer Waffen in die Ukraine führe. Die von Schoigu angekündigte Erneuerung der Strukturen soll im Zeitraum zwischen 2023 und 2026 abgeschlossen werden. Die Pläne umfassen zudem selbstständige Militäreinheiten in den von Russland annektierten ukrainischen Gebieten. Zudem kündigte Schoigu die Aufstellung eines Armeekorps in der nordrussischen Teilrepublik Karelien an. Das könnte eine Reaktion auf den geplanten NATO-Beitritt der skandinavischen Länder Schweden und Finnland sein.

Die russische Söldnertruppe Wagner befehligt nach Einschätzung britischer Geheimdienste bis zu 50.000 Kämpfer in der Ukraine. Demnach sind die Söldner inzwischen zu einer „Schlüsselkomponente“ in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine geworden. Die USA stuften die „Gruppe Wagner“ mittlerweile offiziell als kriminelle Organisation ein.


Russland erklärt Verträge mit dem Europarat gesetzlich für beendet

Der russische Präsident Wladimir Putin kündigte am 17. Jänner 2023 an, die Kündigung von Verträgen mit dem Europarat gesetzlich zu verankern. Das betraf etwa die Europäische Menschenrechtskonvention, das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus und die Europäische Sozialcharta.

Bereits zuvor war bekannt geworden, dass der Kreml-Chef auch die Kündigung von Russlands Beteiligung am Strafrechtsübereinkommen des Europarats zur Korruptionsbekämpfung gesetzlich festschreiben lassen wolle. Russland wurde schon vor Monaten wegen seines Angriffskrieges gegen die Ukraine aus dem Europarat ausgeschlossen.

Europarat, Menschenrechtskonvention und Gerichtshof sind von der EU unabhängig.


Lawrow vergleicht Vorgehen des Westens mit „Endlösung“

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf am 18. Jänner 2023 den USA vor, ähnlich wie einst Adolf Hitler und Napoleon Bonaparte gegen sein Land vorzugehen. Die Vereinigten Staaten nutzten dieselbe Taktik: Sie versuchten, Europa zu unterjochen, um Russland zu zerstören, so Lawrow. Mit der Ukraine als Stellvertreter „führen sie einen Krieg gegen unser Land mit der gleichen Aufgabe: die ‚Endlösung‘ der russischen Frage“, sagte Lawrow. „Genauso wie Hitler eine ‚Endlösung‘ der jüdischen Frage wollte, sagen westliche Politiker jetzt ganz klar, dass Russland eine strategische Niederlage erleiden muss“, hielt Lawrow fest.[6]

Die „Endlösung“ war der Plan der Nationalsozialisten für den Holocaust, der zur systematischen Ermordung von sechs Millionen Juden sowie Angehörigen anderer Minderheiten führte.

Lawrow machte die USA für den Krieg in der Ukraine verantwortlich. Was in der Ukraine passiere, sei das Ergebnis amerikanischer Vorbereitungen auf einen hybriden Krieg der USA gegen Russland, betonte der russische Außenminister bei der Pressekonferenz. Die Krise in der Ukraine habe begonnen, lange bevor Russland im Februar 2022 in das Nachbarland einmarschierte.

Derzeit lägen keine ernsthaften Friedensvorschläge auf dem Tisch. Die Vorstellungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij seien inakzeptabel, sagte Lawrow. Russland sei bereit, den Konflikt mit den westlichen Ländern zu erörtern und auf alle ernsthaften Vorschläge einzugehen, doch müssten bei den Gesprächen auch die allgemeinen Sicherheitsbedenken Russlands berücksichtigt werden. Lawrow forderte die NATO erneut auf, ihre „militärische Infrastruktur“ aus der Ukraine nahe der russischen Grenzen abzuziehen.

Gegen Ende Jänner 2023 wurde bekannt, dass Russland nach Angaben des russischen Generalstabs drei weitere motorisierte Infanterie-Divisionen in den ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja einsetzen werde. Unterdessen kündigte der russische Außenminister an, auf eine möglicherweise seitens der USA bevorstehende Lieferung westlicher Waffen mit größerer Reichweite an die Ukraine mit einer Verschiebung der Fronten zu reagieren. Die ukrainische Armee werde aus dem Grenzgebiet zu Russland verdrängt werden, so Lawrow. Dadurch solle eine Art Sicherheitskorridor geschaffen werden, hieß es.


Gezerre um Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine

Auch nach dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe am US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein/Deutschland am 20. Jänner 2023 gab die deutsche Regierung die Kampfpanzer nicht frei. Berlin wolle sich erst bewegen, wenn die USA gleichzeitig Abrams-Kampfpanzer liefern würden, hieß es. Deutschland lieferte vorerst keine Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine und hatte auch nicht vor, Genehmigungen für die Lieferungen anderer Länder zu erteilen. Man wolle sich aber vorbereiten „auf einen Tag, der möglicherweise kommen mag“, sagte der neue deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius. Er habe deswegen seinem Ministerium einen Prüfungsauftrag erteilt zu der Frage, wie viele Panzer der Typen Leopard 1 und Leopard 2 aus Bundeswehr- und Industriebeständen überhaupt verfügbar wären, verkündete der deutsche Verteidigungsminister.

Bereits am 3. März 2022 - gut eine Woche nach dem russischen Überfall - hatte die ukrainische Führung Berlin erstmals offiziell um die Lieferung von Kampfpanzern gebeten und diese Forderung danach immer wieder vorgetragen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij dankte am 20. Jänner 2023 per Videoschaltung den westlichen Verbündeten für ihre bisherige militärische Unterstützung. Doch „Hunderte von Dankeschöns“, sagte Selenskij beschwörend, hätten noch längst nicht dazu geführt, dass sein Land über „Hunderte von Panzern“ verfüge, um Russlands Angriffe abzuwehren: „Wir müssen schnell handeln. Der Kreml darf nicht gewinnen.“

Vertreter der 50 Unterstützerstaaten der Ukraine hatten sich auf dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Rheinland-Pfalz zum bereits achten Mal getroffen, um über neue Waffenlieferungen für Kiew zu beraten. Mehrere europäische Verbündete hatten Deutschland stark unter Druck gesetzt. So hatte etwa Polen angekündigt, der Ukraine Leopard-2-Panzer im Rahmen einer internationalen Koalition zu überlassen - notfalls auch ohne Berlins Einverständnis. Für jede Weitergabe der in Deutschland hergestellten Panzer an die Ukraine durch andere Länder muss Berlin üblicherweise erst eine Exportgenehmigung erteilen.

Dass Deutschland die Lieferungen der Leopard-Panzer per se blockiere, stimme so aber nicht. Es gebe gute Gründe für die Lieferung und gute Gründe dagegen, sagte Pistorius. Man müsse alle Argumente erst sorgfältig abwägen. Pistorius kündigte zudem aber ein „Frühjahrspaket“ im Umfang von einer Milliarde Euro an, wodurch der Gesamtumfang der deutschen Militärhilfe seit Beginn des Ukraine-Krieges auf 3,3 Milliarden Euro steige. Dazu sollen unter anderem 40 Marder-Schützenpanzer, eine Batterie des Flugabwehrsystems Patriot (bis zu 70 Kilometer Entfernung), drei Batterien des Flugabwehrsystems Iris-T SLM (bis zu 40 Kilometer Entfernung) sowie zwei Luftraumüberwachungsradare vom Typ TRML-4D gehören.

Der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärte vor dem Hintergrund des diplomatischen Ringens um Kampfpanzerlieferungen an die ukrainische Armee, dass Deutschland genug tue und ein „zuverlässiger Verbündeter“ sei.

Großbritannien hatte bereits angekündigt, der Ukraine 14 seiner Challenger-2-Kampfpanzer zu schicken - ein Schritt, den der amerikanische Verteidigungsminister ausdrücklich lobte. Großbritannien sei damit das erste Land, das mit gutem Beispiel vorangehe und moderne westliche Kampfpanzer schicke, sagte Austin. Darüber hinaus plante die britische Regierung die Lieferung von 600 Brimstone-Raketen, 30 Panzerhaubitzen und 200 gepanzerten Fahrzeugen.

Für die Vereinigten Staaten kündigte Austin ein neues Hilfspaket für Kiew im Wert von 2,5 Milliarden US-Dollar an. Nach Angaben des amerikanischen Verteidigungsministeriums gehören dazu unter anderem 59 Bradley-Schützenpanzer sowie 90 gepanzerte Mannschaftstransporter vom Typ Stryker. Die Ukraine soll zudem zusätzliche Munition für ihre Himars-Raketenwerfer aus Washington erhalten, dazu 8 Avenger-Flugabwehrsysteme, Zehntausende von Artilleriegranaten und etwa 2000 Panzerabwehrraketen.

Ihren eigenen Kampfpanzer Abrams wollten die Amerikaner vorerst nicht liefern - aufgrund von technischen Besonderheiten und einer besonders schwierigen Wartung, hieß es.


Nach großem Zögern nun doch: Bundeskanzler Scholz gibt „grünes Licht“ für Kampfpanzer-Lieferung

Nach großem innen- und außenpolitischem Druck gab der deutsche Kanzler Scholz am 24. Jänner 2023 dann doch die Lieferung frei für 14 Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine. Zudem wurde anderen Ländern gestattet, solche Panzer an Kiew weiterzugeben. So sollen die modernen deutschen Leopard 2A6 Panzer zunächst aus Bundeswehrbeständen kommen. Mittel- und langfristig könnten weitere Kampfpanzer aus Industriebeständen hinzukommen, die aber zunächst hergerichtet werden müssten und erst in Monaten geliefert werden könnten. Zudem müssen ukrainische Panzereinheiten erst auf den Leopard trainiert werden.

Die Ukraine sprach wiederholt von rund 300 Kampfpanzern, die nötig seien, um Russland aus den besetzten Gebieten vertreiben zu können. Deshalb betonte Selenskij: „Es geht nicht um fünf oder zehn oder fünfzehn Panzer. Der Bedarf ist größer.“

Auch die US-Administration ließ am selben Tag ihre Bereitschaft erkennen, Abrams-Kampfpanzer an die Ukraine zu entsenden. Schließlich gab die Biden-Administration am 25. Jänner 2023 bekannt, 31 Kampfpanzer vom Typ M1 Abrams an die ukrainischen Streitkräfte zu entsenden.

Die USA gaben Anfang Februar 2023 auch grünes Licht, der Ukraine ein neues Waffensystem zur Verfügung zu stellen, das die Reichweite von Raketenangriffen verdoppeln soll. Die Ground Launched Small Diameter Bomb (GLSDB) dürfte ab dem Frühjahr geliefert werden und kann Ziele in einer Entfernung von 150 Kilometern treffen. Das ermöglicht Angriffe auf alle russischen Nachschublinien im Osten der Ukraine sowie auf Teile der russisch besetzten Krim. Bislang setzte die Ukraine insbesondere das High Mobility Artillery Rocket System (HIMARS) der USA mit einer Reichweite von etwa 75 Kilometern ein.

Bei einem Besuch des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius am 7. Februar 2023 soll die Ukraine von einer Gruppe mehrerer europäischer Länder mehr als 100 Kampfpanzer des älteren Typs Leopard 1A5 erhalten.

Der Kreml hatte unterdessen vor einer weiteren Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen gewarnt, sollte die deutsche Bundesregierung Leopard-Kampfpanzer in die Ukraine liefern lassen.

Die Entscheidung westlicher Länder, der Ukraine schwere Kampfpanzer zu liefern, wurde vom Kreml als „direkte Beteiligung“ an dem Konflikt gewertet. „In Moskau betrachten wir das als eine direkte Beteiligung am Konflikt“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow einen Tag nachdem Berlin und Washington die Panzerlieferungen bekanntgegeben hatten. Moskau sehe zudem, dass „das zunimmt“, betonte er. Der Kreml unterstütze dementsprechend russische Initiativen zur Zahlung von Prämien für die Erbeutung oder Zerstörung schwerer Waffen aus NATO-Staaten in der Ukraine. Solche Sonderzahlungen könnten die Soldaten noch weiter anspornen, sagte Peskow. „Was diese Panzer angeht, so haben wir schon gesagt, dass die brennen werden, natürlich dann noch mehr, wenn es solche ausgeweiteten Maßnahmen gibt“, so Peskow.

„Wir sehen, dass die gesamte militärische Infrastruktur der NATO gegen Russland arbeitet…Wir sehen, wie die ganze nachrichtendienstliche Aufklärung der NATO, einschließlich der Luftaufklärung, der Satelliteneinheiten, im Interesse der Ukraine arbeitet“, erklärte Peskow. Mit Blick auf die mögliche Lieferung von US-Raketen mit größerer Reichweite an die Ukraine betonte der Kreml-Sprecher, dass auch diese Waffen nichts an Russlands „militärischer Spezialoperation“ in der Ukraine ändern würden.

Die Lieferung moderner Waffen aus den USA an die Ukraine würde nach Darstellung des russischen Spitzenpolitikers Dmitri Medwedew nur weitere Vergeltungsschläge des russischen Militärs auslösen. Das gelte bis hin zur Nukleardoktrin, so Medwedew.


Putin droht dem Westen - insbesondere Deutschland

Der russische Präsident Putin warnte unterdessen direkt Deutschland, sich von den USA noch weiter in den Ukraine-Konflikt hineinziehen zu lassen. Zum 80. Jahrestages der Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Stalingrad zog er eine direkte Parallele zu heute: Eine moderne Version des „Nazismus“ bedrohe erneut die Existenz Russlands. Wieder gehe die Gefahr vom Verbund europäischer Nationen aus und wieder seien es deutsche Panzer „mit ihren Kreuzen“, die Russland bedrohten, sagte Putin. Diejenigen, die die westlichen Völker, unter anderem die Deutschen, in einen Krieg mit Russland führen und dieses auf dem Schlachtfeld besiegen wollten, müssten aber wissen: Es werde dies ein ganz anderer Krieg sein als damals. Russland sei in der Lage zu antworten, und die Antwort begrenze sich nicht auf gepanzerte Fahrzeuge – ein klarer Hinweis auf die atomare Schlagkraft. Der russische Präsident sprach vom „kollektiven Westen“ und erklärte einmal mehr, dass die moralische Überlegenheit und der Sieg aufseiten Russlands stünden. Die am 24. Februar 2022 begonnene „Spezialoperation“ wird als rechtzeitige Antwort auf einen bevorstehenden Angriff nicht nur der Ukraine, sondern des Westens auf russische Interessen und „historisches russisches Land“ dargestellt.


Mehr EU-Gelder für Waffen- und Munitionskäufe zugunsten der ukrainischen Streitkräfte - EU-Ukraine-Gipfel in Kiew Anfang Februar 2023

Die EU hat ihre Militärhilfe für die Ukraine erneut aufgestockt. Die EU-Außenminister/-innen billigten am 23. Jänner 2023 in Brüssel eine weitere Tranche von 500 Millionen Euro, mit der gemeinsame Waffenkäufe und Munition finanziert werden, wie diplomatische Kreise mitteilten. Damit erhöhten sich die seit Beginn des russischen Angriffskrieges bereitgestellten Mittel auf 3,6 Milliarden Euro.

Beim EU-Ukraine-Gipfel in Kiew Anfang Februar 2023 sprachen die EU-Staats- und Regierungschefs weitere militärische wie humanitäre Hilfe zu. Auf militärischem Gebiet solle die europäische Ausbildungsmission für ukrainische Soldaten ausgeweitet werden. Diese soll zusätzliche 15.000 ukrainische Soldaten trainieren und die Gesamtzahl damit auf 30.000 erhöhen. Der EU-Spitze zufolge soll die EU-Mission auch die Besatzung von Kampfpanzern ausbilden.

Im zivilen Bereich sollen in diesem Jahr weitere 450 Millionen Euro bereitgestellt werden, um zum Beispiel den schnellen Wiederaufbau der Infrastruktur und Reformprojekte zu unterstützen. Zudem wird die EU weitere 2.400 Stromgeneratoren zur Verfügung stellen, insgesamt also mehr als 5.000.

Zusagen zu einem Beginn der erhofften Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine gab es aber nicht. Der EU-Gipfel in Kiew war von Luftalarmen überschattet.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf indes EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zerstörerische Absichten vor. Die Kommissionschefin wolle, dass sich Russlands Wirtschaft „auf viele Jahrzehnte hin“ nicht werde erholen können, hielt der Außenminister im russischen Staatsfernsehen fest. „Ist das nicht Rassismus, nicht Nationalsozialismus - nicht ein Versuch, ‚die russische Frage‘ zu lösen?“, so Lawrow.[7]

Die Ukraine erhielt parallel dazu eine Zusage für langfristige finanzielle Hilfe aus Norwegen. Die Regierung des skandinavischen Landes will das von Russland angegriffene Land in den kommenden fünf Jahren mit jährlich 15 Milliarden norwegischen Kronen (rund 1,36 Mrd. Euro) unterstützen, wie Ministerpräsident Jonas Gahr Störe in Oslo ankündigte. Insgesamt sollte das 75 Milliarden Kronen (6,8 Mrd. Euro) ausmachen.[8]


Weiterhin türkisches Veto gegen NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands

Nachdem Aktivisten zuvor im Zentrum von Stockholm eine Erdogan ähnelnde Puppe an den Füßen aufgehängt präsentierten und danach bei einer anderen antimuslimischen Kundgebung ein Koranbuch öffentlich verbrannt worden war, reagierte die Türkei empört. „Wenn ihr der Türkischen Republik oder dem religiösen Glauben der Muslime keinen Respekt zollt, dann könnt ihr von uns in Sachen NATO auch keine Unterstützung bekommen“, erklärte Erdogan am 23. Jänner 2023 in Ankara.[9] Alle 30 NATO-Mitglieder müssen die Anträge auf NATO-Mitgliedschaft ratifizieren, 28 haben das getan - nur die Unterschriften der Türkei sowie Ungarns fehlten zumindest im Berichtszeitraum noch. Das NATO-Mitglied Türkei blockierte de facto seit Monaten die Aufnahme Schwedens und Finnlands in das Verteidigungsbündnis. Die Türkei beanstandete, dass vor allem Schweden unter anderem „Terrororganisationen“ wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK Unterschlupf gewähre und forderte wiederholt die Auslieferung etlicher Personen, die in Ankara als Terroristen angesehen werden.


Frankreich und Australien einigen sich auf Rüstungslieferungen für die ukrainischen Streitkräfte

Knapp eineinhalb Jahre nach einer diplomatischen Krise zwischen Frankreich und Australien einigten sich beide Länder auf eine gemeinsame Rüstungslieferung an die Ukraine. Mehrere tausend 155-mm-Granaten sollen gemeinsam für die Ukraine produziert werden, kündigten die Verteidigungsminister beider Länder, Sebastien Lecornu und Richard Marles, am 30. Jänner 2023 in Paris an. Die Granaten können von verschiedenen Artilleriesystemen abgefeuert werden - unter anderem von französischen Caesar-Geschützen und deutschen Panzerhaubitzen.


Bundespräsident Van der Bellen besucht Ukraine - Kritik vom russischen Botschafter in Österreich

Zwei Tage vor dem EU-Ukraine-Gipfel traf Bundespräsident Alexander Van der Bellen am 1. Februar 2023 den ukrainischen Präsidenten Selenskij in Kiew. Auf seinem Solidaritätsbesuch begleitet wurde Van der Bellen von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP).

„Wir stehen an der Seite der Ukraine. Wir lassen sie nicht im Stich“, sagte Van der Bellen. Die gemeinsame Reise mit dem Minister und der Ministerin kurz nach Van der Bellens zweiter Angelobung begründete der Bundespräsident damit, dass Österreich „militärisch neutral“ sei, „aber nicht politisch“.

„Einer langen humanitären Tradition folgend unterstützt Österreich das angegriffene Land auf mehreren Ebenen.“ So besuchte Van der Bellen Hilfsprojekte mit österreichischer Beteiligung - etwa im Kiewer Vorort Butscha und in Borodjanka. Umweltministerin Gewessler stellte weitere fünf Millionen Euro zum Wiederaufbau beschädigter Energieinfrastruktur bereit. Zudem müsse bereits jetzt am Wiederaufbau sensibler Ökosysteme gearbeitet werden, die durch den Krieg zerstört worden seien.

Die Ukraine sehe sich einem Angriffskrieg ausgesetzt, der seinesgleichen suche, meinte der Bundespräsident bei der Anreise. Dieser sei vergleichbar mit Kolonialkriegen aus dem 19. Jahrhundert.

Kritik kam unter anderem vom russischen Botschafter in Österreich, Dmitri Ljubinski, nach Van der Bellens Aussage, Wladimir Putin führe einen „Kolonialkrieg gegen die Ukraine“. Ljubinski: „Die heroische Mission der russischen Streitkräfte trägt im Gegenteil einen befreienden und - wenn man schon analoge Begriffe verwenden will - dekolonisatorischen Charakter.“

Bei einem Treffen von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) bei seinem US-Amtskollegen Antony Blinken am 7. Februar 2023 hielt letzterer fest: „Ihr seid neutral, ohne neutral zu sein.“ Die USA wüssten die humanitäre Hilfe, die Österreich für die von Russland angegriffene Ukraine leiste, zu schätzen, hieß es.[10]


Aufbau eines eigenen EU-Zentrums zur Analyse und zum Informationsaustausch über Desinformation

Vor dem Hintergrund verstärkter russischer Propagandakampagnen im Internet über den Krieg in der Ukraine will die EU ein „Zentrum zur Analyse und zum Informationsaustausch über Desinformation“ schaffen, wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am 7. Februar 2023 in Brüssel bei einer Konferenz betonte.[11] Damit möchte die EU besser verstehen, wie Desinformation und Kriegspropaganda aus Staaten wie Russland und China in der EU verbreitet und organisiert würden. Denn der Ukraine-Krieg werde nicht nur auf dem Schlachtfeld geführt, sondern auch im Internet, um Menschen zu manipulieren. Zudem solle das Zentrum zum Austausch von Erfahrungen und Wissen dienen, hieß es.


Selenskij zu Besuch in London, Paris und Brüssel

Am 8. Februar 2023 traf der ukrainische Präsident zu einer Unterredung in London mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak zusammen. Großbritannien erwog die Lieferung von britischen Kampfjets an die Ukraine - zumindest aber sollen ukrainische Piloten an den Flugzeugen ausgebildet werden.

Danach kam es zu direkten Gesprächen in Paris zwischen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz mit Selenskij.

Selenskij bedankte sich bei beiden Spitzenpolitikern, betonte aber, dass er Deutschland und anderen europäischen Staaten konstant Druck machen müsse, damit der Ukraine geholfen werde. „Ich habe dem Kanzler gesagt: Olaf, hör zu, uns fehlen Raketen. Ich weiß, dass du selbst keine mehr hast, wir haben ja auch einen Nachrichtendienst. Ich weiß, du gibst uns alles, was du hast. Und ich weiß nicht, wie, aber er hat es tatsächlich geschafft, dass sie schneller produziert werden.“

Wegen der Debatte über Panzerlieferungen sei die Beziehung zu Deutschland in einer „schwierigen Phase“. Seit Beginn des Krieges gebe es laut Selenskij immer wieder Spannungen zwischen der Ukraine und Deutschland: „Unser Verhältnis zu Deutschland verläuft sozusagen wellenförmig, es ist ein Auf und Ab.“

Scholz versicherte, dass Deutschland sich für eine schnelle Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine einsetzen werde.


Selenskij spricht vor EU-Parlament und vor EU-Sondergipfel

„Jede einzelne Person ist wichtig“, hielt der ukrainische Präsident fest. Mit diesen Worten beschrieb der Präsident der Ukraine am 9. Februar 2023 in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament in Brüssel den „European Way of Life“, dem sich auch sein Land zugehörig fühle. Er wandte sich direkt an die 450 Millionen Bürger der EU und rief ihnen zu, sich auf den „historischen Kampf“ gegen die „stärkste antieuropäische Kraft der gegenwärtigen Welt“ einzustellen.

Die Ukraine brauche „wirklich Munition, moderne Panzer, Langstreckenraketen und Kampfflugzeuge“, sagte Selenskij zuvor in seiner Ansprache vor den 27 Staats- und Regierungschefs. Russland habe ein ganzes Arsenal an Angriffsmöglichkeiten, warnte er und verwies auch auf Cyberangriffe und gezielte Falschinformationen. Die EU-Staats- und -Regierungschefs rief er zudem zu weiteren Sanktionen gegen Russland auf. Insbesondere Sanktionen gegen die Raketenindustrie, den Drohnen- sowie den IT-Sektor müssten umgesetzt werden, forderte der ukrainische Präsident.

In Sachen EU-Beitritt der Ukraine blieben die 27 Staats- und Regierungschefs zurückhaltend.


Schweiz verweigert Spanien, Deutschland und Dänemark die Weitergabe von in der Schweiz hergestellten Waffen an die Ukraine

Die Schweiz untersagte unterdessen Spanien, Deutschland und Dänemark in der Schweiz hergestellte Waffen an die Ukraine weiterzureichen. Unter Berufung auf ihre strikte Neutralität und das Schweizer Kriegsmaterialgesetz dürfen solche Exporte nicht bewilligt werden, wenn sich das Empfängerland in einem internationalen bewaffneten Konflikt befindet.


Russland senkt Ölförderung ab März als Gegenmaßnahme zum „Ölpreisdeckel“ der EU    

Der Kreml kündigte am 10. Februar 2023 wegen der vom Westen beschlossenen Preisobergrenze für russisches Rohöl an, ab März 2023 die Ölförderung zu kürzen. „Wie vorher erklärt, werden wir denjenigen, die direkt oder indirekt das Prinzip des Preisdeckels nutzen, kein Öl verkaufen. Darum wird Russland ab März freiwillig seine Förderung um 500.000 Barrel pro Tag senken“, betonte Vizeregierungschef Alexander Nowak.[12] Eine weitere Kürzung sei nicht ausgeschlossen.

Die EU hatte - unterstützt von den Ländern der größten Industrienationen (G-7) - im Dezember 2022 die Obergrenze für russisches Rohöl bei 60 Dollar je Barrel (159 Liter) festgelegt. Das bedeutet, dass Lieferungen zu einem höheren Preis auch in Drittländer nicht von westlichen Versicherungen und Reedereien durchgeführt werden dürfen. Die Maßnahme dient dazu, dem Kreml Einnahmen für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu entziehen. Als Folge wurde russisches Erdöl der Marke Urals an den Märkten mit einem Rekordabschlag gegenüber der Nordsee-Sorte Brent gehandelt. Kostete Brent im Jänner mehr als 80 Dollar pro Barrel, konnte Russland sein Öl nur zu durchschnittlich 50 Dollar verkaufen.

Nowak kritisierte den Preisdeckel einmal mehr als „Eingriff in die Marktbeziehungen und als Fortsetzung der destruktiven Energiepolitik des kollektiven Westens“. Das werde sich auf Investitionen im Ölsektor auswirken und damit künftig ein Defizit provozieren. Russlands Ölförderung lag Mitte Februar 2023 zwischen 9,8 Millionen und 9,9 Millionen Barrel am Tag. Die Kürzung um 500.000 Barrel entsprach damit etwa fünf Prozent.[13]


Abgeschlossen: Mitte Februar 2023


Anmerkungen:

[1] History of Crimea. In: Encyclopedia Britannica: https://www.britannica.com/place/Crimea/History

[2] Vor 450 Jahren: Als die Krimtataren Moskau niederbrannten. IN: DEUTSCHLANDFUNK-Online v. 24.5.2021: https://www.deutschlandfunk.de/vor-450-jahren-als-die-krimtataren-moskau-niederbrannten-100.html

[3] Why Did Russia Give Away Crimea Sixty Years Ago? In: WILSON CENTER-Online: https://www.wilsoncenter.org/publication/why-did-russia-give-away-crimea-sixty-years-ago

[4] Siehe dazu etwa: D. S. Ryabushkin, „CRIMENA EVENTS OF 2014: CAUSES, CHRONOLOGY, CONSEQUENCES“. In: The Journal of Slavic Military Studies 1/2022, S. 115-142.

[5] Türkiye proposed Ukraine-Russia a humanitarian corridor through Istanbul. In: Hürriyet Daily News-Online v. 16.1.2023: https://www.hurriyetdailynews.com/turkiye-proposed-ukraine-russia-a-humanitarian-corridor-through-istanbul-180164

[6] Außenminister Lawrow sieht keine Basis für Friedensverhandlungen. In: DEUTSCHLANDFUNK-Online v. 18.1.2023.

[7] Putin warns West over arms deliveries to Ukraine. In: FRANCE 24-Online v. 2.2.2023: https://www.france24.com/en/live-news/20230202-russia-evokes-wwii-to-blast-eu-ahead-of-summit-in-kyiv 

[8] Ukraine aktuell: Norwegen will Ukraine langfristig finanziell helfen. In: DEUTSCHE WELLE-Online v. 6.2.2023: https://www.dw.com/de/ukraine-aktuell-norwegen-will-ukraine-langfristig-finanziell-helfen/a-64618200

[9] Erdoğan says no support for Sweden's NATO bid. In: Hürriyet Daily News-Online v. 24.1.2023: https://www.hurriyetdailynews.com/turkiyes-president-says-no-support-for-swedens-nato-bid-180350

[10] US-Außenminister Blinken: "Österreich ist neutral, ohne neutral zu sein". In: DER STANDARD-Online v. 8.2.2023: https://www.derstandard.at/story/2000143319480/schallenbergs-in-den-usa-freude-ueber-beeindruckende-geschlossenheit

[11] EU baut Analysezentrum zu Desinformationen auf. In: FAZ-Online v. 7.2.2023: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/eu-baut-analysezentrum-zu-desinformationen-auf-18660109.html

[12] Russia to Cut Oil Output in Response to Western Sanctions. In: THE NEW YORK TIMES-Online v. 10.2.2023: https://www.nytimes.com/2023/02/10/business/russian-oil-price-sanctions.html

[13] Russia says EU price cap exemptions show its oil is still in demand. REUTERS-Online v. 8.2.2023: https://www.reuters.com/business/energy/russia-eu-price-cap-exemptions-show-our-oil-is-still-demand-2023-02-08/


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UKRAINE

Update Mitte Jänner 2023


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Im Berichtszeitraum verharren die ukrainische wie die russische Seite weitgehend in einem Stellungskrieg zwischen den Donbass-Gebieten im Osten und der Region Cherson im Süden. Russische Truppen konzentrieren insbesondere ihre Angriffe auf die strategische wichtigen Frontstädte Bachmut und Soledar im Osten der Ukraine. Die Städte sind und bleiben schwer umkämpft.
Unterdessen gehen die gezielten russischen Attacken auf die Energieinfrastruktur der Ukraine weiter. Kiew erhält weiter ungebrochene militärische Unterstützung insbesondere durch die USA. So sollen nun amerikanische PATRIOT-Flugabwehrraketensysteme die ukrainische Verteidigung verbessern. Während die US-Demokraten überwiegend die US-Waffentransfers in die Ukraine unterstützen, mehren sich die kritischen Stimmen insbesondere bei den US-Republikanern.
Die ukrainische Regierung in Kiew wirft Russland „Terror“ vor - mit dem Ziel, das Land weiter unter Druck zu setzen. Kiew beschuldigt Kreml-Chef Wladimir Putin, die Menschen so in die Flucht treiben zu wollen und die EU zu destabilisieren.
Bei gezielten militärischen Gegenschlägen der ukrainischen Streitkräfte wohl mit Hilfe westlicher Aufklärungstechniken zum Jahreswechsel werden in zwei Frontregionen (einerseits im Donbass und auf der südöstlichen Seite des Flusses Dnipro auf dem von Russland besetzten Teil des Gebiets Cherson) wohl mehrere hundert russische Soldaten getötet. 

Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in einem langen Spiegel-Interview[1] ihr politisches Vorgehen gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin insbesondere nach der russischen Annexion der Krim 2014 verteidigt. Merkel engagierte sich damals intensiv darum, die EU nach der Annexion der Krim auf Sanktionskurs gegen Russland zu bringen. Zusammen mit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama will sie nach der Annexion der Krim alles versucht haben, um Putin von weiteren Aggressionen abzuschrecken.
Merkel betont, sie habe sich während ihrer gesamten Kanzlerschaft mit dem Folgen des Zerfalls der Sowjetunion beschäftigt. 2007 habe der russische Präsident Putin bei einem Besuch in Sotschi gesagt, der Zerfall sei die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Sie wiederum habe erwidert, es sei für sie das größte Glück gewesen, weil sie danach die Freiheit gehabt habe, das zu tun, woran sie Spaß habe. Merkel macht im Rückblick klar, dass sich das Verhältnis zu Putin nach der Annexion der Krim 2014 deutlich verschlechtert habe. „Das war schon ein tiefer Einschnitt“, so die deutsche Altkanzlerin.
Merkel verteidigte ab 2015 aber die Ostseepipeline Nord Stream 2, die sie anders als Nord Stream 1 nicht geerbt hatte. Die Gaspipeline Nord Stream 2 galt lange als Projekt, um die Beziehungen zu Russland zu festigen. Dafür hat sich Merkel als Kanzlerin stets stark gemacht. Wie sie heute darüber denkt, gibt Merkel aber nicht direkt bekannt. Sie habe sich aber auch sehr darüber geärgert, dass die USA unter Präsident Joe Biden Sanktionen gegen Unternehmen verhängt hätten, die bei Nord Stream 2 aktiv gewesen seien. Das mache man mit dem Iran, aber nicht mit einem Verbündeten, mit dem man etwa gemeinsam in Afghanistan gekämpft habe, so Merkel. Eine noch vor dem Ukraine-Krieg erzielte Vereinbarung mit den USA sei dann ein „Quantensprung“ gewesen. Damals hatten die USA und Deutschland den Streit über die Pipeline beigelegt. Die USA hatten erklärt, auf weitere Sanktionen zu verzichten. In der Erklärung wurde Russland zudem davor gewarnt, Energie als politische „Waffe“ einzusetzen. In diesem Falle stelle man die Pipeline zur Disposition. Die neue Bundesregierung hatte die Zertifizierung von Nord Stream 2 wegen der Invasion auf Eis gelegt. Dazu gibt Merkel keinen Kommentar ab.
Für sie kam der russische Angriffskrieg seit 24. Februar 2022 jedenfalls nicht überraschend. Schließlich ist es laut Merkel „nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die den Ukraine-Krieg hier hätte verhindern können“, so die deutsche Altkanzlerin im Rückblick. Das Minsker Abkommen von 2015 sollte den bewaffneten Konflikt in der Ostukraine beenden, der seit 2014 zwischen Truppen der Regierung in Kiew und prorussischen Separatisten tobte. Dies gelang nicht.
Schon damals verteidigte sie, gegen die 2008 von den USA betriebene schnelle Aufnahme der Ukraine in die NATO gewesen zu sein. Diese Aufnahme hätte Putin als Kriegserklärung verstanden. Der frühere NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen kam nach dem russischen Angriff zum gegenteiligen Schluss und bezeichnete die deutsche Opposition gegen einen schnellen ukrainischen NATO-Beitritt als „historischen Fehler“. Merkel aber bleibt auch heute bei ihrer Meinung.
Heute plädiert sie für eine Verstärkung der militärischen Abschreckung gegenüber Russland. „Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht.“ Könnte aber auch heißen: Wenn Merkel noch im Amt gewesen wäre und kurz vor ihrem Abschied aus dem Kanzleramt noch ein internationales Gipfeltreffen mit Putin über die Ukraine veranstalten hätte können, dann würde die Welt vielleicht jetzt anders aussehen. Der Rest bleibt Spekulation.
Trotz entschlossen nach außen demonstrierter Vision einer „Union der Werte der europäischen Demokratie“ ähnelt die EU doch eher einer „Verwaltungsbehörde mit weitreichenden Kompetenzen“. Inzwischen zeigt sich, dass mit der Rückkehr eines positiv konnotierten Nationalismus sich der europäische Kontinent verändert. Die vielen aufbrechenden Widersprüche in Zeiten einer multiplen Krise im Spannungsfeld zwischen EU-Zentralismus und nationalstaatlichen Zugzwängen lassen die von manchen favorisierte Vision eines „europäischen Zentralstaates“ immer mehr verblassen. Hingegen erhält das Europa der Vaterländer, wie es Charles de Gaulle einst beschwor, Auftrieb.


Nach den ukrainischen Drohnenangriffen auf Militärflughäfen Russlands beriet in Moskau am 6. Dezember 2022 der Nationale Sicherheitsrat, um die ukrainische Bedrohung abzuwehren. „Die vom ukrainischen Regime offen erklärte Linie, solche terroristischen Handlungen fortzusetzen, sei eine Gefahr“, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Die russische Armee erhöhte über die Weihnachtsfeiertage ihre Raketenangriffe auf ukrainisches Territorium. Im Osten der Ukraine gingen die Kämpfe im Berichtszeitraum auf dem Boden unterdessen unvermindert weiter. Das ukrainische Militär teilte Anfang Dezember 2022 mit, die Streitkräfte hätten in der Region Donezk in den vergangenen 24 Stunden russische Angriffe auf sieben Ortschaften zurückschlagen können. Dazu gehöre auch die Stadt Bachmut. Der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowytsch sagte, russische Soldaten hätten versucht, Straßen nach Bachmut von Westen und Nordwesten aus zu blockieren. Der Gouverneur von Donezk, Pawlo Kyrylenko, sagte im ukrainischen Fernsehen, es seien nur noch rund 12.000 Menschen in Bachmut. Vor dem Krieg hatte die Stadt 80.000 Einwohner.

Die dortigen Frontverläufe hatten sich im Berichtszeitraum kaum verändert, aber der russische Druck hatte sich erhöht, weil Russland zusätzliche Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und Soldaten in die Kampfgebiete verlegte. Der ukrainische Präsident Selenskij bezeichnete die Lage zuletzt als „schmerzhaft und schwierig“.


Russland kauft offenbar erneut hunderte iranische Angriffsdrohnen

Russland bestellte offenbar Anfang Dezember 2022 erneut Hunderte Drohnen und ballistische Raketen aus dem Iran. Moskau wolle damit dem akuten Mangel an militärischem Nachschub begegnen, meinten westliche Experten. Es handelte sich um mehrere hundert Geschoße und Hunderte Drohnen.

Im Gegenzug dürfte das iranische Regime verstärkt Militärhilfe aus Russland erhalten.

Vor dem Hintergrund des wiederholten offenbar auch ukrainischen Beschusses des AKW Saporischschja warf der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu der Ukraine vor, das AKW weiterhin anzugreifen und vorsätzlich „Nuklearterrorismus“ zu betreiben. Russland unternehme alles, um die Sicherheit der Anlage zu gewährleisten, so Schoigu am 6. Dezember 2022. „Im Gegenzug versucht das Kiewer Regime, den Anschein einer Bedrohung durch eine atomare Katastrophe zu erwecken, indem es den Standort weiterhin absichtlich beschießt.“

Allein in den letzten zwei Wochen habe die Ukraine 33 großkalibrige Geschoße auf die Anlage abgefeuert. Die meisten seien von der russischen Luftabwehr abgefangen worden. Einige hätten jedoch „Objekte getroffen“, was sich auf den sicheren Betrieb des AKW auswirke, erklärte Schoigu.[2]


IAEA-Präsenz künftig in allen vier ukrainischen Atomanlagen

Nach einem Übereinkommen mit der ukrainischen Seite sollen künftig in allen vier ukrainischen Atomanlagen permanent IAEA-Sicherheitsexperten zur Überwachung stationiert werden.[3] (Bislang überwachte nur im russisch besetzten AKW Saporischschja ständig ein IAEA-Team die Lage.) Indirekt soll die ständige Präsenz von IAEA-Experten dazu führen, künftige militärische Attacken auf die Atomeinrichtungen zu verhindern, die einen nuklearen Unfall auslösen könnten.

Die von Russland eingesetzte Verwaltung am besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja bestätigte am 17. Dezember 2022 den Aufbau eines Schutzschirmes über einer Lagerstelle für Atommüll. Auf Videoaufnahmen war zu sehen, wie Arbeiter in einer Höhe von etwa fünf Metern eine Art durchsichtige Plane über Betonzylindern befestigten. „Zunächst schützt es vor Splittern und improvisierten Sprengsätzen, die von Drohnen abgeworfen werden“, erklärte die russische Seite.

Russland stimmte nach eigenen Angaben am 22. Dezember 2022 der Initiative der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA weitgehend zu, eine Sicherheitszone um das Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine zu errichten. Moskau und IAEA-Chef Rafael Grossi seien einander in ihren Positionen zur Sicherheitszone sehr nahegekommen, teilte die russische Atomenergiebehörde Rosatom mit. Die Initiative des IAEA-Chefs sieht vor, dass sich Russland und die Ukraine verpflichten, den Beschuss der Atomanlage einzustellen. Russland soll zugleich schwere Waffen aus dem AKW abziehen, um die Lage zu deeskalieren.           


EU erhöht Militärhilfe an die Ukraine

Die EU stockte ihren Fonds zur Lieferung von Waffen an die Ukraine um zwei Mrd. Euro auf, wie am 12. Dezember 2022 bekannt gegeben wurde. „Die heutige Entscheidung wird sicherstellen, dass wir die Mittel haben, um die Streitkräfte unserer Partner konkret mit militärischer Unterstützung zu beliefern“, so der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.


USA intensivieren die militärische Ausbildung ukrainischer Soldaten

Die USA verstärkten indessen ihre Ausbildungsprogramme für ukrainische Soldaten. Die bisher auf den Gebrauch von Waffen ausgerichtete Ausbildung werde durch Manöver ergänzt, hieß es. Die Ausbildung umfasse künftig jeden Monat Einheiten für 400 ukrainische Soldaten - auch als Ergänzung von Programmen der EU und Großbritanniens.

Die Übungen sollen auf Schulungsplätzen in Deutschland stattfinden. Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums haben die Vereinigten Staaten der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskriegs Ende Februar 2022 mehr als 19 Milliarden US-Dollar Militärhilfe bereitgestellt.

Deutschland stellte demgegenüber der Ukraine nach Angaben der deutschen Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) weitere Panzerhaubitzen zur Verfügung. Auch die bisher von der deutschen Regierung blockierte Lieferung von deutschen Kampfpanzern des Typs Leopard 2 stand mittlerweile im Raum.

Auf einer internationalen Geberkonferenz für die Ukraine in Paris wurde Kiew parallel dazu eine Milliarde Euro an Winterhilfe versprochen.


„Nord Stream 1“: Kanada führt Sanktionen wieder ein

Kanada verkündete am 14. Dezember 2022 das Ende einer zeitlich begrenzten Sanktionsausnahme für Siemens-Energy-Turbinen der russischen Gaspipeline „Nord Stream 1“. „Kanada traf diese Entscheidung in der Erkenntnis, dass sich die Umstände für die Gewährung der Ausnahmeregelung geändert haben und sie nicht mehr dem beabsichtigten Zweck dient“, hielt die kanadische Außenministerin Melanie Joly und der Minister für natürliche Ressourcen, Jonathan Wilkinson, in einer gemeinsamen Erklärung fest. Die Entscheidung sei in enger Zusammenarbeit mit der Ukraine, Deutschland und anderen europäischen Verbündeten getroffen worden.[4]

Die unter der Ostsee verlaufende Pipeline wurde am 31. August 2022 für Reparaturen abgeschaltet, aber anschließend nicht wieder in Betrieb genommen. Im September wurde sowohl „Nord Stream 1“ als auch „Nord Stream 2“ durch Explosionen beschädigt. Nach Ansicht europäischer Regierungen waren die Lecks auf Sabotage zurückzuführen. Russland wies die Anschuldigungen des Westens zurück, selbst die Attacken auf die Pipelines lanciert zu haben.


Medwedew spricht von „hybridem Krieg“ des Westens gegen Russland

Russlands früherer Präsident Dmitri Medwedew drohte auf seinem Telegram-Kanal am 16. Dezember 2022 indirekt mit Angriffen auf NATO-Länder. Streitkräfte und Objekte in Ländern, die offiziell im Krieg mit Russland stünden oder Verbündete des Gegners seien, stellten legitime Ziele für einen Angriff dar, schrieb Medwedew, derzeit der Vizechef des russischen Sicherheitsrates. „Die Führer der NATO-Staaten behaupten einstimmig, dass ihre Länder und die ganze Allianz nicht gegen Russland kämpfen. Aber alle verstehen gut, dass es ganz anders ist“, so Medwedew. Demnach seien neben der politischen Führung und den Streitkräften des Gegners sowie deren Technik auch Objekte militärischer und ziviler Infrastruktur wie Brücken und die Energieversorgung ein legitimes Ziel von Angriffen. Seine Aussagen traf er, während die russischen Streitkräfte mit Raketenschlägen erneut die Stromversorgung der Ukraine lahmlegten.

Medwedew warf der NATO vor, Russland schon längst einen „hybriden Krieg“ erklärt zu haben. Die umfangreichen Waffenlieferungen an die Ukraine deutete der Vertraute von Kreml-Chef Putin als Angriff auf Russland.

Der russische Präsident Putin warf am 25. Dezember 2022 dem Westen und der ukrainischen Regierung in Kiew vor, Friedensgespräche zu verweigern. „Wir sind bereit, mit allen Beteiligten über akzeptable Lösungen zu verhandeln, aber das liegt an ihnen - nicht wir sind diejenigen, die sich weigern zu verhandeln, sondern sie.“ Putin zeigte sich von seinem Kurs überzeugt. „Ich glaube, dass wir in die richtige Richtung handeln. Wir verteidigen unsere nationalen Interessen, die Interessen unserer Bürger, unseres Volkes. Und wir haben keine andere Wahl, als unsere Bürger zu schützen“, so Putin.


USA stehen vor Lieferung von PATRIOT-Abwehrraketen an die Ukraine

Das PATRIOT-Abwehrraketensystem („Phased Array Tracking Radar to Intercept on Target“) würde westlichen Militärexperten zufolge einen großen Unterschied für die Ukraine machen. Die Infrastruktur und Bevölkerungszentren würden damit besser gegen zerstörerische russische Luftangriffe geschützt, während sich die Bewegungsfreiheit der ukrainischen Streitkräfte auf dem Boden vergrößern würde.

Russland kommentierte die Berichte über die mögliche PATRIOT-Lieferung zwar umgehend, dass man das als „Provokation“ sehen würde und den USA dringend empfehle, „die richtigen Schlussfolgerungen“ aus ihren Warnungen zu ziehen. Doch da PATRIOT ein reines Defensivsystem sei, schien die Drohung Moskaus für die USA offenbar verkraftbar und die Gegenmaßnahmen Russlands kalkulierbar zu sein.

Logistische und ausbildungstechnische Hürden würden aber den letztendlichen Einsatz vor Ort durch die ukrainischen Streitkräfte behindern und verzögern. Zudem sei das PATRIOT-System kostenintensiv, argumentierten US-Experten.[5]


Selenskij für globale Friedenskonferenz

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij schlug in einem am 18. Dezember 2022 veröffentlichten Video eine globale Friedenskonferenz noch in diesem Winter vor. Selenskij habe gehofft, das Video werde vor Beginn der Übertragung des Finales der Fußballweltmeisterschaft gezeigt, um ein Millionenpublikum zu erreichen. „Der Gipfel soll alle Nationen der Welt für die Sache des globalen Friedens vereinen“, betonte er in der Aufzeichnung. „Die Tribünen der Stadien bleiben nach den Spielen leer, und nach dem Krieg bleiben die Städte leer.“

Die russische Regierung wies den Friedensplan des ukrainischen Präsidenten zurück und forderte die Anerkennung der „neuen Realität“. Dabei verwies der Kreml darauf, dass die vier ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja von Russland annektiert worden seien.

Allerdings stand keine der genannten Regionen im Berichtszeitraum vollständig unter Kontrolle der russischen Seite.

Selenskij bestand auf die Wiederherstellung der territorialen Einheit der Ukraine und lehnt Gebietsüberlassungen ab.


Stromleitung von Aserbaidschan über Schwarzes Meer in die EU geplant

Die EU will zur Energiediversifizierung Strom aus erneuerbaren Energien aus Aserbaidschan erhalten. Dazu soll ein 1.100 Kilometer langes Unterwasserkabel mit einer Leistung von 1.000 Megawatt durch das Schwarze Meer bis nach Rumänien verlaufen. Die Staats- und Regierungschefs von Aserbaidschan, Georgien, Rumänien und Ungarn unterzeichneten am 17. Dezember 2022 im Beisein von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein entsprechendes Abkommen.

„Um einen wachsenden Anteil erneuerbarer Energien zu integrieren, brauchen wir in der Tat stärkere Stromverbundnetze. Deshalb ist das Schwarzmeer-Energiekabel zwischen Rumänien, Georgien und Aserbaidschan so wichtig“, sagte von der Leyen.

Die EU sei daher bereit, das Projekt abhängig von den Ergebnissen einer Machbarkeitsstudie finanziell zu unterstützen. Es werde dazu beitragen, die Versorgungssicherheit zu stärken, indem es Strom aus erneuerbaren Quellen über Rumänien und Ungarn in die EU bringe. Zudem könne das Schwarzmeer-Kabel Georgien zu einem Stromdrehkreuz machen und es mit dem EU-Binnenmarkt verbinden.


Rohölembargo der EU gegen Russland - Ringen in der EU um weitere Sanktionen

Die EU und die weltgrößten Industriestaaten setzten mit Anfang Dezember 2022 eine Preisobergrenze für russisches Öl in Kraft. Die EU-Staaten konnten sich allerdings unter anderem wegen Vorbehalten Deutschlands erneut nicht auf einen europäischen Gaspreisdeckel einigen.

Die EU verhängte ein Embargo für Rohöl gegen Russland. Die Wirkung der Maßnahmen war und bleibt aber umstritten. So dürften nämlich die Europäer offenbar auch Erdöl von Indien, das in Wahrheit aus Russland importiert wurde, teuer ankaufen.[6] Die russischen Ural-Öl-Lieferungen nach Indien stiegen im November 2022 auf mindestens 3,7 Millionen Tonnen und erreichten einen Rekordanteil von 53,2% der gesamten Verladungen über die Seehäfen. Russland wurde im November zum größten Öllieferanten Indiens und löste damit den Irak ab.[7]

Das Embargo betraf einen Importstopp für russisches Öl auf dem Seeweg. Bei russischem Pipeline-Öl gibt es zahlreiche Ausnahmen. Vorerst wurde nur Rohöl sanktioniert. Ab dem 5. Februar wird es auf Erdölprodukte wie Benzin oder Diesel ausgeweitet. Alle 27 EU-Mitgliedstaaten hatten zuvor der Preisobergrenze von 60 Dollar pro Fass für russisches Erdöl zugestimmt, das über den Seeweg transportiert wird. Das sind rund 10 Prozent weniger als der Marktpreis von 67 Dollar für russisches Ural-Öl in den Tagen zuvor. Das Erdöl-Exportkartell Opec+, dem auch Russland angehört, ließ vorerst seine Fördermenge unverändert. Russland drohte allerdings unilateral mit einer Kürzung seiner Produktion.

Griechenland, Zypern und Malta, die alle große Öltankerflotten besitzen, fürchteten insbesondere, dass bei ihnen registrierte Tanker ausgeflaggt würden, damit sie nicht mehr europäischer Jurisdiktion unterliegen. Um die Reeder davon abzuschrecken, wurde eine spezielle Klausel vereinbart: Liefert ein Schiff - egal unter welcher Flagge - auch nur einmal Öl zu einem höheren Preis, darf es nie wieder europäische Dienstleistungen in Anspruch nehmen, etwa Versicherungen.[8]

Russland kündigte denn auch an, kein Öl zu verkaufen, das einer westlichen Preisobergrenze unterliegt - selbst wenn aus diesem Grund die Produktion gedrosselt werden müsse.


EU einigt sich auf Gaspreisdeckel

Beim EU-Energieministertreffen am 19. Dezember 2022 wurde nach monatelangem Ringen um einen Gaspreisdeckel eine Einigung erzielt. In der EU sollen die Großhandelspreise für Gas künftig unter bestimmten Umständen gedeckelt werden. Der Deckel kann ab einem Preis von 180 Euro pro Megawattstunde ausgelöst und ab 15. Februar 2023 aktiviert werden, hieß es in dem Beschluss. Österreich hatte sich bei der Abstimmung enthalten. Deutschland stimmte dem Preisdeckel zu.[9]

Der Terminkontrakt für im nächsten Monat geliefertes Erdgas muss am niederländischen Referenzmarkt TTF während dreier Arbeitstage 180 Euro pro Megawattstunde überschreiten. Die Kommission hatte zwei Wochen über dem Deckel vorgeschlagen. Der Preis für das pipelinebasierte TTF-Gas muss für dieselben drei Arbeitstage 35 Euro oder höher über einem globalen Marktpreis für verflüssigtes Erdgas (LNG) liegen.[10]

Allerdings gilt der Gaspreisdeckel nicht nur für Gas, das im nächsten Monat geliefert wird, sondern auch für solches, das in drei Monaten, und solches, das in einem Jahr fließt. Darüber hinaus sind grundsätzlich nicht mehr nur die TTF-Plattform, sondern alle vergleichbaren Märkte in der EU betroffen. Die Kommission kann aber später einzelne davon wieder ausschließen.

Bilateral abgeschlossene Verträge, der sogenannte Over-the-Counter-Handel, sind dagegen weiter nicht betroffen.

Ist der Deckel aktiviert, so bleibt er mindestens 20 Tage in Kraft.[11]

Russland kritisierte die Entscheidung als „inakzeptabel“. Das sei ein Angriff auf die Preisgestaltung durch den Markt, hieß es von Seiten des Kremls. Putin verbot demgegenüber russische Erdölexporte in Länder mit Preisdeckel.[12]


Putin in Weißrussland - Selenskij (in den USA) erhält definitiv PATRIOT-Abwehrsystem

Während der russische Präsident Putin mit seinem kurzfristig anberaumten Besuch beim weißrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko in Minsk seine Partnerschaft und Kooperation - auch in militärischen Angelegenheiten - betonte, reiste sein ukrainischer Konterpart Selenskij in die USA, um für noch mehr Militärhilfe für sein Land zu werben. In einer emotionalen Rede vor dem US-Kongress warb der ukrainische Präsident um noch mehr Unterstützung. Denn jeder amerikanische Dollar sei eine Investition in die globale Sicherheit, betonte er. Er erhielt tosenden Applaus von den Abgeordneten. In diesem Krieg stehe nicht nur die Freiheit und Sicherheit der Ukraine auf dem Spiel. „Dieser Kampf wird darüber entscheiden, in welcher Welt unsere Kinder und Enkelkinder leben werden“, so Selenskij.

Es sei eine Ehre, gegen Putins brutalen Krieg an seiner Seite zu stehen, meinte US-Präsident Joe Biden. „Wir werden die Ukraine unterstützen, um einen gerechten Frieden zu erreichen“, so Biden. Selenskij dankte Biden und auch den „einfachen“ amerikanischen Bürgern im Namen aller Ukrainer „von Herzen“ für die bisherige Hilfe.

Die Ukraine erhält jedenfalls von den USA nun definitiv das amerikanische PATRIOT-Raketenabwehrsystem. Nach langem Zögern reagieren die USA auf den russischen Raketen- und Drohnenkrieg gegen die zivile Infrastruktur der Ukraine. Bis es einsatzbereit ist, dürfte es allerdings noch Monate dauern, so Experten. Eine Stationierung amerikanischer Soldaten im Kriegsgebiet soll aber laut Washington unbedingt vermieden werden, hieß es.

Mit den PATRIOT-Raketen kann die Ukraine signifikante Defizite in ihrer Luftabwehr ausgleichen. Das System kann hoch fliegende ballistische Raketen, Marschflugkörper, Flugzeuge oder Drohnen in einer Entfernung von 35 bis 160 Kilometern treffen. Die Reichweite hängt davon ab, welche Abwehrraketen die USA an die Ukraine liefern werden. Die PATRIOT-Radaranlage kann bis zu fünfzig Ziele erfassen und fünf gleichzeitig bekämpfen. Bis das hochkomplexe Gerät von den ukrainischen Streitkräften selbst bedient und unterhalten werden kann, dürfte allerdings die kälteste Zeit des Winters bereits verstrichen sein. Die voraussichtlich mehrere Monate dauernde Ausbildung soll in einem Drittland erfolgen, nach unbestätigten Berichten in Deutschland. Der Transfer umfasst vorerst lediglich eine einzige PATRIOT-Batterie. Eine solche besteht aus bis zu acht fahrbaren Startrampen mit jeweils vier Abwehrraketen. Indem PATRIOT-Raketen ballistische Raketen und Marschflugkörper abfangen, können sich die übrigen Abwehrsysteme in Zukunft vermehrt auf die iranischen Kamikaze-Drohnen fokussieren.

Die US-Streitkräfte verfügen allerdings lediglich über 15 PATRIOT-Bataillone mit je vier Batterien - sogenannten „Fire Units“. Drei dieser Einheiten verlegten die USA bereits im April 2022 nach Polen und in die Slowakei. Auch andere NATO-Partner wie Deutschland, die Niederlande, Griechenland oder Spanien haben PATRIOT-Raketenanlagen in ihren Reihen. Die Niederländer und die Deutschen hatten zudem PATRIOT-Systeme in die Slowakei entsandt.

Um die wichtigsten urbanen Zentren und die Infrastrukturen in der Ukraine zu schützen, brauche man „fünf bis zehn PATRIOT-Batterien“, so US-Sicherheitsexperten.

Russland erklärte daraufhin, man wolle alle US-Flugabwehrsysteme vom Typ PATRIOT nach deren Lieferung in die Ukraine zerstören. Der russische Präsident Putin kommentierte die Lage so, dass die US-Lieferungen der PATRIOT-Flugabwehrraketen den Konflikt nur verlängern würden. Zugleich bezeichnete er die Waffen als alt und gab sich optimistisch, dass Russland die Flugabwehr überwinden könne. Die PATRIOT-Flugabwehr funktioniere nicht so gut wie die russische S-300, sagte Putin. Russland werde die PATRIOT-Abwehrraketen „knacken“.


Laut Türkei habe Schweden die Voraussetzungen für einen NATO-Beitritt nicht erfüllt

Die Türkei sah die Voraussetzungen für den geplanten NATO-Beitritt Schwedens nicht erfüllt. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu warf der schwedischen Regierung am 22. Dezember 2022 vor, Terroristen nicht ausgeliefert zu haben. Zudem habe Schweden deren Vermögenswerte nicht wie gewünscht eingefroren.

Der Oberste Gerichtshof in Schweden hatte zuvor die Auslieferung eines Türken gestoppt, der von der Regierung in Ankara beschuldigt wird, an dem Putschversuch im Jahr 2016 beteiligt gewesen zu sein.


Söldnereinheit „Gruppe Wagner“ in zunehmender Konkurrenz zu regulärer russischer Armee

Laut Geheimdienstberichten würde die Söldnermiliz „Gruppe Wagner“ künftig immer mehr in direkter Konkurrenz zu den regulären russischen Streitkräften und zu verschiedenen Ministerien stehen. Seit Monaten verlasse sich die russische Armee darauf, dass die Gruppe Wagner Kämpfe in bestimmten Gebieten im Donbass im Osten der Ukraine führt. „In einigen Fällen sind russische Offiziere tatsächlich den Befehlen von Wagner unterworfen“, hieß es. Die Söldnereinheit hat im ukrainischen Krisenbogen rund 50.000 Kämpfer im Einsatz. Davon seien 10.000 Söldner und 40.000 aus russischen Gefängnissen Rekrutierte. Ihr Chef Jewgeni Prigoschin gebe jeden Monat mehr als 100 Millionen US-Dollar (mehr als 94 Millionen Euro) für ihren Einsatz in der Ukraine aus, hielt etwa der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, fest. Allerdings seien die Truppen „schlecht ausgerüstet und schlecht ausgebildet“. Zudem erlitten sie auf dem Schlachtfeld schwere Verluste. Die Gruppe Wagner gilt als Russlands „Schattenarmee“. Den Söldnern werden schwere Verstöße gegen Menschenrechte vorgeworfen, darunter Folter und gezielte Tötungen.

Nordkorea hatte nach Angaben der US-Administration Waffen an die russische Söldnergruppe geliefert. Die Lieferung im vergangenen Monat habe Granaten und Raketen umfasst, sagte Kirby am 22. Dezember 2022. Das sei ein Verstoß gegen Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates. Die USA gingen davon aus, dass Nordkorea „erwägt, weitere Ausrüstung zu liefern“.

Prigoschin wies dies als reine westliche „Spekulation“ zurück.


Lawrow: Russland will entmilitarisierte Ukraine als Endziel

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sieht die USA als Hauptschuldigen und zugleich größten Nutznießer des Ukraine-Konflikts. Strategisches Ziel der USA und ihrer Verbündeten in der NATO sei ein „Sieg über Russland auf dem Schlachtfeld“, um Russland zu schwächen oder gar zu vernichten, sagt er in einem Interview der russischen Staatsagentur Tass vom 27. Dezember 2022. Ein vom westlichen Ausland lancierter Umsturzversuch in Moskau sei illusorisch und zöge gefährliche Konsequenzen nach sich, so Lawrow.[13]

„Unsere Vorschläge zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung der vom Regime kontrollierten Gebiete, zur Beseitigung der von dort ausgehenden Bedrohungen für die Sicherheit Russlands, einschließlich unserer neuen Gebiete, sind dem Feind sehr wohl bekannt“, sagte er. „Der Punkt ist ganz einfach: Erfüllen Sie sie zu Ihrem eigenen Besten. Andernfalls wird die Frage von der russischen Armee beantwortet werden.“

Der russische Außenminister warf der Ukraine zudem vor, die USA und andere NATO-Mitglieder „tiefer in den Strudel des Konflikts zu ziehen - in der Hoffnung, einen überstürzten Zusammenstoß mit der russischen Armee unvermeidlich zu machen“. Lawrow erinnerte in diesem Zusammenhang an den Einschlag einer Rakete Mitte November 2022 in Polen und bezeichnete die ukrainische Reaktion darauf als Provokation. Selenskij habe nämlich versucht, das Geschoß „als russische Rakete auszugeben“. „Es ist gut, dass Washington und Brüssel damals die Weisheit hatten, nicht darauf hereinzufallen.“


China will im Ukraine-Krieg Russlands militärisch neutral bleiben

Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping erklärte in einer Videokonferenz am 30. Dezember 2022, dass Peking seine politische Neutralität weiter wahren wolle. Dennoch strebe er eine verstärkte militärische Kooperation mit China an. China sei bereit, die strategische Zusammenarbeit mit Russland vor dem Hintergrund einer „schwierigen“ Situation in der Welt insgesamt zu verstärken, sagte Xi. Er betonte erneut die „objektive und faire“ Rolle seines Landes in diesem Konflikt. Peking unterhält auch gute Kontakte zur ukrainischen Regierung in Kiew.

Der Weg zu Friedensgesprächen werde holprig, hieß es von chinesischer Seite. China drücke ihre Anerkennung dafür aus, dass es die russische Seite niemals abgelehnt habe, den Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu lösen, so Xi weiter. Solange die beiden Länder die USA als Kontrahenten hätten, würden die russisch-chinesischen Interessen zur Begrenzung des US-Einflusses die durchaus bestehenden Divergenzen überwiegen, hieß es von Expertenseite.


Ehemaliger US-Außenminister Henry Kissinger für Friedensverhandlungen der Ukraine mit Russland

„Trotz seiner Gewaltbereitschaft hat Russland entscheidend zum globalen Gleichgewicht beigetragen“, schreibt Henry Kissinger in einem Beitrag für den britischen Spectator. Der langjährige US-Diplomat unterstreicht darüber hinaus: Nun sei die Zeit reif für einen Verhandlungsfrieden mit Russland, auch um das Risiko eines verheerenden Weltkriegs zu verringern.[14] „Es ist an der Zeit, auf den bereits vollzogenen strategischen Veränderungen aufzubauen und sie in eine neue Struktur zu integrieren, um Frieden durch Verhandlungen zu erreichen“. Gleichzeitig kritisierte Kissinger eine Russland-feindlichen Haltung, die einige westliche Politiker zurzeit einnähmen würden. „Manche bevorzugen ein Russland, das durch den Krieg ohnmächtig geworden ist. Dem stimme ich nicht zu“. Trotz seiner Neigung zur Gewalt habe Russland über ein halbes Jahrtausend lang entscheidende Beiträge zum globalen Gleichgewicht und zum Gleichgewicht der Kräfte geleistet. Seine historische Rolle sollte nicht herabgewürdigt werden. Die militärischen Rückschläge Russlands haben seine globale nukleare Reichweite nicht beseitigt.

Die ukrainische Regierung in Kiew wies die Forderung Kissingers umgehend zurück. Dies sei die „Beschwichtigung des Aggressors“.


Jeweilige Neujahrsbotschaften von Selenskij und Putin vor dem Hintergrund der laufenden militärischen Feindseligkeiten

Auch zum Jahreswechsel 2022/2023 rissen die russischen Raketen- und Drohnenangriffe auf Ziele im ganzen Territorium der Ukraine nicht ab.

In seiner Videobotschaft zum Jahreswechsel wandte sich der ukrainische Präsident Selenskij direkt an das russische Volk. „Einem terroristischen Staat wird nicht vergeben“, sagte er und betonte: „Denen, die solche Angriffe befehlen, und denen, die sie ausführen, wird nicht verziehen, um es milde auszudrücken“, so der ukrainische Präsident weiter. Auf Russisch erklärte er, dass Russland nicht Krieg mit der NATO führe, „wie Ihre Propagandisten lügen“. Der Krieg sei auch nicht für etwas Historisches. „Der Krieg ist für eine Person, die bis an ihr Lebensende an der Macht bleibt“, betonte er unter direkter Anspielung auf Kreml-Chef Wladimir Putin. „Und was von Ihnen allen übrig bleibt, Bürger Russlands, geht ihn nichts an.“ Putin wolle zeigen, dass er das Militär hinter sich habe und vorne stehe. „Aber er versteckt sich nur“, sagte Selenskij. „Er versteckt sich hinter dem Militär, hinter Raketen, hinter den Mauern seiner Residenzen und Paläste, er versteckt sich hinter euch und verbrennt euer Land und eure Zukunft.“ Niemand werde Russland jemals den Terror verzeihen, sagte Selenskij. „Niemand auf der Welt wird euch das verzeihen. Die Ukraine wird euch niemals vergeben.“

Russland stehe in dem Konflikt „moralisch“ und „historisch“ auf der richtigen Seite, so der russische Präsident Putin. Russland kämpfe in der Ukraine auch dafür, „unser Volk in unseren eigenen historischen Territorien, in den neuen Gebieten der Russischen Föderation zu schützen“, fügte er mit Blick auf die von Moskau für annektiert erklärten ukrainischen Gebiete hinzu. In seiner Neujahrsansprache bezichtigte Putin der damaligen deutschen Kanzlerin Merkel und den früheren französischen Präsidenten François Hollande indirekt auch der Lüge: „Der Westen hat über Frieden gesprochen, während er sich auf einen Angriff vorbereitet hat…Und jetzt gibt er es ohne zu zögern offen zu.“ Für den russischen Präsidenten sei dies der Beweis dafür, dass die EU und die USA die Ukraine missbrauchen, um „Russland zu schwächen und zu spalten“.[15]

Bei seinen Vorwürfen bezog sich Putin auf das Minsker Friedensabkommen, das von der deutschen und der französischen Regierung vermittelt und im Februar 2015 von Russland und der Ukraine in der belarussischen Hauptstadt unterzeichnet wurde. Es sah einen Fahrplan zur friedlichen Beilegung des Konflikts in der Ostukraine vor und sollte die Kämpfe im Donbass beenden.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte in einer Neujahrsbotschaft, Russlands Sieg in der Ukraine sei „unausweichlich“.


Erdogan fordert „einseitige Waffenruhe“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rief den russischen Staatschef Wladimir Putin am 5. Jänner 2023 dazu auf, eine „einseitige Waffenruhe“ in der Ukraine zu erklären. Während eines Telefongesprächs habe Erdogan gesagt, dass „Aufrufe zu Frieden und Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew von einer einseitigen Waffenruhe und einer Vision für eine faire Lösung“ begleitet werden sollten, erklärte das türkische Präsidialamt.

Der Kreml hatte zuletzt erklärt, es werde während der orthodoxen Weihnachtsfeiertage keine Feuerpause geben. Geht es nach Putin müsse die Ukraine zudem Gebietsverluste hinnehmen, bevor es zu Gesprächen zwischen den beiden Ländern kommen kann.

Nach dem Gespräch Erdogans mit Putin erklärte der Kreml-Chef dann doch eine Waffenruhe für die orthodoxen Weihnachtsfeiertage. Kiew hingegen schloss sich dem Weihnachtsfrieden nicht an und sprach von einem „Trick“. Zuerst müsse Russland die besetzten ukrainischen Gebiete zurückgeben und abziehen. Dann könne Kiew über einen Waffenstillstand reden, hieß es.


Westen steigert Einsatz im Ukraine-Krieg - Schützenpanzer für Ukraine

Großbritannien wolle im Laufe des kommenden Jahres 2023 mehrere hunderttausend Schuss Artilleriemunition im Wert von rund 250 Millionen Pfund (rund 286 Mio. Euro) liefern, verkündete die britische Regierung am 19. Dezember 2022. Damit solle eine kontinuierliche Versorgung der Ukraine sichergestellt werden, hieß es.

Bisher hatte Großbritannien nach eigenen Angaben der Ukraine seit Beginn des Krieges mehr als 100.000 Schuss Artilleriemunition sowie mehrere Raketensysteme und kürzlich 125 Flugabwehrgeschütze geliefert. London versteht sich als führender Rüstungsexporteur unter den europäischen Staaten an die Ukraine.

Frankreich sagte der Ukraine Anfang Jänner 2023 die Lieferung „leichter Kampfpanzer“ zu. Es ging dabei um den Spähpanzer AMX-10 RC. Deutschland und andere westliche NATO-Länder hatten zuvor Panzer nicht direkt an die Ukraine geliefert, sondern nur über einen Ringtausch: So wurden Polen und der Slowakei Panzer aus eigenen Beständen zur Verfügung gestellt. Diese Länder reichten wiederum ihre eigenen Panzer - meist noch sowjetischer Bauart - an die Ukraine weiter. Deutschland liefert der Ukraine ab 2023 nun Marder-Schützenpanzer und ein Patriot-Raketenabwehrsystem.

Die USA gaben parallel dazu die Lieferung von Schützenpanzern der Marke „Bradley“ an die ukrainische Armee grünes Licht. Mit dem Paket, das unter anderem 50 Schützenpanzer und Dutzende weitere gepanzerte Fahrzeuge umfasste, werde die Ukraine in die Lage versetzt, „vorzurücken und Gelände zurückzuerobern“, erklärte die stellvertretende US-Verteidigungsministerin Laura Cooper.[16] Es handle sich um „das größte Paket, das wir bisher zugesagt haben“, sagte sie. Als militärisch bedeutsam galten insbesondere die Bradley-Schützenpanzer, die mit 500 TOW-Panzerabwehrraketen und 250.000 Schuss Munition für ihre Maschinenkanonen geliefert werden sollen. Die Schützenpanzer würden „die Fähigkeit der Ukraine zur Durchführung komplexer Manöver“ weiter stärken, erklärte Cooper. Das gelte insbesondere im Süden und Osten des Landes - und bei fast allen Wetterbedingungen und in fast jedem Gelände.

Der russische Botschafter in Washington warf den USA nach der Ankündigung, Schützenpanzer an die Ukraine zu liefern, mangelnden Willen zur Beilegung des Kriegs vor. Damit würde der Krieg nur unnötig verlängert, hieß es.


Abgeschlossen: Mitte Jänner 2023


Anmerkungen:

[1] Ein Jahr mit Ex-Kanzlerin Merkel – „Das Gefühl war ganz klar: Machtpolitisch bist du durch“. In: DER SPIEGEL-ONLINE v. 24.11.2022: https://www.spiegel.de/panorama/ein-jahr-mit-ex-kanzlerin-angela-merkel-das-gefuehl-war-ganz-klar-machtpolitisch-bist-du-durch-a-d9799382-909e-49c7-9255-a8aec106ce9c?context=issue

[2] Ukraine war: Drone hits Russia oil depot; Moscow accuses Kyiv of 'nuclear terrorism' at Zaporizhzhia. In: EURONEWS-Online v. 6.12.2022: https://www.euronews.com/2022/12/06/ukraine-war-drone-hits-russia-oil-depot-moscow-accuses-kyiv-of-nuclear-terrorism-at-zapori

[3] Update 136 – IAEA Director General Statement on Situation in Ukraine. In: IAEA-Press-Center-Online v. 13.12.2022: https://www.iaea.org/newscenter/pressreleases/update-136-iaea-director-general-statement-on-situation-in-ukraine

[4] Le Canada annule les exemptions de sanctions pour les turbines de Nord Stream. In: RADIO-CANADA-Online v. 14.12.2022: https://ici.radio-canada.ca/nouvelle/1941416/turbines-gazprom-north-stream-reparation-siemens-montreal

[5] Ukraine to get advanced American air defenses. In: Yahoo!News-Online v. 14.12.2022: https://news.yahoo.com/ukraine-to-get-advanced-american-air-defenses-164807603.html?guccounter=1

[6] Schlupfloch entdeckt: Indien verkauft russisches Öl in Europa. In: FOCUS-Online v. 28.6.2022: https://www.focus.de/finanzen/news/schlupfloch-entdeckt-indien-verkauft-russisches-oel-in-europa_id_107990831.html

[7] Exklusiv - Russisches Öl unter Preisobergrenze auf Käufermarkt nach Indien verkauft. In: MarketScreener-Online v. 14.12.2022: https://ch.marketscreener.com/boerse-nachrichten/nachrichten/Exklusiv-Russisches-Ol-unter-Preisobergrenze-auf-Kaufermarkt-nach-Indien-verkauft--42545947/

[8] Preisdeckel auf russisches Öl: Die komplizierteste Sanktion. In: FAZ-Online v. 5.10.2022: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/preisdeckel-auf-russisches-oel-die-komplizierteste-sanktion-18365289.html

[9] European Energy Ministers Agree to Emergency Natural-Gas Price Cap. IN: THE WALL STREET JOURNAL-Online v. 19.12.2022: https://www.wsj.com/articles/european-energy-ministers-push-for-natural-gas-price-cap-11671446075

[10] EU energy ministers reach deal on gas price cap. IN: FINANCIAL TIMES-Online v. 19.12.2022: EU energy ministers reach deal on gas price cap | Financial Times (ft.com)

[11] EU countries agree gas price cap to contain energy crisis. In: REUTERS.com v. 19.12.2022: EU countries agree gas price cap to contain energy crisis | Reuters

[12] Putin verbietet russische Öl-Exporte in Länder mit Preisdeckel. In: HANDELSBLATT-Online v. 27.12.2022: https://www.handelsblatt.com/politik/international/energie-putin-verbietet-russische-oel-exporte-in-laender-mit-preisdeckel/28892316.html

[13] Russia Warns U.S. Against Launching 'Decapitation Strike' on Putin. In: THE MOSCOW TIMES-Online v. 27.12.2022: https://www.themoscowtimes.com/2022/12/27/russia-warns-us-against-launching-decapitation-strike-on-putin-a79812

[14] Henry Kissinger, „How to avoid another world war“. In: THE SPECTATOR-Online v. 17.12.2022: https://www.spectator.co.uk/article/the-push-for-peace/

[15] Verbitterte Neujahrsansprache - Putin: Merkel und Hollande haben in Minsk gelogen. In: DIE ZEIT-Online v. 3.1.2023: https://www.n-tv.de/politik/Russland-Verbitterte-Neujahrsansprache-Putin-wirft-Merkel-und-Hollande-Luegen-vor-article23815130.html

[16] Pentagon Press Secretary Brigadier General Pat Ryder and Deputy Assistant Secretary of Defense Laura K. Cooper Hold a Press Briefing. In: U.S. Department of Defense-Online v. 6.1.2023: https://www.defense.gov/News/Transcripts/Transcript/Article/3261666/pentagon-press-secretary-brigadier-general-pat-ryder-and-deputy-assistant-secre/     


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UKRAINE

Update Anfang Dezember 2022


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Wie der Ukraine-Konflikt deutlich macht, können die Kosten eines umfassenden Krieges hoch und unvorhersehbar sein. Die sich entfaltenden Schrecken des Krieges in der Ukraine verdeutlichen die brutalen Kosten eines umfassenden Konflikts - und das Bestreben, einen Sieg zu erringen, ohne zu solchen Extremen greifen zu müssen. Es handelt sich um einen tödlich ernsten Konflikt zwischen gegnerischen Kräften, der mehr als ein Wettbewerb, aber weniger als ein regelrechter Krieg ist. Er wird weitgehend unter dem Niveau der konventionellen Kriegsführung gehalten, um die Kosten eines Sieges - oder einer Niederlage - zu begrenzen. Daher wird der Sieg in Kampagnen auf niedrigerer Ebene wahrscheinlich die künftige globale Ordnung bestimmen und festlegen, in wessen Interesse sie liegt. Dementsprechend werden die Großmächte und andere in ihren Auseinandersetzungen zunehmend auf indirekte Einmischung, die Ermächtigung und den Einsatz von Stellvertretern, verbündete Aktionen und die Bewaffnung der öffentlichen Meinung, des Rechts und der Wirtschaftsbeziehungen zurückgreifen, die alle auch im Ukraine-Krieg zu beobachten sind.[1]

Der laufende Ukraine-Krieg offenbart immer mehr erhebliche Defizite insbesondere auf russischer Seite. Im Berichtszeitraum ist Moskau intensiv damit beschäftigt, die kommenden Wintermonate dafür zu nutzen, um die nunmehrigen Frontverläufe trotz ukrainischer Vorstöße im Osten und Süden der Ukraine zu festigen. Der russische Raketenbeschuss vornehmlich auf ukrainische Energieinfrastruktur geht aber weiter.
Parallel dazu ordert im Hintergrund die oberste russische Militärführung in Moskau bei den verbliebenen Partnern im Ausland offenbar fehlende militärische Güter, um die eigenen Rüstungsbestände am Kriegsschauplatz aufzustocken. Beispiel Panzer: Vor der Invasion hatte Moskau laut der Datenbank
Military Balance über ein Arsenal von 10.000 Kampfpanzern verfügt. Davon waren allerdings nur rund 3.300 wirklich einsatzbereit. Zudem erlebten die russischen Panzer in der Ukraine ein Fiasko: Öffentliche Bildquellen zeigten, dass Russland seit Februar mindestens 1.445 Kampfpanzer, also rund 45 Prozent des verfügbaren Arsenals, verloren hatte. Die ukrainische Militärführung sprach gar von 2.786 verlorenen Kampfpanzern, was einem Verlust von 85 Prozent entspräche.
Russland ist also dringend auf weitere Panzer angewiesen, doch die eigenen Bestände helfen nur bedingt weiter: Jahrzehntelange Misswirtschaft, Korruption und Fahrlässigkeit haben dazu geführt, dass zahlreiche Fahrzeuge nicht mehr einsatzfähig sind. Die Tatsache, dass nun die relativ kleinen weißrussischen Streitkräfte Nachschub liefern mussten, ließ für internationale Beobachter den Schluss zu, dass Russland seinen Vorrat an kurzfristig einsatzbereiten Panzern weitgehend erschöpft hatte. Ähnliches gilt offenbar auch für Drohnen oder Munitionsnachschub.
Zudem versucht der Kreml neben der Teilmobilmachung von rund 300.000 russischen Reservisten auch von den USA ausgebildete Spezialkräfte der ehemaligen afghanischen Armee für den Ukraine-Krieg zu rekrutieren. Viele dieser ehemaligen Soldaten und Offiziere sind nach der erneuten Machtübernahme der Taliban unter anderem in den Iran, nach Pakistan oder in die Türkei geflüchtet. Nun biete ihnen Russland 1.500 Dollar pro Monat sowie Zuflucht für ihre Familien, schreibt unter anderem der britische „
Guardian“. Das ist ein attraktives Angebot: Die britische Zeitung zitiert dabei Quellen aus afghanischen Militärkreisen, wonach bis zu 10.000 ehemalige afghanische Soldaten für solche Angebote empfänglich sein könnten. Doch auch mit solchen Rekrutierungsmaßnahmen dürften die strukturellen Schwächen der russischen Truppen nicht aus der Welt geschaffen werden.
Damit offenbart sich für Russland trotz Atommachtstatus eine erhebliche Kluft zwischen Vision und Wirklichkeit, was die konventionelle Kriegsführung anbelangt. Dennoch sprechen nun hohe US-Militärs davon, dass ein militärischer Sieg der ukrainischen Armee mit einem totalen Rückzug aus allen russisch besetzten Gebieten - einschließlich der Krim - kaum Chancen auf Erfolg hat. So warnt der ranghöchste US-General, Mark Milley, in einem Interview vom 16. November 2022 vor überzogenen Hoffnungen auf einen kurzfristigen militärischen Sieg der Ukraine. Russland verfüge trotz der Rückschläge noch über eine bedeutende Kampfkraft in der Ukraine, sagt der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff.

„Die Wahrscheinlichkeit eines ukrainischen militärischen Sieges - definiert als der Rauswurf der Russen aus der gesamten Ukraine, einschließlich der von ihnen beanspruchten Krim - ist militärisch gesehen nicht sehr hoch.“ Es könne aber eine politische Lösung geben. „Das ist möglich“, so Milley.

 

US-Präsident Joe Biden und der chinesische Staatschef Xi Jinping betonten bei einem Treffen vor dem G-20-Gipfel in Indonesien am 14. November 2022 ihren Widerstand gegen jeglichen Einsatz von Atomwaffen in der Welt - auch in der Ukraine. Xi sagte nach chinesischen Angaben, China unterstütze eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland. Auch sollten die USA, die NATO und die Europäische Union einen umfassenden Dialog mit Russland führen. Kriege würden keine Gewinner hervorbringen. Zudem gebe es keine einfachen Lösungen für komplexe Themen. Konfrontationen zwischen großen Ländern müssten vermieden werden.


Mehrheit der UNO-Vollversammlung verurteilt russische Annexionen in der Ukraine

Eine große Mehrheit der Staaten in der UNO-Vollversammlung verurteilten Mitte November 2022 die Annexionen Russlands in der Ukraine. 143 Staaten stimmten dem Beschluss zu. In der Resolution hieß es, Russland solle für die Folgen des Krieges aufkommen. Die russische Invasion der Ukraine wurde als Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilt. Die Resolution forderte, dass Russland „für alle Verletzungen“ des Völkerrechts und der UNO-Charta in der Ukraine „zur Rechenschaft gezogen“ werde und „die rechtlichen Folgen aller seiner völkerrechtswidrigen Handlungen trägt, einschließlich der Wiedergutmachung materieller und menschlicher Schäden“.
Der Beschluss ist völkerrechtlich zwar nicht bindend, zeigte aber die klare internationale Isolation Moskaus. Fünf von 193 Staaten votierten gegen die Resolution, 35 enthielten sich. Syrien, Nicaragua, Nordkorea und Belarus stimmten gemeinsam mit Russland dagegen, 35 enthielten sich - darunter auch Russlands strategischer Partner China sowie Indien. Die übrigen Länder nahmen an der Abstimmung nicht teil.
Russland hatte Ende September im UNO-Sicherheitsrat eine Resolution zur Verurteilung der Annexionen mit seinem Veto verhindert. In der UNO-Vollversammlung hat Russland dagegen kein Veto-Recht.

Moskau wies alle Anschuldigungen brüsk von sich.


Offenbar verirrte ukrainische Rakete explodiert auf polnischem Staatsgebiet

Ein Raketeneinschlag in Polen mit zwei Toten hatte Mitte November 2022 Spekulationen um einen NATO-Bündnisfall ausgelöst. Dieser blieb aber aus. Denn die Rakete war nach Einschätzung Polens und der NATO nicht von Russland, sondern von der Ukraine abgefeuert worden - und unabsichtlich auf polnischem Staatsgebiet niedergegangen.
Russland müsse diesen „sinnlosen Krieg“ beenden. „Die NATO ist bereit zu handeln in einer entschlossenen, ruhigen und resoluten Art“, hielt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg fest.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij sprach in einer TV-Rede fälschlicherweise von einem bewussten russischen Raketenangriff auf NATO-Gebiet. 


Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine wird verlängert

Das Getreideausfuhrabkommen zwischen der Ukraine und Russland wurde um 120 Tage verlängert, wurde am 17. November 2022 bestätigt. Das von der Türkei und der UNO vermittelte Abkommen soll es der Ukraine ermöglichen, trotz des Krieges Getreide aus ihren Schwarzmeer-Häfen zu exportieren.

 

IAEA lanciert neue Resolution zu AKWs in Ukraine

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) veröffentlichte am 17. November eine neue Resolution gegen Russland wegen dessen Vorgehen gegen Atomkraftwerke in der Ukraine. Darin wurde Russland dazu aufgefordert, „sofort“ seine Soldaten und „anderes Personal“ vom AKW Saporischschja abzuziehen, erklärte der IAEA-Gouverneursrat. Zudem solle Russland „alle Aktionen gegen und auf“ das Kraftwerk und alle anderen Nuklearanlagen in der Ukraine beenden, wurde betont. Die IAEA forderte Moskau überdies auf, seine „haltlosen Behauptungen“ einzustellen, die Anlage Saporischschja gehöre zu Russland. Die Organisation habe „große Sorge“, dass Russland bisherigen Aufforderungen nicht Folge geleistet habe.
Der von Kanada und Finnland eingebrachten Resolution stimmten 24 der 35 Ratsmitglieder zu. Russland und China stimmten dagegen; andere Mitglieder enthielten sich der Stimme.[2]

Am 20. November explodierten neuerlich mehrere Geschoße auf dem Gelände des AKWs. Beide Seiten beschuldigten sich wiederum gegenseitig, die Atomanlage vorsätzlich beschossen zu haben.
„Wer auch immer dahintersteckt: Es muss umgehend aufhören“, verlangte IAEA-Chef Grossi. „Wie ich schon oft gesagt habe: Ihr spielt mit dem Feuer.“[3] Grossi appellierte erneut an Kiew und Moskau, eine Sicherheitszone um die Anlage einzurichten, in denen von Angriffen abgesehen werde.
Intensive Verhandlungen darüber mit beiden Seiten hatten im Berichtszeitraum bislang zu keiner Einigung geführt.


Zerstörung der ukrainischen Energieinfrastruktur durch russischen Raketenbeschuss

Durch die russischen Raketenangriffe im Oktober und November 2022 wurden in der Ukraine praktisch alle Wärme- und Wasserkraftwerke beschädigt. Dazu seien alle wichtigen Knotenpunkte des Stromnetzes getroffen worden. Praktisch jedes wichtige Umspannwerk habe einen Treffer abbekommen, hieß es aus Kiew.

Nach vermehrten russischen Angriffen auf kritische Infrastruktur in der Ukraine forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij vor dem UNO-Sicherheitsrat eine Verurteilung Moskaus. Russland müsse deutlich als terroristischer Staat bezeichnet werden, forderte Selenskij am 23. November 2022 per Video von dem Gremium in New York. Das Treffen des Rates war zuvor nach einer Forderung von Selenskij kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt worden.
Zuvor hatte die UNO-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo, die Angriffe auf die kritische Infrastruktur scharf verurteilt.[4] Solche Angriffe seien nach internationalen Menschenrechtsgesetzen untersagt, bei Verstößen dagegen müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Unterdessen erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, dass „die Zukunft und der Erfolg der Spezialoperation in der Ukraine außer Zweifel“ stünden.

Die USA kündigten unterdessen am Rande des NATO-Treffens in Budapest Ende November 2022 weitere Hilfen für die Ukraine im Umfang von 53 Millionen US-Dollar (ca. 51 Millionen Euro) an. Damit wollen die USA „wichtige Ausrüstung für das Stromnetz bereitstellen“, wie US-Außenminister Antony Blinken betonte. Das US-Paket umfasste unter anderem Transformatoren, Trennschalter, Fahrzeuge und andere Ausrüstung. Washington wollte sie als Soforthilfe an die Ukraine liefern. Zuvor hatten die USA bereits 55 Millionen US-Dollar unter anderem für Generatoren in Aussicht gestellt.

Im Rahmen eines mit Deutschland vereinbarten Ringtauschs übergab die Slowakei Ende November 2022 der Ukraine 30 Schützenpanzer des sowjetischen Typs BMP-1.


Russischer Außenminister Lawrow wirft dem Westen direkte Kriegsbeteiligung vor

Polen verbot dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, zu einer Tagung der OSZE nach Lodz Anfang Dezember 2022 einzureisen. Der Kreml zeigte sich einmal mehr empört. Lawrow nahm dies bei einer Pressekonferenz in Moskau zum Anlass für einen Rundumschlag gegen den Westen.
Mit der Lieferung von Waffen und der Ausbildung ukrainischer Soldaten sei der Westen an dem Konflikt direkt beteiligt, erklärte der russische Außenminister. Die NATO habe die EU unter ihrer Kontrolle, so Lawrow, erhob auch schwere Vorwürfe gegen Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in der Ukraine. Der Westen habe seine Chance verpasst, den Ukraine-Konflikt zu vermeiden, meinte Lawrow. Die NATO sei „vorsätzlich“ erweitert worden. 1991 habe das Militärbündnis 16 Mitglieder gehabt, nun seien es 30. Mit Schweden und Finnland gebe es außerdem zwei weitere Kandidaten. Auf Russlands Vorschläge, auf die NATO-Erweiterung zu verzichten und sich auf einen Sonderstatus für die Ukraine zu einigen, sei der Westen nicht eingegangen, so der russische Außenminister.
Lawrow griff auch die OSZE und insbesondere deren Beobachter im Osten der Ukraine als „parteiisch“ an. Die im Gebiet Donezk stationierten Beobachter hätten vor Ausbruch des Krieges die zunehmenden Angriffe der ukrainischen Armee auf die von Moskau unterstützten Separatisten im Osten der Ukraine ignoriert und ihr teilweise sogar geholfen. „Es sind Fakten entdeckt worden, dass die OSZE sich an der Lenkung des Feuers auf Donezk und Luhansk beteiligt hat“, behauptete Lawrow. Nach der Ausweisung der Beobachter seien entsprechende Dokumente gefunden worden[5].
Die OSZE hat seit 2014 versucht, die Konfliktparteien im Donbass voneinander zu trennen und den Waffenstillstand zu überwachen. Ende Februar 2022 nach Beginn der russischen Invasion musste sie ihre Mission beenden und die Beobachter aus dem Kriegsgebiet abziehen.

Lawrow verteidigte zudem die Kriegsführung seines Landes und die gezielten Angriffe auf die ukrainische Energie-Infrastruktur. „Diese Infrastruktur stützt die Kampfkraft der ukrainischen Streitkräfte und der nationalistischen Bataillone“, sagte er. „Vergleicht die Hysterie, die jetzt in den westlichen Medien losgetreten wird, mit der Lage, als die USA den Irak bombardiert haben“. Auch im damaligen Jugoslawien habe die NATO das TV-Zentrum in Belgrad bombardiert mit der Begründung, dass es der jugoslawischen Kriegspropaganda diene.

Moskau wies parallel dazu am 2. Dezember 2022 die Bedingungen von US-Präsident Joe Biden für Gespräche mit seinem russischen Amtskollegen Putin zur Ukraine zurück. Biden habe geäußert, dass Verhandlungen nur möglich seien, „nachdem Putin die Ukraine verlassen hat“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow vor Journalisten. Moskau sei „sicherlich“ nicht bereit, diese Bedingung zu akzeptieren. „Die militärische Spezialoperation dauert an“, betonte Peskow.
Putin sei bereit zu Gesprächen, um sicherzustellen, dass Russlands Interessen respektiert werden. Aber „die USA erkennen die neuen Territorien nicht als Teil der Russischen Föderation an“, sagte Peskow mit Verweis auf ukrainische Regionen, die der Kreml als annektiert bezeichnet. Dieser Standpunkt Washingtons „verkompliziert“ mögliche Gespräche, hielt Peskow fest.


Telefongespräch Putin-Scholz

Putin prangerte parallel dazu in einem Telefonat mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz die militärische Unterstützung des Westens für die Ukraine als „destruktiv“ an. Putin nannte zudem die russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur in der Ukraine „notwendig und unvermeidlich“, wie es hieß. Es war das erste Telefonat von Putin mit Scholz seit Mitte September 2022.

Die chinesische Führung warnte hingegen alle Seiten davor, in Verhaltensweisen wie im vergangenen Kalten Krieg zurückzufallen.


Nach Entscheidung der EU für Preisdeckel auf russisches Erdöl dürfte Stopp aller russischer Öllieferungen nach Europa folgen

Moskau will die Entscheidung unter anderem der EU auf einen Preisdeckel von russischem Erdöl nicht akzeptieren und drohte mit einem generellen Stopp der Lieferungen von russischem Öl nach Europa (mit Ausnahmen, etwa Ungarn). „Wir werden diese Deckelung nicht akzeptieren“, sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow.
„Von diesem Jahr an wird Europa ohne russisches Öl leben“, hatte zuvor der russische Botschafter bei internationalen Organisationen in Wien, Michail Uljanow, mitgeteilt. Russland hatte einen Lieferboykott für Staaten angedeutet, die sich an einem Preisdeckel beteiligen. Russland bezeichnete den geplanten Ölpreisdeckel als gefährlich und sah darin einen Verstoß gegen die Gesetze des freien Marktes. Dadurch würden nur Unsicherheiten geschürt und Kosten für Rohstoffe in die Höhe getrieben, hieß es.
Die EU will Russland gemeinsam mit internationalen Partnern dazu zwingen, Erdöl künftig unter dem Marktpreis an Abnehmer in anderen Staaten zu verkaufen. Zunächst sollte eine Preisobergrenze von 60 US-Dollar pro Barrel festgelegt werden. Für die Ukraine war diese Grenze zu hoch angesetzt.


Österreich spendet 20 Mio. Euro für Fonds der Weltbank

Laut Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) beteilige sich Österreich mit 20 Millionen Euro an einem neuen Hilfsfonds der Weltbank für die Ukraine. Der Fonds soll die Ukraine bei der Planung und Durchführung von Wiederaufbaumaßnahmen, aber auch bei der Aufrechterhaltung öffentlicher Dienstleistungen, „insbesondere im stark betroffenen Energiesektor“, unterstützen, hieß es am 3. Dezember 2022 aus dem Finanzministerium. Brunner betonte, dass der Wiederaufbau „nicht bis nach dem Krieg warten“ könne. Österreich sei die Unterstützung der diesbezüglichen Aktivitäten „ein wesentliches Anliegen“. Die Weltbank leiste bei der Ukraine-Hilfe „wichtige und wertvolle Arbeit“. „Wir zeigen damit unsere Solidarität mit der Bevölkerung und leisten einen nachhaltigen Beitrag zur Stabilität in Europa“, so Brunner.


Abgeschlossen: Anfang Dezember 2022


Anmerkungen:

[1] Siehe dazu etwa: Geoffrey Till, „AT WAR WITH THE LIGHTS OFF“. In: Naval Institute Proceedings 7/2022, S. 40-45.

[2] IAEA-Webseite über die nukleare Sicherheit in der Ukraine: https://www.iaea.org/nuclear-safety-and-security-in-ukraine

[3] Update 128 - IAEA Director General Statement on Situation in Ukraine. IAEA-Press Centre-Online v. 20.11.2022: https://www.iaea.org/newscenter/pressreleases/update-128-iaea-director-general-statement-on-situation-in-ukraine

[4] 'Catastrophic' winter in store for Ukraine, warns UN peacebuilding chief, following Russian strikes on critical infrastructure. In: UN NEWS-Online v. 23.11.2022: https://news.un.org/en/story/2022/11/1131012

[5] Russia's Lavrov says OSCE security body hobbled by West. In: REUTERS.COM v. 1.12.2022: https://www.reuters.com/world/europe/russias-lavrov-says-european-security-body-is-hobbled-by-west-2022-12-01/

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UKRAINE

Update Mitte November 2022


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Als Vergeltung des offensichtlich von ukrainischer Seite eingefädelten Anschlags auf die Krim-Brücke lanciert Russland massive Raketenangriffe auf verschiedene ukrainische Städte. Gleichzeitig wollen Weißrussland und Russland eine gemeinsame regionale Kampftruppe aufstellen. Das hat der weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko am 10. Oktober 2022 angekündigt. Was die Entscheidung für den Ukraine-Krieg bedeutet, ist zunächst unklar. Der von Russland und Weißrussland beschlossenen gemeinsamen Eingreiftruppe gehören belarussischen Angaben zufolge knapp 9.000 Soldaten aus Russland an.

Russland hatte weißrussische Gebiete im Rahmen der Invasion in der Ukraine zwar bereits als Ausgangspunkt für Angriffe genutzt, selbst beteiligt hatten sich Streitkräfte aus Weißrussland bisher aber nicht. Lukaschenko hatte zuletzt allerdings den Ton gegenüber der Ukraine verschärft und dem Nachbarland unter anderem vorgeworfen, eine Attacke auf Weißrussland vorzubereiten.

Die vier kürzlich annektierten ukrainischen Gebiete fallen nach Darstellung Russlands unter den Schutz des russischen Atomwaffenarsenals. „Diese Gebiete sind unveräußerliche Teile der Russischen Föderation“, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am 18. Oktober 2022 vor der Presse. Russlands Präsident Wladimir Putin hat parallel dazu in den annektierten ukrainischen Gebieten das Kriegsrecht verhängt.

Die Annexion der Regionen Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja durch Russland wird international nicht anerkannt.

Ende Oktober 2022 werfen sich die russische und ukrainische Seite gegenseitig vor, eine „schmutzige“ - also nuklear verseuchte - Bombe zünden zu wollen, um jeweils die andere Seite in Misskredit zu bringen. Der Westen weist die Vorwürfe zurück. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), die die Vorwürfe vor Ort untersucht, kann jeweils keine Belege dafür finden.

Im Berichtszeitraum scheinen sich die Frontverläufe im Osten und Süden der Ukraine immer mehr festzufahren. Laut westlichen Geheimdiensten hat Russland im Verlauf der vom Kreml so bezeichneten „Spezialoperation“ gegen die Ukraine seit Kriegsbeginn erhebliche Verluste an Soldaten und Material erlitten, sodass sich die russische Armee anschickt, Rüstungsgüter aus befreundeten Staaten anzukaufen: Kampfpanzer aus Weißrussland; Artilleriegranaten aus Nordkorea; Kampfdrohnen aus dem Iran.

Am 9. November 2022 gab der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu den Rückzug der eigenen Truppen aus der Gebietshauptstadt Cherson im Süden der Ukraine bekannt. Laut Kreml würde aber die Region Cherson auf längere Sicht nicht aufgegeben und Teil der Russischen Föderation bleiben.


Atomkraftwerk Saporischschja wieder am Netz

Das zuletzt auf Notstromgeneratoren angewiesene ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja wurde Mitte Oktober 2022 wieder an das Stromnetz angeschlossen. Das sei „eine vorübergehende Erleichterung in einer immer noch unhaltbaren Situation“, schrieb der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, auf Twitter. Nach erneuten Bombenangriffen war die Anlage zuvor komplett vom Stromnetz getrennt worden. Laut Grossi war „die einzige externe Stromquelle“ der Anlage getroffen worden.
Grossi fordert bereits seit längerer Zeit eine Schutzzone rund um das von Russland besetzte AKW.

Unterdessen wurde Mitte Oktober 2022 in einer der wichtigsten Ölpipelines von Russland nach Westeuropa, der Druschba-Pipeline, ein Leck festgestellt. Es sei eher von einem Unfall und nicht von Sabotage auszugehen, hieß es. Das Leck wurde laut russischen Angaben aber kurze Zeit später wieder behoben.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte nach den Lecks an der Ostsee-Pipeline „Nord Stream“ Gaslieferungen durch den noch betriebsfähigen Strang der Pipeline „Nord Stream 2“ angeboten. „Man muss nur den Hahn aufdrehen“, so Putin bei einem Auftritt auf der russischen Energiewoche in Moskau. Die Röhre sei wohl nicht so beschädigt worden, dass sie nicht mehr genutzt werden könne, sagte er. An den beiden Röhren von „Nord Stream 1“ und einer Röhre von „Nord Stream 2“ in der Ostsee waren nach Explosionen Ende September schwere Beschädigungen entdeckt worden. Bisherigen Erkenntnissen zufolge hatten sich mindestens zwei Detonationen ereignet, die zu vier Lecks führten.
Putin sprach von einem internationalen Terroranschlag gegen die Pipelines. „Es gibt keinen Zweifel, das ist ein Akt internationalen Terrorismus, ein zutiefst gefährlicher Präzedenzfall“, sagte er. Ziel sei es, die Beziehungen zwischen der EU und Russland endgültig zu zerreißen und Europa zu schwächen.

Die Verhandlungen mit Russland über die Einrichtung einer Schutzzone um das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja gestalteten sich nach den Worten von IAEA-Chef Grossi als „sehr kompliziert“. Grossi verhandelte bereits seit Wochen mit Vertretern Russlands und der Ukraine über die Einrichtung einer Schutzzone um das AKW, mit der die Gefahr eines Atomunglücks abgewendet werden soll. Die Gespräche verliefen deshalb träge, weil seine Verhandlungspartner nicht nur Diplomaten, sondern auch Militärs seien, hielt der IAEA-Chef fest.


Kreml beschuldigt Kiew für den Anschlag auf die Krim-Brücke - Militärische Vergeltung durch Russland

Inzwischen beschuldigte der russische Präsident Wladimir Putin den ukrainischen Geheimdienst SBU für die schwere Explosion auf der Krim-Brücke. „Es gibt keine Zweifel. Das ist ein Terrorakt, der auf die Zerstörung kritischer ziviler Infrastruktur der Russischen Föderation ausgerichtet war“, sagte der Kreml-Chef am 9. Oktober 2022. Bei der Vorbereitung des „Terroranschlags“ hätten russische Bürger und ausländische Staaten mitgeholfen, sagte der Chef der nationalen russischen Ermittlungsbehörde.
Als Vergeltung eröffnete Russland massive Raketen- und Drohnenangriffe auf ukrainische Städte im ganzen Land. Sollten die ukrainischen Angriffe weitergehen, werde Russland noch härter darauf antworten, erklärte Putin. Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew drohte indessen mit neuen Raketenangriffen auf ukrainische Städte. „Die erste Episode ist vorbei. Es wird weitere geben“, so Medwedew. Der ukrainische Staat sei in seiner jetzigen Form eine ständige Bedrohung für Russland. Deshalb müsse die politische Führung des Nachbarlandes vollständig beseitigt werden, sagte Medwedew. Das sei seine „persönliche Position“.
Nicht zuletzt als weitere Reaktion gegen die Ukraine erklärte der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko am 20. Oktober 2022, eine gemeinsame Kampfeinheit mit Russland zu schaffen. Der Ukraine warf Lukaschenko vor, einen Angriff auf Weißrussland vorzubereiten, weshalb diese Entscheidung nun getroffen worden sei. Über „inoffizielle Kanäle“ sei Minsk vor „Planungen auf einen Angriff von ukrainischem Gebiet aus gegen Belarus“ gewarnt worden.
Die weißrussischen Streitkräfte belaufen sich auf rund 60.000 Mann. Bereits zu Kriegsbeginn zog Lukaschenko mehrerer Bataillone, insgesamt Tausende Soldaten, an der Grenze zusammen.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres verurteilte währenddessen die heftigen russischen Bombardierungen ukrainischer Städte. Die Angriffe seien eine „weitere inakzeptable Eskalation des Krieges“, sagte sein UNO-Sprecher.[1] Die UNO-Vollversammlung verurteilte schließlich Mitte Oktober 2022 die Annexionen Russlands in der Ukraine mit überraschend großer Mehrheit.[2]

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij hielt indes den Widerstandswillen seines Landes hoch. „Die Ukraine lässt sich nicht einschüchtern, sie lässt sich nur noch mehr vereinen“, hielt er in seiner abendlichen Videoansprache in Kiew fest.


US-Hilfe für die Ukraine: Unterstützung für „alle Jahreszeiten“

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte der Ukraine nach den jüngsten russischen Luftangriffen langfristige Militärhilfe zu. „Unsere Entschlossenheit, die ukrainischen Verteidiger zu unterstützen, gilt für alle Jahreszeiten“, betonte Austin am 12. Oktober 2022 am Rande von Beratungen der internationalen Ukraine-Kontaktgruppe, über die Waffenlieferungen an das Land koordiniert werden.
Die US-Militärhilfen für die Ukraine seit dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden summierten sich damit auf 18,3 Milliarden Dollar. Laut Pentagon umfassten die neuesten Zusagen unter anderem 5.000 Anti-Panzer-Waffen, 5.000 ferngesteuerte Anti-Panzer-Minen, Fahrzeuge und medizinische Güter.
Die US-Botschafterin bei der UNO, Linda Thomas-Greenfield, sicherte zudem der Ukraine bei einem Besuch in der Hauptstadt Kiew am 8. November 2022 die fortdauernde Unterstützung der USA zu. Die Vereinigten Staaten seien bereit, der Ukraine so lange wie nötig beizustehen, sagte die Diplomatin bei einem Treffen mit Präsident Wolodymyr Selenskij.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Rande eines Treffens der Verteidigungsminister der NATO-Staaten in Brüssel, dass es extrem wichtig sei, dass die Bündnispartner Luftabwehrsysteme an die Ukraine lieferten. „Die oberste Priorität wird mehr Luftverteidigung sein.“ Zur Verteidigung gegen Russlands Angriffskrieg brauche das Land ganz verschiedene Luftabwehrsysteme, etwa gegen ballistische Raketen, Marschflugkörper und Drohnen, so Stoltenberg.

Zur Unterstützung der Ukraine im russischen Angriffskrieg würden die USA dem Land weitere Militärhilfen im Wert von 400 Millionen US-Dollar zur Verfügung stellen, kündigte das US-Verteidigungsministerium am 10. November 2022 an. Die militärische Unterstützung für Kiew aus den USA belief sich damit auf insgesamt 19,3 Milliarden US-Dollar seit Beginn der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden Anfang 2021. Laut dem Pentagon wurde der Großteil an Waffen und Ausrüstung - im Umfang von 18,6 Milliarden Dollar - seit dem russischen Einmarsch Ende Februar 2022 zugesagt. Zu dem neuen Paket gehörten auch vier Avenger-Luftabwehrsysteme und Stinger-Raketen sowie Raketen für Hawk-Luftabwehrsysteme. Die Avenger-Luftabwehrsysteme würden die bisher bereitgestellten Systeme ergänzen, um russische Luftangriffe möglichst abzuwehren, hieß es.


EU kündigt militärisches Ausbildungsprogramm für ukrainische Soldaten an

Die EU-Außenminister beschlossen am 17. Oktober 2022 eine militärische Ausbildungsmission für die Ukraine. Sie solle den ukrainischen Streitkräften helfen, ihren „mutigen Kampf“ gegen Russland fortzusetzen, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Wie von Borrell vorgeschlagen, stockten die EU-Länder zudem die Militärhilfe für die Ukraine auf. Nach seinen Angaben stehen nun insgesamt 3,1 Milliarden Euro zur Verfügung, rund 500 Millionen Euro mehr als bisher.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hatte zuvor bestätigt, dass rund 15.000 Soldaten aus der Ukraine auf EU-Gebiet ausgebildet werden sollen.


Anhaltende russische Angriffe auf Energieinfrastruktur der Ukraine

Seit Mitte Oktober 2022 lancierten die russischen Truppen schwere Schläge gegen ukrainische Elektrizitätswerke, wodurch um den 20. Oktober bereits mehr als 40% der ukrainischen Energieinfrastruktur zerstört oder beschädigt wurde. Kiew wurde dadurch gezwungen, landesweit den Strom abzuschalten bzw. zu drosseln, um Energie zu sparen.
Im Berichtszeitraum schien sich langsam das militärische Geschehen am Boden auf einen Stellungskrieg auszurichten, während Russland mit verstärktem Raketenbeschuss versuchte die ukrainischen Elektrizitätsanlagen im gesamten Land lahmzulegen. 


EU einigt sich auf Energievorsorge

Auf dem Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs in Brüssel wurde in der Nacht auf den 22. Oktober 2022 eine grundlegende Einigung in der Debatte über hohe Energiepreise erzielt. Die EU-Staaten wollen den Energieverbrauch reduzieren, die Versorgungssicherheit garantieren und die Preise für Haushalte und Unternehmen senken, hieß es in der Abschlusserklärung. Ein „Gaspreisdeckel“ soll entwickelt werden. Details müssten aber erst erarbeitet werden, wurde betont.


Russische Warnungen vor Zündung einer „schmutzigen Bombe“ durch die ukrainischen Truppen - Westen dementiert

Die USA, Frankreich und Großbritannien haben am 23. Oktober 2022 in einer gemeinsamen Erklärung die russischen Anschuldigungen zurückgewiesen, die Ukraine plane den Einsatz einer „schmutzigen“ Bombe mit radioaktivem Material. Die drei Länder würden den „durchsichtig falschen Behauptungen“ entgegentreten, die Ukraine plane den Einsatz einer solchen Bombe auf ihrem eigenen Territorium, hieß es in der vom US-Außenministerium veröffentlichten Stellungnahme, die auch im Namen der Regierungen in Paris und London abgeben wurde.
In der Erklärung wurde Russland davor gewarnt, derartige Anschuldigungen als „Vorwand für die Eskalation“ seines Krieges gegen die Ukraine zu benutzen. Dies würde „von der Welt durchschaut“ werden, hieß es.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte nach Angaben seines Ressorts in Telefonaten mit mehreren Kollegen aus NATO-Mitgliedstaaten die Sorge bekundet, dass die Ukraine eine „schmutzige Bombe“ einsetzen könnte. Dabei handelt es sich um einen konventionellen Sprengkörper, der bei seiner Explosion radioaktives Material in der Umgebung abgibt. Im Unterschied zu Atombomben gibt es bei solchen Sprengkörpern keine nukleare Explosion.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij forderte eine „harte“ Reaktion auf diese Anschuldigung. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba betonte: „Russische Lügen über den angeblichen Plan der Ukraine, eine ‚schmutzige Bombe‘ zu nutzen, sind ebenso absurd wie gefährlich…Weder haben wir ‚schmutzige Bomben‘ noch planen wir, welche zu erwerben. Zweitens beschuldigen Russen oft andere für etwas, das sie selbst planen“, so Kuleba.[3]


Die Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) inspizierte Ende Oktober 2022 zwei ukrainische nukleare Anlagen, da Russland zuvor über angebliche Aktivitäten an diesen zwei Nuklearstandorten spekulierte.
Moskau brachte seine Vorwürfe, die ukrainische Regierung wolle eine atomar verseuchte Bombe zünden, zeitgleich vor den UNO-Sicherheitsrat. Eine entsprechende Aussprache des UNO-Gremiums hinter verschlossenen Türen fand am 25. Oktober in New York statt.
Trotz westlicher Zurückweisungen hielt Russland an der Behauptung fest, Kiew wolle Moskau mit einer „schmutzigen“ - also atomar verseuchten - Bombe in Misskredit bringen.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte erklärt, es gebe „konkrete Informationen zu den Instituten in der Ukraine, die über entsprechende Technologien verfügen, solch eine ‚schmutzige Bombe‘ zu bauen“.

Die USA, Frankreich und Großbritannien wiesen die russischen Anschuldigungen zurück.
Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, betonte, dass an der russischen Behauptung absolut nichts dran sei. „Es ist einfach nicht wahr. Wir wissen, dass es nicht wahr ist“, so Kirby.
Zugleich sehe die US-Administration bisher aber auch keine Hinweise auf einen möglichen russischen Einsatz einer nuklear verseuchten Bombe. „Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass die Russen gelegentlich andere für Dinge verantwortlich gemacht haben, die sie vorhatten zu tun.“ Es gebe derzeit aber keine Hinweise darauf, dass das hier der Fall sei.

Die IAEA fand schließlich nach eigenen Angaben keine Hinweise auf den Bau einer „schmutzigen Bombe“ durch die Ukraine. Das habe eine Inspektion von drei Standorten in der Ukraine ergeben, sagte IAEA-Direktor Rafael Grossi am 3. November 2022. „Unsere bisher vorliegende technische und wissenschaftliche Auswertung der Ergebnisse zeigte an diesen drei Standorten keine Hinweise auf nicht deklarierte nukleare Aktivitäten und Materialien“, so Grossi.[4]


Moskau setzt Getreideabkommen vorübergehend aus

Moskau setzte am 29. Oktober 2022 das von der UNO und der Türkei vermittelte Abkommen mit der Ukraine zum Schiffsexport von Getreide offiziell auf unbestimmte Zeit aus und begründete den Schritt mit neuen ukrainischen Drohnenangriffen auf die russische Schwarzmeer-Flotte. Kiew sah darin einen „falschen Vorwand“ und forderte im Gegenzug von der UNO und den G-20-Staaten „Konsequenzen“.
Russland gab der Ukraine die Verantwortung für die Aussetzung des Abkommens zum Getreideexport über das Schwarze Meer. Die ukrainischen Streitkräfte hätten unter Deckung des humanitären Korridors für die Getreideausfuhren per Schiff Angriffe aus der Luft und vom Meer aus gegen die russische Schwarzmeerflotte verübt, so das russische Außenministerium in Moskau. Dabei sei die Infrastruktur des Flottenstützpunkts in Sewastopol auf der Halbinsel Krim beschossen worden.

Die ukrainische Regierung reagierte empört. Kiew warf seinerseits Moskau vor, die Angriffe auf eigene Einrichtungen erfunden zu haben.

Schließlich lenkte Moskau nach intensiven Verhandlungen im Rahmen der UNO und unter türkischer Vermittlung ein und schloss sich dem Getreide- und Düngerabkommen wieder an.


China-Besuch des deutschen Bundeskanzlers Scholz in Peking - China gegen Atomwaffeneinsatz

Beim Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) in Peking warnte auch die chinesische Seite vor einer atomaren Eskalation des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. „Staatspräsident Xi Jinping und ich sind uns einig: Atomare Drohgebärden sind unverantwortlich und brandgefährlich“, sagte der deutsche Kanzler nach Gesprächen in Peking.
Zuletzt hatten ranghohe chinesische Militärs signalisiert, mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland würde eine rote Linie überschritten. Die Regierungen in Peking und Berlin seien sich einig, dass russische Drohgebärden mit Atomwaffen nicht akzeptabel seien, sagte Scholz.
Bei seinem Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping betonte Letzterer: Die internationale Gemeinschaft solle sich dafür einsetzen, „dass Atomwaffen nicht eingesetzt werden können und nukleare Kriege nicht gekämpft werden dürfen“. Die betreffenden Parteien müssten Zurückhaltung üben und Bedingungen für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen schaffen, so Xi. Die Weltgemeinschaft sollte alle Anstrengungen unternehmen, die für eine friedliche Lösung förderlich seien.
Kritik an seinem strategischen Partner Russland wegen dessen Einmarsches in der Ukraine äußerte Xi zwar weiterhin nicht. Doch sowohl Xi als auch Regierungschef Li Keqiang äußerten deutlicher als je zuvor seit Beginn des Angriffskrieges Sorgen über den Konflikt, in dem China dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bisher Rückendeckung gab.


Bulgarien nun doch für Rüstungslieferungen an die Ukraine

Mit deutlicher Mehrheit revidierte das bulgarische Parlament einen Entscheid vom Frühjahr und gab schließlich grünes Licht für Waffenlieferungen an die Ukraine. Die zurzeit noch amtierende Übergangsregierung hatte nun einen Monat Zeit, konkrete Vorschläge auszuarbeiten. Damit bleibt Ungarn einziger EU-Staat, der militärische Hilfe für die Ukraine kategorisch ablehnt. Die Frage von Rüstungsgüterexporten Bulgariens ist seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ein umstrittener Punkt im traditionell slawophil ausgerichteten Land. Das südosteuropäische NATO- und EU-Mitglied verfügt über eine bedeutende Rüstungsindustrie. Der Schwerpunkt liegt auf der Herstellung von Munition, sowohl für Waffen westlicher als auch sowjetischer Bauart. Trotz der modernen Rüstungsgüter, die der Westen der Ukraine in wachsendem Ausmaß zur Verfügung stellt, kämpft die ukrainische Armee weiterhin mit Waffen, die den Standards des ehemaligen Warschauer Pakts entsprechen. Munition hierfür zu beschaffen, ist mit dem fortschreitenden Verlauf des Krieges immer schwieriger geworden. Dies verleiht den bulgarischen Produktionskapazitäten eine besondere Bedeutung.
Der amtierende Verteidigungsminister, Dimitar Stojanow, war nach dem Parlamentsbeschluss bemüht, die Erwartungen an eine dramatische Kehrtwende zu dämpfen. Die Regierung werde einen sehr zurückhaltenden Vorschlag zu den möglichen Waffenlieferungen ausarbeiten, betonte er. Denn ersatzlos könne Bulgarien kein schweres Material abtreten, ohne die eigene Sicherheit zu gefährden, hieß es.


Abgeschlossen: Mitte November 2022


Anmerkungen:

[1] UN says Russian air strikes in Ukraine 'unacceptable escalation'. In: THE BUSINESS STANDARD-Online v. 10.10.2022: https://www.tbsnews.net/worldbiz/europe/un-says-russian-air-strikes-ukraine-unacceptable-escalation-511330

[2] UN-Vollversammlung setzt Zeichen gegen Russland. In: DW-NACHRICHTEN-Online v. 13.10.2022: https://www.dw.com/de/un-vollversammlung-setzt-zeichen-gegen-russland/av-63433946

[3] Russia-Ukraine updates: Zelenskyy slams Russia's 'dirty bomb' claims. In: DEUTSCHE WELLE-Online v. 23.10.2022: https://www.dw.com/en/russia-ukraine-updates-zelenskyy-slams-russias-dirty-bomb-claims/a-63529792

[4] IAEA Inspectors Complete In-Field Verification Activities at Three Ukraine locations, No Indications of Undeclared Nuclear Activities and Materials. In: IAEA-Newscenter-Online v. 3.11.2022: https://www.iaea.org/newscenter/pressreleases/iaea-inspectors-complete-in-field-verification-activities-at-three-ukraine-locations-no-indications-of-undeclared-nuclear-activities-and-materials

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UKRAINE

Update Mitte Oktober 2022

Während die ukrainische Armee mit Hilfe westlicher moderner Waffensysteme deutliche Geländegewinne gegenüber den bislang von russischen Truppen besetzten Gebieten insbesondere im Osten der Ukraine erzielt, bekräftigt der Kreml, die Fortsetzung der „Sonderoperation“ im Nachbarland - bis zum siegreichen Abschluss.
Das Präsidialamt in Moskau bestätigt parallel dazu einmal mehr die Darstellung, dass sich Russland vom Streben der Ukraine in die NATO bedroht fühle. Die Hinwendung des Nachbarlands zum westlichen Militärbündnis unterstreiche die Notwendigkeit, den „militärischen Sondereinsatz“ in der Ukraine fortzusetzen, heißt es.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat vor der russischen Invasion im Nachbarland wiederholt behauptet, dass die NATO durch die Aufnahme neuer Mitglieder in Osteuropa immer näher an die Grenzen Russlands heranrücke und das Bündnis sich darauf vorbereite, auch die Ukraine unter ihren Einfluss zu bringen. Das stelle eine existenzielle Bedrohung für Russland dar und zwinge Moskau zu einer Reaktion.


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Der russische Einmarsch in die Ukraine Ende Februar 2022 sollte eine Militäroperation sein, die schnell abgeschlossen werden sollte. Es wurde erwartet, dass die ukrainischen Kommando- und Kontrollkapazitäten gestört und/oder zerstört werden würden. Folglich würden aus russischer Sicht die ukrainischen Verteidigungsmaßnahmen wahrscheinlich unkoordiniert sein. Russische luftbewegliche Operationen in der strategischen Tiefe der Ukraine und gegebenenfalls amphibische Operationen würden die ukrainischen Widerstandsfähigkeiten weiter schwächen. Operationen der russischen Bodentruppen würden dann schnell in die strategische Tiefe vordringen und ihre Feuerkraft und Mobilität nutzen, um die gegnerischen Kräfte beiseite zu fegen. Dies alles kam jedoch nicht zustande. Die ukrainischen Streitkräfte scheinen viele Lehren aus dem ersten Konflikt gezogen zu haben, die man in die Tat umgesetzt hat. Darüber hinaus waren die ukrainischen Fähigkeiten und die militärische Widerstandsfähigkeit eine große Überraschung für die russischen Invasionstruppen.[1]

Die zweite Phase dieses Konflikts steht nun bevor und wird sich auf die Region Donbass in der Ostukraine konzentrieren. Das russische Ziel wird darin bestehen, die separatistischen Enklaven Donezk und Luhansk zu sichern und auszuweiten sowie einen Landkorridor vom russisch kontrollierten Gebiet bis zur Krim zu schaffen. Die betroffenen Gebiete sind Ende September 2022 nach Scheinreferenden von Russland annektiert worden.

Die ukrainische Regierung in Kiew will allerdings die gesamten okkupierten ukrainischen Gebiete - samt der Krim - zurückerobern.

Ein möglicher Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland steht dabei immer mehr im Raum, wie auch die Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij an den Westen, dass die NATO einen „Präventivschlag“ gegen russische Atomwaffenarsenale lancieren sollte. Putin hat zudem am 8. Oktober 2022 einen neuen Oberbefehlshaber für die „Spezialoperation“ in der Ukraine ernannt.


Ungarn hat am 14. September 2022 nun doch von einer Blockade der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland abgesehen. Damit sind die EU-Sanktionen gegen Russland verlängert worden. Konkret geht es um Strafmaßnahmen gegen mittlerweile mehr als 1.200 Personen wegen ihrer Unterstützung der Ukraine-Politik von Russlands Präsident Putin. Sie sehen vor, die Vermögenswerte der Betroffenen einzufrieren und sie nicht mehr in die EU einreisen zu lassen.
Ein kritischer Bericht des EU-Parlaments bezeichnet Mitte September 2022 Orbans Ungarn als „Wahlautokratie“. Der ungarische Premierminister Viktor Orban weist die Aussagen zurück.
In einer
Grundsatzrede zur Lage der EU stellt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 14. September 2022 der Ukraine ebenso wie den Staaten des westlichen Balkan, Moldawien und Georgien eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht. Eine Erweiterung der EU bedinge aber auch eine Reform des Staatenbundes, betont von der Leyen. Bei einem Konvent sollte nach ihren Worten deshalb eine EU-Reform ausgearbeitet werden. „Lang lebe Europa!“, ruft sie.
Am Treffen der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SCO) in der usbekischen Stadt Samarkand versichern sich zur gleichen Zeit der russische Präsident Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping ihre enge Zusammenarbeit und Partnerschaft zu. Peking nimmt eine gegenüber Moskau wohlwollende Position im internationalen Weltgeschehen ein, bleibt aber bezüglich des aktuell laufenden russischen Angriffskrieges in der Ukraine weiterhin zurückhaltend.

Dennoch eskaliert im Berichtszeitraum die Lage immer mehr, zumal die russischen Truppen vor Ort zum Teil herbe Verluste im konventionellen Gefecht und Gebietsverluste hinnehmen haben müssen.

US-Präsident Joe Biden sieht die Gefahr einer atomaren Eskalation so groß wie seit der Kuba-Krise 1962 nicht mehr.


Getreide-/Düngerabkommen

Russland und die Ukraine hatten am 22. Juli mit den Vereinten Nationen und der Türkei eine Lösung für die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide aus dem Kriegsland Ukraine gefunden. Zeitgleich wurde eine Vereinbarung mit Russland über die Erleichterung der Ausfuhren von Getreide und Dünger unterzeichnet. Die beiden Abkommen sind formal eigenständig, werden aber als komplementär gesehen.
Die Vereinten Nationen räumten teilweise Probleme bei der Umsetzung des Ende Juli zwischen Russland und der Ukraine geschlossenen Getreideabkommens ein. Während die Ausfuhr von Nahrungsmitteln aus der Ukraine über einen Korridor im Schwarzen Meer deutlich an Fahrt aufgenommen habe, stocke vor allem der Export russischer Dünger.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte im September 2022 damit gedroht, die Vereinbarung angesichts der eingeschränkten russischen Ausfuhren wieder platzen zu lassen. Moskau sei „grob abgezockt“ worden. Amir Abdulla, der UNO-Koordinator für die Ausfuhr des ukrainischen Getreides, zeigte sich dennoch optimistisch, dass Russland das Abkommen über die zunächst anvisierten vier Monate hinaus verlängern werde.


EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen präsentiert Energienotfallplan der EU

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte am 14. September 2022 in ihrer Rede zur Lage der Union im Europaparlament den europäischen Notfallplan gegen die Energiekrise vor. Zur Entlastung der Verbraucherinnen und Verbraucher sollen übermäßige Gewinne von Energiefirmen in der EU künftig abgeschöpft und umverteilt werden. Sie kündigte einen Gesetzesvorschlag an, der sowohl Produzenten von erneuerbarem Strom als auch Gas- und Ölkonzerne treffen würde.
„Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, dass die Sanktionen von Dauer sein werden.“ Moskau trage die Verantwortung dafür, dass die russische Wirtschaft den Anschluss verliere. „Dies ist der Preis für Putins Spur des Todes und der Vernichtung.“[2]


Westen gegen die Vergabe von Kampfpanzer an die ukrainische Armee

Bei einem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein kündigten die USA am 16. September 2022 Waffenhilfen in Höhe von 675 Millionen Dollar für Kiew an. Deutschland und die Niederlande wollen Minensucher ausbilden. Zur Lieferung von Kampfpanzern aus eigener Produktion schien der Westen aber weiter nicht bereit zu sein.
Bisher lieferten weder die USA noch Deutschland oder Frankreich Panzer westlicher Bauart an die Ukraine. Stattdessen versucht Berlin - mit eher enttäuschender Bilanz - im Format des sogenannten „Ringtausches“ zu helfen, bei dem Länder wie Tschechien alte sowjetische in die Ukraine verlegen  und Deutschland diese Lücken dann mit modernen Panzern ausfüllt.


Leiter der paramilitärischen Gruppe „Wagner“ rekrutiert Gefangene für den Krieg in der Ukraine

Jahrelang hielt sich der russische Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin im Hintergrund. Den Vorwurf der USA, er sei der Financier der berüchtigten St. Petersburger „Trollfabrik“ und leite die paramilitärische Gruppe „Wagner“, wies er stets zurück. Doch mit dem Überfall auf die Ukraine hat sich dies geändert. Mitte September 2022 ist erstmals ein Video von ihm aufgetaucht, in dem er als Wagner-Chef auftritt. Gefilmt wurde es in einem russischen Straflager 640 Kilometer östlich von Moskau, wo er unverblümt Häftlinge für den Kriegseinsatz anwarb. „Ich hole euch lebendig raus, aber ich bringe nicht alle lebendig zurück“, so Prigoschin.


China und Russland versichern sich gegenseitig ihrer Unterstützung und Partnerschaft

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, der seine erste Auslandreise seit Beginn der Pandemie unternahm, und der russische Präsident Wladimir Putin beteuerten am Rande des Gipfeltreffens der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SCO) in der usbekischen Stadt Samarkand ihre enge Kooperation.

Die „ausbalancierte Haltung der chinesischen Freunde in der ukrainischen Krise“ schätze Russland hoch ein, er verstehe aber auch die Fragen und Sorgen in diesem Zusammenhang, betonte Putin. Er charakterisierte damit Chinas zurückhaltende, aber letztlich eine gegenüber Moskau wohlwollende Haltung.

Der Kremlchef nannte Moskau und Peking ein „außenpolitisches Tandem“. Dieses Tandem spiele eine Schlüsselrolle in der Gewährleistung der globalen und regionalen Stabilität, so Putin. Ziel sei die Bildung einer gerechten, demokratischen und multipolaren Weltordnung, die auf dem Völkerrecht und der zentralen Rolle der UNO basiere - und nicht auf irgendwelchen Regeln, die sich irgendjemand ausgedacht habe. Ohne die USA beim Namen zu nennen, teilte er gegen die Versuche, eine unipolare Welt zu schaffen, aus. Diese hätten absolut hässliche Züge angenommen und seien für die Mehrheit der Staaten auf dem Planeten unannehmbar. Explizit verurteilte er aber Washingtons „Provokationen“ gegenüber China, womit er die Taiwan-Politik meinte.

Angesichts von historisch beispiellos kolossalen Veränderungen sei China bereit, zusammen mit den russischen Kollegen das Beispiel einer verantwortungsvollen Weltmacht zu zeigen und eine entscheidende Rolle zu spielen, diese sich schnell verändernde Welt auf einen stabilen und positiven Pfad zu bringen, so Xi.

Indem er dies im Unterschied zu Putin nicht als einen Zustand, sondern eine Absicht darstellte, ließ Xi offen, wie genau sich dieser Anspruch mit der Gegenwart eines mutwillig entfachten Krieges vereinbaren ließe.[3]

Die Welt trete in eine „neue Phase der Turbulenzen und der Veränderung“ ein, sagte Xi. „Der Nebel der Pandemie des Jahrhunderts hat sich noch nicht verzogen, der Rauch lokaler Konflikte steigt wieder auf, die Mentalität des Kalten Krieges und der Blockpolitik sind zurückgekehrt.“

Für den Kreml werden Zentralasien und Plattformen wie die SCO, in der auch Indien und Pakistan Mitglieder sind und in die Iran aufgenommen wird, immer wichtiger angesichts des Abbrechens der Verbindungen zu westlichen Staaten.

Mittlerweile hatte auch die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan ihr Interesse an einem Beitritt zur SCO als erstes NATO-Mitgliedland bekundet. Die Türkei wird derzeit bei der SCO als „Dialogpartner“ geführt.[4]


China und Indien gegenüber Russlands Ukraine-Krieg zurückhaltend

Was die diplomatische Unterstützung der laufenden Kampfhandlungen Russlands in der Ukraine betraf, so blieb neben Peking auch New Delhi gegenüber dem Kreml zurückhaltend bis ablehnend. Bei einem Treffen Putins mit dem indischen Premierminister Narendra Modi am Rande der SCO-Tagung zeigte Letzterer mehr oder weniger offen sein Missfallen am anhaltenden Ukraine-Krieg und forderte ein baldiges Ende der Gewalt.


Erdogan für Rückgabe besetzter ukrainischer Gebiete durch Russland

Der türkische Präsident Erdogan sprach sich in einem Interview am 19. September 2022 für eine Rückgabe der von Russland besetzten Gebiete an die Ukraine aus. „Wenn in der Ukraine Frieden hergestellt werden soll, wird natürlich die Rückgabe des besetzten Landes wirklich wichtig. Das wird erwartet“, so Erdogan. „Die besetzten Gebiete werden an die Ukraine zurückgegeben müssen“ - das habe auch für die Krim zu gelten, erklärte Erdogan.[5]


Österreich: Gewessler (Grüne) gibt 60.000 Tonnen Diesel aus Ölreserve frei

Das Klimaschutzministerium unter Leonore Gewessler (Grüne) gab Mitte September 2022 weitere 60.000 Tonnen Diesel aus der nationalen Ölreserve frei. Ein entsprechender Vorschlag sei nach Rücksprache mit der OMV und der gesamten heimischen Erdölindustrie an den Hauptausschuss im Nationalrat ergangen, hieß es. Damit soll die Versorgung in Österreich gesichert werden, bis die OMV-Raffinerie in Schwechat wieder voll läuft.[6] Nach der Freigabe verfügt Österreich laut Ministerium weiterhin über staatliche Treibstoffreserven für 65 Tage.

Diesen Sommer wurden bereits zweimal Reserven lockergemacht - am 4. Juni 2022, direkt nach dem Unfall bei der OMV, der die Raffinerie bis auf Weiteres lahmlegte, waren es 112.000 Tonnen Diesel und 56.000 Tonnen Benzin; am 12. Juli 2022 kamen 100.000 Tonnen Diesel und 45.000 Tonnen Halbfertigfabrikate hinzu.

Am 4. Oktober 2022 erklärte Gewessler, dass die Gasspeicher in Österreich nun zu 80% gefüllt seien - wieviel davon wirklich auch Österreich zustehe, blieb weiter offen.


Nehammer verteidigt weiter die westlichen Sanktionen gegen Russland

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) verteidigte am 20. September 2022 am Rande der UNO-Vollversammlung in New York die wegen des Angriffs auf die Ukraine verhängten Sanktionen des Westens und der EU gegen Russland weiter. Gleichzeitig rief er aber dazu auf, diese zu „evaluieren und zu schauen, ob sie treffsicher sind“.

Im Gespräch mit österreichischen Medien sagte Nehammer aber auch: „Sanktionen dürfen uns nicht mehr schwächen als die, denen sie gelten sollen.“ Generell hielt der Bundeskanzler fest: „Sanktionen sind die friedlichste Form, um gegen Krieg und Leid zu protestieren und aufzuzeigen, dass es so nicht weitergehen kann.“ Der Krieg in der Ukraine sei nun einmal von Russland ausgelöst worden. Gleichzeitig müsse zudem versucht werden, „Brücken zu bauen“, damit „wieder miteinander gesprochen wird zwischen den Kriegsparteien“. Ziel müsse es sein, „dass man eine Möglichkeit eines Waffenstillstands findet“. Dafür müsste im konkreten Fall aber sowohl eine Gesprächsbereitschaft der Ukraine als auch der Russischen Föderation vorhanden sein. „Das ist derzeit nicht absehbar, aber man darf nicht aufgeben.“


Weitere Milliarden der EU an die Ukraine

Die Ukraine erhielt laut Brüssel weitere EU-Finanzhilfen in Höhe von fünf Milliarden Euro. Die EU-Staaten nahmen die Milliardenhilfe am 20. September 2022 formell an, wie die tschechische Ratspräsidentschaft mitteilte. Damit nahm das Finanzpaket seine letzte Hürde und durfte somit in Kürze an ukrainische Behörden ausgezahlt werden. Zugleich will die EU etwa 15.000 ukrainische Soldaten ausbilden. Es gebe eine entsprechende Einigung des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK), hieß es am 9. Oktober 2022 aus EU-Kreisen.


Russland lässt in den besetzten Gebieten über Beitritt der Bevölkerung zur Russischen Föderation abstimmen - Warnung vor echtem Krieg gegen die NATO und USA

Moskau forcierte Ende September 2022 Abstimmungen der Bevölkerung in den ostukrainischen Regionen über einen Beitritt zur Russischen Föderation. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij reagierte mit demonstrativer Gelassenheit auf die Ankündigung von Scheinreferenden zur Annexion besetzter Gebiete seines Landes an Russland. Damit versuchte der Kreml, vollendete Tatsachen auf ukrainischem Boden zu schaffen.

So wurde von russischer Seite in den sozialen Netzwerken gewarnt, die russischen Gebietsgewinne zu akzeptieren oder einen „vollwertigen Krieg“ zu riskieren.

Der ehemalige russische Präsident und Putin-Unterstützer Dmitri Medwedew etwa betonte: „Das Eindringen in russisches Territorium ist ein Verbrechen, das es erlaubt, alle Kräfte der Selbstverteidigung einzusetzen.“ Damit würden dann Russland militärisch „nicht mehr die Hände gebunden“ sein.

Am 5. Oktober 2022 unterzeichnete Putin schließlich die Annexionsdekrete, da zuvor in Scheinreferenden die Bevölkerung in den ehemals ukrainischen Regionen klar für die Zugehörigkeit zu Russland gestimmt hatte.


Russische Teilmobilmachung

In einer vorab aufgezeichneten Rede verkündete der russische Präsident Putin am 21. September 2022 die Teilmobilmachung, d. h. die Einbeziehung von 300.000 russischen Reservisten, um das Heft des militärischen Handelns in der Ukraine wieder an sich zu reißen. Wörtlich unterstellte Putin dem Westen, Russland zerstören zu wollen: „Das Ziel des Westens ist es, unser Land zu schwächen, zu spalten und schließlich zu zerstören. Sie sagen bereits, dass sie 1991 in der Lage waren, die Sowjetunion aufzulösen, und dass nun die Zeit für Russland selbst gekommen ist, dass es sich auflösen soll. Und das planen sie schon seit Langem.“
In Russland selbst kam es in vielen russischen Städten und Regionen zu teils gewaltsamen Protesten der Bevölkerung gegen die Maßnahmen des Kremls. Die Polizei griff zum Teil mit brutaler Gewalt durch, um die Proteste zum Erliegen zu bringen.

Die USA und die NATO reagierten mit heftiger Kritik. US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete die von Russland geplanten Referenden als Scheinreferenden zur Annexion von besetzten ukrainischen Gebieten. Die USA würden solche Abstimmungen und daraus resultierende Gebietsansprüche Russlands niemals anerkennen. Laut Blinken war auch die Teilmobilmachung ein Zeichen der Schwäche und ein Zeichen des Scheiterns der russischen Vorhaben in der Ukraine.

Aus Sicht des EU-Außenbeauftragen Josep Borrell handle es sich um „einen weiteren Beweis dafür, dass Putin nicht an Frieden interessiert ist, sondern daran, seinen Angriffskrieg zu eskalieren“. Aus Sicht der EU-Kommission spielt Putin zudem ein sehr gefährliches „nukleares Spiel“.

Bei seiner Rede vor der UNO-Generalversammlung in New York brandmarkte US-Präsident Joe Biden am 21. September 2022 einmal mehr Russlands Vorgehensweise. „Sagen wir es geradeheraus: Ein ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrates hat seinen Nachbarn angegriffen“, begann er seine Ansprache. Und er fuhr fort: „Die Invasion der Ukraine sollte uns das Blut in den Adern gefrieren lassen. Bei diesem Krieg geht es darum, das Recht der Ukraine, als Staat zu existieren, auszulöschen.“ Russland habe die UNO-Charta schamlos verletzt. „Aber wir treten Russlands Aggression solidarisch entgegen.“ Biden warf dem russischen Präsidenten unter anderem vor, unverantwortliche nukleare Drohungen auszusprechen. „Ein Atomkrieg kann nie gewonnen werden und darf nie ausgetragen werden“, betonte Biden.

Während der französische Präsident Emanuel Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz Russlands Agieren in der Ukraine als „russischen Imperialismus“ brandmarkten, verteidigte der russische Außenminister Sergej Lawrow den offiziell weiterhin als russische „Spezialoperation“ bezeichneten Angriffskrieg im Nachbarland. Er warf dem Westen - und hier insbesondere den USA - vor, den Krieg mit der Lieferung moderner westlicher Waffen an die ukrainische Armee nur weiter zu verlängern. 


Kiewer Sarkasmus

Kiew antwortete mit Spott auf die Teilmobilmachung. Der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychailo Podoljak, fragte auf Twitter: „Läuft immer noch alles nach Plan oder doch nicht?“ Der für „drei Tage“ geplante Krieg dauere bereits 210 Tage. Die Russen, die eine Vernichtung der Ukraine forderten, hätten nun unter anderem die Mobilmachung, geschlossene Grenzen, blockierte Konten und Gefängnisstrafen für Deserteure erhalten. „Das Leben hat einen wunderbaren Sinn für Humor“, schloss Podoljak.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij forderte am selben Tag an der UNO-Generalversammlung eine Bestrafung Russlands wegen seines Angriffs auf die Ukraine. Neutralität sei angesichts der russischen Aggression keine Option. Mit Blick auf das umkämpfte Atomkraftwerk Saporischschja warnte Selenskij vor einer internationalen Nuklearkatastrophe. Selenskijs Rede wurde von den Vertretern der Weltgemeinschaft mit großem Beifall aufgenommen.


China bringt sich als Mediator und Vermittler ins Spiel

China hingegen rief alle Seiten zu Friedensverhandlungen auf, um den Konflikt einzudämmen. „Wir fordern alle maßgeblichen Parteien auf, durch Dialog und Konsultationen einen Waffenstillstand zu erreichen“, so das chinesische Außenministerium. Es müsse so schnell wie möglich eine Lösung gefunden werden, „die den legitimen Sicherheitsbedenken aller Parteien Rechnung trägt“.

China habe sich stets für „die souveräne und territoriale Integrität aller Länder“ sowie für die Einhaltung der UNO-Charta eingesetzt, so das chinesische Außenamt. China sei bereit, gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft eine „konstruktive Rolle bei der Deeskalation der Situation“ zu spielen.


Schlagabtausch im UNO-Sicherheitsrat

Die Ukraine und westliche Partner lieferten sich am 22. September 2022 im UNO-Sicherheitsrat einen heftigen Schlagabtausch mit Russland. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow trafen erstmals seit Kriegsbeginn im mächtigsten UNO-Gremium in New York aufeinander.
Kuleba beschuldigte Moskau schwerer Kriegsverbrechen und mahnte, Russland könne den Krieg nicht gewinnen. Die Chefdiplomaten der USA, Deutschlands und anderer westlicher Staaten äußerten sich ähnlich. Lawrow wiederum erhob schwere Vorwürfe gegen die Ukraine und beschuldigte den Westen, sich durch Waffenlieferungen und andere Unterstützung an Kiew direkt in den Krieg einzumischen.
Lawrow warf der Ukraine und dem Westen vor, ein völlig abwegiges Narrativ zu verbreiten, die Moskau als Aggressor hinstellen. Aus seiner Sicht ist Russland das Opfer. Der Skandal bestehe darin, dass die Ukraine straflos davonkommen könnte, so Lawrow. Wie schon so oft zeichnete er das Bild eines totalitären Nazi-Staates, dessen Bürger von Russland befreit werden müssten. In Wirklichkeit seien es die Ukrainer, die Gräueltaten begingen. Es sei die Ukraine, nicht Russland, welche die UNO-Charta missachte, schloss Lawrow.[7] Der russische Außenminister sprach neuerlich von einer „militärischen Spezialoperation“. Das „Regime“ in Kiew, geführt von „Neonazis“ und vom Westen unterstützt, töte und unterdrücke die russisch-sprachige Bevölkerung in der Region Donbass. Lawrows zynisches Fazit: „Die militärische Spezialoperation war unvermeidlich.“

Auch China und Indien, die beide enge Beziehungen zu Russland unterhalten, ließen keinerlei Sympathien für Putins Angriffskrieg in der Ukraine erkennen. Sie forderten ein Ende der Gewalt. Chinas Außenminister Wang Yi mahnte sogar: „Die Prinzipien der UNO-Charta müssen befolgt werden.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij warnte per Videozuschaltung vor einer Zerstörung der internationalen Diplomatie durch Russland. Die Vertreter Moskaus hätten im UNO-Sicherheitsrat keine Waffen benutzt, sagte Selenskij. „Aber sicherlich wird es niemanden überraschen, wenn diese Rolle des UNO-Sicherheitsrates zur Zone der Gewalt seitens der Vertreter Russlands wird.“ Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Moskau die letzte noch funktionierende internationale Institution zerstöre, so der ukrainische Präsident.


Scheinreferenden für Beitritt zu Russland in besetzten Gebieten - Westen mit weiteren Sanktionen

Während Putin Scheinreferenden für einen Beitritt zu Russland in den besetzten ukrainischen Gebieten gegen Ende September 2022 durchführen ließ, drohte der Westen mit weiteren harten Sanktionen gegen Moskau.
Ziel des Kremls war es, mit der Einbeziehung der ehemals ukrainischen Landstriche in die Russische Föderation die Handhabe zu erhalten, letztlich mit allen zur Verfügung stehenden militärischen Mitteln (im Extremfall auch mit taktischen Atomwaffen) Angriffe auf „eigenes Territorium“ (gemäß der russischen Militärdoktrin) abzuwehren.

US-Präsident Joe Biden drohte Russland für den Fall von Annexionen nach den „Referenden“ in von Russland kontrollierten Gebieten in der Ukraine mit harten Sanktionen. „Russlands Referenden sind eine Farce - ein Vorwand für den Versuch, Teile der Ukraine gewaltsam zu annektieren, was eine eklatante Verletzung des Völkerrechts darstellt“, so Biden am 23. September 2022. Die USA würden gemeinsam mit ihren Verbündeten und Partnern daran arbeiten, dass in diesem Fall weitere „schnelle und harte“ wirtschaftliche Maßnahmen gegen Russland ergriffen würden, hieß es.

Dennoch anerkannte der russische Präsident Putin Ende September 2022 in einem weiteren völkerrechtswidrigen Akt die besetzten ukrainischen Gebiete Cherson und Saporischschja als unabhängige Staaten. Die entsprechenden Dekrete des Kremlchefs wurden in Moskau veröffentlicht. Sie galten als Voraussetzung dafür, dass die Regionen ihre Aufnahme in die Russische Föderation beantragen können. Alle vier Gebiete beantragten den Beitritt zu Russland, den Putin bei einem Festakt im Kreml formalisierte.

Einmal mehr bekräftigte Putin, dass Russland sich mit „allen Mitteln“ weiter „verteidigen“ werde. In seiner Rede griff Putin auch den Westen erneut scharf an. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion habe man dort entschieden, die Welt „mit seiner Diktatur“ zu überziehen, so Putin. Russland versuche nicht, die Sowjetunion wieder auferstehen zu lassen. Der Westen dagegen suche auch weiterhin nach Wegen, um Russland zu schwächen.


UNO verurteilt Scheinreferenden und Annexion ukrainisch besetzter Gebiete durch Russland

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres kritisierte den von Russland Ende September durch den Kreml abgesegneten Vollzug der Annexion von vier ukrainischen Regionen nach umstrittenen „Referenden“ scharf. „Jede Entscheidung, mit der Annexion der Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja in der Ukraine voranzuschreiten, hätte keinen rechtlichen Wert und verdient eine Verurteilung“, so Guterres. „Es ist eine gefährliche Eskalation. Es hat keinen Platz in der modernen Welt. Es darf nicht akzeptiert werden“, so Guterres weiter.[8]
Guterres hielt fest, dass die „Referenden“ nicht als „echter Ausdruck des Willen des Volkes“ betrachtet werden könnten. Die Abstimmungen seien inmitten eines bewaffneten Konflikts in von Russland besetzten Gebieten und außerhalb des rechtlichen und verfassungsmäßigen Rahmens der Ukraine abgehalten worden.


Moskau hält die atomare Angriffsoption aufrecht

Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew sagte am 27. September 2022 via Telegram, sein Land habe das Recht, sich im Zweifel mit Atomwaffen zu verteidigen. „Angenommen, Russland ist gezwungen, die fürchterlichste Waffe gegen das ukrainische Regime einzusetzen, das eine schwere Aggression begangen hat, die für die Existenz unseres Staates gefährlich ist“, schrieb Medwedew. „Ich glaube, dass sich die NATO auch in dem Fall nicht direkt in den Konflikt einmischen würde … . Die Demagogen jenseits des Ozeans und in Europa werden nicht in einer nuklearen Apokalypse sterben.“[9]


Selenskij gießt Öl ins Feuer

Die NATO müsse nach Ansicht des ukrainischen Präsidenten die Möglichkeit eines russischen Atomwaffeneinsatzes verhindern - notfalls mit Präventivschlägen. Selenskij betonte bei einem Auftritt vor dem Lowy Institut im australischen Sydney gestern die Bedeutung von Präventivmaßnahmen. Ein Selenskij-Sprecher erklärte umgehend, Selenskijs Forderung sei falsch verstanden worden. Der ukrainische Präsident habe lediglich gesagt, vor dem 24. Februar - dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine - wären Präventivmaßnahmen nötig gewesen, um den Krieg zu verhindern.

Der Kreml kritisierte die Äußerungen Selenskijs scharf und warf ihm vor, „zum Beginn des Dritten Weltkriegs“ aufzurufen.

Demgegenüber erwiderte Selenskij, dass „Putin einen möglichen Atomschlag gegen die Ukraine nicht überleben“ werde.


Offensichtlich gezielte Sabotageakte an „Nordstream 1“- und Nordstream 2“-Gaspipelines

Währenddessen wurden gegen Ende September 2022 an den russischen Gaspipelines „Nord Stream 1“ und „Nord Stream 2“ Sabotageakte durchgeführt.
Die Gaslecks in den Ostsee-Pipelines „Nord Stream 1“ und „Nord Stream 2“ seien nach Angaben der dänischen Regierung nicht auf einen Unfall zurückzuführen. Die Behörden seien zu der eindeutigen Bewertung gekommen, dass es sich um absichtliche Taten handle und nicht um ein Unglück, sagte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am 27. September 2022 in Kopenhagen. Innerhalb kurzer Zeit seien mehrere Explosionen beobachtet worden. Es gab noch keine Informationen dazu, wer dahinterstecke. Zu den Vorfällen sei es in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens vor der Ostsee-Insel Bornholm gekommen. Auch Schweden erkannte einen vorsätzlichen Sabotageakt.
Mittlerweile ging auch die NATO und die EU von Sabotageakten aus.
Auch Russland führte die Pipelinelecks auf einen „Akt des Terrorismus“ zurück. Zumindest sehe es danach aus, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am 29. September 2022. Die Aufklärung der Umstände erfordere eine Zusammenarbeit mehrerer Staaten, betonte er.
US-Präsident Biden sagte dem ukrainischen Amtskollegen in einem Telefonat am 4. Oktober 2022 weitere Waffenlieferungen im Wert von 625 Millionen US-Dollar zu. Das Paket beinhalte unter anderem weitere Mehrfachraketenwerfer vom Typ HIMARS, Munition und gepanzerte Fahrzeuge, wie das Weiße Haus mitteilte.


AKW Saporischschja nunmehr formell unter russischer Aufsicht

Russland stellt das AKW Saporischschja am 5. Oktober 2022 nunmehr offiziell unter die Aufsicht russischer Behörden. Das Atomkraftwerk wird von Russland kontrolliert, aber noch von ukrainischen Technikern betrieben. Das AKW wurde schließlich von russischer Seite vom ukrainischen Stromnetz genommen.



EU bringt weiteres Sanktionspaket gegen Russland auf den Weg

„Wir setzen Russlands Kriegswirtschaft weiter zu, begrenzen Russlands Import-/Exportkapazitäten und sind auf dem besten Weg, uns aus der russischen Energieabhängigkeit zu befreien“, betonte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am 6. Oktober 2022. Teil des Pakets ist unter anderem die rechtliche Grundlage für einen von den G-7-Staaten unterstützten Preisdeckel auf Ölimporte aus Russland. Dieser soll die Einnahmen Moskaus deutlich reduzieren.

So soll der Seetransport von Erdölprodukten und Rohöl aus Russland weltweit nur noch möglich sein, wenn das Öl unter einem bestimmten Preis gekauft wurde. Gelingen soll das, indem bestimmte Dienstleistungen wie Versicherungen für Öltransporte an die Einhaltung der Regel geknüpft werden.

Der Kreml bezeichnete den Preisdeckel auf russisches Erdöl als Teil des EU-Sanktionspakets als „absurd“. Das wirke sich sehr destruktiv auf die Energiemärkte aus und schade damit praktisch allen Staaten, hieß es.


Russisches Außenamt: Österreichs Neutralität „unterhöhlt“

Der für Österreich zuständige Abteilungsleiter im russischen Außenministerium, Oleg Tjapkin, schloss am 6. Oktober 2022 aus, dass Österreich zwischen Russland und der Ukraine eine Vermittlungsrolle spielen könnte. „Es muss mit Bedauern festgestellt werden, dass die österreichische Neutralität in der Tat unterhöhlt wird“, so die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Die österreichische Regierung habe alle „antirussischen Sanktionsmaßnahmen“ der EU unterstützt, sich durch scharfe „antirussische Erklärungen“ ausgezeichnet und „einen Beitrag in einer inszenierten Kampagne zur Ausweisung russischer Diplomaten“ gespielt, meinte Tjapkin.
„Wie sehr sich offizielle Vertreter Österreichs auch bemühen mögen, sich selbst und die Öffentlichkeit von der Unerschütterlichkeit der Neutralität zu überzeugen - die Fakten sprechen vom Gegenteil“, antwortete der hochrangige Diplomat.
RIA Nowosti hatte konkret gefragt, ob Österreich die Interessen der Ukraine in Russland vertreten könne und nach „scharfen Äußerungen“ von Bundespräsident Alexander Van der Bellen noch als Vermittler zwischen Moskau und Kiew auftreten könne.


Offensichtlicher ukrainischer Sabotageakt: Krim-Brücke mittels Autobombe schwer beschädigt

Auf der Krim-Brücke explodierte am 8. Oktober 2022 nach Angaben der russischen Behörden eine Autobombe, die einen Großbrand auslöste. Dadurch waren sieben Tanks eines Güterzuges - Straße und Bahnlinie verlaufen parallel auf der Brücke - auf dem Weg zur Halbinsel Krim in Brand geraten.
Kiew drohte in der Vergangenheit immer wieder damit, die vom russischen Präsidenten Putin eingeweihte Brücke zwischen der Halbinsel und dem russischen Festland unter Beschuss zu nehmen. Zuletzt kam es in der Region Kertsch, die auf der Krim direkt an die Brücke grenzt, immer wieder zu Zwischenfällen mit Drohnen, die explodierten.
Russland hatte eindringlich davor gewarnt, die Brücke - ein zentrales strategisches Bauwerk - unter Beschuss zu nehmen, und für den Fall auch damit gedroht, Kommandozentralen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ins Visier zu nehmen.


Abgeschlossen: Mitte Oktober 2022


Anmerkungen:

[1] Dazu etwa: David Saw, „THE RISE AND FALL OF THE RUSSIAN BATTALION TACTICAL GROUP CONCEPT“. In: European Security & Defence 5/2022, S. 88-91.

[2] REDE ZUR LAGE DER UNION - „Putin wird scheitern, Europa wird siegen“. In: FAZ-Online v. 14.9.2022: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ursula-von-der-leyen-putin-wird-scheitern-europa-wird-siegen-18315219.html

[3] Xi scheint Putins Krieg nicht zu unterstützen. In: FAZ-Online v. 15.9.2022: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/xi-jinping-scheint-putins-krieg-gegen-die-ukraine-nicht-zu-unterstuetzen-18318469.html

[4] Türkei will Schanghai-Gruppe beitreten. In: FAZ-Online v. 17.9.2022: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/erdogan-tuerkei-will-shanghai-gruppe-beitreten-18324418.html

[5] Turkey President Erdoğan on Russia’s invasion of Ukraine and the future of NATO. In: PBS NEWS-Online v. 19.9.2022: https://www.pbs.org/newshour/show/turkey-president-erdogan-on-russias-invasion-of-ukraine-and-the-future-of-nato

[6] Anfang Oktober 2022 gab die OMV das Ende der Reparaturarbeiten bekannt.

[7] Russia’s Sergei Lavrov trades barbs with western officials at UN Security Council. In: FINANCIAL TIMES-Online v. 22.9.2022: https://www.ft.com/content/6638a1bb-98c0-43a8-88b6-b74d617a4edf

[8] António Guterres (UN Secretary-General) on annexation of Ukrainian territory - Press Conference. In: UN Web TV v. 29.9.2022: https://media.un.org/en/asset/k1z/k1zw1ghj7s

[9] Medwedew: Russland hat Recht auf Einsatz von Atomwaffen. In: HANDELSBLATT-Online v. 27.9.2022: https://www.handelsblatt.com/dpa/medwedew-russland-hat-recht-auf-einsatz-von-atomwaffen/28708212.html

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UKRAINE

Update Mitte September 2022

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Die Ursprünge des Krieges in der Ukraine gehen weit in die Geschichte zurück. Die damit verbundenen Herausforderungen sind von entscheidender Bedeutung. Sie gehen über einen einfachen Bürgerkrieg innerhalb der slawischen Welt hinaus und betreffen ganz Europa und seine Zukunft. Dieser Krieg könnte zum Alptraum eines neuen eurasischen Bürgerkrieges werden. Trotz der beschwörenden Appelle an die Diplomatie ist sein Ausgang wahrscheinlich nicht anders zu erkennen, als dass einer der beiden Seiten am Ende militärisch erschöpft aufgeben könnte. Die Gefahr eines Anstiegs der Extreme und eines weltweiten Flächenbrandes kann nicht ausgeschlossen werden. Dies wird sicherlich von der Haltung Chinas abhängen, dessen Verhalten sehr genau beobachtet und analysiert werden muss.[1]

Die jüngsten vor allem mit modernsten westlichen Waffensystemen ausgestatteten ukrainischen militärischen Erfolge am Schlachtfeld dürften an der verfahrenen Lage kaum etwas ändern. Ein Kompromissfrieden scheint nicht in Sicht zu sein. 

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat in der Ukraine aufgrund der von den Mitgliedstaaten bewusst gewollten Einschränkungen ihrer Tätigkeit versagt, so manche Kritiker.[2] Das ab 1975 eingeführte Instrument behält jedoch seine Relevanz und könnte nach dem Konflikt eine Rolle spielen. Voraussetzung dafür ist, dass einige Staaten, darunter Russland, bereit sind, die OSZE zu unterstützen, indem sie ihr die nötigen Mittel zur Verfügung stellen.

Während Russlands „militärische Sonderoperation“ in der Ukraine (so die russische Bezeichnung des Angriffskrieges auf die Ukraine) andauert, und es allen Beobachtern schwer zu fallen scheint, zu erahnen oder sich vorzustellen, wie dieser Angriffskrieg enden wird, sollte man sich die Möglichkeiten vor Augen halten, die eine oft ignorierte, unterschätzte oder vernachlässigte Institution bietet: die OSZE.

Mit ihrem ursprünglichen Namen „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)“ ist die heutige OSZE die einzige internationale Arena, in der die Konfliktparteien regelmäßig miteinander sprechen. Der Ständige Rat der OSZE ist ihr Leitungsorgan. Er versammelt alle Ständigen Vertreter (StR-Botschafter) der 57 Teilnehmerstaaten und tritt jeden Donnerstag zusammen. So haben die Leiter der nationalen Delegationen jede Woche Gelegenheit, sich zu den Themen zu äußern, die der amtierende Vorsitz auf Vorschlag auf die Tagesordnung des Treffens gesetzt hat. Seit 2014 wird die Ukraine-Frage mit metronomischer Regelmäßigkeit angesprochen und führt zu einem oftmals rauen Meinungsaustausch. Die Art dieser Interventionen hat sich im Zuge der russischen Aggression gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 noch weiter verhärtet. Nichtsdestotrotz wird der Austausch fortgesetzt, auch wenn der Begriff „Dialog“ deplatziert erscheinen mag. Die Interventionen werden in Verbindung mit den Hauptstädten ausgearbeitet.

Die OSZE ist eine politisch-diplomatische Organisation, deren allgemeines Mandat darin besteht, ein stabiles und sicheres Umfeld für ihre Teilnehmerstaaten zu gewährleisten. Dabei muss zwischen einer rein politischen und einer strukturellen Ebene unterschieden werden. Sehr grob gesagt, bietet die politische Ebene einen Rahmen für die Pflege des Dialogs und das Treffen wichtiger Entscheidungen. Die Struktur setzt diese Entscheidungen um, unterstützt den Dialog und/oder bietet programmatische Aktivitäten an.

Wenn der Frieden zwischen Russland und der Ukraine irgendwann wieder eingekehrt ist und die Spannungen abgebaut sind, kann die OSZE wieder ein ernsthafter Akteur im Raum der kooperativen Sicherheit sein, den sie bis Anfang der 2000er-Jahre gemäß ihrer Berufung dargestellt hat. Die OSZE kann die Sicherheit des euro-atlantischen und eurasischen Raums wieder in die Hand nehmen, indem sie sich weigert, sich der Bequemlichkeit der „politischen Korrektheit“ zu beugen, sich von Nebenkriegsschauplätzen fernhält, die dazu beigetragen haben könnten, sie für einige Staaten unglaubwürdig zu machen. Die OSZE müsse sich verstärkt auf ihren Gründungsauftrag konzentrieren. Alle strukturellen und regulatorischen Mittel, über die sie verfügt, können dann auf einen kollektiven politischen Willen treffen.


Gezerre um russische Gaslieferungen geht weiter

Eine Lieferung der in Deutschland bereitstehenden Turbine für die Pipeline „Nord Stream 1“ nach Russland sei nach Angaben des russischen Konzerns Gazprom wegen der gegen Moskau verhängten Sanktionen „unmöglich“. In einer Anfang August 2022 veröffentlichten Erklärung führte das Unternehmen zudem „Unklarheiten bei der aktuellen Situation bezüglich der vertraglichen Verpflichtungen von Siemens“ an. Beides zusammen mache „die Lieferung unmöglich“.

Zuvor hatte der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) Russland vorgeworfen, die Lieferung der wichtigen Turbine zu blockieren, um die gelieferte Gasmenge weiterhin zu drosseln. Deutschland sucht händeringend nach alternativen Energiequellen, um die durch die reduzierten Gaslieferungen aus Moskau entstandene Lücke zu schließen.

Mit dem Fehlen der Siemens-Turbine, die von Kanada gewartet worden war, hatte der russische Energiekonzern Gazprom die Reduzierung der Gaslieferungen auf inzwischen nur noch 20 Prozent des möglichen Umfangs begründet.[3]

Das russische Staatsunternehmen Transneft löste im Westen zudem weitere Sorge um die Energiesicherheit aus: Am 9. August 2022 verkündete die Betreiberfirma der „Druschba“-Pipeline, es fließe kein russisches Erdöl mehr durch die Ukraine nach Europa. Betroffen sind vor allem Ungarn, die Slowakei und Tschechien.

Mitte August gab der russische Energiekonzern Gazprom bekannt, dass erneut Wartungsarbeiten für „Nord Stream 1“ fällig sein würden und dadurch wieder für einige Tage kein Gas nach Europa gelangen könne.

Moskau schloss schließlich Anfang September 2022 auf unbestimmte Zeit die Ostsee-Pipeline „Nord Stream 1“. Die Entscheidung kam unmittelbar nach der Ankündigung westlicher Länder, einen weltweiten Preisdeckel für russisches Erdöl einzuführen. Eine Zersplitterung der Energiemärkte könnte damit drohen. Damit bezweckte Moskau offenbar, die EU-Staaten und Gesellschaften in ihrer scheinbaren Einheitsfront gegen Russland zu spalten und längerfristig eine Aufhebung der westlichen Sanktionen zu erzwingen.

Der russische Gaskonzern Gazprom machte den Lieferstopp über die Ostseepipeline „Nord Stream 1“ an einem angeblichen Konstruktionsfehler der eingesetzten Turbine von Siemens Energy fest. Wegen erhöhter Brand- und Explosionsgefahr habe man den Weiterbetrieb der Turbine untersagt. Ein Betrieb mit den festgestellten Mängeln widerspreche „den Normen der russischen Gesetzgebung“, hieß es.

Während EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 7. September 2022 einen Preisdeckel für Gasimporte aus Russland forderte, um damit Moskau die weitere Finanzierung der Kampfhandlungen in der Ukraine zu vereiteln, drohte Putin im Gegenzug in einem solchen Fall mit einem generellen Gaslieferstopp nach Europa.


Harsche Worte Putins am östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok   

Auf dem östlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok hielt Putin am 7. September 2022 fest, dass das Ansinnen des Westens, Russland international zu isolieren, misslungen sei. In seiner Rede verurteilte der russische Präsident die Sanktionspolitik des Westens als wirtschaftliche Aggression gegen Russland und die Welt. Das „Sanktionsfieber des Westens“ bedrohe „die ganze Welt“, so Putin in seiner Rede. Der Westen wolle anderen Ländern seinen Willen aufzwingen, verkenne dabei aber die „tektonischen, nicht wieder rückgängig zu machenden Veränderungen“ in der Weltpolitik. Ein zunehmender Graben zwischen den Regierenden und der Bevölkerung im Westen sei erkennbar. Auch die westlichen Firmen litten unter der Politik ihrer Länder: Ihnen werde der Zugang zu Rohstoffen verbaut. Davon profitierten die USA, unter deren Diktat die europäischen Regierungen stünden. Und während in Russland die Inflation ebenfalls hoch sei, aber in der Tendenz sinkend, steige sie im Westen immer weiter. Die Folgen davon trügen auch die Schwellen- und Entwicklungsländer wegen der hohen Lebensmittelpreise.

Speziell warf Putin dem Westen „Betrug beim Getreidedeal“ vor, der mit türkischer Vermittlung die Ausfuhr ukrainischen Getreides regeln sollte. Nur 2 von bisher 87 Frachtschiffen seien in Entwicklungsländer gegangen, der Rest des Getreides habe der Westen selbst für sich vereinnahmt, so der Kremlchef. Der Westen wies die Anschuldigungen in dieser Frage kategorisch zurück.

Wer behaupte, Russland benutze das Erdgas und besonders die Situation rund um „Nord Stream 1“ als Waffe, erzähle Unsinn, so Putin weiter. Die Europäer hätten jahrzehntelang von guten Lieferbedingungen zu beidseitiger Zufriedenheit profitiert. Es sei ihre Entscheidung, wenn sie die Vorzüge von Pipeline-Gas nicht mehr schätzten würden, so Putin. Als „Dummheit“ bezeichnete der russische Präsident den angedachten Preisdeckel für Erdgas. Das widerspreche der Marktwirtschaft und treibe die Preise erst recht nach oben. Russland lasse sich nicht auf vertragswidrige Zwänge ein. Dann stelle es einfach die Lieferungen aller Rohstoffe ein, und Europa werde frieren, so Putin.[4]

Putin verteidigte einmal mehr den Angriff Russlands auf die Ukraine, als angeblich notwendig zum Schutz seines Landes. „Ich kann sagen, dass der hauptsächliche Zugewinn die Stärkung unserer Souveränität ist - und das ist ein unweigerliches Ergebnis dessen, was gerade passiert.“ Mit Blick auf den Krieg fügte er an: „Wir haben (dadurch) nichts verloren und werden nichts verlieren.“

Mitte September 2022 konnten die ukrainischen Streitkräfte mit Hilfe modernster westlicher Waffensysteme erkennbare militärische Erfolge insbesondere im Nordosten des Landes gegen die russischen Truppen erzielen. Durch die ukrainische Gegenoffensive in der nordöstlichen Provinz Charkiw verloren die russischen Einheiten ca. 8.000 Quadratkilometer Territorium.

 

Ukrainisches AKW unter Beschuss

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage warfen sich Russland und die Ukraine gegenseitig den Beschuss des südukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja vor. Die ukrainische Armee habe in der Nacht auf den 7. August 2022 eine Rakete auf das AKW-Gelände abgefeuert, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax. Die ukrainische Atombehörde Enerhoatom hingegen beschuldigte die russischen Einheiten, das unter ihrer Kontrolle stehende Gelände selbst beschossen zu haben. Bei dem Angriff seien ein Lager für abgebrannten Kernbrennstoff getroffen und Sensoren zur Strahlenmessung beschädigt worden, hieß es.

Der ukrainische Präsident Selenski forderte harte Sanktionen gegen die russische Atomindustrie.

Der Generaldirektor der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), Rafael Mariano Grossi, pochte wiederholt darauf, das von russischen Einheiten besetzte Atomkraftwerk Saporischschja besuchen zu können. Das AKW befindet sich gut fünfzig Kilometer von der gleichnamigen Provinzhauptstadt entfernt bei Enerhodar am linken Ufer des Dnipro. Es liegt damit in unmittelbarer Nähe zu von der ukrainischen Armee gehaltenem Territorium. Anfang März 2022 wurde es nach kurzen Kämpfen von russischen Truppen erobert und steht seither unter ihrer Kontrolle. Die ukrainische Belegschaft arbeitet aber weiterhin dort. [5]

Dass sich die Sicherheit der Anlage in den vergangenen Kriegsmonaten verschlechtert hatte, daran ließ IAEA-Chef Grossi keinen Zweifel: Keines der Grundprinzipien für den sicheren Betrieb eines Werks auch in Kriegszeiten werde befolgt, so Grossi. Dazu gehörten die Unversehrtheit der Anlage und ihrer Sicherheitssysteme, intakte Arbeitsbedingungen für das Personal, ausreichender Nachschub an Strom und Ersatzteilen sowie die regelmäßige Überwachung der Strahlenbelastung.

Sorge bereitete Grossi, dass die IAEA nur noch sporadischen Kontakt zu den Betreibern des AKW habe. Er rief die russischen Besetzer ausdrücklich auf, auf Druck und Drohungen gegenüber der Belegschaft zu verzichten, damit sie ihrer Arbeit in Ruhe nachgehen könne.


Der Bau der Anlage, des größten AKW in Europa, wurde noch zu Sowjetzeiten Anfang der 1980er Jahre begonnen und 1995 fertiggestellt. Das AKW verfügt über sechs 950-Megawatt-Reaktoren und soll bis zu 20 Prozent des Strombedarfs des Lands decken können. Bei den Reaktoren handelt es sich um Druckwasserreaktoren, in denen das Wasser sowohl als Kühlmittel als auch als Moderator dient, der die Neutronen abbremst, die bei der Kernspaltung erzeugt werden. Das macht sie ungleich sicherer als den Unglücksreaktor von Tschernobyl, in dem Grafit als Moderator verwendet wurde. Laut IAEA geht die größte Gefahr von der Beschädigung der Hochspannungsleitungen aus, die das AKW mit Strom versorgen. Ohne Strom funktionieren die Kühlsysteme der Reaktoren nicht. Zwar springen dann Dieselgeneratoren ein, mit denen ein Notfall-Kühlsystem betrieben werden kann. Doch die Dieselgeneratoren können in einem solchen speziellen Fall relativ leicht Feuer fangen.[6]


Schließlich kam Mitte August 2022 Bewegung in das festgefahrene diplomatische Ringen um das AKW Saporischschja. So hielt Moskau nun fest, dass es Aufgabe des UNO-Sekretariats sei, grünes Licht zu geben für einen Besuch des AKW von IAEA-Experten.

Währenddessen warfen sich die russische und ukrainische Seite jeweils weiter vor, die Anlage mutwillig zu beschießen, wonach die Gefahr eines möglichen Austritts von Radioaktivität im Falle einer Zerstörung deutlich steigen würde. Der letzte in Betrieb befindliche Reaktorblock des Atomkraftwerks wurde schließlich am 5. September 2022 abgeschaltet. Grund sei ein durch Angriffe ausgelöstes Feuer, das eine Stromleitung zwischen dem Kraftwerk und dem ukrainischen Stromnetz beschädigt habe, hieß es.

Am 31. August 2022 traf schließlich eine IAEA-Delegation beim Kraftwerk zu Inspektionsarbeiten ein. Ein nach Inspektion der Anlage erstellter Bericht stellte die Sorge über den Zustand des Atomkraftwerks Saporischschja und eines drohenden atomaren Unfalls in den Mittelpunkt. Erforderlich seien sofortige Maßnahmen, um das zu verhindern, inklusive einer Sicherheitszone um das AKW, hieß es in dem Bericht.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte die Kriegsparteien einmal mehr dazu auf, sich auf eine kampffreie Zone um das gefährdete AKW zu einigen. „Russische und ukrainische Streitkräfte müssen sich verpflichten, keine militärischen Aktivitäten in Richtung des Werksgeländes oder vom Werksgelände aus durchzuführen.“

Am 11. September setzten sich der französische Präsident Emmanuel Macron und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin telefonisch über die prekäre Lage rund um das betroffene Kraftwerk auseinander. Putin forderte ein internationales Einwirken auf die Ukraine, damit Kiew ihre Angriffe auf die Anlage einstelle, hieß es. Die ukrainische Seite wiederum warf und wirft den russischen Truppen immer wieder vor, das seit März unter ihrer Kontrolle stehende AKW selbst zu beschießen.

Die ukrainische wie die russische Seite bestätigten Mitte September 2022 die Abschaltung des Kraftwerks, auf dessen Gelände zur Beobachtung der Lage weiter zwei IAEA-Experten stationiert blieben.


Internet in Ukraine zunehmend von Russland dominiert

Die Besetzung ukrainischer Gebiete durch Russland hat auch Auswirkungen auf das Internet. In Cherson etwa wird bereits seit mehreren Monaten der gesamte Internetverkehr umgeleitet - und zwar über die von Russland annektierte Halbinsel Krim und von dort Richtung Russland. So leiten russische Behörden den Internetverkehr über Russland um. Dienste wie Facebook und Twitter werden blockiert und auch der Zugang zu Nachrichtenseiten würde eingeschränkt, hieß es von ukrainischer Seite.[7]

Auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim hat der Kreml schon 2014 die Weichen für die Telekommunikation gestellt. Das russische Telekomunternehmen Rostelekom eröffnete dort einen Ableger unter dem Namen Miranda-Media, der jetzt der Knotenpunkt ist, über den auch Cherson ans Internet angebunden ist. Einziger Verbindungspartner von Miranda-Media ist Rostelekom, die Daten gelangen also weiter Richtung Moskau. Russland legte darüber hinaus auch ein 46 Kilometer langes Unterwasserkabel von der Hafenstadt Kertsch im Osten der Krim zum russischen Festland. Das führte dazu, dass Verbindungen zu russischen Seiten schneller aufgebaut, Server in der Ukraine und im restlichen Europa dafür umso langsamer erreicht wurden, wurde von Kiew betont. Wenn der Datenverkehr von russischen Behörden geführt und überwacht wird, dann hat die russische Regierung die Möglichkeit, Verbindungen mit der Außenwelt zu überwachen, abzufangen und zu blockieren. Zensur ist dabei ein wichtiger Bestandteil der russischen Truppen in den von Moskau besetzten ukrainischen Territorien, um die ukrainische Bevölkerung nunmehr mit den „richtigen“ News zu versorgen.[8] 

Natürlich gibt es auch von ukrainischer Seite starke Bestrebungen, auf der Propagandaseite ebenfalls die für sie positiven Informationen und Sichtweisen in TV und Social Media publik zu machen. Das ukrainische Internet ist mehr oder weniger das „Sprachrohr zur Außenwelt“.[9]


Ungarn bekommt zusätzliches Erdgas aus Russland

Russland startete am 14. August 2022 nach Angaben des ungarischen Außenministeriums mit zusätzlichen Gaslieferungen an das EU-Mitgliedsland Ungarn. Nach Verhandlungen zwischen Moskau und dem ungarischen Außenminister Peter Szijjarto im Juli habe der russische Konzern Gazprom begonnen, mehr Gas als „bereits vertraglich vereinbart“ zu liefern, hieß es.

Nach seinen Angaben würden bis Ende August 2022 zusätzlich 2,6 Millionen Kubikmeter pro Tag durch die „TurkStream“-Pipeline nach Ungarn kommen. Das ungarische Außenministerium betonte, es sei „die Pflicht der ungarischen Regierung, die sichere Versorgung des Landes mit Erdgas zu gewährleisten“.

Außenminister Szijjarto war im Juli zu einem unangekündigten Besuch nach Moskau gereist, um dort über den Kauf von 700 Millionen zusätzliche Kubikmeter Gas zu sprechen. Der Erwerb von derart großen Mengen Gas sei angesichts der derzeitigen „europäischen Marktbedingungen“ ohne russische Quellen „unmöglich“, wurde betont.


Bulgarien will wieder russisches Gas liefern lassen

Während die proeuropäischen Kräfte eine Wiederaufnahme des Liefervertrages mit dem russischen Energieriesen Gazprom weiter ablehnten, befürwortete die Übergangsregierung unter Ministerpräsidenten Galab Donew Anfang September 2022 die umstrittenen Gespräche mit der russischen Seite. „Als geschäftsführende Regierung wollen wir das zu Ende führen, was wir als Vereinbarung bereits haben“, betonte der 55-jährige. Der langfristige Vertrag mit Gazprom läuft erst Ende 2022 aus.

Die mittlerweile wieder gestürzte pro-westliche Vorgängerregierung hatte Ende April 2022 den Vertrag mit Gazprom eingestellt. Sofia wollte die Rechnungen nicht in Rubel zahlen, was der weltgrößte Gaskonzern zuvor verlangt hatte. Diese Entscheidung, mit Gazprom über Gaslieferungen zu verhandeln, spaltet die Gesellschaft Bulgariens.

Russland galt über Jahrzehnte als verlässlicher Freund Bulgariens. Schließlich ist das ärmste Land der EU von den Gaslieferungen des staatlichen Energiekonzerns Gazprom abhängig. Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine änderte sich das Verhältnis radikal. Die prowestliche Regierung stand fest an der Seite der Sanktionsbefürworter in der EU. Bulgarien gehörte daher zu den ersten EU-Ländern, bei denen Moskau den Gashahn abdrehte.[10]


USA kritisieren Indien

Die USA warfen Indien einen Bruch der Wirtschaftssanktionen gegen Russland vor. Demzufolge habe ein russischer Tanker auf offener See an ein indisches Schiff Öl übergeben, das dann in Indien verarbeitet und schließlich in die USA exportiert worden sei, hieß es.

Indien ist einer der größten Ölimporteure der Welt. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den westlichen Sanktionen gegen Russland ist Indien auch einer der bedeutendsten Abnehmer von russischem Erdöl.

Unterdessen wurde bekannt, dass Indien gemeinsam mit China, Weißrussland und Tadschikistan Truppen nach Russland entsende, um dort mit russischen Einheiten ein Militärmanöver abzuhalten.


Tochter von Putins Chefideologe Alexander Dugin kommt durch Autobombe ums Leben - Kiew weist jede Verantwortung von sich

Bei einem mutmaßlichen Mordanschlag in der Nähe von Moskau wurde nach Angaben russischer Ermittler die Tochter des rechtsnationalistischen Ideologen Alexander Dugin getötet. „Die Identität der Toten ist geklärt - es ist die Journalistin und Politologin Darja Dugina“, teilte das nationale Ermittlungskomitee am 21. August 2022 mit.

Eigentliches Ziel der Täter dürfte aber ihr Vater, Putins Chefideologe Alexander Dugin, gewesen sein.

Während Moskau von einer gezielten ukrainischen Aktion sprach, wies Kiew jegliche Verantwortung für das Attentat von sich.


EU kündigt Abkommen zu Visaerleichterungen mit Moskau auf

Die EU erklärte Ende August 2022, dass man ein mit Russland geschlossenes Abkommen zur Erleichterung der Visavergabe für Reisende vollständig aussetzen werde. Das kündigte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach Beratungen der Außenministerinnen und -minister in Prag an. Der Schritt war eine weitere Strafmaßnahme in Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er zielte darauf ab, den Mitgliedstaaten unkompliziert Einreisebeschränkungen für Russinnen und Russen zu ermöglichen und die Kosten und den Aufwand für Antragstellerinnen und -steller zu erhöhen.

Gleichzeitig hielt die EU angesichts vermehrter Rufe nach einer Aufhebung der Energiesanktionen gegen Russland an der harten Gangart gegen Moskau fest.


Putins Schutz der „russischen Welt“

Der russische Präsident Putin gab Anfang September 2022 der neuen außenpolitische Doktrin grünes Licht, die auf dem Konzept der „russischen Welt“ basiert. Russland solle „die Traditionen und Ideale der russischen Welt schützen, bewahren und fördern“, hieß es. „Die Russische Föderation unterstützt ihre im Ausland lebenden Landsleute bei der Durchsetzung ihrer Rechte, um den Schutz ihrer Interessen und der Bewahrung ihrer russischen kulturellen Identität sicherzustellen.“ Das Konzept der „russischen Welt“ ist von Konservativen als Rechtfertigung für ein Vorgehen im Ausland zur Unterstützung russischsprachiger Gruppen herangezogen worden.

Putin hat wiederholt auf die etwa 25 Millionen Russinnen und Russen hingewiesen, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 in den daraus hervorgegangen, unabhängigen Staaten wiederfanden. Die Regierung in Moskau betrachtet die ehemaligen Sowjetstaaten vom Baltikum bis nach Zentralasien als Teil seiner Einflusssphäre.

Viele dieser Länder und auch der Westen weisen diese Vision Moskaus zurück.



Abgeschlossen: Mitte September 2022


Anmerkungen:

[1] Siehe dazu etwa: Christian Girard, „UNE ANALYSE GÉOPOLITIQUE DE LA GUERRE EN UKRAINE“. In: Revue Défense Nationale 6/2022, S. 127-135.

[2] Guy Vinet, „L’OSCE À L’HEURE DE L’UKRAINE“. In: Revue Défense Nationale 6/2022, S. 136-140.

[3] Ukraine aktuell: Gazprom bastelt sich neue Argumente im Streit um Gas-Turbine. In: DEUTSCHE WELLE-Online v. 4.8.2022: https://www.dw.com/de/ukraine-aktuell-gazprom-bastelt-sich-neue-argumente-im-streit-um-gas-turbine/a-62701913

[4] Putin nennt westliche Sanktionen „Bedrohung für die ganze Welt“. In: RND – RedaktionsNetzwerk Deutschland v. 7.9.2022: https://www.rnd.de/politik/wladiwostok-putin-nennt-westliche-sanktionen-bedrohung-fuer-die-ganze-welt-4HPE2SS5MQXXTLOKC2HBRVC24Q.html

[5] Nuclear Power Safety in Ukraine: What to Know About the Zaporizhzhia Plant and the Fire. In: THE WALL STREET JOURNAL-Online v. 6.3.2022: https://www.wsj.com/articles/ukraine-nuclear-power-plants-safety-11646415538

[6] Nuclear Power Safety in Ukraine: What to Know About the Zaporizhzhia Plant and the Fire. In: THE WALL STREET JOURNAL-Online v. 6.3.2022: https://www.wsj.com/articles/ukraine-nuclear-power-plants-safety-11646415538

[7] Ukraine’s internet caught in the crosshairs of Russia’s war. In: CODASTORY.COM v. 19.7.2022: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwiC8p3K4L75AhUa_bsIHQ8uA0EQFnoECEUQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.codastory.com%2Fnewsletters%2Fukraine-internet-war%2F&usg=AOvVaw2BU9Un64vL4QbwmWTIRUUS

[8] Control of Ukrainian Internet Is New Focus in Russian Invasion. In: BLOOMBERG.COM v.8.6.2022: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwiC8p3K4L75AhUa_bsIHQ8uA0EQFnoECDwQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.bloomberg.com%2Fnews%2Fnewsletters%2F2022-06-08%2Fukrainian-internet-is-focus-of-new-fight-after-russian-invasion&usg=AOvVaw0Ri2lMIydhG-TZ1XG4Rwzl

[9] Russia Is Taking Over Ukraine’s Internet. In: WIRED.COM v. 15.6.2022: https://www.wired.com/story/ukraine-russia-internet-takeover/

[10] Erhält Bulgarien wieder Gas aus Russland? Sofia will mit Gazprom verhandeln. In: EURONEWS-Online v. 23.8.2022: https://de.euronews.com/2022/08/23/erhalt-bulgarien-wieder-gas-aus-russland-sofia-will-mit-gazprom-verhandeln



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UKRAINE

Update Anfang August 2022

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Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger fasste die Situation in der Ukraine sehr treffend zusammen: „Der Westen versucht, die Rechtmäßigkeit jeder festgelegten Grenze festzustellen. Für Russland ist die Ukraine Teil des russischen Erbes“ - eine Situation, die heute nicht anders ist als vor zwanzig oder mehr Jahren.

Die revisionistische militärische Strategie des russischen Präsidenten Wladimir Putin sucht den Erfolg am Schlachtfeld gegen ein - wie er sagt - „neonazistisch geprägtes“ Regime um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij. Während die Kämpfe zwischen den russischen Invasoren und der vom Westen seit Beginn des Krieges mit immer moderneren Waffen ausgestatteten ukrainischen Armee vor allem im Osten und Süden der Ukraine weitergehen, hat insbesondere auch die EU beispiellose Sanktionen gegen Russland verhängt, um das Land vom internationalen Markt abzuschneiden. Auch wenn die Energie und Treibstoffpreise massiv im Westen ansteigen, hält man eisern in Brüssel und Washington daran fest, die Sanktionsschrauben gegen Russland weiter zu drehen.[1]

Während auch Putin immer mehr an der Gasschraube gegenüber Europa dreht und den Gasfluss dorthin drosselt, verbietet ein russisches Gericht zwischenzeitlich den Transit von Erdöl aus Kasachstan. Schließlich wird kurz darauf das 30-tägige Entladeverbot für Öllieferungen aus Kasachstan wieder aufgehoben. Die OMV und auch die türkis-grüne Regierung geben vorsichtige Entwarnung, da man Öl auch anderswo kaufen könne. Die Regierung gibt nach einem offensichtlich schwerwiegenderen OMV-Raffiniereunfall in Schwechat weitere Erdölreserven frei. Weitere 100.000 Tonnen Diesel und 45.000 Tonnen an Halbfertigfabrikaten werden freigegeben.

Abzuwarten bleibt, wie sich dieses Faktum nun auf die Spritpreise auswirken wird. Die Teuerungswellen dürften in diesem Jahr kaum mehr zu stoppen sein - mit schweren sozialen Folgen. In der EU selbst sorgen die Sanktionen gegen Russland zunehmend für Unmut und Disput, da vor allem die eigene Bevölkerung in Europa unter den westlichen Sanktionen leide - und weit weniger Russland, das seine fossilen Brennstoffe vermehrt nach China, Indien oder in den Iran verkauft.

In der Zwischenzeit beherrscht die russische Armee weitgehend den Osten der Ukraine und rückt nun im Süden des Landes vor. Unterdessen wurde eine Reihe von höchsten und mittleren Leitern im ukrainischen Geheimdienst SBU sowie die Generalstaatsanwältin der direkten oder indirekten „Kollaboration mit dem russischen Feind“ angeklagt und ausgetauscht.

 

Die „Medienschlacht“ ist eine der Hauptkomponenten des Konflikts, bei der es darum geht, die öffentliche Meinung zu dominieren und ihre Zustimmung zu gewinnen. Bisher zeigt Wolodymyr Selenskij ein überlegenes Geschick gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, dessen Kommunikation für viele Kritiker eher abgehoben und kontraproduktiv erscheint.

„Was die Kommunikation kennzeichnet, ist, dass sie einseitig ist.“ - Dieses Zitat des französischen Philosophen Paul Ricoeur (1913-2005) bringt auf den Punkt, was derzeit im Rahmen des von Russland seit dem 24. Februar 2022 geführten Krieges in der Ukraine in Sachen Kommunikation gespielt wird: eine Schlacht um Bilder und Informationen im Dienste einer echten Einflussnahme.[2]

In der Tat werden zwei Schlachten gleichzeitig geschlagen: die Schlacht vor Ort mit den militärischen Operationen und die oft zu Unrecht unterschätzte „Schlacht“ auf der Ebene der Kommunikation rund um den Krieg, die von beiden Seiten genutzt wird, um ihre jeweilige Propagandadoktrin zu entfalten, die allen Kriegen zugrunde liegt.

In dieser zweiten strategischen „Schlacht“ scheint der ukrainische Präsident einen gewissen Vorsprung vor seinem russischen Gegner erlangt zu haben, indem er einen Großteil der westlichen öffentlichen Meinung auf seine Seite zieht und gleichzeitig sein Volk zusammenhält.

Es ist noch zu früh, um endgültig zu bestätigen, dass Putin die Schlacht um die Kommunikation und das Image im Westen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine verloren hat. Es ist jedoch sicher, dass der ukrainische Präsident ein starker Gegner ist, nicht zuletzt aufgrund seiner Fähigkeit, eine moderne und weit reichende Kommunikationsstrategie zu entwickeln. Der Kampf um die Wahrnehmung und der Kampf in den immateriellen Feldern sowie die offensichtliche oder unterschwellige Einflussnahme in diesem Konflikt sind von zentraler Bedeutung und werden neben der militärischen Schlacht einen großen Teil des Endspiels und der Wiederaufbauphase nach dem Konflikt ausmachen.

Ukraine beginnt mit eigenen Atom-Stromexporten in die EU

Die Ukraine startet nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskij eigene Atom-Stromexporte in die EU. „Eine wichtige Etappe unserer Annäherung an die Europäische Union wurde erreicht … . Wir bereiten eine Erhöhung der Lieferungen vor“, sagte Selenskij am 30. Juni 2022 in einer Videobotschaft. „Ukrainischer Strom kann einen bedeutenden Teil des von den Europäern verbrauchten russischen Gases ersetzen“, sagte der ukrainische Präsident. „Es geht nicht nur um Exporteinnahmen für uns, es ist eine Frage der Sicherheit für ganz Europa.“[3]

Die Ukraine war Mitte März an das europäische Stromnetz angeschlossen worden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte diesen Schritt: „Es wird der EU eine zusätzliche Stromquelle bieten. - Und der Ukraine dringend benötigte Einnahmen. Deswegen profitieren wir beide.“


Kreml protestiert gegen Aussagen Johnsons gegenüber Putin

Russland zitierte am 30. Juni 2022 nach Äußerungen des britischen Premierministers Boris Johnson über Präsident Wladimir Putin die britische Botschafterin in das Außenamt. Die russische Regierung habe gegenüber Botschafterin Deborah Bronnert in Moskau Protest gegen „die offen beleidigenden Kommentare“ eingelegt, erklärte das russische Außenministerium.

Johnson hatte dem ZDF zuvor gesagt, der russische Militäreinsatz in der Ukraine sei „ein perfektes Beispiel für toxische Männlichkeit“. Wenn Putin „eine Frau wäre, so hätte er, glaube ich, nicht einen so verrückten, machohaften Krieg vom Zaun gebrochen“. Das russische Außenministerium kritisierte die „inakzeptable abwertende Rhetorik“ und erklärte: „In einer höflichen Gesellschaft ist es üblich, sich für Bemerkungen dieser Art zu entschuldigen.“[4]  - Johnson selbst musste aufgrund einer Reihe innenpolitischer Korruptionsvorwürfe in Großbritannien schließlich seine politischen Ämter abgeben.


„Nord Stream 1“ in Wartung - vorerst kein russisches Erdgas für Europa

Der Gasfluss nach Europa durch die Gaspipeline „Nord Stream 1“ wurde am 11. Juli 2022 wegen Wartungsarbeiten vorerst eingestellt. Bis 21. Juli sollen die Wartungsarbeiten dauern. Kanada erlaubte schließlich die Lieferung einer reparierten Turbine.

Mit Sorge wurde in Westeuropa die Frage gestellt, ob der russische Energiekonzern Gazprom nach dem Ende der Wartung wieder in vollem Umfang Gas nach Westen pumpen werde.

Am 21. Juli 2022 ist die  „Nord Stream 1“ nach ihrer Wartung wieder in Betrieb genommen worden. Damit floss wieder russisches Erdgas nach Westeuropa.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow begründete parallel dazu alle Schwierigkeiten bei der Lieferung von russischem Erdgas nach Europa mit den westlichen Sanktionen gegen Russland. Russland bleibe „ein sehr wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Energiesicherheit“, sagte Peskow. Angesichts der Bedenken in Europa, dass Russland die Gaslieferungen weiter einschränken könnte, verwies Peskow auf die früheren Äußerungen von Präsident Putin. Gazprom werde Verpflichtungen gegenüber Kunden immer erfüllen. Die besagte Turbine war in der Ostsee-Pipeline „Nord Stream 1“ im Einsatz, wurde aber routinemäßig in Kanada gewartet. Wegen der Sanktionen gegen Russland verblieb sie dort. Man wollte das Gerät nicht nach Russland ausführen - was der Kreml zum Anlass nahm, die Lieferungen zu drosseln.


Die österreichischen Gasspeicher seien derzeit zu etwa 50 Prozent gefüllt, hieß es von Seiten der türkis-grünen Regierung. Trotz der Wartung von „Nord Stream 1“ sei auch in den vergangenen Tagen Gas eingespeichert worden. Bis vor Beginn der Heizsaison will die Regierung die Speicher zu 80 Prozent füllen. „Die Expertinnen und Experten gingen im Berichtszeitraum davon aus, dass dieses Speicherziel erreichbar sei und die täglichen Einspeicherungen wieder ansteigen werden“, nachdem der russische Staatskonzern Gazprom wieder Gas über „Nord Stream 1“ liefere, so Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne).


Selenskij entlässt den Geheimdienstchef und die Generalstaatsanwältin wegen „Verrats“

Der ukrainische Präsident trennte sich Mitte Juli 2022 von zwei zentralen Figuren der Sicherheitsbehörden und der Justiz - und von engen Vertrauten, Iwan Bakanow und Irina Wenediktowa. Beide sollen wegen angeblicher Weitergabe von wichtigen Informationen an die russische Seite zur Verantwortung gezogen werden, hieß es.

Weiters wurde Wolodymyr Horbenko als Vizechef des Geheimdienstes SBU entlassen. Weitere SBU-Regionalleiter wurden wegen „Kollaboration mit dem Feind“ ausgetauscht. Allein beim ukrainischen Geheimdienst SBU arbeiten mehr als 30.000 Personen.

Die beiden Entlassungen, die Selenskij auf Grundlage seiner außerordentlichen rechtlichen Befugnisse unter dem Kriegsrecht vornahm, waren die grössten Umbesetzungen im Machtapparat seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022.

Ernste Fragen hatte sich allerdings auch Selenskij selbst stellen müssen, hat er doch mehrere des Verrats beschuldigte Geheimdienstler selbst eingesetzt. Der Verlust der Kontrolle über einen erheblichen Teil des Staatsgebiets als Folge von Inkompetenz und Verrat im Süden ist für den ukrainischen Präsidenten politisch eine riesige Hypothek. Mit den Entlassungen hoffte er wohl, den öffentlichen Druck zu lindern.

Umstritten waren Bakanow und Wenediktowa allerdings bereits vor dem Krieg, weil sie Untersuchungen gegen das Umfeld des Präsidenten und Repräsentanten von dessen Partei „Diener des Volkes“ blockierten und dann in der Versenkung verschwinden ließen.


Während Westeuropa über künftige russische Gaslieferungen bangt, unterzeichnet Moskau mit Teheran einen großen Gasdeal

Im Vorfeld des Treffens zwischen Kreml-Chef Wladimir Putin, dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi unterzeichneten am 19. Juli 2022 der russische Gasriese Gazprom und der nationale iranische Gasversorger NIOC einen 40 Milliarden Dollar schweren Kooperationsvertrag. Dieser sieht vor, dass Russland den Iran bei der Erschließung der Gasförderung unterstützt und dafür an Projekten beteiligt wird. Die Unterzeichnung war ein demonstrativer Schulterschluss vor dem Dreiergipfel in Teheran, bei dem es um Syrien, aber auch um die Ukraine ging.


Von der Leyen gibt Durchhalteparolen ab - Orban kritisiert Westen

Während EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte Juli 2022 betonte, dass Putin mit der „Energieerpressung“ gegenüber Europa „nicht durchkommen“ werde, sah dies der ungarische Premierminister Viktor Orban anders. „Die Leistung, das Ansehen und die Handlungsfähigkeit der westlichen Zivilisation sind im Schwinden begriffen“, so Orban.  

Putin habe schon seit Kriegsbeginn „wiederholt“ versucht, „uns mittels Energielieferungen zu erpressen und zu spalten“, so von der Leyen. „Damit wird er, wieder einmal, scheitern“, so von der Leyen. Der Gassparplan der EU-Kommission knüpfe nämlich „ein Sicherheitsnetz für alle Mitgliedstaaten“. „Niemand soll in diesem Winter in Europa frieren“, betonte von der Leyen. Mit der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Reduzierung des Gasverbrauchs um 15 Prozent zwischen dem 1. August und dem 31. März „können wir es selbst bei einer vollständigen Unterbrechung russischer Gaslieferungen sicher durch den Winter schaffen“, betonte sie. Einer Normalisierung des Verhältnisses mit dem Kriegstreiber im Kreml erteilte von der Leyen eine klare Absage. Ein normales Verhältnis mit Putin sei „nicht vorstellbar“, sagte sie.[5]


Die EU sollte nicht an der Seite der Ukrainer stehen, sondern zwischen den Russen und den Ukrainern. Der ungarische Premierminister Viktor Orban betonte, der Westen habe die Kontrolle über die Energieträger verloren, würde nur noch 35 Prozent beherrschen. Die Lage Europas bezeichnete er als doppelt schwer. Verantwortlich dafür seien die USA, so Orban.

Die Sanktionen gegen Russland verglich Orban mit einem Wagen: „Wir sitzen in einem solchen Wagen, dessen Räder alle vier defekt sind.“ Russland werde die NATO nie angreifen, die stärker als Russland sei. Orban wies die Sorge, Russen könnten an der ukrainischen Grenze nicht Halt machen, zurück. Das sei eine „ukrainische Propaganda“, betonte Orban.

Zum Krieg in der Ukraine hielt Orban fest: „Das ist nicht unser Krieg“. Dieser wäre niemals ausgebrochen, wenn US-Präsident Donald Trump und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel weiter an der Macht geblieben wären, behauptete der ungarische Regierungschef.

Diesen Krieg können die Ukrainer niemals gewinnen, die Sanktionen werden Russland nicht in die Knie zwingen. Der Krieg könnte nur mittels russisch-amerikanischen Verhandlungen beendet werden, so Orban.

„Brüssel“ werde von einer „Heerschar“ des amerikanischen Investors und Demokratieförderers George Soros gelenkt, warf Orban der EU vor.[6] Der aus Ungarn stammende Milliardär und Holocaust-Überlebende ist seit Jahren Feindbild der rechtsnationalen Regierung in Budapest.


EU-Gasnotfallplan steht in zunehmender Kritik - letztlich wird der EU-Plan stark abgeschwächt

Der erst am 20. Juli 2022 präsentierte Gassparplan der EU schien bereits wenige Tage später immer stärker unter Druck zu kommen: Das Vorhaben, mit dem die EU-Kommission im Notfall Mitgliedsländer zum Gassparen verpflichten wolle, wurde insbesondere von südeuropäischen Ländern scharf kritisiert. Dass die Entscheidung der geplanten Zwangsmaßnahmen zum Energiesparen in der Hand Brüssels liegen soll - ohne Möglichkeit eines Vetos -, sorgte für immer größer werdenden Unmut unter diversen EU-Mitgliedstaaten.

Portugal, Spanien, Zypern, Griechenland, Polen und nicht zuletzt auch Ungarn hatten ihre offene Ablehnung bereits in unterschiedlicher Deutlichkeit kundgetan - und dabei die verschiedenen Gegebenheiten innerhalb der eigenen Grenzen aufgezeigt.

Die spanische Regierung hat den EU-Vorschlag für pauschale Ziele zur Senkung des Gasverbrauchs vor einer winterlichen Versorgungskrise als „nicht effizient, fair oder gerecht“ bezeichnet. Die spanische Ministerin für ökologischen Wandel, Teresa Ribera Rodríguez, betonte: „Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir Spanier nicht über unsere Verhältnisse gelebt, was die Energie angeht.“ [7]

Portugal stört vor allem das geplante Vorgehen: „Wir können nicht ein unverhältnismäßiges Opfer annehmen, zu dem wir nicht einmal um eine vorherige Stellungnahme gebeten wurden“, so Portugals Energieminister Joao Galamba. Sein Land sei „absolut gegen“ den unverhältnismäßigen und nicht nachhaltigen EU-Vorschlag.[8]


Kompromiss beim EU-Gasnotfallplan 

Angesichts der drohenden Gasknappheit in Europa einigten sich die EU-Energieministerinnen und -minister am 26. Juli 2022 schließlich auf einen stark abgeschwächten Gasnotfallplan. Der ohnehin stark abgeschwächte Plan sieht eine freiwillige Einsparung von 15 Prozent vor - eine Zwangsverordnung aus Brüssel für die EU-Mitgliedsländer wurde gestrichen. Mithilfe des reduzierten Konsums soll die EU auch bei einem kompletten Gaslieferstopp aus Russland durch den Winter kommen. Die „EU-Alarmstufe“ in Sachen Erdgas - und damit der Zwang zum Sparen - wurde deshalb nun vom Rat der Mitgliedstaaten beschlossen und nicht von der Kommission. Ausnahmeregelungen sehen etwa vor, dass Länder wie Zypern, Malta und Irland nicht zum Gassparen verpflichtet werden sollten, solange sie nicht direkt mit dem Gasverbundnetz eines anderen Mitgliedstaats verbunden sind. Bei anderen Staaten sollen zum Beispiel Anstrengungen zur Einspeicherung von Erdgas, eine drohende Stromkrise und der Verbrauch von Gas als Rohstoff etwa zur Erzeugung von Düngemitteln - Letzteres betrifft unter anderem Deutschland - die verpflichtende Einsparmenge reduzieren können.[9]


Gasspeicher Haidach bei Salzburg soll ab August 2022 befüllt werden

Aufgrund der fehlenden Einspeicherung in den Speicher Haidach durch den russischen Gazprom-Konzern hatte die Regierung eine gesetzliche Regelung beschlossen, wonach alle Speicher in Österreich auch genutzt werden müssen. Wird ein Speicher systematisch nicht befüllt, müssen andere Unternehmen die Möglichkeit bekommen, dort einzuspeichern.

Der Speicher Haidach hatte zuletzt auch für Debatten in Bayern gesorgt, weil dieser für Bayerns Versorgung wichtig ist.

Zuvor hatte der staatliche russische Gaskonzern Gazprom angekündigt, neuerlich nur noch ein Fünftel der maximal möglichen Menge durch die Pipeline Nord Stream 1 zu schicken. Der Grund dafür sei angeblich erneut ein Problem mit einer Turbine. Moskau hatte die Lieferungen erst kürzlich für die jährliche Wartung vollständig eingestellt. Danach floss wieder Erdgas, allerdings weniger als vereinbart.

Ein Lieferstopp von russischem Erdgas hätte voraussichtlich beträchtliche wirtschaftliche Folgen für die bereits durch die hohe Inflation in Mitleidenschaft gezogenen Volkswirtschaften. Der Internationale Währungsfonds (IMF) hatte berechnet, dass sich das Bruttoinlandprodukt mittel- und osteuropäischer Länder ohne russisches Erdgas im Extremfall um bis zu 6 Prozent verringern könnte.

Trotz aller zwischenzeitlicher Einigkeit und Geschlossenheit in der Energie- und Sanktionspolitik gegenüber Russland zieht sich immer deutlicher ein Riss durch die politische Landkarte Europas.


Lettland bekommt mehr kein russisches Erdgas vom russischen Gazprom-Konzern

Gazprom stellte nach eigenen Angaben seine Gaslieferungen nach Lettland am 30. Juli 2022 ein. Das Nachbarland habe gegen die Abnahmebedingungen verstoßen, hieß es. Details zu den Verstößen nannte das Unternehmen nicht.

Am Vortag hatte das lettische Gasversorgungsunternehmen Latvijas Gaze mitgeteilt, von Russland wieder Gas zu kaufen und dafür auch in Euro und nicht in Rubel zu bezahlen. Allerdings werde das Gas nicht von Gazprom gekauft, sondern von einem anderen russischen Anbieter.[10]

Anfang Juli 2022 hatte das lettische Parlament dafür gestimmt, russische Gaslieferungen ab Jänner 2023 zu verbieten. 2021 hatte Lettland noch etwa 90 Prozent seines Gases aus Russland bezogen. Russland hatte zuletzt die Gaslieferungen in mehrere EU-Länder eingestellt, darunter Polen und Bulgarien.


Geänderte Kriegsziele in der Ukraine durch Russland

Der russische Außenminister Sergej Lawrow bestätigte am 24. Juli 2022 vor der Presse, dass sich die Kriegsziele Moskaus gegenüber der Ukraine geändert hätten. Ziel sei es nunmehr, die politische Führung um Präsident Selenskij auszuwechseln. Noch im April erklärte Lawrow, dass die Ukrainer selbst entscheiden sollten, unter welcher Führung sie leben wollten.

„Wir helfen dem ukrainischen Volk auf jeden Fall, sich von dem absolut volks- und geschichtsfeindlichen Regime zu befreien“, so Lawrow am 24. Juli 2022 in Kairo.[11]

Die russische Führung hatte zuletzt öffentlich ihre Position im Ukraine-Krieg verschärft. So drohte Lawrow mit der Besetzung weiterer Gebiete auch außerhalb des Donbass. Angesichts der westlichen Waffenlieferungen und deren höherer Reichweite sei es nötig, die ukrainischen Truppen weiter abzudrängen von den Gebieten Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine, die Moskau als unabhängig anerkannt hat. So meldete etwa Deutschland am 26. Juli 2022, dass man Kiew die zugesagten Mehrfachraketenwerfer vom Typ MARS II und weitere drei Panzerhaubitzen 2000 ausgeliefert habe.

Während die ukrainische Armee mit Hilfe westlicher moderner Waffen Gegenangriffe im Donbass und im Süden bei Cherson unternahm, verstärkten die russischen Streitkräfte ihre Truppen in den genannten Gebieten.


Erstmaliges Telefonat des US-Außenministers mit seinem russischen Amtskollegen

Erstmals seit Beginn des Krieges in der Ukraine telefonierten US-Außenminister Antony Blinken und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow am 29. Juli 2022 wieder miteinander. Es sei ein „offenes und direktes Gespräch“ über die Freilassung zweier in Russland inhaftierter US-Amerikaner gewesen, sagte Blinken. Außerdem habe er Lawrow deutlich gemacht, russische Annexionen in der Ukraine nicht zu akzeptieren.

Lawrow hatte seine Bereitschaft erklärt, mit seinem US-Kollegen Blinken über einen Gefangenenaustausch und die Wiederaufnahme der ukrainischen Getreideexporte zu sprechen. Blinken betonte nun auch, Lawrow deutlich gesagt zu haben, dass die USA russische Pläne, weiteres Territorium der Ukraine zu annektieren, nicht hinnehmen würden.

Nach Angaben des russischen Außenministeriums beklagte Lawrow bei dem Gespräch, dass die an die Ukraine gelieferten schweren Waffen des Westens Kinder im Kriegsgebiet töten würden.


Putin zeigt militärische Stärke: Inkraftsetzung der neuen Marine-Doktrin Russlands

Der russische Präsident Putin setzte zum Tag der Seestreitkräfte in St. Petersburg am 31. Juli 2022 eine neue Marine-Doktrin in Kraft. Dort seien auch Russlands Seegrenzen, darunter in der Arktis und im Schwarzen Meer, festgelegt worden. „Den Schutz werden wir hart und mit allen Mitteln gewährleisten“, so Putin bei einer Parade mit Kriegsschiffen. Zugleich kündigte er an, dass die neue Hyperschall-Seerakete „Zirkon“ bald in den Dienst gestellt werde. Die Lieferung der Raketen beginne in den nächsten Monaten. Zuerst werde die Fregatte „Admiral Gorschkow“ damit ausgerüstet.

In der neuen Doktrin wurde festgeschrieben, dass das Streben der USA nach Dominanz auf den Weltmeeren eine „Herausforderung für die nationale Sicherheit Russlands“ sei. Das von Putin unterzeichnete Dokument sieht auch vor, dass die militärische Infrastruktur auf der annektieren Schwarzmeer-Halbinsel Krim ausgebaut werde. Laut der Doktrin ist zudem der Bau von modernen Flugzeugträgern vorgesehen.

Bei dem Auftritt vor Tausenden Zuschauern ging Putin nicht direkt auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ein. Er dankte der Kriegsflotte für ihre Einsätze, die sie seit Jahrhunderten leiste, und lobte ihre hohe Verteidigungsbereitschaft. Russland hat zahlreiche Kriegsschiffe im Schwarzen Meer bei den Angriffen gegen die Ukraine im Einsatz.


Überwachte Verschiffung von ukrainischem Getreide unter Vermittlung von UNO und Türkei

Die Ukraine und Russland vereinbarten unter Vermittlung der UNO und der Türkei eine Lösung für die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide aus dem Kriegsland Ukraine. Beide Seiten unterschrieben Mitte Juli in Istanbul getrennt voneinander entsprechende Vereinbarungen unter Vermittlung von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres. Das Abkommen „eröffnet den Weg für umfangreiche kommerzielle Lebensmittelexporte aus drei entscheidenden ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer - Odessa, Tschornomorsk und Juschnyj“, erklärte Guterres. Die Vereinbarung werde dazu beitragen, „die globale Versorgungslücke bei Lebensmitteln zu schließen“ und die weltweiten Nahrungsmittelpreise zu stabilisieren. „Es wird den Entwicklungsländern am Rande des Bankrotts und den am meisten gefährdeten Menschen am Rande einer Hungersnot Erleichterung bringen“, so Guterres.[12]

Am 1. August startete die Verschiffung von ukrainischem Getreide. Das erste Getreideschiff verließ demnach den Hafen von Odessa. Es werde mehr als 26.000 Tonnen Mais an Bord haben und in Istanbul einer Inspektion unterzogen, bevor es in den Libanon nach Tripoli weiterfährt, teilte ein von der UNO geführtes Überwachungszentrum mit.[13]


Abgeschlossen: Anfang August 2022


Anmerkungen:

[1] Tim Mahon / Caterina Tani, „THE INVASION OF UKRAINE“. In: Military Technology 2/2022, S. 34-39.

[2] Siehe dazu etwa: Joséphine Staron, „RUSSIE-UKRAINE: UNE BATAILLE D’INFLUENCE, DE COMMUNICATION ET DES PERCEPTIONS“. In: Revue Défense Nationale 5/2022, S. 21-26.

[3] Ukraine exportiert ihren Atomstrom in die EU. In: DER SPIEGEL-Online v. 1.7.2022: https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/energiekrise-ukraine-exportiert-ihren-atom-strom-in-die-eu-a-a382ee18-ab87-4f94-bf7d-4674828dacd8

[4] Johnson-Äußerung im ZDF provoziert Putin. In: ZDF-HEUTE-Online v. 30.6.2022: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/johnson-putin-toxische-maennlichkeit-100.html

[5] EU-Kommissionschefin: "Normales Verhältnis zu Putins Russland nicht vorstellbar". In: KURIER-Online v. 23.7.2022: EU-Kommissionschefin: "Normales Verhältnis zu Putins Russland nicht vorstellbar" | kurier.at

[6] Orbán wettert gegen „Brüssel“ und Soros. In: FAZ-Online v. 23.7.2022: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/orban-wettert-gegen-bruessel-und-soros-18194434.html

[7] Spain blasts EU plan to slash gas use as bloc’s solidarity tested. In: FINANCIAL TIMES-Online v. 22.7.2022: https://www.ft.com/content/cf84dde3-9020-4ee7-a6d0-2809863da2d8

[8] „Absolut dagegen“: Weiteres Land rebelliert gegen Energiesparpläne der EU. In: FOCUS-Online v. 22.7.2022: https://www.focus.de/politik/ausland/unabhaengig-von-russland-spanien-will-den-gas-notfallplan-der-eu-nicht-unterstuetzen_id_119953122.html

[9] EU-Staaten einigen sich auf Gasnotfallplan. In: DER SPIEGEL-Online v. 26.7.2022: https://www.spiegel.de/wirtschaft/energiekrise-eu-staaten-einigen-sich-auf-gas-notfallplan-a-5df0905f-159a-45a4-ba2b-c0c4a9fe38eb

[10] Gazprom stoppt Gas-Lieferungen nach Lettland. In: DEUTSCHE WIRTSCHAFTSNACHRICHTEN-Online v. 30.7.2022: https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/521096/Gazprom-stoppt-Gas-Lieferungen-nach-Lettland 

[11] Lawrow erklärt Sturz von Kiewer Regierung zu Kriegsziel. In: DIE WELT-Online v. 25.7.2022: https://www.welt.de/politik/ausland/article240099229/Ukraine-Krieg-Lawrow-erklaert-Sturz-von-Kiewer-Regierung-zu-Kriegsziel.html

[12] Erdogan hosts landmark Ukraine grain deal signing ceremony. In: EURACTIV.com v.  23.7.2022: https://www.euractiv.com/section/global-europe/news/erdogan-hosts-landmark-ukraine-grain-deal-singing-ceremony/

[13] Joint Coordination Centre opens in Istanbul to facilitate safe export of commercial foodstuffs and fertilizers from Ukrainian ports. In: UNITED NATIONS TÜRKIYE-Online v. 28.7.2022: https://turkiye.un.org/en/192332-joint-coordination-centre-opens-istanbul-facilitate-safe-export-commercial-foodstuffs-and


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UKRAINE

Update Anfang Juli 2022

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Während im Berichtszeitraum die russischen Truppen ihre Präsenz in der Ostukraine und im Süden des Landes ausbauen, versucht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenksi alles, um via eindringlicher Videobotschaften auf allen möglichen westlichen Foren an neue westliche Waffensysteme zu kommen. Der westliche militärische Nachschub wird zum Teil durch russische Raketenangriffe zerstört. Eine friedliche Lösung des Konflikts scheint im Berichtszeitraum nicht in Sichtweite. Sowohl die russische, als auch die ukrainische Seite zeigen vorerst kein Einlenken.

Währenddessen verstärkt die NATO ihre Einsatzbereitschaftstruppe von bisher 40.000 auf 300.000. Außerdem werden mehr schwere Waffen vor allem ins Baltikum und nach Polen verlegt. Nach wochenlanger Blockade gibt nun die Türkei grünes Licht für die Aufnahme Finnlands und Schwedens als neue Mitglieder in das westliche Bündnis. Damit wird sich die Grenze des Bündnisses zu Russland um mehr als 1.300 Kilometer verlängern.

Im neuen strategischen Konzept der NATO wird Russland als „größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“ verstanden. Der Ukraine sagten die 30 Staaten weitere Unterstützung für ihren Abwehrkampf gegen Russland zu. Auch zu China wurde in dem neuen NATO-Konzept erstmals Stellung bezogen - dessen Politik sei eine „Herausforderung“.

Der Kreml sieht dahinter „imperiale Ambitionen“ der NATO. Die westliche Militärallianz versuche durch den Ukraine-Konflikt ihre „Vormachtstellung“ zu behaupten. „Die Ukraine und das Wohlergehen der ukrainischen Bevölkerung sind nicht das Ziel des kollektiven Westens und der NATO, sondern ein Mittel zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen“, so der russische Präsident Wladimir Putin.

Unterdessen drosselt Russland immer stärker die Gaslieferungen nach Mittel- und Westeuropa - auch nach Österreich. Nicht nur in Österreich ist eine hitzige politisch-ökonomische Debatte über die weitere Energiepolitik entbrannt. Während die Grünen mit Nachdruck eine „grüne Energiewende“ anstreben und versuchen mittelfristig fossile Brennstoffe aus dem Alltagsleben zu verbannen, kündigt die türkis-grüne Bundesregierung an, zumindest ein Kohlekraftwerk als „Notfall“ wieder zu reaktivieren, falls das russische Erdgas im kommenden Winter ganz ausfallen sollte.

Immer sichtbarer wird die ökonomisch-politische Kooperation zwischen Russland und China, wobei hier auch Indien ein zentraler Akteur und Abnehmer von russischem Erdöl und Erdgas wird. Die westliche Sanktionspolitik hat zumindest bislang ihre Wirkung verfehlt. Der russische Rubel ist robust, während in Europa die Bevölkerung nicht zuletzt infolge von Inflation und Teuerung unter hohen Energie- und Lebensmittelpreisen stöhnen.

Ein Ende des Ukraine-Krieges und aller negativer Folgewirkungen auf nationaler wie internationaler Ebene ist nicht in Sicht.

Maschine des russischen Außenministers bekommt keine Überflugsrechte, um nach Serbien zu kommen

Der russische Außenminister Sergej Lawrow wollte am 6. Juni 2022 nach Belgrad fliegen, wo er offizielle Gespräche mit Vertretern der serbischen Regierung führen wollte. Der Kreml musste den Besuch aber absagen, nachdem Montenegro, Nordmazedonien und Bulgarien die Genehmigung für den Überflug seiner Maschine verweigert hatten.

Russland wie Serbien verurteilten diese Verweigerungshaltung pro-westlicher Staaten. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic sprach gar von „Hysterie“ von Seiten der EU. „Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Gespräche es gegeben hat, in denen Serbien aufgefordert wurde, dem russischen Außenminister die Gastfreundschaft zu verweigern“, so Vucic. Vucic fragte, ob die gleiche Behandlung auch „für das NATO-Mitglied Türkei gelten wird, wenn Lawrow nach Ankara reist“.

Und er beantwortete die Frage gleich selbst: „Nein, denn man kann nur gegen ein kleines Land wie Serbien so rücksichtslos vorgehen.“ Nach Ansicht von Vucic würde die Weigerung Serbiens, „immer der Herde anzugehören“, derzeit „Kopfschmerzen“ bereiten. Dennoch wolle man künftig der EU angehören, betonte Vucic.


Weiteres Säbelrasseln zwischen der NATO und Russland

Russland startete in der Ostsee am 7. Juni 2022 ein Manöver mit mehr als 20 Kriegsschiffen. Nach Angaben des russischen Militärs handelte es sich um planmäßige Gefechtsübungen. Trotzdem war der Zeitpunkt pikant: Bis Mitte des Monats lief in der Ostsee noch das NATO-Manöver „Baltops 2022“ mit 45 Schiffen unter Führung der US-Navy.

Nach den USA erklärte sich nun auch Großbritannien bereit, Langstrecken-Raketensysteme an die ukrainische Armee zu liefern. Moskau warnte im Gegenzug, dass man dann noch weiteres ukrainisches Gebiet besetzen müsse, um die neue Bedrohung durch diese Waffen einzudämmen.


Angela Merkel äußert sich erstmals zum Ukraine-Krieg

Die frühere deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich erstmals seit ihrem politischen Abgang öffentlich. So verurteilte sie den Ukraine-Krieg als „großen Fehler“ Russlands. Der russische Einmarsch sei ein „objektiver Bruch aller völkerrechtlichen Regelungen“, sagte Merkel am 7. Juni 2022 bei einer Veranstaltung in Berlin. Vorwürfe, naiv im Umgang mit Russlands Staatschef Putin gewesen zu sein, wies sie zurück. Nichts von dem, was sie als einflussreichste Regierungschefin Europas getan hatte, sei falsch gewesen - von ihrer Ablehnung einer NATO-Osterweiterung inklusive der Ukraine im Jahr 2008 angefangen. Die Ukraine sei damals ein anderes, von Oligarchen beherrschtes Land gewesen. Sie sei sicher gewesen, dass für Putin ein Beschluss für einen „Membership Action Plan“ der NATO eine Kriegserklärung gewesen wäre.

Putin verstehe nur die Sprache der Abschreckung.[1]


Unruhe im Moskauer Patriarchat

Während der Moskauer Patriarch Kyrill ganz offen die Politik und die „Sonderoperation in der Ukraine“ des russischen Präsidenten teilt, wurde Anfang Juni 2022 bekannt, dass der russisch-orthodoxe Metropolit Hilarion (Alfejew) als Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats überraschend abberufen wurde. Patriarch Kyrill sehe sie „im Ausnahmezustand“, so manche westliche Theologen.[2] Die orthodoxe Kirche in der Ukraine wendete sich von Kyrill ab. Außer Ungarn distanzieren sich mittlerweile die meisten Länder vom Moskauer Patriarchat.

Anders als Kyrill trat Hilarion in der Ukraine-Frage nicht als Scharfmacher auf. „Während Patriarch Kyrill seit Kriegsbeginn Putins Feldzug unterstützte und sogar metaphysisch legitimierte, gab sich Metropolit Hilarion diplomatischer“, so die Schweizer Ostkirchen-Expertin Barbara Hallensleben.[3] Das dürfte der Hintergrund der Absetzung der „Nummer Zwei“ des Moskauer Patriarchats gewesen sein. Hilarion wurde nach Budapest versetzt.


Russland beendet Zusammenarbeit im Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Das russische Parlament beschloss am 7. Juni 2022 den Rückzug des Landes aus dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist zu einem Instrument des politischen Kampfes gegen unser Land in den Händen westlicher Politiker geworden“, betonte der Vorsitzende des russischen Unterhauses, Wjatscheslaw Wolodin, nach der Abstimmung. „Einige seiner Entscheidungen standen in direktem Widerspruch zur russischen Verfassung, unseren Werten und Traditionen.“

Der EGMR ist der juristische Arm des Europarats, aus dem Russland wegen der Invasion der Ukraine ausgeschlossen worden war. Moskau hatte seinen Austritt nach 26 Jahren Mitgliedschaft Mitte März bekanntgegeben und war so einem Beschluss der übrigen Mitgliedstaaten zuvorgekommen.


Russland sieht keinen Grund weitere Gaslieferstopps gegen andere Verbraucherländer zu unternehmen

Polen, Bulgarien, Finnland, die Niederlande und Dänemark erhalten kein russisches Erdgas mehr - weitere Länder sollen nach Angaben des Kremls aber nicht mehr hinzukommen.

Auf die Frage, ob neue Gaslieferstopps geplant seien, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am 9. Juni 2022 der Presse: „Nein. Das System funktioniert, das System wurde angepasst - und diejenigen, die Gas erhalten, arbeiten bereits nach dem neuen System.“


Putin vergleicht sich mit Zar Peter den Großen

Der russische Präsident Putin verglich im Juni 2022 den Angriffskrieg gegen die Ukraine mit dem Großen Nordischen Krieg (1700-1721) unter Russlands Zar Peter I. und sprach von einer „Rückholaktion russischer Erde“. Peter I. habe das Gebiet um die heutige Millionenstadt St. Petersburg nicht von den Schweden erobert, sondern zurückgewonnen. „Offenbar ist es auch unser Los: Zurückzuholen und zu stärken“, zog Putin Parallelen zum Krieg gegen die Ukraine.[4] Am 9. Juni 2022 war der 350. Geburtstag von Peter dem Grossen, der sich als erster russischer Zar den Titel „Imperator“ gab.

Estland bestellte aus Protest gegen die Äußerungen des Kreml-Chefs zur Geschichte des baltischen Landes den russischen Botschafter ein. Der russische Präsident hatte in seiner Rede auch eine Anspielung auf die Eroberung der Stadt Narva im 18. Jahrhundert gemacht. Das estnische Außenministerium in Tallinn sprach von „völlig inakzeptablen“ Äußerungen Putins. Im Nordischen Krieg eroberte Zar Peter I. damals auch die von den Schweden gehaltene estnische Stadt Narva. Mit knapp 60.000 Einwohnern ist Narva drittgrößte Stadt des EU- und NATO-Mitglieds Estland. Viele Einwohnerinnen und Einwohner haben russische Wurzeln.  


China kritisiert die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine

Der chinesische Verteidigungsminister Wei Fenghe warnte bei seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz Shangri-La-Dialog im Juni 2022 in Singapur im Hinblick auf den laufenden Ukraine-Krieg, China unterstütze Friedensgespräche und sei dagegen, „Waffen zu liefern und maximalen Druck auszuüben…Was ist die Ursache für diese Krise? Wer ist der Drahtzieher dahinter? Wer ist der grösste Verlierer? Und wer profitiert am meisten? Wer fördert den Frieden und wer giesst Öl ins Feuer? Ich denke, wir alle kennen die Antworten auf diese Fragen“, sagte er.

Der ukrainische Präsident Selenskij warnte hingegen die Delegierten der besagten Sicherheitskonferenz in einer Ansprache per Videoschaltung, dass die Invasion in der Ukraine die regelbasierte Ordnung unterminiere und die ganze Welt der Gefahr von Hungersnöten und Nahrungsmittelkrisen aussetzen würde.


EU schließt mit Israel und Ägypten Gasabkommen

Die EU, Israel und Ägypten unterzeichneten am 15. Juni 2022 eine Absichtserklärung für ein Erdgasabkommen. Das Abkommen werde zum ersten Mal „bedeutende“ Exporte von israelischem Gas nach Europa ermöglichen, teilte das israelische Energieministerium mit. Die EU hatte erklärt, dass Israel dazu beitragen könne, in Zukunft ihre Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern. Das Abkommen wurde am Rande einer Energiekonferenz in der ägyptischen Hauptstadt Kairo unterzeichnet, an der auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen teilnahm. Israelisches Erdgas soll zu Verflüssigungsanlagen in Ägypten geleitet und dann nach Europa verschifft wird.

Die EU hat wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine bereits ein Kohle- und Ölembargo gegen Russland beschlossen. Ein Embargo von russischem Erdgas nach Europa schien aber im Berichtszeitraum nicht verwirklichbar.


Russland und China intensivieren ihre Zusammenarbeit

In einem Telefonat zwischen dem russischen Präsidenten Putin und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping am 15. Juni 2022 untermauerten beide Staatschefs ihr Bestreben, künftig wesentlich intensiver auf unterschiedlichen Gebieten zusammenzuarbeiten.

Sie vereinbarten dabei nach Angaben Moskaus, angesichts „unrechtmäßiger Sanktionen des Westens“ ihre Kooperation insbesondere auf ökonomischem Gebiet zu verstärken. Xi sagte Putin laut chinesischen Staatsmedien Unterstützung in Fragen der „Souveränität und Sicherheit“ Russlands zu.[5]

Die USA kritisierten daraufhin China. „China behauptet von sich, neutral zu sein, aber sein Verhalten macht klar, dass es immer noch in enge Verbindungen mit Russland investiert“, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums. „Nationen, die sich auf die Seite von Wladimir Putin stellen, werden sich unweigerlich auf der falschen Seite der Geschichte wiederfinden.“


Visite europäischer Staatschefs in Kiew - Russland drosselt Gaslieferungen nach Europa

Bei ihrer Reise nach Kiew kamen am 15. Juni 2022 der deutsche Kanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschef Mario Draghi und Rumäniens Präsident Klaus Iohannis mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij zu Gesprächen zusammen.

Russlands früherer Präsident Dmitri Medwedew kritisierte die gemeinsame Kiew-Reise von Scholz, Macron und Draghi als nutzlos. „Die europäischen Fans von Fröschen, Leberwurst und Spaghetti lieben es, Kiew zu besuchen“, schreibt Medwedew auf seinem Twitter-Account. „Mit null Nutzen.“ Sie stellten der Ukraine eine EU-Mitgliedschaft und „alte Haubitzen“ in Aussicht, so Medwedew, der mittlerweile stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates ist. „Das ist alles gut. Aber es wird die Ukraine nicht näher in Richtung Frieden bringen“, so Medwedew.

Offensichtlich als direkte Antwort auf den Kiew-Besuch der europäischen Staatschefs drosselte Russland die Gaslieferungen nach Europa. Nach Deutschland waren die Lieferungen bereits zuvor um mehr als die Hälfte gedrosselt worden. Frankreich bekam - auch deshalb - nun gar kein russisches Erdgas mehr. Die Gaslieferung nach Italien halbierte Russland.[6]


Ukraine und Moldawien soll EU-Kandidatenstatus erhalten

Die EU-Kommission gab am 17. Juni 2022 bekannt, dass der Ukraine sowie Moldawien der EU-Beitrittskandidatenstatus gewährt werde. Kiew solle eine „europäische Perspektive“ geboten und der Kandidatenstatus verliehen werden, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Weitere Fortschritte sollen an Bedingungen geknüpft werden. Auch Moldawien soll diesen Status erhalten.

„Die Ukraine hat klares Bestreben und Entschlossenheit, europäischen Werten und Standards gerecht zu werden… . Die Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben“, so von der Leyen.[7]


Putin kritisiert Westen scharf

Der russische Präsident Putin verurteilte am Petersburger Wirtschaftsforum am 17. Juni 2022 die westlichen Bestrebungen in der Ukraine mit scharfen Worten: „Unsere westlichen Kollegen denken immer noch in Kategorien des vergangenen Jahrhunderts“, so Putin. Er unterstellte auch einen „Blitzkrieg“ gegen Russlands Wirtschaft, der gescheitert sei.[8]

Nach Aussage von Präsident Putin habe Moskau keine Einwände gegen einen EU–Beitritt der Ukraine. „Wir haben nichts dagegen“, sagte er. Die EU sei keine militärische Organisation. „Jedes Land hat das Recht, Wirtschaftsgemeinschaften beizutreten.“ Die Frage sei, ob die EU gut beraten sei, die Ukraine aufzunehmen. Das Land werde umfangreiche Wirtschaftshilfe benötigen, zu der möglicherweise einige EU–Mitglieder nicht bereit seien.


Auch nach Österreich fließt immer weniger russisches Erdgas - Krisenplan mit Reaktivierung der Kohlekraftwerke

Russland drosselte die Erdgaslieferungen im Juni 2022 auch nach Österreich. Die heimischen Erdgasspeicher waren bis Ende des Monats zu rund 41 Prozent gefüllt. Ziel der österreichischen Regierung ist es, bis 1. November auf 80 Prozent zu kommen.

Österreich befindet sich beim Gasnotfallplan in der Frühwarnstufe. Ab der Notfallstufe treten staatliche Eingriffe bei der Energielenkung in Kraft, dann könnten unter anderem auch Kohlekraftwerke wie das Kraftwerk Mellach aktiviert werden. Das hatte das „kleine Krisenkabinett“ aus Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) mit Experten und Expertinnen beschlossen, hieß es aus dem Bundeskanzleramt am 19. Juni 2022.

Dafür braucht es aber eine Vorlaufzeit von einigen Monaten, um unter anderem Kohle zu beschaffen.

Im Berichtszeitraum flammte eine heftige innenpolitische Debatte bezüglich der vermeintlich fehlenden ökonomischen Strategie der türkis-grünen Bundesregierung auf, die die Opposition heftig kritisierte. Die grüne Umweltministerin gab unterdessen Energiespartips für die infolge der rasanten Teuerung und Inflation immer mehr zur Kasse gebetete österreichische Bevölkerung aus: So solle man im Winter die Zimmertemperatur um ein bis zwei Grad reduzieren oder den Topf auf dem Küchenherd mit einem Deckel zudecken und auf den Autobahnen nur mehr Tempo 100 fahren.

Auch vom türkisen Koalitionspartner hagelte es gegenüber Gewesslers Empfehlungen Kritik.


Solidaritätsgipfel in Riga für die Ukraine

Auf einem Präsidentengipfel in der lettischen Hauptstadt Riga erklärten am 20. Juni 2022 Österreich und elf weitere mitteleuropäische Staaten ihre Solidarität mit der Ukraine. Zum Auftakt des Treffens richtete sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij per Video an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Selenskij äußerte dabei Interesse, sich der Dreimeereinitiative anzuschließen.

„Die Staaten der Dreimeereinitiative verbinden uns mit dem Rest der Welt“, so Selenskij. Umgekehrt könne das ukrainische Netzwerk an Gaspipelines „die Bedürfnisse aller Staaten der Dreimeereinitiative befriedigen“. Außerdem könne die Ukraine zur Verkehrsdrehscheibe für die vom Baltikum bis ans Schwarze Meer und die Adria reichende Region werden, erklärte Selenskij mit Blickpunkt auf die Eisenbahnlinie zwischen Warschau und Kiew und die Nord-Süd-Autobahn „Via Carpathia“.

Die EU beschloss schließlich den EU-Kandidatenstatus für die Ukraine und Moldawien.


Russland sieht die USA hinter dem litauischen Transitverbot sanktionierter Güter in seine Exklave Kaliningrad

Der Kreml machte die USA für das kürzlich verhängte litauische Transitverbot sanktionierter Güter in seine Exklave Kaliningrad verantwortlich. „Der sogenannte ‚kollektive Westen‘ hat auf ausdrückliche Anweisung des Weißen Hauses ein Verbot des Bahntransits einer breiten Palette von Gütern in das Kaliningrader Gebiet verhängt“, erklärte das russische Außenministerium… . Der Schritt sei Teil eines Musters „zunehmend feindseliger Handlungen von amerikanischer Seite“ gegenüber Russland.[9]

Russland teilte weiters mit, die Weigerung der USA, die Luftraumsanktionen aufzuheben, damit ein russisches Flugzeug russische Diplomaten abholen könne, zeige, dass die Forderungen nach einem fortgesetzten Dialog nicht wirklich ernst gemeint seien.


G7-Gipfel in Elmau

Die Staats- und Regierungschefs der G7-Länder verhandelten bei ihrem dreitägigen Treffen auf Schloss Elmau in Bayern unter anderem zur Hilfe der von russischen Truppen bedrängten Ukraine. Die G7 stünden an der Seite der Ukraine, hieß es. Dem Narrativ Putins, es sei lediglich der Westen, der sich gegen Russland verschworen habe, setzen die G7 ihre Gegenerzählung: „Hier steht das Friedenslager gegen das Kriegslager, und Russland kann und darf diesen Krieg nicht gewinnen“ - so der französische Präsident Emmanuel Macron, der gleichermaßen wie der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz argumentierte. Macron erklärte, die Sanktionen gegen Russland blieben so lange wie nötig. Auch bei den G7 rechnete man nicht damit, dass der Ukraine-Krieg noch länger dauern dürfte.


NATO-Gipfel in Madrid - grünes Licht für NATO-Beitritte Finnlands und Schwedens

Die USA bauen ihre Truppenpräsenz in Europa weiter aus. „Gemeinsam mit unseren Verbündeten werden wir dafür sorgen, dass die NATO in der Lage ist, Bedrohungen aus allen Richtungen und in allen Bereichen - zu Lande, in der Luft und auf See - zu begegnen“, betonte US-Präsident Joe Biden.

Die NATO erhöhte die schnelle Eingreiftruppe von 40.000 auf 300.000 Militärangehörige. Zudem sollen die multinationalen Gefechtsverbände im Osten der Allianz aufgestockt werden. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von der „größten Neuaufstellung unserer kollektiven Verteidigung und Abschreckung seit dem Kalten Krieg“.

Die Türkei gab nach intensiven Verhandlungen hinter verschlossenen Türen ihre Blockade gegen einen NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens auf. In einer Erklärung sicherten die beiden nordischen Staaten zu, auf mehrere Forderungen der Türkei einzugehen. In einem gemeinsamen Memorandum verpflichteten sich Schweden und Finnland auf die Sicherheitsbedenken der Türkei einzugehen. Gemäß dem Memorandum erklärten sich Finnland und Schweden nun bereit, die YPG nicht mehr zu unterstützen (obwohl diese von den USA weiterhin als Verbündete im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ agieren). Zudem wurde die PKK explizit als „Terrororganisation“ sowie die Gülen-Bewegung (die Ankara für den Putschversuch von 2016 verantwortlich macht) als „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ bezeichnet.[10]


Russland nunmehr „größte Bedrohung“ - China „Herausforderung“

Die Staats- und Regierungschefs der 30 NATO-Staaten beschlossen bei ihrem Gipfeltreffen in Madrid Ende Juni 2022 ein neues strategisches Konzept für das Militärbündnis. In dem Grundlagendokument für politische und militärische Planungen wird Russland als „größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“ bezeichnet - China als Herausforderung. Die Beziehungen könnten sich erst dann wieder ändern, wenn Russland sein aggressives Verhalten einstelle und das Völkerrecht in vollem Umfang einhalte. Man bleibe jedoch bereit, die Kommunikationskanäle mit Moskau offenzuhalten, so die NATO.

Der russische Präsident Putin beargwöhnte hinter der NATO-Erweiterung „imperiale Ambitionen des westlichen Bündnisses. Das Militärbündnis versuche durch den Ukraine-Konflikt seine „Vormachtstellung“ zu behaupten, so Putin. „Die Ukraine und das Wohlergehen der ukrainischen Bevölkerung sind nicht das Ziel des kollektiven Westens und der NATO, sondern ein Mittel zur Verteidigung ihrer eigenen Interessen.“


Selenskij bezeichnet Russland als „Terroristenstaat“ - UNO-Kritik an Moskau

In einer überraschenden Botschaft vor dem UNO-Sicherheitsrat forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij ein Vorgehen gegen Russland wegen dessen Angriffen auf die Ukraine. Russland dürfe nicht an den Diskussionen und Abstimmungen des Gremiums teilnehmen, sagt Selenskij: „Ich fordere Sie auf, der Delegation des Terroristenstaates ihre Rechte zu entziehen.“

Russland kann solche Maßnahmen als Vetomacht im Sicherheitsrat verhindern. Moskau reagierte als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats verärgert auf den Auftritt Selenskijs. Die Videobotschaft sei im letzten Moment auf die Tagesordnung gesetzt und nicht mit allen Mitgliedern abgestimmt worden, so der stellvertretende russische UNO-Botschafter Dmitri Poljanski.[11] „Das Gremium sei keine Plattform für eine PR-Kampagne des ukrainischen Präsidenten für neue Waffenlieferungen“, so Poljanski.

Die UNO-Menschenrechtskommission warf am 29. Juni 2022 den russischen Streitkräften eine völkerrechtswidrige Kriegsführung vor. Völkerrechtswidrig würden dicht besiedelte Gebiete mit schwerer Artillerie, Mehrfachraketenwerfern beschossen und durch Flugzeuge und Raketen aus der Luft angegriffen. „In weitaus geringerem Umfang“ scheinen dagegen die ukrainischen Streitkräfte das humanitäre Völkerrecht gebrochen zu haben, so die UNO.

„Dabei wurde auch mehrfach Streumunition eingesetzt“, sagte Matilda Bogner, Leiterin der UNO-Menschenrechtskommission in der Ukraine. Beunruhigend seien „extralegale Tötungen“ durch die russischen Truppen in mehr als 30 Orten in den Gebieten Kiew, Tschernihiw, Sumy und Charkiw im Februar und März.


Selenskij wendet sich per Videoschaltung an Österreich

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij richtete sich am 30. Juni 2022 erstmals live und mit einem emotionalen Appell an Österreich. Er forderte verstärkte Hilfen für die Ukraine und schärfere Sanktionen gegen Russland. Denn der Krieg sei auch ein „Gamechanger“ für Europa, so Selenskij bei einer Schaltung am 4Gamechangers-Festival in Wien.[12]

Rückhalt erhielt Selenskij sowohl von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) als auch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. „Wir halten zusammen und gehen stärker heraus, als wir hineingegangen sind“, so Nehammer. „Wir in Österreich wissen, dass es nicht nur die Freiheit der Ukraine ist, die hier verteidigt wird. Es ist unsere Freiheit genauso“, sagte Van der Bellen. Dem Land nicht beizustehen, wäre „unterlassene Hilfeleistung“. Wenn schon nicht militärisch, dann etwa medizinisch, so Van der Bellen. Zudem sei für ein neutrales Land wie Österreich nach wie vor die Diplomatie wichtig. Generell sei das, was Putin hier mache, „kein normaler Krieg“, sondern erinnere an die Kolonialkriege aus dem 19. Jahrhundert.


Abgeschlossen: Anfang Juli 2022


Anmerkungen:

[1] „Militärische Abschreckung ist die einzige Sprache, die Putin versteht“. In: HANDELSBLATT-ONLINE v. 7.6.2022: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/altkanzlerin-im-gespraech-militaerische-abschreckung-ist-die-einzige-sprache-die-putin-versteht/28406946.html

[2] „Kyrill im Ausnahmezustand“: Regina Elsner über Hilarions Absetzung. In: Kath.ch-Online v. 7.6.2022: https://www.kath.ch/newsd/kyrill-im-ausnahmezustand-regina-elsner-ueber-hilarions-absetzung/

[3] „Russisch-orthodoxer Außenamtschef Hilarion überraschend abberufen“. In: Kathpress-Online v. 7.6.2022: https://www.kathpress.at/goto/meldung/2153105/russisch-orthodoxer-aussenamtschef-hilarion-ueberraschend-abberufen

[4] Putin vergleicht sich mit Peter dem Großen, spielt auf weitere Ausdehnung Russlands an. DIE WELT-Online v. 9.6.2022: https://www.welt.de/politik/ausland/article239275695/Krieg-in-der-Ukraine-Putin-vergleicht-sich-mit-Peter-dem-Grossen.html

[5] Russland und China vereinbaren intensivere Zusammenarbeit. In: DER SPIEGEL-Online v. 15.6.2022: https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-krieg-russland-und-china-vereinbaren-staerkere-zusammenarbeit-a-1582ccf6-7175-4c81-99ce-741d45e02c59

[6] Russland drosselt Gaslieferungen nach Deutschland. In: FAZ-Online v. 14.6.2022: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/russland-drosselt-gaslieferungen-ueber-nord-stream-pipeline-18102391.html

[7] Lobrede auf Kiew: Von der Leyen meint es ernst mit dem Ukraine-Beitritt. In: HANDELSBLATT-Online v. 17.6.2022: https://www.handelsblatt.com/politik/international/europaeische-union-lobrede-auf-kiew-von-der-leyen-meint-es-ernst-mit-dem-ukraine-beitritt/28433508.html

[8] Putin greift Westen verbal massiv an. In: DIE WELT-Online v. 17.6.2022: WELT live +++ Putin greift Westen verbal massiv an++ Sondersendung - Video - WELT

[9] Transitstreit zwischen Russland und Litauen verschärft sich. In: DEUTSCHE WELLE-ONLINE v. 22.6.2022: https://www.dw.com/de/transitstreit-zwischen-russland-und-litauen-versch%C3%A4rft-sich/a-62220711

[10] Sweden, Finland commit to back Türkiye’s anti-terror fight. In: Hürriyet Daily News-Online v. 28.6.2022: https://www.hurriyetdailynews.com/turkiye-lifting-objections-to-sweden-finland-joining-nato-174942

[11] Selenskyj bezeichnet Russland als Terroristenstaat. In: DEUTSCHLANDFUNK-ONLINE v. 29.6.2022: https://www.deutschlandfunk.de/selenskyj-bezeichnet-russland-als-terroristenstaat-100.html

[12] 4GC-Programm (4Gamechangers)

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UKRAINE

Update Anfang Juni 2022

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Die Verideologisierung des Ukraine-Konflikts ist im vollen Gange. Aus russischer Sicht handelt es sich in der Ukraine um eine „Operation zur Entnazifizierung“ durch die russischen Streitkräfte. Der Westen lehnt dieses Narrativ rundweg ab und spricht in diesem Zusammenhang um den Versuch Moskaus, den Angriffs- und Eroberungskrieg auf Geheiß des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu rechtfertigen bzw. „reinzuwaschen“. Putin selbst entschuldigt sich später beim israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett für die Äußerungen seines Außenministers Sergej Lawrow.

Während viele westliche Beobachter von Putin bei seiner Rede am 9. Mai anlässlich des 77. Jahrestages des Sieges der Sowjetunion über Hitler-Deutschland eine Steigerung der Eskalationsspirale durch den Kreml erwartet haben, hat Putin keine Teil- oder Generalmobilmachung im Lande angekündigt. Weiterhin hat er von einer „notwendigen Spezialoperation“ in der Ukraine gesprochen, damit sich dort nach seinen Worten der westliche militärisch-industrielle Komplex nicht weiter ausbreiten habe können. Eine formelle Kriegserklärung gegen das Nachbarland bleibt aus.

Inzwischen gelingt es den russischen Truppen mit massierten Angriffen offenbar nicht nur die gesamte Hafenstadt Mariupol samt dem umkämpften Stahlwerk einzunehmen, sondern auch weite Gebiete im Donbass und auch im Südosten unter ihre Kontrolle zu bringen. Die USA wollen Mehrfachraketenwerfer an die ukrainische Armee liefern. Die Ukrainer dürfen aber damit nicht russisches Territorium angreifen, heißt es.

Während Russland den Gashahn für jene europäische Länder abdreht, die nicht bereit sind, in Rubel zu bezahlen, verhängt die EU bei einem Sondergipfel Ende Mai 2022 nach langem internen Ringen ein partielles Embargo für russisches Erdöl. Ungarn legt sich im Berichtszeitraum weiterhin quer, dieses Öl-Embargo der EU zu unterstützen. Konkret fordert der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban von der EU auf die geplanten Strafmaßnahmen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kyrill I. zu verzichten. Nachdem Brüssel die Sanktionen gegen Kyrill I. fallen gelassen hat, wird das eingeschränkte Öl-Embargo gegen Russland umgesetzt. Der wirtschaftlich besonders relevante Boykott gegen Öllieferungen aus Russland zielt darauf ab, im kommenden Jahr auf dem Seeweg kein Erdöl mehr in die EU zu lassen. Lediglich Ungarn, die Slowakei und Tschechien dürfen wegen ihrer großen Abhängigkeit noch bis auf Weiteres russisches Öl über die „Druschba“-Pipeline importieren.

Ein geplanter NATO-Beitritt von Schweden und Finnland wird von der Türkei blockiert. Die Türkei verfolgt dabei eigene Interessen und wirft beiden skandinavischen Ländern vor, die der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK nahestehende Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien zu unterstützen.

Israel empört sich über Äußerungen Lawrows über Hitler und die Nationalsozialisten

Der russische Außenminister Sergej Lawrow machte Anfang Mai 2022 mit einem Nazi-Vergleich in Bezug auf den Ukraine-Krieg in Israel negativ auf sich aufmerksam. Die Regierung in Jerusalem verlangte eine Entschuldigung und bestellte den russischen Botschafter zum Gespräch ein.
Lawrow hatte zuvor die russische Kriegsbegründung wiederholt, in der Ukraine seien Nazis am Werk, und suggeriert, dass Adolf Hitler jüdische Wurzeln gehabt habe. Lawrow berief sich auf die von namhaften Historikerinnen und Historikern verworfene These, wonach der unbekannte Vater von Hitlers unehelich gezeugtem Vater ein jüdischer Kaufmann aus Graz gewesen wäre. „Das weise jüdische Volk sagt (in Anspielung auf die jüdische Herkunft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij), dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind“, so Lawrow.

Der israelische Außenminister Jair Lapid reagierte sofort und sprach von einer „unverzeihlichen, skandalösen Äußerung, einem schrecklichen historischen Fehler“. „Wir erwarten eine Entschuldigung.“ Lapid fügte hinzu: „Meinen Großvater haben nicht Juden umgebracht, sondern Nazis.“
Er empfahl Lawrow, in ein Geschichtsbuch zu schauen. „Die Ukrainer sind keine Nazis. Nur die Nazis waren Nazis. Nur sie haben die systematische Vernichtung der Juden vorgenommen.“ Der Leiter der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem, Dani Dajan, bezeichnete Lawrows Äußerungen „absurd, wahnhaft, gefährlich und verachtenswert“.
„Juden haben sich während des Holocaust nicht selbst ermordet“, betonte der Außenminister. „Das niedrigste Niveau von Rassismus gegen Juden ist es, Juden selbst des Antisemitismus zu bezichtigen.“
Israel hat traditionell sowohl zu Russland als auch zur Ukraine gute Beziehungen. Seit Beginn des russischen Angriffs bemüht sich Israel um eine Vermittlerrolle.
Der israelische Staatschef Bennett bezichtigte Lawrow der „Lügen“. Bennett erklärte, der russische Außenminister habe de facto „den Juden selbst vorgeworfen, die schrecklichsten Verbrechen der Geschichte“ begangen zu haben, die gegen sie verübt worden seien. „Kein Krieg in unserer Zeit ist wie der Holocaust oder mit dem Holocaust vergleichbar“, so Bennett.

Das russische Ministerium entgegnete, die jüngsten Äußerungen von Lapid seien „antihistorisch“ und würden weitgehend erklären, warum die derzeitige israelische Regierung das neonazistische Regime in Kiew unterstütze. Antisemitismus werde in der Ukraine gefördert, hieß es.
„Israelische Söldner befinden sich quasi Schulter an Schulter mit Asow-Kämpfern“, legte die Sprecherin des russischen Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa, nach und heizte den Konflikt mit Israel noch weiter an. Das Asow-Regiment wird von Moskau als neonazistisch bezeichnet.

Scharfe Kritik hagelte es auch von Seiten der US-Administration. „Es war die niedrigste Form von Rassismus, es war die niedrigste Form von Propaganda, es war die niedrigste Form einer heimtückischen Lüge“, so der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price.

Schließlich entschuldigte sich der russische Präsident Putin in einem Telefonat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Bennett für die von russischer Seite gemachten Äußerungen.


Österreich liefert „nicht-tödliche Militärausrüstung

Wie Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) im Zuge einer Parlamentarischen Anfrage am 5. Mai mitteilte, handelte es sich um teils alte Schutzhelme und Splitterschutzwesten. Als Rechtsgrundlage für die Lieferung berief sie sich auf einen EU-Beschluss. Tanners Angaben zufolge wurden bereits im März 10.059 Schutzhelme aus Beständen des Bundesheeres sowie 9.300 Splitterschutzwesten aus Altbeständen bereitgestellt. Die Helme für die Ukraine wurden zwischen 1996 und 2002 hergestellt; die Ministerin gab den Zeitwert pro Stück mit 35 Euro an.


Internationale Geberkonferenz für Ukraine

Die EU kündigte bei der internationalen Geberkonferenz für die Ukraine am 5. Mai 2022 ein neues Hilfspaket im Umfang von 200 Millionen Euro an. Die Konferenz wurde von den EU-Staaten Polen und Schweden gemeinsam organisiert. EU- und UNO-Vertreter nahmen ebenfalls daran teil.


UNO-Generalsekretär übt Kritik an Russland

UN-Generalsekretär Antonio Guterres beschuldigte Russland zum wiederholten Male, den Krieg in der Ukraine im Wesentlichen provoziert zu haben. In einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrats erklärte Guterres am 6. Mai 2022, er habe während seiner Reisen stets kein Blatt vor den Mund genommen und in Moskau, wie in Kiew und auch in New York, dasselbe gesagt: „Nämlich dass Russlands Invasion in der Ukraine eine Verletzung deren eigenen territorialen Integrität sowie der Charta der Vereinten Nationen ist. Und dass sie zum Wohle der Menschen in der Ukraine, Russlands und der ganzen Welt beendet werden muss.“

Moskau wies die Anschuldigungen zurück und erklärte, Moskau sei provoziert worden und werde das auch weiterhin durch die Lieferung westlicher Waffen in die Ukraine.

Die US-Vertreterin im Sicherheitsrat, Linda Thomas-Greenfield, warf Russland vor, „reine Desinformation“ zu verbreiten. Sie rief alle Staaten, die Russland bislang nicht kritisiert haben, dazu auf, dies jetzt zu tun.

Am 6. Mai verabschiedete der UNO-Sicherheitsrat eine erste Erklärung zum Ukraine-Krieg. Darin wurde betont, dass sich das höchste UNO-Gremium hinter die Friedensbemühungen von UNO-Generalsekretär Guterres stelle. „Der Sicherheitsrat drückt starke Unterstützung für die Bemühungen des Generalsekretärs bei der Suche nach einer friedlichen Lösung aus“, hieß es in der einstimmig beschlossenen Erklärung. Es war die erste Stellungnahme des UNO-Sicherheitsrates, dem auch Russland nach intensiven Verhandlungen im Hintergrund zustimmte.


G7-Staaten vereinbaren schrittweisen Ausstieg aus russischem Erdöl - EU einigt sich auf partielles Öl-Embargo

Die sieben wichtigsten westlichen Industriestaaten stellten sich hinter die Position der USA und der EU, aus den Ölimporten aus Russland schrittweise auszusteigen. „Wir werden dafür sorgen, dass wir dies rechtzeitig und geordnet tun, und zwar in einer Weise, die der Welt Zeit gibt, alternative Lieferungen zu sichern“, hieß es in einer am 8. Mai 2022 veröffentlichten G7-Erklärung.

Dennoch war ein geplantes Embargo der EU gegen russische Erdöllieferungen schwierig umzusetzen, da vor allem der Widerstand Ungarns groß blieb. Ende Mai 2022 wurde nach langen Verhandlungen bei einem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs dann doch eine Lösung gefunden, um das Sanktionspaket mit einem Embargo für russisches Erdöl auf den Weg zu bringen. Ungarn wurde ein Kompromiss angeboten - russisches Erdöl soll auch in Zukunft Richtung Budapest fließen dürfen. 75 Prozent aller Ölimporte seien vom neuen Paket abgedeckt, hieß es aus Brüssel.[1]


NATO ruft Putin zur Beendigung des Krieges in der Ukraine auf

Die NATO forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Tag des Sieges über Hitler-Deutschland auf, die Kampfhandlungen in der Ukraine umgehend zu beenden. „Ich rufe Präsident Putin zum 9. Mai noch einmal auf, den Krieg unverzüglich zu beenden, seine Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen und Friedensverhandlungen aufzunehmen“, so Stoltenberg. Die NATO-Allianz sei ein defensives Bündnis. Die gegenwärtige Krise zeige, „dass es überlebenswichtig ist, dass Europa und Nordamerika in der NATO zusammenstehen, um den Frieden zu sichern und die Werte von Freiheit und Demokratie zu bewahren“, betonte Stoltenberg.


USA: Gesetz zu schnelleren Waffenlieferungen an Kiew

US-Präsident Joe Biden unterzeichnete parallel dazu ein Gesetz, das raschere US-Waffenlieferungen an die Ukraine ermöglichen soll. Das Gesetz basierte auf einem Programm aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges im Kampf gegen Hitler-Deutschland. Die USA würden damit den Kampf der Ukraine unterstützen, „ihr Land und ihre Demokratie gegen Putins brutalen Krieg zu verteidigen“, so Biden.

Die Vorlage hatte den US-Kongress mit breiter parteiübergreifender Mehrheit passiert. Das Gesetz gibt Biden mehr Vollmachten, Vereinbarungen mit der ukrainischen Regierung zur Lieferung von US-Waffen zu treffen.


Putin hält Militärparade in Moskau zum 77. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland ab

Im Schatten von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde in Moskau die größte Militärparade des Landes abgehalten. Zum 77. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland zogen Tausende Soldaten auf dem Roten Platz auf. Der russische Präsident Wladimir Putin würdigt in seiner Rede den Einsatz der russischen Streitkräfte in der Ukraine.
Zu den sich derzeit im Einsatz befindlichen Soldaten sagte Putin, sie kämpften im Donbass in der Ostukraine für die Sicherheit Russlands. Und: „Ihr kämpft für euer Vaterland, für seine Zukunft.“ Putin sprach erneut von einer „Spezialoperation“ im Nachbarland Ukraine. Eine Generalmobilmachung oder den Einsatz neuer Waffensysteme kündigte er nicht an.
Dem Westen warf Putin vor, eine Invasion Russlands und der Krim vorbereitet zu haben. Feinde Russlands nutzten „Terroristen“, um Russland zu schaden. Die NATO habe Bedrohungen an den Grenzen Russlands aufgebaut. Der Westen habe nicht auf Russland hören wollen und habe über Jahre nicht auf die russischen Sicherheitsinteressen reagiert - „sie hatten andere Pläne“.
Er warf dem Westen auch einmal mehr vor, „Neonazis“ in der Ukraine bewaffnet zu haben. Moskau habe immer wieder versucht, ein Abkommen für eine internationale Sicherheitslösung zu erzielen, sagte Putin. Die NATO habe aber Russlands Argumente ignoriert und damit begonnen das ukrainische Territorium militärisch zu erschließen. Der „militärische Sondereinsatz“ sei eine notwendige und rechtzeitige Maßnahme gewesen - die einzig richtige Entscheidung.

Unterdessen verbat sich der ukrainische Präsident Selenskij eine „Aneignung“ des Sieges über Hitler-Deutschland im Zweiten Weltkrieg durch Russland. „Wir sind stolz auf unsere Vorfahren, die gemeinsam mit anderen Nationen in der Anti-Hitler-Koalition den Nationalsozialismus besiegt haben. Und wir werden nicht zulassen, dass sich jemand diesen Sieg aneignet“, so der ukrainische Präsident.


UNO-Generalsekretär Guterres in Wien

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte bei seinem Besuch in Österreich am 11. Mai ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine.[2] „Dieser sinnlose Krieg muss aufhören“, betonte Guterres nach einem Besuch bei Bundespräsident Alexander van der Bellen. „Die russische Invasion in der Ukraine hat massive Verwüstung, Zerstörungen und Leiden in dem Land verursacht… Dieser Krieg wird nicht für immer andauern", so der UNO-Generalsekretär. Es werde wieder der Moment für Friedensverhandlungen kommen und sein Büro werde dafür auch bereitstehen, „aber das ist nicht unmittelbar am Horizont“, sagte Guterres.
Guterres leitete vor Ort das Frühjahrstreffen des höchsten Koordinations- und Strategiegremiums der Vereinten Nationen, das am UNO-Sitz in Wien abgehalten wurde.


Ukraine verringert russische Gaslieferungen nach Europa

Mitte Mai 2022 entbrannte zwischen Kiew und Moskau ein propagandistisches Geplänkel um verminderte russische Gaslieferungen nach Europa.
Die Ukraine wollte Gas von Russland nach Europa über die unterbrochene Schlüsselroute Sochranowka erst bei Garantien Russlands wieder weiterleiten. Kiew müsse erst die Kontrolle über sein Gastransitsystem wiedererlangen, wie der Netzbetreiber GTSOU erklärte. Die Gaspipeline verläuft durch die ukrainische Region Luhansk, von der ein Teil seit 2014 unter der Kontrolle von Separatisten steht, die von Russland unterstützt werden.

Der Transit von russischem Erdgas durch die Ukraine ging laut russischen Angaben schließlich weiter zurück. Am 16. Mai 2022 sollten nach Angaben des russischen Energiekonzerns Gazprom nur noch 46,8 Millionen Kubikmeter Gas durch das ukrainische Leitungsnetz in Richtung Europa gepumpt werden. Die vertraglich mögliche maximale Auslastung liegt bei 109 Millionen Kubikmetern pro Tag.

Nachdem zuvor der polnische Präsident Duda am 22. Mai 2022 im ukrainischen Parlament eine flammende Unterstützungsrede zugunsten der Ukraine hielt, kündigte Polen ein bilaterales Abkommen mit Russland über die „Jamal“-Gaspipeline auf. Ziel Polens sei es, vollkommen unabhängig von russischem Gas zu werden, hieß es. Die Jamal-Pipeline liefert russisches Erdgas von der Jamal-Halbinsel in Sibirien durch Russland, Weißrussland und Polen bis nach Deutschland.


Weizenpreise steigen am Weltmarkt rasant an - Weizen als Faustpfand

Der Ukraine-Krieg hat zur Verknappung von Weizen auf dem Weltmarkt geführt und damit zu stark steigenden Preisen. In der Ukraine lagern rund 20 Mio. Tonnen Getreide, die angesichts blockierter Lieferwege und Häfen nicht exportiert werden können. Weitere bis zu 40 Mio. Tonnen Getreide könnte die kommende Ernte bringen. Der Krieg verhindert aber vielerorts die Aussaat.
Moskau macht die in der Ukraine blockierten Getreideexporte mehr oder minder unverhohlen zu einem Faustpfand im Konflikt mit dem Westen. Schuld an der drohenden globalen Nahrungsmittelkrise seien die Sanktionen des Westens, so die Diktion der russischen Führung. Würden diese aufgehoben, könne Russland auch seinen Beitrag leisten. Die Ukraine und auch Großbritannien und die USA warfen Russland bereits vor, die Welt erpressen zu wollen. Laut Kreml-Sprecher Dmitri Peskow müsste der Westen vielmehr „die ungesetzlichen Entscheidungen, die das Chartern von Schiffen und den Getreideexport behindern, zurücknehmen“. Für die Probleme mit Getreideexporten aus der Ukraine sei der Westen verantwortlich, indem er Sanktionen gegen Russland verhängt habe. Vorwürfe, dass Russland die Ausfuhren blockiere, wies Moskau kategorisch zurück.


Großbritannien unterzeichnet ein militärisches Beistandsabkommen mit Schweden und Finnland

Der britische Premierminister Boris Johnson unterzeichnete am 11. Mai 2022 ein militärische Beistandsabkommen mit Schweden und Finnland gegenüber einer möglichen russischen Invasion. Beide Länder überlegten darüber hinaus, der NATO beizutreten.
Einen Tag später erklärten dann der finnische Präsident Sauli Niinistö und die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin, Finnland wolle „unverzüglich“ der NATO beitreten.

Nach Einschätzung der Führung in Moskau sei dies „eindeutig“ eine Bedrohung für Russland. Wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow festhielt, würden eine Ausweitung des Militärbündnisses und eine NATO-Annäherung an die russischen Grenzen „die Welt und unseren Kontinent nicht stabiler und sicherer machen. Der von Finnland unternommene Schritt sei bedauerlich und ein Grund für eine entsprechende Reaktion“, so Peskow. Kreml-Chef Wladimir Putin habe ohnehin bereits angewiesen, die Sicherheit der westlichen Flanke Russlands mit Blick auf die NATO-Aktivitäten zu stärken. „Die NATO bewegt sich in unsere Richtung“, sagte Peskow. Alles hänge nun davon ab, wie sich die NATO-Erweiterung entwickle und welche militärische Infrastruktur an die Grenzen verlegt werde. Peskow warf Finnland auch vor, innerhalb der EU unfreundliche Schritte gegen Russland unternommen zu haben. Auch darauf werde Russland antworten.
Inmitten der Spannungen wegen eines möglichen NATO-Beitritts Finnlands stellte Russland seine Stromlieferungen in das Nachbarland wegen ausstehender Zahlungen ein.


Schweden und Finnland wollen NATO-Mitglieder werden

Die schwedische Regierung hatte die endgültige Entscheidung über den NATO-Mitgliedsantrag am 16. Mai 2022 getroffen. „Das fühlt sich groß an, es fühlt sich ernst an, es fühlt sich an, als wären wir jetzt doch dabei gelandet, wovon wir glauben, dass es das Beste für Schweden ist“, sagte die schwedische Außenministerin Ann Linde.
Der schwedische König Carl XVI. Gustaf betonte die Absicht seines Landes, „gleichzeitig und im Einvernehmen mit Finnland“ der NATO beizutreten.
Auch die finnische Regierung folgte mit ihrer Pro-NATO-Entscheidung nach.

Unterdessen sah der russische Außenminister Sergej Lawrow keinen großen Unterschied, sollten Schweden und Finnland der NATO beitreten. Die beiden Länder wie auch andere neutrale Staaten hätten bereits seit Jahren an NATO-Manövern teilgenommen, sagte Lawrow. „Die NATO kalkuliert ihr Territorium bei der Planung militärischer Vorstöße nach Osten ein. In diesem Sinne gibt es also wahrscheinlich keinen großen Unterschied. Schauen wir einmal, wie ihr Territorium in der Praxis im Nordatlantikbündnis genutzt wird“, so Lawrow.

Doch die Türkei blockierte schließlich die Beitrittsgespräche der NATO mit Schweden und Finnland. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan machte unterdessen erneut deutlich, dass er eine Zustimmung zum NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands von einem „Zugehen auf sein Land in Sicherheitsfragen“ abhängig macht. Die NATO-Erweiterung gehe für die Türkei einher mit dem Respekt, den man ihren Empfindsamkeiten entgegenbringe, betonte er.
Die Türkei begründete ihre Haltung bisher stets mit angeblicher Unterstützung beider Länder für die PKK und die YPG. Die Türkei sieht die YPG als syrischen Ableger der PKK, die in der Türkei, Europa und den USA als Terrororganisation gilt. Gegen die YPG - in den USA und Europa nicht als Terrororganisation gelistet - geht die Türkei in Nordsyrien vor.

Russland stellte mit 21. Mai 2022 die russischen Gaslieferungen an Finnland ein.
Kurze Zeit später stoppte Russland auch die Gaslieferungen an die Niederlande. Offizielle Begründung: Der niederländische Gasimporteur wollte seine Rechnung nicht in Rubel bezahlen. Zu Versorgungsengpässen kam es aber nicht, da die Niederländer bereits anderswo Gas eingekauft haben. Der Vertrag mit Gazprom lief sowieso zum 1. Oktober 2022 aus.


Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder verlässt Rosneft

Der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder will den Aufsichtsrat des russischen Ölkonzerns Rosneft verlassen. Schröder, der Rosneft-Aufsichtsratschef ist, habe mitgeteilt, dass es ihm unmöglich sei, sein Mandat in dem Gremium zu verlängern. Wegen seines Engagements bei dem russischen Ölkonzern war der politische Druck auf Schröder in Deutschland und der EU zunehmend gestiegen.
So hatte sich das europäische Parlament mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, Politikerinnen und Politiker, die Geld von Russland beziehen, sowie Europäer, die in der Führung großer russischer Unternehmen sitzen, mit Sanktionen zu belegen. Namentlich erwähnt wurde in dem Beschluss Schröder - aber auch die ehemalige Außenministerin Karin Kneissl.
Der heute 78-jährige Gerhard Schröder gilt als langjähriger Freund des russischen Präsidenten Putin. Für Wirbel sorgte er unter anderem, als er mitten in der Eskalation vor dem russischen Angriff auf das Nachbarland Forderungen der Ukraine nach Waffenlieferungen als „Säbelrasseln“ kritisierte. Das Schröder seine Posten in russischen Konzernen auch nach Kriegsbeginn nicht aufgab, sorgte auch für Unmut in seiner eigenen Partei. Die SPD-Spitze forderte Schröder, der von 1998 bis 2006 deutscher Bundeskanzler war, zum Parteiaustritt auf.

Karin Kneissl verließ am 23. Mai 2022 den Aufsichtsrat von Rosneft.


Selenskij spricht per Videoschaltung am Weltwirtschaftsforum in Davos

Der ukrainische Präsident rief am 23. Mai 2022 die internationale Staatengemeinschaft zu „maximalen“ Sanktionen gegen Russland auf und forderte weitere Waffenlieferungen. Es dürfe „keinen Handel mit Russland“ mehr geben, sagte Selenskij in einer Videoansprache beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Notwendig seien auch ein Ölembargo sowie Sanktionen gegen alle russischen Banken.
Zudem rief er die Staatenwelt angesichts des russischen Angriffskrieges gegen sein Land zu weiteren Waffenlieferungen auf. „Die Ukraine braucht alle Waffen, die wir fordern, nicht nur die, die geliefert wurden“, betonte er.


Abspaltung der ukrainisch-orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat

Die ukrainisch-orthodoxe Kirche beschloss am 27. Mai 2022 in Kiew ihre völlige Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat. Nach einem Landeskonzil, an dem Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien teilnahmen, hieß es: „Wir teilen nicht die Position des Patriarchen von Moskau und ganz Russland Kyrill zum Krieg in der Ukraine.“
Im Gegensatz zu Kyrill I. verurteilte das ukrainische Landeskonzil Russlands Angriffskrieg als Verstoß gegen das Gebot „Du sollst nicht töten!“. Die Versammlung sprach allen Menschen, die unter dem Krieg litten, ihr Beileid aus. Die Regierungen der Ukraine und Russlands sollten den Verhandlungsprozess fortsetzen und das „Blutvergießen“ beenden.
Das Konzil drückte sein „tiefes Bedauern über den Mangel an Einheit in der ukrainischen Orthodoxie“ aus. Man gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass ein Dialog aufgenommen werden könne.


NATO-Mitgliedsland Dänemark wird an EU-Verteidigungspolitik künftig teilnehmen

Die Dänen stimmten Anfang Juni 2022 mit großer Mehrheit für eine Teilnahme an der gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU. Damit wird sich Dänemark künftig an der europäischen Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit und somit zum Beispiel an militärischen EU-Missionen beteiligen können.


Partielles Embargo von russischen Erdöllieferungen in die EU

Während Russland in der Zwischenzeit den Gashahn für jene europäische Länder abdrehte, die nicht bereit sind, in Rubel zu bezahlen, verhängte die EU bei einem Sondergipfel Ende Mai 2022 nach langem internen Ringen ein partielles Embargo für russisches Erdöl. Ungarn legte sich im Berichtszeitraum weiterhin quer, dieses Öl-Embargo der EU zu unterstützen. Konkret forderte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban von der EU, auf die geplanten Strafmaßnahmen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kyrill I. zu verzichten. Nachdem Brüssel den letzten Sanktionspunkt gegen Kyrill I. fallen gelassen hatte, wurde das eingeschränkte Öl-Embargo gegen Russland umgesetzt. Der wirtschaftlich besonders relevante Boykott gegen Öllieferungen aus Russland zielt darauf ab, im kommenden Jahr auf dem Seeweg kein russisches Erdöl mehr in die EU zu lassen. Lediglich Ungarn, die Slowakei und Tschechien dürfen wegen ihrer großen Abhängigkeit noch bis auf Weiteres russisches Öl über die „Druschba“-Pipeline importieren.


Abgeschlossen: Anfang Juni 2022


Anmerkungen:

[1] EU leaders agree to ban majority of Russian oil imports, In: FINANCIAL TIMES-Online v. 31.5.2022: https://www.ft.com/content/acc55aee-1b63-4f23-b52d-41fe661b0714

[2] Krieg überschattet Wien-Besuch von UN-Generalsekretär Guterres. In: DER STANDARD-Online v. 11.5.2022: https://www.derstandard.at/story/2000135637194/krieg-ueberschattet-wien-besuch-von-un-generalsekretaer-guterres

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Weiterführende LINKS:

Ukraine’s War Has Already Changed the World’s Economy

Economic consequences of the Russia-Ukraine conflict

Russia-Ukraine War: The Economic Impact for the Asia-Pacific

Russia-Ukraine crisis - Oxford Economics

Russia-Ukraine war takes center stage at Davos World Economic Forum - DW

War will have huge economic costs for Ukraine and Russia

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UKRAINE

Update Anfang Mai 2022

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Vor dem Hintergrund der verstörenden Bilder von Massengräbern und auf Straßen liegender getöteter Zivilisten in ukrainischen Dörfern und Städten, die offensichtlich bei der russischen Invasion – mehr oder weniger gezielt – ums Leben gekommen sind, erhebt sich der Vorwurf nicht nur der ukrainischen Behörden, sondern auch des Westens, dass die Truppen des russischen Präsidenten Wladimir Putin „Kriegsverbrechen“ begangen haben könnten. Der Kreml selbst hat von einer „Provokation“ von Seiten Kiews gesprochen und weist jegliche Schuld für diese Taten von sich.

Der anschließende Vermittlungsversuch des österreichischen Bundeskanzlers Karl Nehammer in Kiew und Moskau hat kaum Bewegung in die verhärteten Fronten gebracht. Vielmehr hat offensichtlich Putin dem österreichischen Kanzler die ungestörte Lieferung von russischem Erdgas für Österreich zugesichert. In der EU sind mittlerweile deutliche Risse in der „Anti-Russland-Front“ erkennbar, da vor allem Deutschland, Österreich, aber auch Ungarn ein von anderen EU-Ländern gefordertes Embargo von russischem Gas – nicht zuletzt aufgrund der großen Abhängigkeiten von russischer Energieversorgung – vehement ablehnen.

Die Gasversorgung dürfte die Achillesferse des europäischen anti-russischen Zusammenhalts darstellen. Angesichts der westlichen Lieferung von zunehmend schweren Waffen – unter anderem auch durch Deutschland – an die bedrängten ukrainischen Streitkräfte; angesichts der laufenden Debatte der skandinawischen Staaten Schweden und Finnland für einen NATO-Beitritt, dürfte die Frage der militärischen Neutralität eines kleinen EU-Mitgliedslandes wie Österreich – umgeben (mit Ausnahme der Schweiz und Liechtenstein) von EU- und NATO-Staaten – zunehmend eine zentrale Bedeutung erlangen.


In einer emotional gehaltenen Rede rief der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij am 5. April 2022 den UNO-Sicherheitsrat zum Handeln gegen Russland auf. Seit Jahren lasse man Russland mit seinen Lügen durchkommen. Moskau sei der Aggressor. Nun habe man klare Beweise für Kriegsverbrechen (vor dem Hintergrund der getöteten Zivilisten in der ukrainischen Stadt Butscha) und müsse dem Aggressor endlich Grenzen setzen, betonte Selenskij in seiner Videobotschaft. Nur so könne man der militärischen Macht Russlands Einhalt gebieten und auch an andere verbrecherische Regime eine klare Botschaft senden. Sonst, sagte er warnend, werde die UNO obsolet werden und das internationale Recht seine Bedeutung verlieren.
Bilder von getöteten Zivilisten, die neben zerschossenen und ausgebrannten Autos einer Straße in der Stadt Butscha lagen, gingen um die Welt. Russland wurde vorgeworfen, in der Region um Kiew schwere Kriegsverbrechen begangen zu haben. Präsident Selenskij hatte bereits bei einem Besuch in Butscha am Vortag eine internationale Untersuchung gefordert. Er betonte, die russischen Aggressoren hätten in der 25 Kilometer nordwestlich von Kiew gelegenen Stadt mindestens 300 Zivilisten getötet. Viele der ermordeten Zivilisten seien gefoltert, Frauen und Mädchen vergewaltigt worden.
Präsident Selenskij forderte zudem ausländische Journalisten und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen auf, sich ein Bild vor Ort zu machen. Je mehr Zeugen man für die russischen Verbrechen habe, desto besser, hielt Selenskij fest.

Moskau sprach von einer „Provokation“ von ukrainischer Seite und wies die Anschuldigungen unter anderem auch des Westens zurück. Das Verteidigungsministerium in Moskau sprach von „Fake News“. Die Leichen auf der Einfahrtsstraße nach Butscha seien erst nach dem russischen Abzug aufgetaucht, wurde von russischer Seite behauptet.

Als Reaktion wiesen einige westliche Staaten russische Diplomaten aus. Zudem wurden weitere Sanktionen des Westens verhängt. EU-Staaten hatten wegen des Ukraine-Krieges Vermögenswerte in Höhe von rund 30 Milliarden Euro von sanktionierten Personen und Einrichtungen aus Russland und Weißrussland eingefroren. Darunter seien Schiffe, Hubschrauber, Immobilien und Kunst, teilte die EU-Kommission am 8. April 2022 mit.


Ausschluss Russlands aus dem UNO-Menschenrechtsrat 

Der UNO-Generalversammlung stimmte am 7. April schließlich mit Zweidrittelmehrheit für den Ausschluss Russlands aus dem Menschenrechtsrat. 93 Nationen stimmten dafür und 24 dagegen. Russland, China, Kuba, Nordkorea, Iran, Syrien, Vietnam gehörten zu denen, die dagegen gestimmt haben. 58 enthielten sich der Stimme. Dazu gehörten Indien, Brasilien, Südafrika, Mexiko, Ägypten, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Katar, Kuwait, Irak, Pakistan, Singapur, Thailand, Malaysia, Indonesien und Kambodscha.[1]


EU-Spitze in Kiew – EU-Perspektive für die Ukraine?

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell waren am 8. April 2022 in Kiew  freilich nach dem strategischen Rückzug der russischen Truppen aus dem weiteren Umfeld  angekommen. Ihre wichtigste Botschaft an den ukrainischen Präsidenten sei, dass es einen Weg für die Ukraine in die EU gebe. „Normalerweise dauert es Jahre, bis der EU-Rat den Antrag auf Mitgliedschaft annimmt, aber die Ukraine hat das in ein oder zwei Wochen geschafft“, betonte sie. „Unser Ziel ist es, den Antrag der Ukraine noch in diesem Sommer dem Rat vorzulegen.“[2]
Die Vertretung der EU in Kiew wurde am gleichen Tag wiedereröffnet. Die EU-Vertretung war einen Tag nach Kriegsbeginn komplett evakuiert worden. Ein Kernteam arbeitete danach von Rzeszow (in Südpolen) aus.


Der österreichische Bundeskanzler zu „Solidaritätsbesuch“ in Kiew

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) machte am 9. April 2022 eine als „Solidaritätsbesuch“ bezeichnete Reise in die Ukraine. Bei einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij bezeichnete er Russlands Krieg als „völlig inakzeptabel“ und sicherte der Ukraine insbesondere humanitäre Hilfe zu. Unter anderem würden 20 Rettungsfahrzeuge und zehn Tanklöschwagen aus Österreich an die ukrainischen Behörden geliefert, so Nehammer.[3]
„Wir sind und bleiben militärisch neutral, aber nicht, wenn es darum geht, Verbrechen zu benennen und wenn es darum geht, dort hinzugehen, wo tatsächlich Unrecht passiert“, betonte Nehammer in Kiew. Österreich trage aber dennoch die EU-Sanktionen gegen Russland mit, so der Bundeskanzler.
Österreichs Nein zu einem Gasembargo verteidigte Nehammer. „Es ist widerlich, dass wir vom russischen Gas abhängig sind, aber das ist keine Kategorie des politischen Denkens“, merkte Nehammer an. Aber ein Ende der russischen Gaslieferungen könnte in Österreich schwerwiegende wirtschaftliche und auch soziale Verwerfungen nach sich ziehen. Das dürfe Österreich nicht zulassen.


Bundeskanzler Karl Nehammer trifft überraschend Wladimir Putin

Nach seinem Besuch in der Ukraine bei Präsident Selenskij reiste der österreichische Bundeskanzler Nehammer am 11. April 2022 überraschend nach Moskau, um dort ein mehr als einstündiges Vier-Augen-Gespräch zu führen. Das Gespräch fand in Putins offizieller Residenz Nowo-Ogarjowo statt. Nach dem Treffen sprach der Kanzler von einem „direkten, offenen und harten“ Gespräch, das einen pessimistischen Eindruck hinterlassen habe. Ihm (Nehammer) sei es wichtig gewesen, Putin mit den „Fakten des Krieges“ zu konfrontieren. Auch habe Nehammer die Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten in der Ukraine angesprochen. „Meine wichtigste Botschaft an Putin war (…), dass dieser Krieg endlich enden muss, denn in einem Krieg gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer.“
„Putin ist massiv in der Kriegslogik angekommen und handelt auch entsprechend“, so der Kanzler. Anfangs habe Putin den Begriff „Krieg“ nicht akzeptiert, gegen Ende des Gesprächs habe der russische Präsident jedoch sinngemäß gesagt, er hoffe, dass dieser bald ende.
Der Kreml selbst äußerte sich zurückhaltend bzw. inhaltlich gar nicht zum Gespräch. „Das Treffen war nach Maßstäben der letzten Zeit nicht sonderlich lang“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Präsident Putin erwähnte den Besuch Nehammers bei einem Termin nicht, aber sprach davon, dass Russland vom Westen nicht isoliert werden könne. Im russischen TV wurde ein kurzer Beitrag über das Treffen gezeigt.

Fachleute im In- und Ausland sahen in dem Besuch Nehammers keinen „erkennbaren“ Erfolg – wenn das auch nicht erwartbar war.


NATO will auch schwere Waffen an ukrainische Armee liefern

Vor dem Hintergrund der militärischen Umgruppierung der russischen Kräfte mit Masse im Osten und Süden der Ukraine wurden die ukrainischen Einheiten zur Abwehr eines bevorstehenden massiven Angriffs Russlands nunmehr auch offenbar durch schwere Waffensysteme wie Kampf- und Schützenpanzer von NATO-Staaten beliefert. Die NATO-Staaten seien bereit, die Ukraine auf Jahre hinaus für den Kampf gegen Russland mit Waffen zu beliefern. Das bekräftigte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zuvor in einem Interview.
Wie am 8. April 2022 bekannt wurde, hatte die Slowakei ihr aus Sowjetzeiten stammendes S-300-Luftabwehrsystem der Ukraine geschenkt und es in einer Geheimaktion den ukrainischen Behörden übergeben.

Der britische Premierminister Boris Johnson reiste ebenfalls nach Kiew und traf am 9. April 2022 den ukrainischen Präsidenten Selenskij. Johnson zeigte sich bereit, Rüstungsgüter im Wert von 100 Millionen Pfund (120 Millionen Euro) zu schicken. Zu diesem Paket zählten neben 120 gepanzerten Fahrzeugen moderne Luftabwehr-Raketen vom Typ Starstreak, 800 Panzerabwehrwaffen sowie lenkbare Präzisionsmunition. Großbritannien ist bereits einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine und hat Waffensysteme geliefert. London wolle auch für einen weiteren Kredit der Ukraine bürgen, hieß es.[4]


Putin gibt sich siegesgewiss

Der russische Präsident verteidigte am 12. April 2022 den Angriff auf die Ukraine und zeigte sich siegesgewiss: Die Ziele des „militärischen Sondereinsatzes“, wie der Krieg in Russland offiziell heißt, würden erreicht werden. Russland verfolge „klare und edle“ Ziele, ein „Völkermord“ im Donbass habe nicht länger toleriert werden können. Belege für den behaupteten Genozid lieferte er nicht.
Russland wolle sich laut Putin nicht vom Rest der Welt abschotten. Auch die Sanktionen, mit denen der Westen auf die russische Invasion reagiert, könnten Russland nach Ansicht Putins nicht isolieren. „Es ist unmöglich, irgendjemanden in der modernen Welt ernsthaft zu isolieren - besonders so ein riesiges Land wie Russland.“


Russland warnt Schweden und Finnland vor NATO-Beitritt

Russland warnte am 15. April 2022 Finnland und Schweden wiederholt vor den „Konsequenzen“ eines möglichen NATO-Beitritts. Helsinki und Stockholm müssten „verstehen, welche Folgen ein solcher Schritt für unsere bilateralen Beziehungen und für die europäische Sicherheitsarchitektur insgesamt hat“, hieß es aus dem russischen Außenministerium.
Auch werde eine Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands in der NATO „wahrscheinlich nicht zur Stärkung (ihres) internationalen Ansehens beitragen“. Die Politik der Blockfreiheit der beiden Länder biete „ein verlässliches Sicherheitsniveau“, während die Mitgliedschaft in einem Militärbündnis „nicht in der Lage ist, ihre nationale Sicherheit zu stärken“. Beide Länder würden „sich automatisch an der Front der NATO wiederfinden“.

Der ehemalige russische Präsident und die derzeitige Nummer zwei des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, hatte am Vortag davor gewarnt, dass Russland Atomwaffen in der Nähe der drei baltischen Staaten und Skandinaviens stationieren würde, falls Finnland oder Schweden sich für einen NATO-Beitritt entscheiden sollten.


Ukrainische Armee zerstört offenbar symbolträchtigen Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“ mit Raketen

Nach dem Untergang des Schwarzmeerflaggschiffs „Moskwa“ übte das russische Militär am 15. April 2022 Vergeltung und zerstörte eine Raketenfabrik im Großraum Kiew. Zudem wurden russische Angriffe auf die Hauptstadt Kiew lanciert.
In der Fabrik nahe dem internationalen Flughafen Kiews sollen Neptun-Raketen hergestellt worden sein. Mit diesem Raketentyp sollen die ukrainischen Streitkräfte nach eigenen Angaben den prestigeträchtigen russischen Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“ zerstört haben. Das russische Militär hingegen sprach von einer Explosion von Munition an Bord, die die Katastrophe ausgelöst hatte.

Am 18. April 2022 startete Russland seine groß angelegte Militäroffensive im Osten der Ukraine.


USA erhöhen Militärhilfe für die Ukraine

Die USA wollen die Ukraine und regionale Verbündete mit weiteren umgerechnet knapp 650 Mio. Euro unterstützen. Außerdem sollen Diplomatinnen und Diplomaten in das Land zurückkehren, wie US-Außenminister Antony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin bei einem Besuch in Kiew am 24. April 2022 betonten. Ihre Reise in die Ukraine wurde – aus Sicherheitsgründen – vorerst geheim gehalten.
Zum Thema Militärhilfe erklärten Blinken und Austin, die USA wollten diese weiter ausbauen und zusätzliche 700 Mio. Dollar (knapp 650 Mio. Euro) zur Verfügung stellen. Davon sollten etwa 322 Mio. Dollar für Waffenkäufe für die ukrainischen Streitkräfte verwendet werden, der Rest solle an die regionalen Verbündeten der Ukraine gehen, die Kiew Hilfe geleistet hatten und nun selbst ihre Waffenbestände wieder auffüllen müssen.
Die gesamte US-Sicherheitshilfe für die Ukraine seit der Invasion belaufe sich damit auf etwa 3,7 Mrd. Dollar (rund 3,4 Mrd. Euro), hieß es aus Washington.[5]

In Anlehnung an eine Regelung aus dem Zweiten Weltkrieg erleichtert den USA die Lieferung von Rüstungsgütern an die Ukraine und andere osteuropäische Länder. Nach dem US-Senat beschloss am 28. April 2022 auch das US-Repräsentantenhaus mit großer Mehrheit einen entsprechenden Gesetzentwurf. Präsident Joe Biden musste das Gesetz noch unterzeichnen. Damit wird der US-Präsident bis 2023 ermächtigt, der Ukraine und anderen Staaten in Osteuropa, die vom russischen Angriffskrieg betroffen sind, militärische Ausrüstung zu leihen oder zu verpachten. Bestimmte formale Anforderungen bei dem Prozedere sollen dabei ausgesetzt werden. Ein ähnliches Leih- und Pachtgesetz hatte der US-Kongress 1941 während des Zweiten Weltkrieges verabschiedet: Dies erlaubte Amerika, zügig und in grossem Umfang Rüstungsgüter an Alliierte im Kampf gegen Hitler-Deutschland zu liefern.
Laut US-Präsident Biden würde man einem angegriffenen souveränen und freien Land wie der Ukraine mit Waffen aushelfen, sich gegen einen Aggressor zur Wehr zu setzen. Es gehe dabei nicht darum, Russland direkt anzugreifen. Für Amerika bekommt der Ukraine-Konflikt immer stärker auch eine ideologische Note, um die westlichen Werte der Freiheit für alle potenziellen autokratischen Systeme auf der Welt erkennbar, wehrhaft hoch zu halten. Dies scheint ein deutliches Signal an China zu sein, im Windschatten des Ukraine-Krieges nicht eine Invasion Taiwans anzustreben.
Ein Abnützungskrieg in der Ukraine könnte aus Sicht Washingtons lange dauern und mit massiver westlicher Militärhilfe für die ukrainischen Verteidiger die russischen Kräfte erheblich konventionell und materiell schwächen. Auch wenn die Eventualität des Einsatzes von russischen taktischen Atomwaffen immer wieder in Expertenkreisen diskutiert wurde, so dürfte ein solches Extremszenario wahrscheinlich nicht in die Realität umgesetzt werden.


UNO-Generalsekretär Guterres verhandelt in Moskau

Am 26. April 2022 traf UNO-Generalsekretär Antonio Guterres mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in Moskau zusammen. Guterres sprach sich für eine rasche Waffenruhe und ein Ende des Krieges in der Ukraine aus. Er habe ein Interesse daran, „alles Mögliche“ zu tun, um den Krieg und das Leiden der Menschen zu beenden, sagte der 72-Jährige. Der Krieg habe schon jetzt weltweit auch Auswirkungen auf die Preise bei Lebensmitteln und Energie, mahnte Guterres. Deshalb sei es nötig, den Dialog zu führen und eine Waffenruhe zu erreichen, um die Bedingungen für eine friedliche Lösung des Konflikts zu finden, sagte der UNO-Chef. Unterschiedliche Interpretationen über die Kriegsgeschehnisse in der Ukraine würden die „Möglichkeit, einen sehr ernsthaften Dialog darüber zu führen, wie wir am besten daran arbeiten können, das Leiden der Menschen zu minimieren“, nicht einschränken, betonte Guterres.
Guterres schlug die Bildung einer trilateralen Gruppe zur Lösung humanitärer Probleme in der Ukraine vor, bestehend aus Vertretern der UNO, Kiews und Moskaus. Diese Kontaktgruppe könne die Sicherheit von Fluchtkorridoren gewährleisten, sagte der UNO-Generalsekretär. Lawrow betonte, dass Russland prinzipiell für eine Verhandlungslösung sei. Es sei derzeit aber „noch zu früh“, um über Vermittler in dem Prozess zu reden.
Guterres betonte, er bedauere, dass die UNO an der Umsetzung nicht beteiligt war – nämlich im Normandie-Format, in dem Frankreich und Deutschland in dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland vermittelten.
Lawrow sagte weiters, dass sich um die Ukraine viele Probleme angesammelt hätten, die geklärt werden müssten. Lawrow beklagte, es gebe Tendenzen im Westen, eine monopolare Welt zu errichten. Darauf erwiderte Guterres, er sei ein erklärter Anhänger einer multipolaren Welt.

Russlands Außenminister Lawrow hatte vor seinem Treffen mit Guterres Ängste vor einem Dritten Weltkrieg geschürt. „Die Gefahr ist ernst; sie ist real; sie darf nicht unterschätzt werden“, so Lawrow in einem Interview im russischen Fernsehen. Nach den Worten Lawrows führe die NATO durch westliche Waffenlieferungen an die Ukraine zudem einen Stellvertreterkrieg gegen Russland.

Der UNO-Generalsekretär hatte anschließend auch eine Unterredung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Man saß sich wieder an dem großen ovalen Tisch gegenüber. Nach dem Treffen teilte die UNO mit: „Der Präsident stimmte grundsätzlich der Beteiligung der Vereinten Nationen und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz an der Rettung von Zivilpersonen aus dem Asow-Stahl-Werk in Mariupol zu.“ Dazu sollten die Vereinten Nationen mit dem russischen Verteidigungsministerium in Kontakt bleiben. Das Gespräch im Kreml soll etwa eine Stunde gedauert haben.
Putin „hofft“ nach eigenen Worten auf eine Beilegung des Konflikts mit der Ukraine auf dem Verhandlungsweg. „Trotz der Tatsache, dass der Militäreinsatz (in der Ukraine) andauert, hoffen wir immer noch, dass wir in der Lage sein werden, auf diplomatischem Wege Abkommen zu erreichen“, betonte Putin während des Treffens mit UNO-Generalsekretär Guterres in Moskau. Russland sei nicht gegen Verhandlungen mit der ukrainischen Seite.

Guterres traf am 28. April 2022 den ukrainischen Präsidenten Selenskij in Kiew zu Gesprächen. Zentrales Gesprächsthema war die Schaffung eines humanitären Fluchtkorridors für die in der südukrainischen Hafenstadt Mariupol festsitzenden Zivilisten. Während des Besuchs des UNO-Generalsekretärs hatten russische Truppen die ukrainische Hauptstadt mit Raketen beschossen.


Westen liefert schweres Kriegsgerät – nun auch Deutschland

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (beide SPD) wurden wegen ihrer Linie im Ukraine-Krieg seit Wochen heftig kritisiert. Bei einem hochrangig besetzten Treffen auf dem US-Waffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein kündigte Lambrecht am 26. April 2022 eine Kehrtwende an: Erstmals sollen schwere Waffen an die Ukraine geliefert werden.
So will Berlin nun die Ukraine im Abwehrkrieg gegen Russland mit Flugabwehrpanzern unterstützen. Die deutsche Bundesregierung erlaubte eine Lieferung von Gepard-Panzern aus Beständen der Industrie. Der Rüstungshersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW) erhielt grünes Licht für den Verkauf der technisch aufgearbeiteten Flugabwehrpanzer aus früheren Bundeswehr-Beständen. Krauss-Maffei Wegmann verfügt über 50 lieferbare Panzer des Typs aus der aufgelösten Heeresflugabwehr der Bundeswehr. Der Gepard kann auch im Kampf gegen Bodenziele eingesetzt werden.
Die Gepard-Panzer wurden vor rund zehn Jahren von der Bundeswehr ausgemustert.


Russland verhängt Gaslieferstopp gegenüber Polen und Bulgarien

Polen und Bulgarien erhalten kein russisches Erdgas mehr. Der russische Staatskonzern Gazprom stellte am 27. April 2022 offiziell nach eigenen Angaben seine Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien ein. Er begründete die Maßnahme damit, dass die zuständigen Unternehmen, die polnische PGNIG („Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo“) und „Bulgargaz“ in Bulgarien – wie von der EU-Kommission empfohlen –, die Gaslieferungen nicht in Rubel bezahlen. Die Unternehmen lehnten es auch ab, für die Zahlungen ein von Gazprom vorgeschlagenes Verfahren zu nutzen.
Polen und Bulgarien hatten schon zuvor angekündigt, die Lieferverträge bis Ende des Jahres auslaufen zu lassen.

Gazprom verbot Bulgarien und Polen ausdrücklich auch, russisches Gas aus Transit-Pipelines anzuzapfen, in denen Gas in Drittländer geliefert werde. Im Falle von unbefugten Entnahmen würden die Transitmengen entsprechend verringert.
Mit dem Lieferstopp gegenüber Polen und Bulgarien konnte Moskau ein Exempel beim Thema Rubelzahlungen statuieren – und ein Warnsignal an andere Gasimportländer im Westen senden.
Sofia und Warschau betonten demgegenüber, ihre Verpflichtungen erfüllt zu haben. Alle Zahlungen, die der Vertrag erforderlich mache, seien rechtzeitig getätigt worden, teilte etwa die bulgarische Regierung mit. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki bezeichnete den Lieferstopp als „direkten Angriff“ auf sein Land.


Bulgarien antwortet mit enger wirtschaftlicher und militärischer Kooperation zugunsten der Ukraine

Die Ukraine und Bulgarien vereinbarten daraufhin eine enge Zusammenarbeit im militärischen und auch wirtschaftlichen Bereich. Das teilte der ukrainische Präsident Selenskij nach einem Treffen mit dem bulgarischen Regierungschef Kiril Petkow mit. Dessen Reise nach Kiew war ein heftiger Streit in Sofia vorausgegangen. Der als Moskau-freundlich geltende Staatschef Rumen Radew hatte sich dem Besuch widersetzt, auch die mitregierenden Sozialisten lehnten eine Beteiligung an der Delegation ab.
Selenskij und Petkow vereinbarten unter anderem, dass beschädigte ukrainische Militärausrüstung in Bulgarien repariert und die Lieferung von ukrainischem Strom nach Bulgarien und die Nutzung der Transbalkan-Gaspipeline zusammen mit der bulgarischen Seite ermöglicht werden soll. Auch soll die Nutzung des bulgarischen Schwarzmeerhafens Warna für den Export landwirtschaftlicher Güter aus der Ukraine ermöglicht werden. Da Russland alle ukrainischen Häfen entweder kontrolliert oder blockiert, ist Kiew gezwungen, alternative Wege zu suchen.


Offizielles Ende der OSZE-Mission in der Ukraine

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verkündete am 28. April 2022 das offizielle Ende ihrer Beobachtermission in der Ukraine. Russland habe der Organisation keine Wahl gelassen, indem es Ende März gegen eine Mandatsverlängerung gestimmt habe, hieß es.


Abgeschlossen: Anfang Mai 2022


Anmerkungen:

[1] UN General Assembly votes to suspend Russia from the Human Rights Council. In: UN NEWS-Online v. 7.4.2022: https://news.un.org/en/story/2022/04/1115782

[2] In Kiew angekommen – Von der Leyen macht Ukraine Hoffnung auf EU-Mitgliedschaft. In: DIE WELT-Online v. 8.4.2022.

[3] Österreichs Kanzler trifft Selenskyj und Klitschko – in Kiew. In: DER SPIEGEL-Online v. 9.4.2022: https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-krieg-karl-nehammer-reist-nach-kiew-fuer-treffen-mit-wolodymyr-selenskyj-und-vitali-klitschko-a-6f369269-b0bb-4771-981f-33bb19be171a

[4] Johnson und Nehammer treffen Selenskyj in Kiew. In: DIE WELT-Online v. 9.4.2022: https://www.welt.de/politik/ausland/article238089027/Ukraine-Diplomatie-Johnson-und-Nehammer-treffen-Selenskyj-in-Kiew.html

[5] USA sagen Selenski 322 Millionen Dollar Hilfe zu. In: HANDELSBLATT-Online v. 25.4.2022: https://www.handelsblatt.com/video/politik/ukraine-krieg-usa-sagen-selenski-322-millionen-dollar-hilfe-zu/28276238.html

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UKRAINE

Update Anfang April 2022

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Der russische Präsident Wladimir Putin dürfte den unbändigen Widerstandswillen der ukrainischen Bevölkerung bei seiner Invasion der Ukraine (im Chargon des Kremls „Spezialoperation“ genannt) unterschätzt haben. Für ihn laufe alles „nach Plan“. Oberstes Ziel Moskaus sei weiterhin die „Entnazifizierung“ und „Demilitarisierung“ des Landes in einer künftig neutralen Ukraine als Pufferzone zwischen Russland und dem Westen. Jeder Tag, den die ukrainische Armee gegenüber der russischen militärischen Übermacht durchhaltet, bedeutet in Wahrheit einen immer deutlicher sich abzeichnenden „Gesichtsverlust“ Putins. Es handelt sich jedenfalls um keinen „Blitzsieg“, wie dies offensichtlich der Kreml erhofft hat.

2008 führte Russland Krieg gegen das unterlegene Georgien. Die russischen Streitkräfte behielten in fünftägigen Kämpfen zwar die Oberhand, es offenbarten sich aber erhebliche Defizite. Das sollte sich nie mehr wiederholen - genauso wenig wie Straßenkämpfe in den Ruinen des ausgebombten Grosny. Nun wiederholt es sich doch in Charkiw und in Kiew oder Mariupol - mit vielen zivilen Opfern.

Der russische Präsident dürfte zudem mit der nunmehr geeinten, entschiedenen Reaktion des Westens gegenüber dem russischen „Sündenfall“ nicht gerechnet haben. Die westliche Staatenwelt rüstet auf. Sogar die „Scheckbuchdiplomatie“ Deutschlands hat ausgedient - zumindest für die nächste Zeit. Die Bundeswehr wird zusätzlich mit 100 Milliarden Euro ausgestattet, um die eigene Rüstung voranzubringen. Die NATO stationiert weitere Truppen in Osteuropa - und die EU liefert erstmals offiziell Defensivwaffen an die bedrängten Ukrainer.

Zudem verliert der russische Staat und seine Wirtschaft seine im Westen angelegten Währungsreserven. Ausgewählte russische Banken verlieren den Zugang zum internationalen Zahlungsverkehr. Mit anderen Worten: Die USA, Japan und die Europäer lancieren einen Finanzkrieg gegen Russland.

Putin glaubte offensichtlich die „Ukraine-Militäroperation“ rasch und ohne großes „Getöse“ von westlicher Seite abschließen zu können. Die westliche Zivilisation hielt Putin stets für „verweichlicht“, die nur lautstark kritisiert, aber im Ernstfall davor zurückschreckt, Verantwortung zu übernehmen. So geschehen in Syrien, als der damalige US-Präsident Barack Obama den Giftgaseinsatz des mit Russland verbündeten syrischen Regimes mehr oder weniger unbestraft ließ. Nun aber ist alles anders.

Auch wenn der Westen für seinen Finanzkrieg gegen Russland beträchtliche ökonomische Einbußen hinnehmen muss, so darf Putin trotz seiner Atomwaffendrohung erkennen, dass auch ihm nun vom Westen klare Grenzen gesetzt werden. Eine vor allem ökonomische Vertiefung Russlands mit China steht aufgrund der harten westlichen Sanktionen im Raum. Europa darf erkennen, dass ein rascher Ausstieg aus der Energieversorgung durch russisches Gas und Öl nicht möglich ist und höchstwahrscheinlich Jahre in Anspruch nehmen wird.


Am 3. März 2022 ging auch die zweite Verhandlungsrunde zwischen russischen und ukrainischen Unterhändlern in Weißrussland ergebnislos zu Ende. Auch ein Telefonat zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron endete ohne klare Ergebnisse. Putin schien jedenfalls entschlossen, die gesamte Ukraine mitsamt ihrer Bevölkerung zu „unterwerfen“. Erklärtes Ziel blieb eine entmilitarisierte neutrale Ukraine als Pufferzone zur NATO. Der russische Präsident betonte im nationalen Sicherheitsrat, dass die Invasion in die Ukraine „nach Plan“ verlaufe. Russische Soldaten im Einsatz lobte Putin als Helden; Verwundeten und Familien von Gefallenen versprach er Entschädigungen. Die Soldaten würden in der Ukraine „für Russland“ kämpfen, so Putin.

Unterdessen gingen die Kämpfe in der Ukraine zwischen russischen und ukrainischen Truppen mit unverminderter Härte weiter. Ein durch Beschuss russischer Einheiten ausgelöster Brand im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja konnte rechtzeitig gelöscht werden, ohne das Radioaktivität aus dem Reaktor austreten konnte.

Im Windschatten der russischen Invasion der Ukraine beantragten die ehemaligen Sowjetrepubliken Georgien und Moldawien die EU-Mitgliedschaft. Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij in einer Rede an das EU-Parlament eine „gleichberechtigte“ Mitgliedschaft seines Landes in der EU gefordert. Trotz seiner medialen Appelle musste Brüssel - bei allen Sympathien für die Ukraine - erkennen, dass selbst mittelfristig solche mögliche EU-Perspektiven für die genannten Staaten nicht ohne der Einbeziehung russischer Sicherheitsinteressen vollzogen werden können. Die EU übte sich deswegen demgegenüber in Zurückhaltung.


Politische Ökonomie vor dem Hintergrund des Wirtschaftskrieges des Westens gegen Russland

Neben der Lieferung von Defensivwaffensystemen durch eine Reihe westlicher Staaten (allen voran der USA) an die bedrängte ukrainische Armee gegen die russischen Kräfte setzt der Westen vor allem auf markante Wirtschaftssanktionen, die von Tag zu Tag mit der Dauer des Ukraine-Krieges verschärft worden sind. Darunter zählen auch die Beschlagnahme bzw. das Einfrieren von finanziellen Reserven und von Besitztümern (etwa Jachten) russischer Oligarchen in westlichen Ländern. Russische Sportlerinnen und Sportler sowie russische Vertreterinnen und Vertreter aus Kunst und Kultur sind derzeit von Auftritten im Westen ausgeschlossen. Auch die meisten ehemaligen hohen Repräsentantinnen und Repräsentanten aus Politik und Wirtschaft in westlichen Ländern, die zwischenzeitlich Aufsichtsratsposten in russischen Unternehmen übernommen haben, haben sich genötigt gesehen, ihre Jobs in Russland aufgrund des westlichen Drucks aufzugeben.

Die westlichen Restriktionen erinnern an die Zeit des Kalten Krieges gegen den großen Gegner, die Sowjetunion. Der Ausschluss nunmehr Russlands als Nachfolgestaat der untergegangenen UdSSR nach 1991 vom internationalen Zahlungssystem SWIFT markiert eine besonders weitreichende Sanktionsmaßnahme gegen Russland, die praktisch alle russischen Bürger betrifft. Nur einige ausgewählte russische Verrechnungsbanken für die bislang weitere Lieferung von russischem Erdgas und Erdöl über ukrainisches Gebiet nach Europa sind davon (voerst) nicht berührt. Das praktisch fertiggestellte russisch-deutsche Gas-Prestigeprojekt NORTH STREAM 2 (an der auch die österreichische OMV mitbeteiligt gewesen ist), ist auf Geheiß der US-Administration von Präsident Joe Biden am 8. März 2022 wegen der fortgesetzten russischen Aggression in der Ukraine für „endgültig tot“ erklärt worden. Deutschland hatte das Erdgas-Pipeline-Projekt im Februar kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auf Eis gelegt.



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Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukraine-Krieges für Österreich

„Die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2, die Anfang letzten September fertiggestellt wurde und eine Verdoppelung der Gaslieferungen aus Russland unter Umgehung der Ukraine nach Deutschland ermöglichen sollte, ist ein Finanzinvestment der OMV. Insgesamt hat der Konzern dafür 729 Millionen Euro als Teil eines Finanzierungskonsortiums überwiesen.“[1] Die OMV denkt mittlerweile über ein Ausstiegszenario aus North Stream 2 nach.

Die EU ist insgesamt zu rund 40 Prozent von russischem Erdgas abhängig; Österreich aber zu 80 Prozent.[2]

Wie alle anderen europäischen Regierungen, sucht auch die österreichische Regierung nach Lösungen, um von der russischen Energieabhängigkeit zumindest längerfristig wegzukommen. Bei ihrem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterzeichnete die Regierungsspitze um Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am 6. März 2022 eine Absichtserklärung, die die mögliche Lieferung von Wasserstoff und Flüssiggas aus dem Golfstaat nach Österreich vorsieht. Wie der Transport vonstatten gehen könnte, ist bisher völlig unklar. „Man darf sich keine Wunder erwarten“, erklärte Nehammer vor der Presse in Abu Dhabi.

„Russland ist der größte Erdgasexporteur weltweit“, sagte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne). „Aus Russland stammen 40 Prozent der europäischen Gasimporte und 80 Prozent der österreichischen Importe, das heißt, das sind Mengen, die kann man nicht innerhalb von drei Wochen oder drei Monaten ersetzen“, so Gewessler.[3]

Mittlerweile begannen die Sprit- und Heizkosten in Österreich rasant anzusteigen - später auch die Baustoff- und Lebensmittelpreise. Die Wirtschaftskammer forderte deshalb eine Preisdeckelung und ein vorübergehendes Aussetzen der CO2-Bepreisung. Die Bundesregierung brachte deshalb ein milliardenschweres Entlastungspaket für die österreichischen Bürgerinnen und Bürger auf den Weg. Das heimische Energiepaket sieht eine 50-prozentige Erhöhung der Pendlerpauschale und eine Vervierfachung des Pendlereuros bis 30. Juni 2023 vor. Für Negativsteuerbezieher ist ein einmaliger negativsteuerfähiger Betrag von 100 Euro geplant. Das soll in Summe eine Entlastung über 400 Millionen Euro bringen.[4]

Wie der teilstaatliche Öl- und Gaskonzern OMV am 16. März 2022 bekannt gab, wolle man die Öl- und Gasförderung langfristig ganz einstellen und künftig vor allem im Chemiebereich wachsen.

Als konkretes Zwischenziel soll die Öl- und Gasproduktion bis 2030 um ein Fünftel reduziert werden - trotzdem soll der Gewinn stabil bleiben.

Einen eigenmächtigen Gasstopp aus Russland, wie es manchen Entscheidungsträgern in der EU vorschwebte, konnte und kann sich Österreich nicht leisten. Deshalb lehnte die österreichische Regierung dieses Ansinnen ab.

Nach Deutschland rief am 30. März 2022 auch Österreich die Frühwarnstufe im Notfallplan für die Gasversorgung aus. Grund dafür sei die Ankündigung Russlands, dass Gaslieferungen künftig nur noch in Rubel bezahlt werden sollen, hieß es.



Währenddessen drehte sich die ökonomische Eskalationsspirale zwischen Ost und West weiter. Während US-Präsident Biden am 8. März 2022 einen Importstopp von russischem Erdöl (nur 8 Prozent an Erdöl und Erdölprodukten kommen aus Russland) ankündigte[5], verkündete auch Großbritannien ein Ende von Ölimporten aus Russland. Der Import von russischem Erdöl nach Großbritannien mache aktuell laut britischem Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng auch nur 8 Prozent aus. Der Import von russischem Erdgas hingegen war von den Maßnahmen Londons nicht betroffen.

Parallel dazu brachte nun auch die russische Regierung ein „Abdrehen des Erdgashahnes“ von russischer Seite gegenüber Europa ins Spiel, falls die Sanktionsspirale gegen Moskau weitergehen würde.

Während auch in den übrigen europäischen Staaten infolge der unsicheren Lage die Sprit- und Heizkosten anstiegen, drohte Russland, dessen Wirtschaft nunmehr schwer unter den westlichen Restriktionen litt, westlichen Unternehmen, die wegen der russischen Invasion in der Ukraine die Russische Föderation verließen, eine Verstaatlichung ihrer Betriebe und Produktionsstätten an. Die Firmen würden „praktisch ihre Kollektive ihrem Schicksal“ überlassen, sagte der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew am 10. März 2022. Vorrangige Aufgabe sei, dass die russischen Belegschaften nicht auf der Straße landen würden. Auf „Grundlage des von den Investoren in Panik“ zurückgelassenen Vermögens müsse eine neue Produktion aufgebaut werden. „Solch eine Herangehensweise ist objektiv und gerecht.“ Betroffen sind zahlreiche Unternehmen aus EU-Staaten und den USA.

Die EU-Staats- und -Regierungschefs sagten parallel dazu bei ihrem informellen EU-Gipfel in Versailles am 10. März 2022 der Ukraine weitere Hilfe zu und drohten Russland mit neuen Sanktionen, sollte Moskau die russischen Angriffe im Nachbarland nicht stoppen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hob angesichts des Ukraine-Krieges und der hochschießenden Energiepreise ihre Inflationsprognosen für die Euro-Zone kräftig an. Sie erwarte für 2022 eine durchschnittliche Teuerungsrate in der Währungsunion von 5,1 Prozent.

Russische Rubel als Zahlungsmethode für russisches Erdgas

Der russische Präsident Putin kündigte am 23. März 2022 an, die Zahlungsmethode bei Gaslieferungen in „unfreundliche Staaten“ umzustellen. Die Rechnungen sollten künftig in Rubel beglichen werden. Die Lieferungen würden weiter in vollem Umfang gewährleistet, versicherte der Kreml-Chef in einer Videokonferenz der Regierung, die im Staatsfernsehen übertragen wurde: Eine Zahlung für russische Waren in Devisen habe ihren Sinn verloren.

Betroffen seien die von Russland auf einer schwarzen Liste festgehaltenen „unfreundlichen Staaten“. Dazu gehören alle EU-Staaten, die USA, Kanada und Großbritannien. Die Ankündigung sorgte prompt für eine Stärkung der russischen Währung, die massiv unter Druck stand und steht.

Gegenmaßnahmen der EU

Die 27 EU-Staats- und -Regierungschefs einigten sich am 25. März 2022 nach stundenlangen Beratungen insbesondere auf gemeinsame Gaseinkäufe, um die Einkaufspreise zu reduzieren. „Anstatt uns gegenseitig zu überbieten und die Preise in die Höhe zu treiben, werden wir unsere Nachfrage bündeln“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Bei Pipeline-Gas repräsentiere die EU etwa 75 Prozent des Marktes. „Wir haben eine enorme Kaufkraft“, so von der Leyen. Die Teilnahme an den gemeinsamen Einkäufen soll freiwillig sein. Bereits zuvor hatte von der Leyen ein Abkommen mit US-Präsident Joe Biden präsentiert, wonach die EU künftig große Mengen an Flüssiggas (LNG) aus den USA beziehen soll, um die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland zu reduzieren. Damit könnte nach Kommissionsangaben langfristig etwa ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Russland ersetzt werden, hieß es.

Die Gasspeicher sollen bis 1. November jeden Jahres zu 90 Prozent gefüllt sein. Dafür brauche es aber eine faire Lastenteilung. Die EU wies die Forderung Putins zurück, nur mehr russische Rubel als Zahlungsmethode für russisches Erdgas zu akzeptieren. Dies sei eine „Vertragsverletzung“. Die bestehenden Verträge mit dem russischen Energiekonzern Gazprom würden Euro und Dollar als Zahlungsmethoden vorsehen.

Der Kreml kritisierte die US-Ankündigung, Flüssiggas nach Europa zu liefern und die neuen Sanktionen von G-7 und EU wegen des Krieges gegen die Ukraine mit geharnischten Worten. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sah darin einen „totalen Krieg“ - ein Begriff des NS-Propagandaministers Josef Goebbels - des Westens gegen sein Land. Europas Politiker wollten Russland zerstören, so Lawrow weiter.

Wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine hatten die sieben führenden demokratischen Wirtschaftsmächte (G-7) und die EU am 24. März 2022 neue Sanktionen vereinbart, die Russland Transaktionen mit Gold deutlich erschweren sollen.


Russisch-ukrainisches Außenministertreffen in Antalya

Am 10. März 2022 kam es zu einem ersten Zusammentreffen des russischen Außenministers Sergej Lawrow mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba unter türkischer Vermittlung in Antalya. Während Lawrow weiter die russische Position vertrat und auf ein völliges Akzeptieren der Forderungen des Kremls pochte, blieb Kuleba hart. Die Ukraine werde nach den Worten ihres Außenministers nicht kapitulieren. Die Ukraine habe den Plan Russlands durchkreuzt, so Kuleba nach seinem Gespräch mit dem russischen Außenminister Lawrow in der Türkei. „Russland wird von der Ukraine keine Kapitulation bekommen.“ Allerdings sei die ukrainische Regierung zu einer ausgewogenen diplomatischen Lösung bereit, so Kuleba.

Lawrow hielt demgegenüber fest, dass es bereits auf dem Tisch liegende russische Vorschläge gebe und Moskau weiter auf eine Antwort warte - man sei aber bereit, Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu diskutieren.

Das Treffen brachte letztlich kein nennenswertes Ergebnis.

Russland beendet Engagement im Europarat

Als Reaktion auf seine Suspendierung aus dem Europarat erklärte Russland sein Ende der Arbeit in diesem Gremium, wie das russische Außenministerium in Moskau am 10. März 2022 mitteilte.

„Russland wird sich nicht an der Umwandlung der ältesten Organisation Europas durch die NATO und die ihr gehorsam folgende EU in eine weitere Plattform für westliche Vorherrschaft und Narzissmus beteiligen. Sie sollen Spaß an der Kommunikation untereinander haben, ohne Russland“, hieß es in einer Mitteilung.

US-Biowaffen-Labore in der Ukraine? Russland beruft UNO-Sicherheitsrat ein

Im UNO-Sicherheitsrat wurde nach dem Willen Russlands am 11. März 2022 über angeblich von den USA in der Ukraine hergestellte Biowaffen beraten. „Die russische Vertretung hat um ein Treffen des Sicherheitsrates für den 11. März gebeten, um die militärisch-biologischen Aktivitäten der USA auf dem Territorium der Ukraine zu erörtern“, schrieb der stellvertretende russische UNO-Botschafter Dmitri Poljanski auf Twitter.

Hintergrund war und ist der Vorwurf des Kremls an die USA und die Ukraine, biologische Waffen zu entwickeln.

Die USA wiesen die russischen Behauptungen als bewusste Unterstellung und „Propaganda“ zurück. „Russland hat diese neuen falschen Behauptungen aufgestellt. Wir haben gesehen, dass China diese Propaganda unterstützt hat. Und deshalb sollten wir Ausschau halten, ob Russland möglicherweise chemische oder biologische Waffen in der Ukraine einsetzt oder eine Operation unter falscher Flagge startet“, betonte der stellvertretende amerikanische UNO-Botschafter Jeffrey Prescott.

Ein UNO-Sprecher betonte, dass es für westliche Biowaffen-Labore in der Ukraine keine Belege gebe.[6]

Ministerpräsidenten Polens, Sloweniens und Tschechiens per Bahn nach Kiew

Die Ministerpräsidenten Polens, Sloweniens und Tschechiens, Mateusz Morawiecki, Janez Jansa und Petr Fiala, reisten am 15. März 2022 per Bahn in die Ukraine, um in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij zu Gesprächen zusammen zu kommen. Über den Inhalt der Unterredung wurde Stillschweigen bewahrt.

Selenskij bezeichnete den Besuch als großen und mutigen Schritt. „Hier, im vom Krieg zerrissenen Kiew, wird Geschichte geschrieben“, sagte der polnische Ministerpräsident Morawiecki.

Die Delegationen kehrten schließlich wieder wohlbehalten von Kiew nach Polen zurück.

Ungeachtet der russischen Drohungen mit Vergeltung setzten die USA und andere NATO-Länder ihre Waffenlieferungen an die Ukraine fort. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin betonte in Brüssel, sein Land unterstütze die Ukraine bei der Landesverteidigung, „und wir werden sie auch in Zukunft unterstützen“.

Die NATO hatte allerdings eine direkte militärische Beteiligung an dem Krieg stets zurückgewiesen. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine werde dennoch nach Einschätzung von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg dauerhafte Konsequenzen für das Verteidigungsbündnis haben. „Sie wird unser Sicherheitsumfeld verändern und sie wird langfristige Folgen für alle NATO-Alliierten haben“, sagt der Norweger am Rande eines Verteidigungsministertreffens des westlichen Bündnisses. Stoltenberg verwies dabei darauf, dass in Reaktion auf den Krieg mittlerweile mehrere hunderttausend NATO-Soldaten aus den Bündnisstaaten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden seien.

Die ukrainische Regierung wies Mitte März 2022 das vom Kreml bevorzugte Modell einer neutralen Ukraine nach schwedischem oder österreichischem Vorbild umgehend zurück. Vielmehr wurden „absolute Sicherheitsgarantien“ für die Ukraine gefordert. „Die Ukraine befindet sich gerade in einem direkten Kriegszustand mit Russland“, so Selenskijs Sicherheitsberater Mychailo Podoljak. Daher könne es nur ein „ukrainisches“ Modell sein, dessen Unterzeichner sich verpflichten, im Falle einer Aggression aufseiten der Ukraine zu intervenieren. Das Thema „Neutralität“ schien aber auch von Selenskij immer mehr in den Fokus zu rücken.

Selenskij spricht per Videoschaltung vor den beiden Kammern des US-Kongresses

„Das ukrainische Volk verteidigt nicht nur die Ukraine, es kämpft für die Werte Europas und der Welt“, betonte Selenskij am 16. März 2022 in seiner Rede per Videoschaltung vor beiden Kammern des US-Kongresses. Mit ihrer Hilfe unterstützen Amerikaner nicht nur die Ukraine, „sondern Europa und die Welt“. An die Adresse von US-Präsident Joe Biden sagte Selenskij: „Ich wünsche Ihnen, der Anführer der Welt zu sein. Der Anführer der Welt zu sein bedeutet, der Anführer des Friedens zu sein.“ Die Abgeordneten und Senatoren im US-Kongress reagierten mit stehendem Applaus auf Selenskijs Rede. Selenskij erinnerte die Amerikaner bei seinem Hilfsappell an ihren eigenen Kampf gegen Angreifer. „Erinnern Sie sich an Pearl Harbor“, sagte er mit Blick auf den japanischen Angriff 1941. „Erinnern Sie sich an den 11. September“, fügte er mit Blick auf die Terroranschläge von New York und Washington hinzu. „Wir brauchen Sie jetzt.“

Die US-Regierung hatte die Ukraine seit Anfang vergangenen Jahres mit rund 1,2 Milliarden US-Dollar Militärhilfen unterstützt - davon 550 Millionen Dollar seit Beginn des russischen Angriffskrieges.

Putin spricht von „wirtschaftlichem Blitzkrieg“ des Westens gegen Russland

Westliche Staaten würden einen „wirtschaftlichen Blitzkrieg“ gegen Russland führen, betonte parallel dazu der russische Präsident Putin in einer Rede am 16. März 2022. Dieser Krieg werde aber nicht erfolgreich sein, so Putin, der zugleich beteuerte, dass der Ukraine-Krieg „nach Plan“ verlaufe.

Putin signalisierte Gesprächsbereitschaft über einen möglichen neutralen Status der Ukraine und betonte, dass Russland das Nachbarland nicht besetzen wolle. „Die Anwesenheit russischer Kräfte in der Nähe Kiews und anderer Städte in der Ukraine hat nichts damit zu tun, dass wir das Land besetzen wollen. Dieses Ziel haben wir nicht“, sagte der Kreml-Chef. Doch wolle man nicht zulassen, dass die Ukraine „das Sprungbrett für aggressive Handlungen gegenüber Russland“ werde.

„Die Ukraine hat mit Unterstützung westlicher Mächte eine Aggression gegen Russland geplant“, so Putin. In absehbarer Zeit hätte das Land auch Atomwaffen haben können.

Der russische Präsident sprach erstmals offen über die verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen der westlichen Sanktionen gegen sein Land. Die EU und die USA hätten Russland praktisch für zahlungsunfähig erklärt, so Putin. „Es wird nicht leicht für uns in Russland.“ Es werde steigende Arbeitslosenzahlen und steigende Inflation geben, doch man werde diese Probleme angehen, versprach der Präsident. Die „neue Realität“ werde tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen, schloss Putin.

Bei einem Besuch von US-Präsident Joe Biden in Polen bezeichnete dieser den russischen Amtskollegen Putin am 26. März 2022 als „Schlächter“, der „nicht mehr länger im Amt bleiben dürfe“. Nicht nur der Kreml verurteilte Bidens Wortwahl gegenüber Putin scharf. Auch das US-Außenamt bemühte sich danach, die Aussagen Bidens abzuschwächen. Die USA würden keinen Regimewechsel in Moskau unterstützen, hieß es.

Der französische Präsident Emmanuel Macron verurteilte Bidens Wortwahl ungewöhnlich deutlich und betonte, alle Seiten müssten miteinander in Verbindung bleiben, um an einer Lösung des Konflikts zu arbeiten.

Kurz danach betonte Biden, dass er seine Worte gegenüber Putin nicht zurücknehme. „Ich habe die moralische Empörung zum Ausdruck gebracht, die ich gefühlt habe, und ich entschuldige mich nicht“, so Biden. Das Weiße Haus hatte zudem unter Berufung auf Geheimdienstinformationen berichtet, dass Putin nicht richtig über die Lage informiert werde. Der Kreml wies dies zurück und warf den USA vor, weder Putin noch die Vorgänge oder die Entscheidungsmechanismen der Regierung in Moskau zu verstehen.

Bei vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ins Leben gerufenen russisch-ukrainischen Verhandlungen um eine Lösung des Konflikts wurde Ende März 2022 zumindest eine gewisse Annäherung der Standpunkte beider Seiten eingeleitet. Von einem echten Rückzug der russischen Truppen aus den bisherigen Frontlinien in der Ukraine konnte noch keine Rede sein. Die Vororte von Kiew wurden zumindest von den Russen verlassen. So dürften sich die russischen Einheiten vielmehr neu formieren, um vor allem im Osten und Süden der Ukraine die eigenen Kräfte zusammen zu ziehen.

Putin macht ernst mit „Energiekeule“ für Europa 

Der russische Präsident Putin unterzeichnete am 31. März 2022 ein Dekret, dass ausländische Käufer künftig russisches Erdgas nur mehr bei Bezahlung in Rubel von Konten in Russland erhalten. Erfolgen diese Zahlungen nicht, würden Verträge gestoppt, hielt Putin fest: „Niemand verkauft uns etwas umsonst, und wir werden auch keine Wohltätigkeit tun - das heißt, bestehende Verträge werden gestoppt.“ Für Gaslieferungen benötigten die EU-Länder nunmehr laut Putin Rubel-Konten bei russischen Banken. Der Gazprom-Bank wurde eine Rolle als Vermittlungsinstanz zugedacht.[7]

Auf ein spezielles Konto werden Euro bzw. Dollar überwiesen. Mit dieser Währung kauft die Bank an der Börse Rubel, die dann für die Gaszahlung verwendet werden. Die Gazprom-Bank kann solche Konten ohne die Anwesenheit eines Vertreters des ausländischen Käufers eröffnen. Der Gaspreis soll aber weiterhin in der Währung der laufenden Verträge angegeben werden, üblicherweise in Euro bzw. Dollar. Die Zahlungen würden aber weiterhin ausschließlich in Euro ergehen und wie üblich an die Gazprom-Bank überwiesen, die nicht von den Sanktionen betroffen sei. Die Bank konvertiere dann das Geld in Rubel, hieß es.

Indien als vertiefender Absatzmarkt für russisches Erdöl 

Um mögliche in Europa ausfallende Erdöllieferungen abzufedern, unterzeichneten russische Energiefirmen Verträge mit indischen Partnern, um künftig russisches Erdöl zu angebotenen Rabattpreisen nach Indien zu liefern. Indien als bevölkerungsreichste Demokratie der Welt unterstützt die westliche Sanktionen gegen Russland nicht und verurteilt ebenso wenig den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Neu-Delhi pflegt seit Langem enge Beziehungen zu Moskau. Ein Großteil der Ausrüstung seines Militärs kommt aus Russland, wodurch Indien beispielsweise bei Ersatzteilen auf Moskau angewiesen ist.

Indien ist zudem der drittgrößte Ölimporteur der Welt - nach den USA und China. Bisher macht russisches Öl nur einen sehr kleinen Teil im indischen Ölmix aus. Aber das dürfte sich jetzt ändern. 2021 kaufte Indien insgesamt 12 Millionen Barrel Erdöl aus Russland. In diesem Jahr seien es bisher bereits rund 6 Millionen gewesen, hieß es.[8]


EU-China-Videogipfel: China bleibt im Ukraine-Krieg neutral

Während EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen versuchte, den chinesischen Präsidenten Xi Jinping beim Video-Gipfel am 1. April 2022 dazu zu bewegen, dass sich China dezitiert gegen den russischen Angriffskrieg Putins stelle, blieb Peking seiner neutralen Linie treu. China weigerte sich, Putins militärische Invasion der Ukraine zu verurteilen.

China versuchte dabei den Krieg als „Konflikt“ zu bezeichnen, der mehr oder weniger eine „innereuropäische Angelegenheit“ sei. Für Brüssel war dieses Ansinnen der chinesischen Seite inakzeptabel.

Peking stand und steht trotz aller vordergründigen „politischen Neutralität“ fest an der Seite Moskaus, auch wenn chinesische Regierungsmitglieder öffentlich immer wieder für Frieden plädieren und die territoriale Integrität und Souveränität von Staaten betonen.

Zuvor schon wurden beim jüngsten russisch-chinesischen Außenministertreffen die vertieften Beziehungen beider Länder hervorgehoben.


Russland beantragt Sitzung des UNO-Sicherheitsrats

Russland hatte angesichts des Vorwurfs von Kriegsverbrechen im ukrainischen Butscha für den 4. April 2022 eine Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrats gefordert. Die russische Armee hatte sich zuvor aus der Region um die ukrainische Hauptstadt Kiew zurückgezogen. Im Vorort Butscha wurden anschließend nach Angaben der ukrainischen Behörden Hunderte Leichen von Zivilisten gefunden. Moskau dementierte die bewusste Tötung von Zivilisten durch russische Soldaten. Der Westen sprach angesichts der verstörenden Bilder von möglichen Kriegsverbrechen russischer Einheiten.

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres reagierte „zutiefst schockiert“ auf die „Bilder von getöteten Zivilisten in Butscha“ und forderte eine „unabhängige Untersuchung“. Es sei „unerlässlich“, dass die Verantwortlichen nach einer „unabhängigen Untersuchung zur Rechenschaft“ gezogen würden, betonte Guterres.


Abgeschlossen: Anfang April 2022


Anmerkungen:

[1] OMV denkt an Ausstieg bei Nord Stream 2 und lässt Hände von Gasfeld Achimov. In: DER STANDARD v. 1.3.2022: https://www.derstandard.at/story/2000133756766/omv-stellt-engagement-in-russland-auf-den-pruefstand?ref=rec

[2] Putins Gas: Der nächste Winter wird hart. In: PROFIL-Online v. 9.3.2022: https://www.profil.at/oesterreich/putins-gas-der-naechste-winter-wird-hart/401930872

[3] Grüner Wasserstoff aus den Emiraten im Blick: So will Österreich seine Abhängigkeit von russischem Erdgas verringern. In: FINANZEN.AT- Online v. 7.3.2022: https://www.finanzen.at/nachrichten/rohstoffe/gruener-wasserstoff-aus-den-emiraten-im-blick-so-will-oesterreich-seine-abhangigkeit-von-russischem-erdgas-verringern-1031257486

[4] Regierung schnürt milliardenschweres Entlastungspaket. In: WIENER ZEITUNG-Online v. 20.3.2022: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2141328-Regierung-schnuert-milliardenschweres-Entlastungspaket.html

[5] Ukraine aktuell: Biden verkündet Importstopp für russisches Öl. In: DEUTSCHE WELLE-Online v. 8.3.2022: https://www.dw.com/de/ukraine-aktuell-biden-verk%C3%BCndet-importstopp-f%C3%BCr-russisches-%C3%B6l/a-61046461

[6] U.N. says no evidence to back Russian claim of Ukraine biological weapons program. In: REUTERS-Online v. 11.3.2022: https://www.reuters.com/world/un-says-not-aware-any-biological-weapons-program-ukraine-2022-03-11/

[7] Putin unterzeichnet Dekret - Gas muss ab Freitag in Rubel bezahlt werden. In: DER SPIEGEL-Online 31.3.2022: https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/putin-unterzeichnet-dekret-gas-muss-ab-freitag-in-rubel-bezahlt-werden-a-a7c4e43e-a1bd-4c05-ac31-e681fbc3bb86

[8] India looks to Russia to solve the energy crisis Moscow created. In: REUTERS-Online v. 17.3.2022: Column: India looks to Russia to solve the energy crisis Moscow created | Reuters

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UKRAINE

Update Anfang März 2022

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Markante Ost-West-Spannungen und Kriegsrhetorik zwischen Russland und der NATO prägen wieder das angeschlagene gegenseitige Verhältnis. Der russische Präsident Wladimir Putin unternimmt alles, um Russland wieder zu alter imperialer Größe zu verhelfen.

Die zuletzt wieder geäußerte Kritik des ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow an der „Überheblichkeit des Westens“ nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums, gepaart mit der Osterweiterung der NATO bis an die Grenzen Russlands - trotz russischer Sicherheitsbedenken - hätte in den westlichen Hauptstädten schon viele Jahre vor dem nun ausgebrochenen Angriffskrieg Russlands gegen die 1991 unabhängig gewordene Ukraine wesentlich ernster genommen werden müssen, als dies bislang geschah.

Auch wenn der Kreml nun sogar mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, sollte der Westen im Ukraine-Krieg aktiv teilnehmen, so müsse der Westen dennoch - trotz aller gebotenen Ablehnung und Sanktionierungen gegenüber Moskaus Vorgehen in der Ukraine - mit Augenmaß gegenüber Russland agieren. Denn auch wenn die Welt geostrategisch nach dem Ende dieses Krieges eine andere sein wird, so brauche es dennoch am Ende eine „Kompromisslösung zwischen Ost und West auf Augenhöhe“.

Im Kalten Krieg gehörten Abschreckung und Dialog zusammen. Verhandlungen ohne militärischer Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung bedeuten Schwäche. Das weiß Putin nur zu genau.

In Genf, Brüssel und Wien fanden zuletzt intensivierte Gespräche mit Moskau statt. Dass ihnen russisches Säbelrasseln vorausging, lässt sie als Konzession an den Kreml erscheinen. Zu einer neuen Russland-Strategie gehören erreichbare Ziele. Der Westen müsse die Balance zwischen der Wahrung eigener Interessen und der Anerkennung russischer Einflusszonen finden - allerdings ohne militärischer Gewaltausübung.

Am 24. Februar 2022 gab der russische Präsident Putin grünes Licht für die militärische Invasion der Ukraine. Auch wenn Putin beteuert, keine andere Wahl gehabt zu haben, um sein Land vor einer weiteren Ausbreitung der NATO zu schützen und eine Ukraine als neues westliches „Aufmarschgebiet“ zu verhindern, handelt es sich um einen Angriffskrieg.

Trotz heftiger Kritik aus dem Westen gab die NATO bekannt, dass sie nicht in den Krieg eingreifen werde. Der Westen antwortete mit massiven Sanktionen auf allen Gebieten - insbesondere mit dem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift.

Die russische Militäroperation gegen die Ukraine als ein Land, welches das Pech hatte, zwischen zwei Machtblöcken eingeklemmt zu sein und seine Zugehörigkeit nicht frei wählen zu dürfen, entsprach keinesfalls dem Gedanken europäischer Integration und Sicherheit. Zwar wurde die NATO nicht direkt angegriffen - deren Normen und Prinzipien allerdings sehr wohl. Im technischen Sinn lag kein Bündnisfall vor. Die Ukraine war und ist kein Mitglied der Allianz. Die Erwartung, ihr eines Tages beitreten zu können, musste sie bereits am Gipfel von Bukarest im Jahr 2008 zu Grabe tragen.

Bei allem revisionistischen Machtdenken geht es am Ende nicht um Krieg und Zerstörung, sondern letztendlich um „kooperatives Miteinander“ - ohne Wenn und Aber. Der Weg zum Verhandlungstisch und damit zur „Diplomatie des Ausgleichs“ muss zwischen West und Ost wieder gefunden werden, um einen neuen „Kalten Krieg“ zwischen der NATO und Russland möglichst gering zu halten. (Es ist bemerkenswert, dass China - trotz vordergründiger Unterstützung Russlands - genau zu diesem Schluss gekommen ist. Ein „neuer Kalter Krieg“ müsse unbedingt verhindert werden, hieß es aus Peking.)

Die westliche Vormacht USA bleibt trotz aller taktischen zwischenzeitlichen „Rückzüge“ aus Europa als zentrales Mitglied der NATO mit seinem aufgespannten Atomschirm über dem alten Kontinent eine europäische Macht. Alle amerikanischen Überlegungen, die Bürde des Weltpolizisten abzulegen, wurden mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine mehr als konterkariert. Die Vereinigten Staaten und die europäischen Verbündeten müssen sich an die neuen (alten) Regeln des geostrategischen Großmächte-Wettbewerbs ausrichten - sowohl im südostasiatisch-pazifischen wie auch im europäischen Großraum.

Putins Russland sucht sich mit aller militärischer Wucht als wieder auferstandene Großmacht neben den USA und China zu etablieren.

Das transatlantische Bündnis dürfte vor diesem Hintergrund deutlich an Signifikanz gewinnen. Vor allem wird die Ostflanke der NATO - und damit die ehemaligen Satellitenstaaten und heutigen NATO-Mitglieder - erheblich gestärkt werden müssen, um dort mögliche russische Einflussaktionen tunlichst abzuwehren.

Entwicklung der Ereignisse

Angesichts der im Berichtszeitrum deutlich wieder angestiegenen Spannungen mit Russland und dem Westen um die Ostukraine sahen sich US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin genötigt, am 7. Dezember 2021 bei einer zweistündigen Videoschaltung die Streitthemen zumindest abzumildern.

Zuvor ließ der Kreml im TV Truppenverlegungen und Manöver russischer Streikräfte an der Grenze zur Ukraine zeigen - ein klares Signal an den Westen.

Biden drohte auf dem Videogipfel nach Angaben des Weißen Hauses im Falle einer Eskalation im Ukraine-Konflikt mit Konsequenzen. Ein Drohszenario sei die Schließung der Gaspipeline „Nord Stream 2“.

Das Gespräch dauerte „nur“ rund zwei Stunden. Der Kreml bezeichnete das Gespräch als „offen und professionell“.

Putin bekräftigte bei dem Gipfel seine Forderung nach einem Stopp der NATO-Osterweiterung. Russland wolle verbindliche juristische Garantien, dass sich das westliche Militärbündnis nicht nach Osten ausweite und dort Angriffswaffen stationiere, so Putin.

Russland sieht sich von einem Vorrücken der NATO bedroht und will die Aufnahme der benachbarten Ex-Sowjetrepubliken Ukraine und Georgien in die Allianz verhindern. Putin hatte auch schon im Vorfeld erklärt, dass eine Verlegung von militärischer NATO-Infrastruktur in die Ukraine aus russischer Sicht die Überschreitung einer „roten Linie“ darstelle.

Für Moskau war ausschlaggebend, dass Biden Druck auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij ausübt, die Minsker Vereinbarungen buchstabengetreu umzusetzen und sofort mit „Provokationen“ entlang der Frontlinie im Donbass aufzuhören. Die russische Führung ist fest davon überzeugt, dass Kiew, ermutigt durch den Westen und dessen Militärhilfe, eine Rückeroberung der abtrünnigen Gebiete in der Ostukraine plane.

Putin setzt auf Härte

Vor führenden Repräsentanten des russischen Verteidigungsministeriums sagte Putin Mitte Dezember 2021, die Verantwortung für die Spannungen in Europa trügen die USA. Sie hätten durch ihr Verhalten das einst gute Verhältnis zerstört. Amerika habe in der Euphorie über den „sogenannten Sieg im Kalten Krieg“ geschwelgt und dabei die Lage sowie deren weitere Entwicklung unzutreffend analysiert. „Jetzt sind wir in einer Situation, die uns dazu zwingt, eine Entscheidung zu treffen.“ Allerdings bestehe die Gefahr, dass die Anliegen zwar nicht einfach zurückgewiesen, aber zerredet würden. Weder stelle Russland ein Ultimatum, noch fordere es besondere Bedingungen. Putin wiederholte dabei die Forderung nach verbindlichen, schriftlichen und langfristigen Sicherheitsgarantien.

Die USA und ihre NATO-Partner wiesen in ersten Stellungnahmen die Sichtweise von sich, sich von Russland die Aufnahmepolitik der NATO diktieren zu lassen. In einem Telefonat mit Putins außenpolitischem Berater Juri Uschakow signalisierte der Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten Joe Biden, Jake Sullivan, aber Gesprächsbereitschaft. Ebenso wie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg brachte er eine Wiederbelebung des NATO-Russland-Rats dafür ins Spiel.

Der Vertreter Russlands bei den Abrüstungsverhandlungen in Wien, Konstantin Gawrilow, drohte: Gehe Washington nicht auf Russlands Vorschläge ein, bleibe nur die „militärische oder militärtechnische“ Antwort. Die „Stunde der Wahrheit“ sei gekommen. Spekuliert wird, Russland spiele mit dem Gedanken, in Weißrussland wieder Atomwaffen zu stationieren. Die sowjetischen Atomwaffen waren nach dem Zerfall der Sowjetunion alle an Russland gefallen und aus den früheren Teilrepubliken abgezogen worden.

Allerdings seien die angebliche „militärische Erschließung“ der Ukraine mit der Stationierung bedrohlicher Angriffswaffen durch den Westen und erst recht eine etwaige NATO-Mitgliedschaft des Landes mehr als hypothetisch, meinten westliche Kritiker. Die „Stunde der Wahrheit“ würde vom Kreml „künstlich“ erzeugt. Für die erhöhten Spannungen sei Russland mit dem Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine in weiten Teilen selbst verantwortlich.

Ukraine will ehemaligen ukrainischen Präsidenten Poroschenko vor Gericht stellen

Inmitten der Spannungen zwischen der Ukraine und Russland forcierten ukrainische Staatsanwälte ihre Ermittlungen wegen Hochverrats gegen den früheren Präsidenten Petro Poroschenko nach Angaben aus dessen Partei. Die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew habe bei Gericht einen Haftbefehl gegen Poroschenko beantragt, hieß es am 24. Dezember 2021 von offizieller Seite in Kiew.[1]

Die Strafverfolger hatten zuvor Ermittlungen wegen Hochverrats gegen Poroschenko bekanntgegeben und erklärt, das stehe im Zusammenhang mit Geschäften mit prorussischen Separatisten in der Ostukraine. Im Raum stünde der Vorwurf, Poroschenko habe terroristischen Gruppen Beihilfe geleistet. Involviert gewesen seien auch Spitzenvertreter Russlands.

Poroschenko wies die Vorwürfe zurück. Seine Partei beschuldigte den amtierenden Präsidenten Wolodymyr Selenskij, er stecke hinter dem Verfahren, um die Opposition zu drangsalieren. Ähnlich wie Selenskij hatte bereits sein Vorgänger Poroschenko eine westorientierte Politik verfolgt.

Nach Angaben von Behördenvertretern standen die Ermittlungen gegen Poroschenko in Zusammenhang mit einem Verfahren gegen den ukrainischen Geschäftsmann Viktor Medwedtschuk. Er soll in Poroschenkos Regierungszeit am Einkauf von Kohle in der von den Separatisten kontrollierten Förderregion um die Stadt Donezk beteiligt gewesen sein. Medwedtschuk gilt als einer der prominentesten Vertrauten der russischen Staatsführung in der Ukraine. Der russische Präsident Putin ist der Patenonkel von Medwedtschuks Tochter.

Moskau hatte das Vorgehen der Ukraine gegen Medwedtschuk bereits heftig kritisiert. 


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Ehemaliger sowjetischer Präsident Michail Gorbatschow übt harte Kritik an den USA

Vor dem Hintergrund der nunmehr wieder stark zugenommenen Ost-West-Spannungen insbesondere im Ukraine-Konflikt verurteilte der ehemalige russische Präsident Michail Gorbatschow den Westen und hier vor allem die Vereinigten Staaten.

Im Westen habe nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 eine „triumphale Stimmung geherrscht“: Der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow warf dem Westen nun vor, sich „arrogant und selbstgerecht“ verhalten zu haben. Als „Gewinner“ habe der Westen entschieden, ein „neues Imperium“ aufzubauen. Das habe zur Erweiterung der NATO geführt.

Gorbatschows Rücktritt als Präsident der Sowjetunion jährte sich zum 30. Mal. Mit dem Schritt am 25. Dezember 1991 besiegelte der heute 90-Jährige das Ende der UdSSR.

„Wie kann man auf gleichberechtigte Beziehungen setzen, wenn die USA und der Westen sich in einer solchen Position befinden?“, kritisierte Gorbatschow.   

Ukraine bleibt „Zankapfel“ zwischen den USA und Russland

Ungeachtet der zunehmenden Spannungen mit Russland hielt die NATO Anfang Jänner 2022 an der Beitrittsperspektive für die Ukraine fest. Die Allianz werde das Recht auf Selbstbestimmung der Staaten Europas nicht antasten, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Moskau war und ist hingegen strikt gegen eine NATO-Osterweiterung. Der Konflikt war Thema mehrerer diplomatischer Treffen.

Russland verlangte in unmissverständlichem Ton faktisch ein Zurückweichen der USA aus Osteuropa. Moskau hatte den Amerikanern im Dezember 2021 zwei fertige Verträge zur Unterschrift vorgelegt, die auf eine radikale Neuordnung der bisherigen Sicherheitsarchitektur in Europa hinausliefen. Die NATO solle sich aus dem osteuropäischen Raum zurückziehen.

Angesichts dieser „Brachial-Diplomatie“ des Kremls, untermalt durch einen präzedenzlosen russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine, versuchte die US-Regierung so gelassen wie möglich zu bleiben. Präsident Bidens Vizeaußenministerin, Wendy Sherman, unterstrich nach dem fast siebenstündigen Treffen, dass die wichtigsten Forderungen Moskaus für die USA inakzeptabel seien.[2] Weder will sich Washington von einem Drittland diktieren lassen, wer der NATO beitreten dürfe, noch seien die Amerikaner bereit, aus Rücksicht auf Russland ihre bilaterale Militärkooperation mit einem Land wie der Ukraine einzustellen.

Sherman betonte, man schicke nicht einfach 100.000 russische Soldaten an die Grenze eines Landes, um dort Militärübungen durchzuführen. Echte Fortschritte in den Gesprächen könne es nur geben, wenn Russland eine Deeskalation der Krise herbeiführe und seine Truppen in die Kasernen zurückschicke.[3]

Russland zeigte sich davon unbeeindruckt. Man werde auch künftig solche Militärmanöver im besagten Raum durchführen, hieß es.

Die Drohung Putins mit „adäquaten militärisch-technischen Gegenmaßnahmen“ blieb somit weiter aufrecht. Mit dieser ominösen Formulierung ließ der Kreml eine Bandbreite von Optionen offen - von der Stationierung neuer Waffensysteme an der Westgrenze über die Schaffung von permanenten Stützpunkten in Weißrussland bis hin zu einem Angriff auf die Ukraine.[4]

Der Westen ließ nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums nie von der Idee ab, dass er seine Werte „bis zum Ural exportieren“ könne. Diese zuletzt auch von Gorbatschow heftig kritisierte „Überheblichkeit des Westens“ gegenüber Russland, das sich unter Putin wieder zur Großmacht gemausert hat, ist der gravierende Fehler der USA und der NATO, mehr oder weniger „ohne Rücksicht auf russische Bedenken und Einsprüche“ auf das „schlussendliche Einlenken“ Moskaus zu hoffen: also eine „Macht des Faktischen“ zu schaffen. Die Osterweiterung der NATO und der EU bis an die Grenzen Russlands - mit der Option, auch die Ukraine zu integrieren, ließen im Kreml denn auch die Alarmglocken schrillen.

Hackerangriff auf ukrainische Regierungsseiten

Am 13. Jänner 2022 erfolgte ein feindlicher Hackerangriff auf mehrere ukrainische Regierungswebsites. Betroffen waren unter anderen die Internetauftritte des Kabinetts, des Außenministeriums, des Katastrophenschutzes, des Energieministeriums und des Bildungsministeriums. Auf der Startseite des ukrainischen Außenministeriums war ein Text zu lesen, in dem es auf Ukrainisch, Russisch und Polnisch hieß, alle Daten auf den Computern seien unwiederbringlich gelöscht. Die persönlichen Daten der Ukrainer würden im allgemein zugänglichen Netz veröffentlicht: „Fürchtet Euch und erwartet das Schlimmste!“[5]

Die USA und die Ukraine befürchteten zudem einen verdeckten hybriden Anschlag russischer Agenten in der Ostukraine, um damit einem russischen Einmarsch im Raum Vorschub zu leisten.

Der Kreml wies alle Vorwürfe als haltlos von sich.

Großbritannien liefert leichte Panzerabwehrwaffen an Kiew

Die britische Regierung erklärte sich Mitte Jänner 2022 bereit, der Ukraine bei der Abwehr einer möglichen Invasion durch Russland mit Waffen zur Bekämpfung von Panzern zu helfen. „Wir haben entschieden, der Ukraine leichte defensive Panzerabwehrwaffen zu liefern“, heißt es. Es seien bereits die ersten Einheiten in der Ukraine angekommen. Britische Armeeangehörige sollen für eine kurze Zeit ukrainisches Personal an dem Waffensystem ausbilden.

Wegen der Ukraine-Krise versetzten die USA schließlich rund 8.500 Soldatinnen und Soldaten in erhöhte Bereitschaft.

Chef der Deutschen Marine muss wegen kritischen Äußerungen zum Ukraine-Konflikt zurücktreten

Nach umstrittenen Äußerungen zum Ukraine-Konflikt musste der bisherige Chef der Deutschen Marine, Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach seinen Posten räumen. Er wurde in den Ruhestand versetzt.

Hintergrund waren öffentliche Äußerungen des Vizeadmirals bei einem Besuch in Indien am 21. Jänner 2022. Schönbach hatte den befürchteten Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine als „Unsinn“ bezeichnet. Der 56-Jährige erklärte, es sei leicht, Russlands Präsident Wladimir Putin den Respekt zu geben, den er wolle - und wahrscheinlich auch verdiene. Zu der von Russland annektierten ukrainischen Krim sagte er, die Halbinsel werde niemals zurückkehren.[6]  

Heftiger verbaler Schlagabtausch im UNO-Sicherheitsrat zwischen Washington und Moskau

Die USA und Russland lieferten sich im UNO-Sicherheitsrat am 31. Jänner 2022 einen heftigen Schlagabtausch zum Ukraine-Konflikt. Der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensia warf den USA in der Sitzung in New York vor, „Kriegshysterie“ zu verbreiten. US-Vertreterin Linda Thomas-Greenfield widersprach und betonte, dass der internationale Frieden gefährdet sei.

Die politischen Fronten waren schon zu Beginn der Sitzung verhärtet. Die Vereinigten Staaten beschuldigten den Kreml, weiterhin eine Aufstockung seiner Truppen in Weißrussland zu planen. „Wir haben Beweise gesehen, dass Russland beabsichtigt, diese Präsenz auf mehr als 30.000 Soldaten“ bis Anfang Februar auszuweiten, sagte die US-Botschafterin bei der UNO, Linda Thomas-Greenfield.

„Das ist die größte - hören Sie mich laut und deutlich - Mobilisierung von Truppen in Europa seit Jahrzehnten“, so Thomas-Greenfield. Es handle sich um Kampfeinheiten, „die bereit sind, Offensivaktionen in der Ukraine durchzuführen“. Washington wolle keine Konfrontation, aber im Falle einer Invasion der Ukraine würden die USA schnell handeln. Die USA und Großbritannien weiten inzwischen ihr militärisches Engagement in Osteuropa aus: Washington will zusätzliche US-Truppen in osteuropäische NATO-Staaten verlegen. London plant, die Zahl britischer Soldaten in der Region zu verdoppeln und Estland Waffen zur Selbstverteidigung zu liefern.

Der russische UNO-Botschafter ließ dies nicht gelten. Die ukrainische Bevölkerung würde gegenwärtig einer Gehirnwäsche unterzogen und mit Russland-Phobie und radikalem Denken gefüttert. Der UNO-Botschafter bestritt, dass tatsächlich 100.000 Soldaten an der Grenze zusammengezogen worden seien. Er machte keine Zugeständnisse für eine Entspannung der Lage.

Dagegen erhob der ukrainische UNO-Botschafter Sergij Kyslytsja schwere Vorwürfe gegen Russland. Die Ukraine werde von etwa 130.000 russischen Soldaten bedroht, sagte er. Auch im Donbass befänden sich etwa 3.000 russische Soldaten. Die Ukraine habe jedenfalls keine aggressiven Pläne und sei dem Frieden verpflichtet.

Vermittlungsversuch Erdogans im eskalierenden Ukraine-Konflikt und Rüstungsgeschäfte mit Kiew

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan besuchte inmitten des hoch-brisanten Ukraine-Konflikts Anfang Februar 2022 Kiew. Mit Russland verbindet ihn eine widersprüchliche Partnerschaft. Bezüglich der Ukraine gehen aber die Sichtweisen beider Mächte auseinander.

In einem Communiqué zum dreißigjährigen Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern betonte Ankara das in den vergangenen Jahren vertiefte Verhältnis nicht nur als Beitrag zu Frieden und Stabilität in der Region. Ankara bestärkte einmal mehr auch die Unterstützung der Souveränität und der territorialen Integrität der Ukraine und die Ablehnung der unverblümt als „illegal“ bezeichneten Annexion der Halbinsel Krim durch Russland. Die Rechte und Interessen der krimtatarischen Bevölkerung, die unter der russischen Oberhoheit zu leiden habe, seien zu verteidigen, wurde unter anderem von türkischer Seite festgehalten.

Insbesondere im Rüstungsbereich kooperieren Kiew und Ankara mittlerweile eng. Die Ukraine verfügt aus sowjetischer Zeit über technologisches Wissen im Bereich der Triebwerk- und Raketentechnik. Die Türkei wiederum hat sich als Entwicklerin von eigenen Überwachungs- und Kampfdrohnen einen Namen gemacht. An diesen Drohnen ist die ukrainische Armee besonders interessiert. Aufmerksam hatte die Ukraine im Herbst 2020 deren Einsatz durch die von der Türkei unterstützten aserbaidschanischen Truppen im Krieg gegen Armenien um Nagorni-Karabach beobachtet. Für ukrainische Militärs wären diese Bayraktar-Drohnen „geeignete Kampfmittel“ gegen die als „abtrünnig“ angesehenen pro-russischen „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk in der Ostukraine. Als die ukrainische Armee im Oktober 2021 tatsächlich erstmals eine Bayraktar-Drohne gegen ein Ziel im Donbass losschickte, interpretierte das der Kreml als klares Anzeichen dafür, dass Kiew seine Pläne zur Rückeroberung der abtrünnigen Gebiete voranbringen möchte.

Und dennoch scheute Erdogans Türkei als NATO-Mitglied allzu sehr eine offene „Parteinahme“ zugunsten der Ukraine in dem Konflikt, um den russischen Amtskollegen Wladimir Putin nicht allzu sehr zu verärgern. Erdogan versucht eine Mediatorrolle einzunehmen - wie früher der weißrussische Staatschef Alexander Lukaschenko im Fall des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine - diejenige eines „nicht völlig unbeteiligten Vermittlers“.

Erdogan kritisierte indes seine NATO-Partner für ihr Vorgehen im Streit mit Russland wegen des Ukraine-Konflikts. „Leider hat der Westen bis jetzt keinen Beitrag zur Lösung dieses Problems geleistet“, so Erdogan auf dem Rückflug aus der Ukraine. „Ich kann sagen, dass sie es nur noch schlimmer machen.“

Vor allem bekrittelte Erdogan das Verhalten von US-Präsident Joe Biden: Dieser sei „bislang nicht in der Lage gewesen, einen positiven Ansatz zu finden“. Lediglich die deutsche Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte eine Lösung finden können, fügte der türkische Präsident hinzu. Nach ihrem Abgang leide Europa unter „ernsten Problemen auf der Führungsebene“. [7]   

Diplomatische Bemühungen und militärischer Druck

Fünf Stunden lang dauerte das Vieraugengespräch zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron am 8. Februar 2022 in Moskau. Danach hielten die beiden Staatschefs in der Nacht eine ausführliche Pressekonferenz ab. Betont wurde die Einigkeit, wonach die Ukraine den Friedensplan für den Donbass umsetzen müsse.

Während die beiden Staatschefs in Moskau sprachen, liefen diplomatische Anstrengungen zur Entschärfung des Ukraine-Konflikts auch andernorts auf Hochtouren. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reiste nach Washington, die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nach Kiew. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) besuchte die umstrittene Donbass-Region in der Ostukraine.

Ein Telefonat zwischen US-Präsident Biden und seinem russischen Amtskollegen Putin verlief „ergebnisoffen“.

Parallel zu den intensiven diplomatischen Aktivitäten kündigten Deutschland und Großbritannien eine Aufstockung ihrer Truppenpräsenz in Osteuropa an. Die deutsche Bundeswehr würde 350 weitere Soldaten nach Litauen entsenden, wie Verteidigungsministerin Christine Lambrecht Mitte Februar 2022 betonte. Zu diesem Zeitpunkt waren dort rund 500 deutsche Soldatinnen und Soldaten stationiert. Großbritannien wollte laut Verteidigungsminister Ben Wallace sein Truppenkontingent an der polnischen Ostgrenze um 350 auf dann 450 Soldaten erhöhen, hieß es.


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HINTERGRUND: Putins Werdegang widerspiegelt das aktuelle Machtkalkül

Für den ehemaligen KGB-Mann Wladimir Putin ist ein Machtapparat, der aus ihm ergebenen Mitgliedern besteht - auch im nach der Auflösung der Sowjetunion erstandenen neuen Russland unter mehr oder weniger demokratisch-autoritären Strukturen - besonders wichtig. Die Hausmacht der früheren Gouverneure in den Moskau fernen Regionen Russlands und vor allem der Einfluss der Oligarchen musste aus Putins Sicht längerfristig gebrochen werden, um das Land immer stärker zu zentralisieren und damit die Herrschaftsinsignien immer enger an sich zu binden. Kritiker der Opposition wie Alexej Nawalny werden mundttot gemacht und hinter Gitter gebracht.

Außenpolitisch trachtet Putin seit seinem Amtsantritt danach, die einstige Machtentfaltung des untergegangenen Sowjetimperiums schrittweise und unter Ausnutzung jeglicher kleinster Fehler seiner Kontrahenten im Weißen Haus in Washington auf dem „internationalen geopolitischen Schachbrett“ wieder aufzubauen. Dazu zählt natürlich auch eine fortschreitende Reform der russischen Streitkräfte zu Land, Wasser, in der Luft, im Weltraum und im Cyberspace. Vom Kreml eingesetzte Hacker- und Influencer-Gruppen agieren unter anderem gegen das westliche Ausland und versuchen über ihre fremdsprachigen Propaganda-Sender RT und Sputnik anti-westliche Desinformation unter meinungspolitischer Ausspielung der einen Seite gegen die andere in den jeweiligen westlichen Demokratien zu streuen. (Im Zuge des russischen militärischen Feldzuges gegen die gesamte Ukraine wurden die Sender im Westen verboten.)

Die USA stehen - trotz aller Sympathien für den großen Nachbarn und Partner im Osten (China) - im fortwährenden Fokus Putins. Während er den früheren US-Präsidenten Donald Trump durchaus als „Konkurrenten auf Augenhöhe“ betrachtete, so ist dies augenscheinlich bei Trumps Amtsnachfolger Joe Biden nicht mehr der Fall. US-Präsident Biden hatte Putin bereits im März 2021 als „Killer“ bezeichnet. Putin reagierte demgegenüber gelassen und nahm die USA unter Biden in seine Liste „unfreundlicher Staaten“ auf. Bidens anschließender Wille zu einem Treffen mit Putin, wertete Letzterer als „Schwäche“. Während Putins Russland mittlerweile wieder in Syrien auf Seiten des alten Verbündeten aus Sowjetzeiten, des Assad-Regimes, militärpolitische Präsenz zeigt, erscheint der chaotische Rückzug Amerikas aus Afghanistan für Putin wie eine „sichtbar gewordene, weitere Schmach“ einer schwächelnden westlichen Vormacht, die offenbar auch bereit ist, Verbündete unter gewissen Umständen fallen zu lassen. Das dürfte Putin im wieder angefachten Ukraine-Konflikt mit dem Westen Auftrieb gegeben haben, um möglichst zugunsten Russlands in der Ukraine Fakten zu schaffen.


Nach aufflammenden Gefechten zwischen pro-russischen Separatisten und der ukrainischen Armee ordneten die selbst ernannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk am 19. Februar 2022 die Generalmobilmachung an.

Nachdem sich die Spannungen zwischen dem Westen und Russland in der Ukraine-Krise im Februar weiter zuspitzten, ordnete der russische Präsident Wladimir Putin am 22. Februar 2022 die Entsendung von eigenen Truppen in die umstrittenen pro-russischen Donbass-Gebiete der Ukraine an. Die Einheiten sollen in den kurz zuvor von ihm als unabhängige Staaten anerkannten „Volksrepubliken Luhansk und Donezk“ für „Frieden“ sorgen, hieß es. Der Kreml kündigte zudem an, russische Militärstützpunkte in der Ostukraine zu errichten. Das ging aus einer veröffentlichten Vereinbarung hervor, die Putin zuvor mit Vertretern der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk unterzeichnet hatte. Gesonderte Abkommen zur militärischen Zusammenarbeit sollen zudem die Bindung an Russland vertiefen.

Die USA und die EU verhängten Strafmaßnahmen. Deutschland stoppte die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2“. Es wurde eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrates einberufen. Das oberste UNO-Gremium verurteilte die Entsendung russischer militärischer Kräfte in die Ostukraine.

Russische Invasion der gesamten Ukraine

Am 24. Februar 2022 gab der russische Präsident Putin grünes Licht für die militärische Invasion der Ukraine. Trotz heftiger Kritik aus dem Westen gab die NATO bekannt, dass sie nicht in den Krieg eingreifen werde.

Die russische Militäroperation gegen die Ukraine als ein Land, welches das Pech hatte, zwischen zwei Machtblöcken eingeklemmt zu sein und seine Zugehörigkeit nicht frei wählen zu dürfen, entsprach keinesfalls dem Gedanken europäischer Integration und Sicherheit. Zwar wurde die NATO nicht direkt angegriffen - deren Normen und Prinzipien allerdings sehr wohl. Im technischen Sinn lag kein Bündnisfall vor. Die Ukraine war kein Mitglied der Allianz. Die Erwartung, ihr eines Tages beitreten zu können, musste sie bereits am Gipfel von Bukarest im Jahr 2008 zu Grabe tragen.

Der Vormarsch der russischen Einheiten traf auf erbitterten Widerstand der ukrainischen Armee. Zumindest phasenweise konnte die ukrainische Seite den russischen Vorstoß aufhalten. Der Kreml befahl deshalb am 26. Februar 2022 „die Offensive in alle Richtungen zu erweitern“. Ziel war der Sturz der als „Terroristen“ und „Nazis“ von Putin bezeichneten ukrainischen Regierung von Präsident Selenskij.

Der Westen verhängte verschärfte Sanktionen gegen Russland und gab grünes Licht für Waffenlieferungen nach Kiew. Die US-Administration von Präsident Joe Biden kündigte an, bis zu 350 Mio. Dollar (~ 312 Mio. Euro) zur „sofortigen Unterstützung der Verteidigung der Ukraine“ zur Verfügung zu stellen. Die militärische Unterstützung werde helfen, sich gegen die russischen Bedrohungen durch Panzer und aus der Luft zu wehren, erklärte US-Außenminister Antony Blinken. Bei einer Geberkonferenz für die Ukraine sagten nach britischen Angaben rund zwei Dutzend Staaten „militärische und humanitäre Hilfe“ zu. „Das ist ein weiteres Signal, dass die USA zu den Menschen in der Ukraine stehen, während sie ihr souveränes, mutiges und stolzes Land verteidigen“, so Blinken. Mit der neuen Tranche summierten sich die Militärhilfen für die Ukraine seit dem vergangenen Jahr auf eine Mrd. Dollar, heißt es weiter.

US-Präsident Joe Biden hatte die Auszahlung der neuen Militärhilfen angeordnet. Die USA haben der Ukraine bereits zahlreiche Waffensysteme und Munition geliefert.

Deutschland überdachte mittlerweile seine Position bezüglich Waffenlieferungen an die Ukraine. Die ukrainischen Streitkräfte wurden mit 1.000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen vom Typ „Stinger“ unterstützt, hieß es aus Berlin.[8] Zudem genehmigte die deutsche Regierung Estland die Lieferung mehrerer Artilleriegeschütze aus DDR-Altbeständen an die Ukraine.

Außerdem wurden die Niederlande ermächtigt, 400 Panzerfäuste aus deutscher Produktion an die Ukraine zu liefern. Auch 14 gepanzerte Fahrzeuge sollten als Unterstützung exportiert werden.

Die westlichen Staaten schlossen am 26. Februar 2022 russische Banken aus dem internationalen Bankeninformationssystem SWIFT aus.

Der russische Präsident Putin versetzte parallel dazu die Nuklearstreitkräfte des Landes in Alarmbereitschaft. Das habe er wegen des „aggressiven Verhaltens“ der NATO und der Wirtschaftssanktionen der russischen Militärführung befohlen, sagte Putin in einer TV-Ansprache.

Die NATO wiederum verlegte die eigene Eingreiftruppe nach Rumänien und in die Slowakei. Der Eingreiftruppe (NATO Response Force - NRF) stehen insgesamt rund 50.000 Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung.

Die EU stellte eine halbe Mrd. Euro für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte zur Verfügung. Darauf hatten sich die ständigen Vertreter der 27 EU-Mitgliedstaaten in Brüssel geeinigt. Nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war es das erste Mal, dass die EU den Kauf und die Lieferung von Waffensystemen und anderen Rüstungsgütern an ein Land finanziert, das angegriffen wird.

Kritik an Moskaus Verhalten in der UNO-Vollversammlung

Bei einer Dringlichkeitssitzung der UNO-Vollversammlung zur russischen Invasion der Ukraine sagte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres am 28. Februar 2022 nach einer Schweigeminute zum Auftakt der Sitzung: „Die Kämpfe in der Ukraine müssen jetzt enden.“ Zwar würden jetzt „die Waffen sprechen“; aber es sei nie zu spät für Verhandlungen, um „alle Themen friedlich“ anzugehen, so Guterres.

Auch China drängte auf eine friedliche Lösung des Konflikts und warnte vor einem neuen Kalten Krieg: „Die Ukraine sollte als Kommunikationsbrücke zwischen Ost und West dienen und nicht als Frontlinie der Rivalität zwischen großen Mächten“, sagte Pekings UNO-Botschafter Zhang Jun. Es müsste eine Atmosphäre für direkte Gespräche geschaffen werden; Spannungen dürften nicht verschärft werden. „Der Kalte Krieg ist längst beendet. Die Mentalität des Kalten Krieges, die auf Blockkonfrontation basiert, sollte aufgegeben werden.“

Die UNO-Vollversammlung missbilligte schließlich am 2. März 2022 mit großer Mehrheit den russischen Einmarsch in die Ukraine und forderte Russland zum Ende seiner militärischen Operationen in dem Land auf. 141 UNO-Mitgliedstaaten stimmten in New York für eine entsprechende Resolution. 35 Länder enthielten sich, 5 lehnten den Beschluss ab. Auch Österreich stimmte dafür.

Die mit großer Mehrheit getroffene Abstimmung kann nicht durch ein Veto eines der Länder des Sicherheitsrates blockiert werden.


Abgeschlossen: Anfang März 2022


Anmerkungen:

[1] Ukraine: Ex-Präsident Poroschenko droht Prozess wegen Hochverrats. In: EURONEWS-Online v. 21.12.2021: https://de.euronews.com/2021/12/21/ukraine-ex-prasident-poroschenko-droht-prozess-wegen-hochverrats

[2] No concessions, no breakthroughs: Russia, U.S. cast pall on Ukraine talks. In: REUTERS-Online v. 9.1.2022: https://www.reuters.com/world/russia-says-its-disappointed-by-us-signals-before-geneva-talks-2022-01-09/

[3] Ukraine crisis: Why Russia-US talks may prove crucial. In: BBC NEWS-Online v. 10.1.2022: https://www.bbc.com/news/world-europe-59935990

[4] Russia and Ukraine: Chronicle of an undeclared war. In: DW-Online v. 22.12.2021: https://www.dw.com/en/russia-and-ukraine-chronicle-of-an-undeclared-war/a-60214630  

[5] Ukraine hit by 'massive' cyber-attack on government websites. In: THE GUARDIAN-Online v. 14.1.2022: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjx7PvwpLT1AhUP4aQKHYdHDpEQFnoECAQQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.theguardian.com%2Fworld%2F2022%2Fjan%2F14%2Fukraine-massive-cyber-attack-government-websites-suspected-russian-hackers&usg=AOvVaw0C2DBocaR9XgJTpAqnIDLS

[6] Vizeadmiral Schönbach tritt als Inspekteur der Marine zurück. In: PRESSEPORTAL.de v. 22.1.2022: https://www.presseportal.de/pm/67428/5128026

[7] Erdogan kritisiert NATO-Partner. In: FAZ-Online v. 4.2.2022: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/erdogan-kritisiert-nato-partner-fuer-vorgehen-in-ukraine-krise-17779441.html

[8] Berlin schickt Kiew 500 Stinger-Raketen und weitere Waffen. In: FAZ-Online v. 26.2.2022: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/berlin-schickt-ukraine-stinger-raketen-und-weitere-waffen-17836825.html

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Weiterführende LINKS:

Russia-Ukraine Tensions: Signals to China

Tensions Between Russia and Ukraine: How Likely is Another War?

If Russia Invades Ukraine, Its Front-Line Air-Defenses Will Be The Most Dangerous In The World

Russia withdraws portion of troops from border with Ukraine

Conflict in Ukraine

Ukraine maps: The battles for Kyiv and Kharkiv - BBC News

Ukraine at war | The Economist

The Russia-Ukraine War: Latest News - The Wall Street Journal

Maps: Tracking the Russian invasion of Ukraine - Reuters

Russia’s invasion of Ukraine in maps - latest updates

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UKRAINE

Update Anfang März 2020

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Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij sind im Berichtszeitraum trotz erheblicher Widerstände in der eigenen Bevölkerung doch erkennbare Fortschritte im Verhältnis seines Landes zu Putins Russland gelungen. Dennoch bleibt abzuwarten, wie der Prozess der Annäherung zwischen Kiew und Moskau vorankommt.

Je mehr die Gräben zwischen den führenden europäischen Mächten wie Frankreich und Deutschland und den USA unter Präsident Donald Trump breiter werden, desto stärker ausgeprägt ist die mehr oder weniger offen gezeigte Wiederannäherung der Europäer an Russland. Unabhängig davon könnte auch Trump irgendwann im Rahmen eines nicht ganz ausgeschlossenen außenpolitischen „Schwenks“ zu einem umfangreichen „Ausgleich“ mit Putin bereit sein, bei dem die Interessen Kiews und damit Selenskijs untergraben werden könnten.

Selenskij im deutschen Kanzleramt von Merkel empfangen

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin am 18. Juni 2019 warfen die deutsche Gastgeberin, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij Russland vor, sich „rechtswidrig“ gegenüber dem Nachbarland zu verhalten. Solange bei der Wiederherstellung der Souveränität und der territorialen Integrität der Ukraine keine Fortschritte erzielt würden, könnten „die Sanktionen nicht aufgehoben werden“, so Merkel. „Auf der anderen Seite wissen wir, dass wir ohne Gespräche und ohne Kontakte die Probleme auch nicht aus der Welt ausräumen können“, meinte die Kanzlerin. Merkel hatte den ukrainischen Staatschef zuvor mit militärischen Ehren im Kanzleramt empfangen.

Auch der neue ukrainische Präsident strebt eine Mitgliedschaft seines Landes in der NATO und der EU an. Beide westlichen Institutionen bleiben diesbezüglich zurückhaltend, um Moskau nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen.


US-Militärhilfe für ukrainische Streitkräfte

Währenddessen kündigte Washington ein Hilfspaket für das ukrainische Militär in Höhe von 250 Millionen Dollar (222,54 Mio. Euro) an. Die USA fühlten sich weiterhin verpflichtet, der Ukraine bei der Reform ihrer Streitkräfte zu helfen, erklärte ein Pentagon-Sprecher am 18. Juni. „Diese Reformen werden die Fähigkeit der Ukraine stärken, ihre territoriale Integrität zu schützen“, hieß es.

Die angekündigte Militärhilfe ist Teil einer Reihe von Zahlungen des US-Verteidigungsministeriums seit 2014, die sich inzwischen auf 1,5 Milliarden Dollar
(1,34 Mrd. Euro) belaufen. Das Jahr markiert die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland und den Beginn des Ostukraine-Konflikts. In dem von Moskau unterstützten Kampf prorussischer Einheiten gegen die Zentralregierung in Kiew starben in den vergangenen fünf Jahren rund 13.000 Menschen.


Selenskij bietet Putin Gespräche an

Der neue ukrainische Präsident bot am 8. Juli dem russischen Staatschef Wladimir Putin ein Treffen an. In einer Videobotschaft an Putin sagte Selenskij: „Müssen wir reden? Ja, das müssen wir. Lasst es uns angehen.“ Selenskij schlug vor, über die 2014 von Russland annektierte ukrainische Halbinsel Krim sowie den Konflikt in der Ostukraine zu sprechen, wo ukrainische Truppen gegen prorussische Separatisten kämpfen.

Bei den Gesprächen mit Putin wolle Selenskij US-Präsident Donald Trump, die britische Premierministerin Theresa May, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron dabei haben, meinte Selenskij.

Ein Sprecher des Kreml gab an, den Vorschlag vorerst nicht kommentieren zu wollen. Es handle sich um ein „völlig neues Format“.

Schließlich telefonierten Selenskij und Putin am 11. Juli erstmals miteinander, wobei es vor allem auch um die Lage in der Ostukraine ging, wo es immer wieder zu blutigen Gefechten auf beiden Seiten kommt.

Am 12. Juli trat dann erstmalig in Paris die sogenannte „Normandie-Runde“, ein Beratertreffen zwischen Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland, zusammen, um über eine Lösung des Ukraine-Konflikts zu diskutieren. Konkret wurden Siedlungsfragen im Konfliktgebiet der Ukraine und die Rückkehr der Bewohner erörtert.

Die Konfliktparteien in der Ostukraine vereinbarten unter Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am 17. Juli eine neue unbefristete Waffenruhe.


Absolute Mehrheit für Selenskij-Partei bei Parlamentswahlen

Bei der Parlamentswahl in der krisengeschüttelten Ukraine wurde die Partei des ukrainischen Präsidenten (die prowestliche Partei „Diener des Volkes“ - „Sluha narodu“) am 21. Juli die stärkste politische Kraft. Laut Angaben der Partei konnte sie dank Direktmandaten die absolute Mehrheit erringen.


Konflikt um russischen Tanker

Kurz nach der Festsetzung eines russischen Tankers in einem ukrainischen Schwarzmeer-Hafen erklärte ein ukrainisches Gericht in Odessa das Schiff offiziell für beschlagnahmt.

Dabei entschied das Gericht im Süden der Ukraine, dass die „Nika Spirit“ wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an einem Zwischenfall vor der von Russland annektierten Halbinsel Krim Ende 2018 beschlagnahmt wurde.

Russland drohte umgehend mit Konsequenzen. Die zehn russischen Besatzungsmitglieder durften ohne Anklage aus der Ukraine ausreisen.

Nach der Absage einer offfiziellen Militärparade durch den ukrainischen Präsidenten nahmen am 24. August in der Hauptstadt Kiew rund 20.000 Menschen an einem inoffiziellen Marsch anlässlich des ukrainischen Unabhängigkeitstags teil. Selenskij hatte die Parade abgesagt und angekündigt, das dadurch gesparte Geld in Sonderprämien für Soldaten zu investieren. Soldaten und Veteranen des Krieges in der Ostukraine organisierten daraufhin selbst einen Marsch.

Selenskij hatte im Wahlkampf versprochen, den Krieg in der Ostukraine zu beenden. Seit dem Ausbruch des Konflikts zwischen ukrainischen Truppen und von Russland unterstützten Separatisten im Frühjahr 2014 wurden bereits mehr als 13.000 Menschen getötet.


Selenskij sieht in „Nord Stream 2“ eine russische „Bedrohung“ für Europa

Der ukrainische Präsident Selenskij bezeichnete bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda am 31. August in Warschau die umstrittene Gaspipeline „Nord Stream 2“, an deren Finanzierung auch die österreichische OMV beteiligt ist, als „Bedrohung“ für Europa. „Wir haben dieselbe Position wie Polen: Die ‚Nord Stream 2‘ ist inakzeptabel und bedroht Europa als Ganzes“, so Selenskij.

Unterdessen gingen Polen, die Ukraine und die USA ein Abkommen über die verstärkte Zusammenarbeit im Energiebereich ein. In dem Deal geht es vor allem darum, die Ukraine stärker an die Energiezufuhr aus dem Westen heranzuführen. Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim 2014 sucht Kiew nach Wegen, um von russischen Gaslieferungen unabhängiger zu werden.


Gefangenenaustausch zwischen Kiew und Moskau

Russland und die Ukraine unternahmen am 7. September einen lange verhandelten Gefangenenaustausch. Je 35 Gefangene wurden ausgetauscht, darunter auch der ukrainische Regisseur Oleg Senzow. Der Austausch ging zurück auf die Initiative des neuen ukrainischen Präsidenten Selenskij, der damit einen ersten diplomatischen Coup verzeichnen konnte.

Für die russische Seite wurde etwa der in der Ukraine festgehaltene Wladimir Zemach freigelassen. Er soll für die Luftabwehr der prorussischen Separatisten in Donezk zuständig und am Abschuss der Passagiermaschine des Flugs MH17 über der Ostukraine beteiligt gewesen sein.

Der russische Präsident Putin hatte zuvor bestätigt, dass der Gefangenenaustausch „ein großer Schritt hin zur Normalisierung“ der Beziehungen sei.

Im Ringen um Frieden im Kriegsgebiet in der Ostukraine erreichten die Konfliktparteien am 1. Oktober 2019 eine wichtige Einigung. Vertreter der ukrainischen Regierung und der prorussischen Separatisten in Luhansk und Donezk unterzeichneten demnach eine Vereinbarung über einen Sonderstatus der umkämpften Regionen.

In den Gesprächen zur Lösung des Ukraine-Konflikts geht es auch um die sogenannte „Steinmeier-Formel“, die nach dem früheren deutschen Außenminister und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier benannt ist. Die Formel sieht für die Gebiete im Osten der Ukraine einen Sonderstatus vor, sobald dort Kommunalwahlen nach den Standards der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) abgehalten wurden.

Für Selenskij sei damit keine „rote Linie“ überschritten worden. Dennoch gingen am 6. Oktober in Kiew 10.000 Menschen gegen den Ostukraine-Plan der ukrainischen Regierung auf die Straße.

                                                                                                                                             

Grünes Licht Washingtons für Javelin-Lenkwaffen an die Ukraine

Die US-Regierung stimmte am 3. Oktober dem Verkauf von 150 modernen Panzerabwehrwaffen des Typs Javelin an die Ukraine zu. Zu dem Paket für
39,2 Millionen Dollar gehören unter anderem auch zehn Kontroll- und Starteinheiten, Trainingsmaterialien und Serviceleistungen.

Das von den Herstellern Raytheon und Lockheed Martin produzierte Lenkwaffensystem kann aus großer Entfernung gegen Panzer, gepanzerte Fahrzeuge oder Bunker eingesetzt werden. Der ukrainische Präsident Selenskij hatte Ende Juli in einem Gespräch mit US-Präsident Donald Trump darum gebeten.

Die Zustimmung zu dem Waffenverkauf erfolgte nun fast zwei Wochen nach dem Bekanntwerden der sogenannten „Ukraineaffäre“ in Washington. Die Demokraten werfen dem republikanischen Präsidenten Trump weiterhin vor, Selenskij in dem Telefonat Ende Juli unter Druck gesetzt zu haben, um Ermittlungen zu erwirken, die seinem Rivalen Joe Biden schaden würden. Trump soll das Zurückhalten von Militärhilfen als Druckmittel eingesetzt haben.

Die Demokraten im Repräsentantenhaus hatten deswegen Untersuchungen für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump begonnen. Dieser wies die Vorwürfe als absurd zurück.


Kiew zieht Truppen von Front in Ostukraine ab

Die ukrainische Armee gab am 29. Oktober den Beginn des Abzugs von Regierungstruppen und von Einheiten der prorussischen Rebellen aus einem Schlüsselsektor an der Frontlinie in der östlichen Region Luhansk bekannt. Dabei sollen sowohl Einheiten der ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Aufständischen ihre Soldaten einschließlich Waffen um mindestens einen Kilometer zurückziehen.

Mit der Entmilitarisierung soll der festgefahrene Friedensprozess des seit 2014 andauernden Konflikts aktiviert und ein Gipfeltreffen im Normandie-Format (Russland, Frankreich, Deutschland, Ukraine) ermöglicht werden. Mittelfristig sollen Wahlen in der Ostukraine abgehalten werden - unter welchen Bedingungen diese stattfinden sollen, bleibt offen.

In der ukrainischen Öffentlichkeit kam diese Friedensgeste Selenskijs gegenüber Russland nicht gut an. Immer wieder wurde in Großdemonstrationen ein Ende dieser Politik skandiert.

Selenskij wollte damit signalisieren, dass er die Vereinbarungen einhalte. Zeigen wollte er das vor allem Moskau, an dem für einen Frieden im Donbass kein Weg vorbeiführt. Der russische Präsident stellte sich seit der Wahl Selenskijs auf den Standpunkt, dieser müsse erst einmal seinen Friedenswillen unter Beweis stellen, bevor es zu einem Treffen im Kreml kommen könne. Formal hält Moskau an der Erfüllung des Minsker Abkommens fest. Immer wieder neue Vorbedingungen stellte Moskau für einen Gipfel im Normandie-Format. Und nach einigem Zögern war Selenskij bisher immer darauf eingegangen.

Als Zeichen der weiteren Deeskalation gab Russland der Ukraine schließlich drei vor einem Jahr beschlagnahmte Kriegsschiffe zurück. Die 2018 bei einem Zwischenfall in der Meerenge von Kertsch festgesetzten Boote verließen deshalb einen Hafen der Halbinsel Krim für die Übergabe in neutralen Gewässern des Schwarzen Meeres.


Treffen Selenskij-Putin unter deutsch-französischer Schirmherrschaft 

Bei einem ersten Gipfeltreffen des ukrainischen und russischen Präsidenten im Beisein des französischen Amtskollegen Emanuel Macron und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel am 9. Dezember 2019 in Paris wurde unter anderem eine vollständige Umsetzung der Waffenruhe bis Ende des Jahres vereinbart. Zudem sollen Truppen bis Ende März 2020 aus drei umstrittenen Gebieten zurückgezogen werden. Ein weiterer Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und Russland wurde vereinbart, hieß es nach dem achtstündigen Gipfeltreffen.

Im Zuge der atmosphärischen Verbesserung des Klimas zwischen Selenskij und Putin wurde am 21. Dezember der jahrelange Rechtsstreit zwischen Moskau und Kiew um den Gastransit beigelegt. Russland und die Ukraine hatten eine neue Vereinbarung zum Gastransit besiegelt, da das bestehende Abkommen Ende 2019 auslief.


Ukrainisches Passagierflugzeug von iranischer Luftabwehr versehentlich abgeschossen

Inmitten erhöhter Spannungen zwischen den USA und dem Iran nach dem gezielten tödlichen US-Luftschlag auf den iranischen General Kassem Soleimani, Chef der iranischen Al-Kuds-Einheit, einer Division der iranischen Revolutionsgarden, am Flughafen von Bagdad und wiederholter iranischer Attacken auf US-Stützpunkte im Irak und in Syrien, schoss die iranische Luftabwehr am 8. Jänner 2020 „versehentlich“ ein ukrainisches Passagierflugzeug mit 176 Menschen nahe Teheran ab. Niemand überlebte das Unglück.

Nach tagelangen Dementis gestand schließlich die iranische Führung den „Fehler“ ein. Die Streitkräfte entschuldigten sich bei den Familien der Opfer. Der iranische Präsident Hassan Rouhani schrieb auf Twitter, sein Land bedaure den Abschuss „zutiefst“.

Selenskij forderte ein volles Schuldeingeständnis und eine offizielle Entschuldigung Teherans. Zudem sollten die sterblichen Überreste der Todesopfer in ihre Heimatländer überstellt werden.


Abgeschlossen: Anfang März 2020

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Weiterführende LINKS:

Ukraine - The International Institute for Strategic Studies

Fear of war in Ukraine - Power struggle for the Sea of Asov | DW Documentary

Ukraine Is Not the Only Battlefield Between Russia and the West – Carnegy Europe

Russia and the Separatists in Eastern Ukraine | Crisis Group

Conflict between Russia and Ukraine - The main issue is Ukrainian fragility, not Russian aggression – Cicero 27.11.2018

Russia-Ukraine

Ukraine-Konflikt

Ukraine-Konflikt: Vom Maidan zum Krieg | ZEIT ONLINE - Die Zeit

Ukraine-Krise aktuell: News der FAZ zum Ukraine-Konflikt

Krise um die Ukraine - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik

Ukraine's Armed Forces Five Years into Conflict with Russia - CSIS

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Jüngste Spannungen zwischen der Ukraine und Russland


Seit dem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen vom April 2019 sieht sich das neu gewählte Staatsoberhaupt der Ukraine, Wolodymyr Selenskij, großen Herausforderungen angesichts neuem politischem Drucks aus Moskau gegenüber. Damit scheint ein Neuanfang in den bilateralen Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland kaum möglich zu sein.

Der russische Präsident Wladimir Putin verteidigte am 28. April nicht nur die bereits rechtskräftige Entscheidung, den Bewohnern der von Russland unterstützten pro-russischen „Volksrepubliken“ im Donbass die erleichterte Einbürgerung zu gewähren. Er zog auch in Erwägung, diese eigentlich mit einer „humanitären Notlage“ begründete Möglichkeit für alle Ukrainer zu öffnen. - Bei der Passvergabe handelt es sich für viele Experten um einen „direkten Angriff auf die ukrainische Souveränität“. Wer die Einbürgerung von Bürgern eines Nachbarlands organisiert, bekräftigt damit, dass er dessen Staatlichkeit nicht ernst nimmt.

Parallelen zum Vorgehen Moskaus im Georgien-Konflikt vor rund zehn Jahren sind dabei offensichtlich: Dort hatte der Kreml den abtrünnigen Abchasiern und Südosseten in einem ersten Schritt ebenfalls russische Pässe verteilt, bevor es dann 2008 in einer Militärintervention den dortigen „Landsleuten“ zu Hilfe eilte und ihre Abspaltung von Georgien anerkannte. Ein noch eindringlicheres Beispiel dieser Kreml-Strategie liegt schon etwas länger zurück: Stalins Angriff auf Polen zu Beginn des II. Weltkriegs, bei dem der „Schutz“ der dortigen ostslawischen Minderheiten zum Vorwand genommen wurde.

Selenskij antwortete Putin postwendend auf Facebook und zeigte jene Schlagfertigkeit, die den gelernten Schauspieler und Komiker auszeichnet. Er wies auf die Risiken hin, die der Kreml mit der Abgabe von Pässen eingehe. Vor allem aber wüssten die Ukrainer die Freiheit des Wortes, freie Medien und ein freies Internet zu schätzen. Der russische Pass dagegen bedeute das „Recht, für friedlichen Protest festgenommen zu werden; das Recht, keine freien Wahlen zu haben; das Recht, überhaupt Rechte und Freiheiten zu vergessen“. Deshalb dürften kaum viele Ukrainer danach streben.

Selenskij hob die Bedeutung der Freiheit für die Ukrainer hervor und versprach, auch künftig bleibe es die Mission der Ukraine, ein demokratisches Vorbild für die postsowjetischen Staaten zu sein und jenen Schutz, Asyl und die Staatsbürgerschaft zu geben, die bereit seien, für diese Freiheit zu kämpfen. Es gehöre sich nicht, mit den Ukrainern in Drohungen, mit militärischem und wirtschaftlichem Druck zu sprechen. Er sei zu Gesprächen und zur Ausarbeitung neuer Grundlagen des Zusammenlebens der beiden Nationen bereit – eine vollständige Normalisierung werde es aber nur beim Ende der Besetzung der Ostukraine und bei der Rückgabe der Krim geben.

Aus der Sicht Moskaus sei die Ukraine seit dem Maidan 2014 ein „failed state“; ein Staatswesen, das nicht nur in der Ostukraine gegen seine eigene Bevölkerung kämpft und diese gewissermassen unter den Schutzschirm der selbstproklamierten „Volksrepubliken“ gezwungen hat, sondern auch im Rest des Landes den Einwohnern nur ein vages Dasein in einem „nationalistischen Oligarchenstaat“ zumutet. Auch die Sprachenfrage ist zentral – es wird suggeriert, Russisch zu sprechen, sei verboten.

Im Streit mit der Ukraine über die Pass-Regelung legte Russlands Staatschef weiter nach und schlug eine „gemeinsame Staatsbürgerschaft“ Russlands und der Ukraine vor. „Wenn man in der Ukraine anfängt, Pässe an Russen zu verteilen, und wir in Russland an die Ukrainer ausstellen, gelangen wir früher oder später zum erwartbaren Ergebnis: Alle werden dieselbe Staatsbürgerschaft haben. Das müsste begrüßt werden“, so Putin.

Aus Putins Sicht seien Russen und Ukrainer „Brudervölker“. „Ich denke, in Wirklichkeit stellen sie ein und dasselbe Volk mit kulturellen, sprachlichen und historischen Eigenheiten dar.“ Nach seinen Äußerungen verabschiedete Putin sich auf Ukrainisch.

Aus der Sicht des Westens und Kiews hat Russland im Zuge der Ukraine-Krise 2014 und der anschließenden Annexion der Krim durch Moskau einen Bruch des Völkerrechts begangen. Mit der mehr oder weniger verdeckten Unterstützung der pro-russischen Rebellen im ostukrainischen Donbass-Gebiet und der russisch-ukrainischen Spannungen rund um das freie Durchfahrtsrecht durch die Meerenge von Kertsch vor der Halbinsel Krim sucht der russische Präsident offensichtlich nach Wegen, um den Einfluss Moskaus in der Region weiter zu erhöhen. Speziell  in der Ostukraine und auf der Krim wendete Russland eine „hybride Kriegsführung“[1] an.

Unter hybrider Kriegsführung wie sie Russland im Donbass-Gebiet in der Ostukraine zur Unterstützung der pro-russischen Rebellen und schließlich zur Annexion der Krim lancierte, wird eine militärisch-zivile Strategie unterhalb der Schwelle zu einem „heißen“ Krieg mit konventionellen Mitteln verstanden. Dabei werden mehr oder weniger verdeckte symmetrische und asymmetrische Werkzeuge eingesetzt, um ohne allzu große in Stellung gebrachte, eigene Kapazitäten dennoch größtmögliche Wirkung zu erzielen, damit am Ende das anvisierte Ziel auch erreicht wird. Guerillagruppen suchen ihre Absichten mit Hilfe von Terroranschlägen im Krisengebiet zu unterstreichen, um in Staat und Gesellschaft ein möglichst großes Maß an Chaos und Instabilität zu erzeugen. Dabei verwischt oftmals die Trennung zwischen „Legalität“ und „Kriminalität“. Komplettiert werden hybride Angriffstaktiken durch Cyberattacken möglichst auf sensible Einrichtungen des Staates und der Wirtschaft, um größtmöglichen Schaden anzurichten.[2]

Viele Russen streiten die Existenz einer eigenständigen ukrainischen Nation ab. Allenfalls der Westukraine, die historisch unter polnischer und später habsburgischer Herrschaft stand, wird ein gewisses Recht auf eine eigene kulturelle Ausprägung zugestanden. Den Rest des Landes erachten sie als jenes „Kleinrussland“ des russischen Zarenreichs. Aber gerade die enge gemeinsame Geschichte hat auch zu einer scharfen Abgrenzung geführt.

Für den Kreml gilt Selenskij als weit weniger berechenbar und hat auch eine innenpolitische Funktion in Russland inne. Er hält indirekt der russischen Opposition den Spiegel vor und bietet unzufriedenen Russen eine politische Projektionsfläche.

„Brüderlich können solche Beziehungen überhaupt nicht genannt werden“

Selenskij kritisierte Putins Äußerungen bezüglich der Ukraine scharf und gab allen Hoffnungen auf eine baldige Annäherung seines Landes an Russland einen Dämpfer. „Die Realität ist derart, dass heute nach der Annexion der Krim und der Aggression im Donbass vom Gemeinsamen nur eines blieb: die Staatsgrenze“, betonte er. Moskau müsse zuerst die Kontrolle über die Grenze vollständig an Kiew zurückgeben, bevor wieder „Gemeinsames“ gesucht werden könne. Das kürzlich verhängte Exportverbot für Erdölprodukte, die Ausgabe russischer Pässe an Ukrainer sowie Landsleute in russischer Haft seien weitere unfreundliche Schritte des russischen Nachbarn gewesen. „Brüderlich können solche Beziehungen überhaupt nicht genannt werden“, so Selenskij.

Der schwierige Prozess der Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte

Die 1991 aus den Versatzstücken der ehemaligen UdSSR hervorgegangene Ukraine besaß damals die viertgrößte Armee in Europa mit einem erheblichen Anteil an Atomwaffen. Danach setzte ein dramatischer Schrumpfungsprozess ein, der das Land vor allem gegenüber möglicher russischer Aggression äußerst verwundbar machte. Erst nach und nach gelang der Umbau der ukrainischen Streitkräfte auf ein akzeptables Niveau. Bis Mitte der 1990er-Jahre hatte Kiew seine nuklearen Kapazitäten völlig abgebaut. Die Ukraine erklärte sich 1990 in ihrer Unabhängigkeitserklärung als neutraler und blockfreier Staat, der keine Atomwaffen mehr besitzen, produzieren oder kaufen werde.

2005 lag die Zahl die Truppen des Landes bei 245.000 Mann (militärisches wie ziviles Personal). 

Im Zuge der Orangenen Revolution von 2005 entschied die neue Regierung in Kiew, das Land näher an die NATO heranzuführen. Doch die globale Finanzkrise von 2008/2009 verhinderte ein erhöhtes Rüstungsbudget. Im Gegenteil, es mussten signifikante Kürzungen hingenommen werden. Die Wahl des prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch brachte ein Umdenken in Sachen NATO-Annäherung. Die neue ukrainische Militärdoktrin und Nationale Sicherheitsdoktrin von 2012 bestätigte einmal mehr den neutralen Status des Landes und den Verzicht auf eine mögliche NATO-Mitgliedschaft. 2013 waren die ukrainischen Streitkräfte dann gar auf einen Personalstand von 165.500 (einschließlich von 120.900 Soldaten) geschrumpft. Rund 82,1% der vorhandenen Gelder für die Verteidigung wurden zur Unterstützung der Aktivitäten der Streitkräfte ausgegeben. Nur 10,2% konnten für neue Rüstungsgüter und Ausrüstung verwendet werden.

Das ukrainische Militär ist bislang weiterhin unterfinanziert – begleitet von einer ganzen Reihe von Missständen wie hoher Korruption, schlechtes Management und anderen Skandalen. In dieser unbequemen Situation konnte die Ukraine die militärische Intervention auf der Krim und im Donbass-Gebiet nicht abwenden.

2015 wurden von der ukrainischen Regierung umfangreiche strukturelle Reformen im Wehrsektor eingeleitet – mit dem Ziel einer Annäherung an die NATO-Standards bis 2020. Russland wird dezidiert als Gegner angesehen.

Mit Ende 2017 lag der Personalstand bei 250.000 Beschäftigten in den Streitkräften (204.000 Soldaten und 46.000 Zivilisten). Die Regierung stellte dabei rund 2,8 Milliarden US-Dollar für den Verteidigungsbereich bereit. Das sind rund 2,5% des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine.[3]

Trotzdem bleibt die finanzielle Lage der Streitkräfte angespannt. Während die Armee im Jahr nur wenige Rüstungsgüter von heimischen Rüstungswerken und vom Ausland kaufen kann, besteht zumindest die Möglichkeit, die vorhandenen militärischen Kapazitäten aus der Sowjetära schrittweise zu modernisieren, betont der Autor. Wichtige Rüstungspartner sind heute die USA, die 2018 unter anderem Panzerabwehrraketen des Typs JAVELIN an Kiew geliefert haben. Auch die Türkei scheint mittlerweile ein immer wichtiger Exporteur von Rüstungsgütern für die Ukraine zu werden.

Um mehr Geld für die heimische Wirtschaft zu generieren, exportierte die Ukraine 2011 unter anderem 49 T-84 OPLOT Kampfpanzer (als ukrainische Weiterentwicklung des sowjetischen T-80 Kampfpanzers) an Thailand.

Letztlich muss die Ukraine die heimische Wirtschaft weiter ankurbeln, um die benötigten Spielräume zur Modernisierung der eigenen Streitkräfte zu erhalten.

Russland in der Pflicht

Die Entwicklung des Ukraine-Konflikts seit 2014 widerspiegelt die Fragilität des internationalen Sicherheitssystems und seine Unfähigkeit, die Souveränität kleiner oder schwacher Staaten zu wahren. Durch die Generierung und Manipulierung von Konflikten erlangt Russland in solchen Ländern Einfluss über die politische und ökonomische Entwicklung, über die Verwaltung und schließlich über die externen Allianzen der betreffenden Nationen. Infolge der Untergrabung der Souveränität kleiner Staaten und der gewaltsamen Veränderung ihrer Grenzen im Rahmen hybrider Strategien fordert Russland die existierende internationale Ordnung  und die grundlegenden Prinzipien der Schlussakte der Helsinki-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von 1975 heraus, wobei die frühere UdSSR und die Russische Föderation als Nachfolgestaat zu den Signatarmächten gehören. Es ist im Interesse der globalen Sicherheit nun wichtig, Russland wieder in die Strukturen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) einzubinden, wobei die Souveränität aller Mitgliedsländer außer Frage stehen müsse.

Der Internationale Seegerichtshof forderte Russland am 25. Mai 2019 dazu auf, die im November 2018 verhafteten 24 ukrainischen Seeleute sofort freizulassen. In dem Urteil des Gerichts in Hamburg hieß es, die Inhaftierten sollten in die Ukraine zurückkehren dürfen. Das Urteil ist jedoch problematisch, weil Moskau das Verfahren in Hamburg boykottiert. Russland ist der Ansicht, dass nur ein heimisches Gericht über den Fall entscheiden solle.

Die russische Marine hatte am 25. November 2018 in der Straße von Kertsch im Asowschen Meer ukrainische Küstenschutzboote aufgebracht und die Besatzungen verhaftet. Russland beansprucht diesen Abschnitt des Schwarzen Meeres seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim als nationales Gewässer.

Die Ukraine und westliche Staaten werfen der russischen Regierung dagegen vor, die Schiffe in internationalen Gewässer aufgebracht zu haben und de facto eine Blockade des ostukrainischen Hafens Mariupol durchsetzen zu wollen.

Nach wieder aufgeflammten blutigen Kämpfen in der Ostukraine reagierte der neue ukrainische Präsident Selenskij an 7. Juni 2019 umgehend. „Wer auch immer den Befehl gab, die Streitkräfte der Ukraine werden hart und der Situation entsprechend antworten“, sagte er.


Abgeschlossen: 14. Juni 2019


Anmerkungen:

[1] Felix Wassermann, „The Blurring of Interstate Wars, Civil Wars, and Peace“. In: S+F – Sicherheit und Frieden 1/2018, Seite 14-20.

[2] Siegfried Lautsch, „Der hybride Krieg – Eine neue Qualität komplexer Kriegführung und multinationaler Bedrohung?“ In: ÖMZ 6/2018, Seite 726-738.

[3] Denys Kolesnyk, „Arming the Ukraine“. In: European Security & Defence 6/2018, Seite 103-106.

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Weiterführende LINKS:

Ukraine - The International Institute for Strategic Studies

Ukraine Is Not the Only Battlefield Between Russia and the West – Carnegy Europe

Russia and the Separatists in Eastern Ukraine | Crisis Group

Conflict between Russia and Ukraine - The main issue is Ukrainian fragility, not Russian aggression – Cicero 27.11.2018

Russia-Ukraine

Ukraine-Konflikt

Ukraine-Konflikt: Vom Maidan zum Krieg | ZEIT ONLINE - Die Zeit

Ukraine-Krise aktuell: News der FAZ zum Ukraine-Konflikt

Krise um die Ukraine - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik

Ukraine's Armed Forces Five Years into Conflict with Russia - CSIS