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DIE LAGE IN ÄTHIOPIEN

Update Mitte September 2022

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Der Vielvölkerstaat Äthiopien wird nach wie vor von einem Bürgerkrieg um die Konfliktregion Tigray und einer instabilen innenpolitischen Lage belastet. Es herrscht seit dem Bau des Grand Ethiopian Renaissance Dam (Gerd) durch Addis Abeba Streit und Unstimmigkeit mit den Nil-Anrainerländern Sudan und vor allem mit Ägypten. Hier eine Aufarbeitung der Geschehnisse.


Schon die äthiopischen Kaiser begannen vor fast hundert Jahren , einen Damm zu planen. Umgesetzt wurde die Idee dann erst unter Meles Zenawi, dem autoritär regierenden Ministerpräsidenten, der kurz nach dem Baubeginn 2011 verstarb.[1] 2011 startete Äthiopien mit dem Bau des Staudamms. Alle Proteste und Drohungen der beiden Nil-Anrainer Sudan und Ägypten hielten Äthiopien aber nicht davon ab, das Großprojekt voranzutreiben. Jahrelange Bemühungen der Afrikanischen Union, der USA und der UNO zur Aushandlung fester Regeln für die Nutzung des Nilwassers blieben erfolglos. Besonders in Ägypten geht die Sorge um, dass sich durch den äthiopischen Staudamm damit die ohnehin knappe Wassermenge weiter reduziert, die an der ägyptischen Grenze ankommt. Schon mehrfach hat der ägyptische Präsident Abdelfatah al-Sisi daher Äthiopien mit Krieg gedroht.

Ägypten bezieht mehr als 90 Prozent seines Wassers aus dem Nil - und 85 Prozent dieses Wassers stammen aus Äthiopien. Der Blaue Nil, der im Tana-See im äthiopischen Hochland entspringt und maßgeblich durch den im Juni einsetzenden Monsun gespeist wird, führt weit mehr Wasser als der Weiße Nil und ist damit essenziell für die Wasserversorgung Ägyptens. Jede Reduktion bedroht die Landwirtschaft des Landes, das für die Ernährung seiner mehr als 100 Millionen Einwohner ohnehin schon auf kostspielige Getreideimporte angewiesen ist.[2]

Nach Meinung politischer Experten gehe es längst nicht nur um Wasser, sondern um regionale Vormachtstellung.

Kairo und Khartum dringen ringen seit Jahren auf um verbindliche Regeln zur Nutzung des Nilwassers und werfen Addis Abeba vor, sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die letzten trilateralen Verhandlungen unter Vermittlung der AU endeten im April 2021 ergebnislos. Auf Drängen Ägyptens befasste sich der UNO-Sicherheitsrat im September 2021 erstmals mit dem Streit. Am Ende forderte er die beteiligten Staaten aber nur auf, eine einvernehmliche Lösung zu suchen.

Bestehende Verträge in Bezug auf den Nil anerkennt Äthiopien nicht. Durch ein Abkommen von 1929 fühlt es sich nicht gebunden, da dieses während der britischen Kolonialzeit ohne seine Beteiligung geschlossen worden war. Auch den Vertrag von 1959, in dem Ägypten und der Sudan das alleinige Recht an dem Fluss beanspruchen, lehnt Addis Abeba ab. Laut der Vereinbarung stehen Ägypten jährlich 55 Milliarden Kubikmeter und dem Sudan 18,5 Milliarden Kubikmeter Wasser zu - Äthiopien aber nichts.

Inzwischen sind nach äthiopischen Angaben 88 Prozent der Bauarbeiten an der Talsperre abgeschlossen, die mit einer Kapazität von 6,4 Gigawatt einmal Afrikas größtes Wasserkraftwerk werden soll.[3] Nachdem Addis Abeba im Juni 2020 mit dem Befüllen des Stausees begonnen hatte, steht dieses Jahr die dritte Füllung an. Wie ägyptische Medien berichten, zeigen Satellitenbilder, dass bereits mehrere kleinere Inseln im See verschwunden sind und sich das Wasser weiter ausbreitet.

Bis der See den endgültigen Pegelstand von 640 Meter über dem Meer erreicht hat, dürfte es noch mindestens vier Jahre dauern. Wenn sich die Arbeiten verzögern, auch länger. Bis anhin Bis dahin gefährdet die Füllung des Sees nicht die Wasserversorgung Ägyptens, da die Regenfälle im äthiopischen Hochland in den vergangenen Jahren üppiger waren als üblich. Insbesondere Kairo sorgt sich, dass im Fall einer mehrjährigen Dürre das Wasser so knapp werden könnte, dass auch der Nassersee am Assuan-Staudamm in Oberägypten nicht mehr als Reserve reiche.


Äthiopien weiter unnachgiebig

Für Äthiopien kommen Zugeständnisse im Streit um den Damm nicht infrage. Diese würden als Verletzung der Souveränität des Landes gesehen, heißt es. Während der Verhandlungen mit Kairo und Khartum habe die Opposition der äthiopischen Regierung vorgeworfen, die Bürger zu verraten, nachdem diese solch große Opfer für den Bau erbracht hätten. Heute, da Ministerpräsident Abiy Ahmed durch den Aufstand in Tigray geschwächt sei, seien für ihn Zugeständnisse bei dem Damm noch schwieriger, da er den Damm als einen  seiner seiner größten Erfolge hervorheben möchte.

Für viele Äthiopier ist der Damm eine Sache des nationalen Stolzes. Nachdem die Weltbank und andere internationale Finanzinstitutionen es wegen des ungelösten Streits mit Ägypten abgelehnt hatten, das Großprojekt zu finanzieren, brachte die Bevölkerung die 4,8 Milliarden Dollar für den Bau durch den Kauf von Anleihen selber auf. Die Regierung verspricht ihren Bürgern nicht weniger als die Renaissance des Landes, wenn das Kraftwerk ans Netz geht. Künftig sollen dadurch 60 Prozent der 115 Millionen Einwohner mit Elektrizität versorgt werden.[4] Dank der Talsperre wird Äthiopien nicht nur große Teile des Landes erstmals mit Elektrizität versorgen, sondern sogar Strom in den Sudan exportieren können. Addis Abeba verspricht dem Nachbarn zudem, dass der nahe der Grenze gelegene Damm ein Ende der Überschwemmungen im Niltal bedeute sowie Schutz vor der Versandung des flussabwärts gelegenen Roseires-Stausees bieten werde. Wegen dieser Vorteile sieht Khartum das Projekt auch nicht ganz so kritisch wie Kairo.[5]

Mit fortlaufender Ferstigstellung Fertigstellung des umstrittenen Staudamms , könne Kairo nicht viel mehr tun, als zu versuchen, international um Unterstützung zu werben und diplomatischen Druck aufzubauen, meinen Experten.[6]

So hat sich SaudiarabienSaudi-Arabien, das als Investor in Äthiopien einiges Gewicht hat, hinter Ägyptens Position gestellt. Es bleibe aber die Frage, ob diplomatischer Druck allein ausreiche, um Äthiopien zurück an den Verhandlungstisch zu bringen.

Äthiopiens Beharren darauf, den Damm zu füllen, bevor eine solide Vereinbarung über die Füllung und den Betrieb erzielt wird, wird von Kairo und Khartum weiterhin zurückgewiesen. Eine Lösung des Konflikts ist nicht zu erwarten.[7]

 

Laufende Kämpfe gegen die somalische al-Shabaab-Miliz an der südöstlichen Grenze

Die äthiopische Armee hat nach eigenen Angaben im Grenzgebiet zwischen Somalia und Äthiopien den Einfall von  Kämpfern Kämpfern der islamistischen al-Shabaab-Miliz  in in der äthiopischen Region Somali Ende Juli/Anfang August 2022 abgewehrt. Dabei kamen rund 800 islamistische Kämpfer der Miliz ums Leben, darunter auch hochrangige Anführer.

Das Nachbarland Somalia wird seit Jahren von Anschlägen der Terrorgruppe al-Schabaab Shabaab auf Sicherheitskräfte und Zivilisten erschüttert. Die Friedensmission der Afrikanischen Union soll für Stabilität sorgen. Die meisten Truppen dafür stellt das Nachbarland Äthiopien.

Ziel der al-Shabaab-Miliz war und ist offensichtlich das Schmieden einer strategischen Allianz mit der „Oromo-Befreiungsarmee“ (OLA). Diese gilt für die Regierung in Addis Abeba als Terrorgruppe und wird für die Gewalt im Westen Äthiopiens verantwortlich gemacht. Die OLA ist eine Splittergruppe der politischen Partei Oromo Liberation Front, die mehr Autonomie und Selbstbestimmung für die Oromo fordert. Die Oromo bilden mit rund 35 Millionen Menschen die größte ethnische Gruppe im Vielvölkerstaat Äthiopien. Bereits seit dem 19. Jahrhundert ist es jedoch die amharische Minderheit, die das Land politisch dominiert.[8]

Äthiopien mit seinen 115 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern galt lange als Stabilitätsanker der Region. Aber seit rund eineinhalb Jahren streitet die Zentralregierung in Addis Abeba mit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) um die Kontrolle der nördlichen Region.


WHO-Chef wirft Weltgemeinschaft im Falle der Tigray-Krise Untätigkeit vor

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, kritisierte am 17. August 2022 vor der Presse die Tatenlosigkeit der Weltgemeinschaft gegenüber den Ereignissen im Tigray-Konflikt. Dabei sprach der WHO-Chef gar von „Rassismus“. Die schlimmste humanitäre Krise in der Welt erhalte nicht dieselbe internationale Aufmerksamkeit wie der Ukraine-Krieg. „Vielleicht ist der Grund die Hautfarbe der Menschen“, so Tedros, der aus der Tigray-Region stammt.

Schon im vergangenen April 2022 hatte Ghebreyesus die Versäumnisse der Weltgemeinschaft in Äthiopien angeprangert, wo sich „niemand dafür interessieren würde“, was in der betroffenen Region geschehe.

Die WHO fordert mehr als 123 Millionen Dollar von der Weltgemeinschaft, um die Gesundheitsprobleme in Äthiopien zu lösen. Tausende Menschen sind nach UNO-Angaben infolge der Kämpfe in der Region getötet worden. Über sechs Millionen Menschen würden humanitäre Hilfe benötigen, hieß es.

Die äthiopische Regierung rief mittlerweile dazu auf, so schnell wie möglich ein formelles Waffenstillstandsabkommen für die Tigray-Region zu schließen, um die Wiederaufnahme der Grundversorgung in dem vom Krieg gezeichneten Gebiet zu ermöglichen. Ein im Juni 2022 eingesetzter Ausschuss, der die Möglichkeit von Gesprächen mit den tigrayischen Rebellen ausloten sollte, erklärte, er habe einen „Friedensvorschlag“ ausgearbeitet, um den im November 2020 ausgebrochenen Krieg zu beenden.

Die Tigray People's Liberation Front (TPLF) wies die Forderung des Ausschusses als Versuch der „Verschleierung“ zurück und erklärte, die Regierung von Premierminister Abiy Ahmed habe keinen wirklichen „Appetit“ auf einen Dialog gezeigt. Die TPLF hatte lange darauf bestanden, dass die Grundversorgung in der Region wiederhergestellt werden müsse, bevor ein Dialog beginnen könne.[9]

Seit der Ausrufung eines „humanitären Waffenstillstands“ Ende März hatten die Kämpfe in Nordäthiopien zwischenzeitlich nachgelassen, sodass die dringend benötigten internationalen Hilfskonvois nach drei Monaten Unterbrechung wieder nach Tigray fahren konnten. Allerdings nahmen die Gefechte beider Seiten gegen Ende des Berichtszeitraums wieder zu. Die nördlichste Region Äthiopiens leidet unter einer schweren Nahrungsmittelknappheit und hat kaum noch Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Strom, Kommunikation und Bankwesen.

Ein Ende des Konflikts scheint nicht in Sichtweite.


Abgeschlossen: Mitte September 2022


Anmerkungen:

[1] Die große Kraftanstrengung eines armen Volkes. In: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Online v. 21.2.2022: https://www.sueddeutsche.de/politik/aethiopien-damm-gerd-1.5533655

[2] Der Kampf ums Nilwasser. In: DER SPIEGEL-Online v. 24.7.2021: https://www.spiegel.de/ausland/nil-staudamm-warum-sich-aegypten-der-sudan-und-aethiopien-um-das-nilwasser-streiten-a-0f012290-8d7d-49ef-9880-71bc832025c4

[3] Grand Ethiopian Renaissance Dam Project, Benishangul-Gumuz. In: WATER TECHNOLOGY.NET: https://www.water-technology.net/projects/grand-ethiopian-renaissance-dam-africa/

[4] Äthiopien beginnt mit Stromproduktion am umstrittenen Nil-Staudamm. In: DEUTSCHE WELLE-Online v. 20.2.2022: https://www.dw.com/de/%C3%A4thiopien-beginnt-mit-stromproduktion-am-umstrittenen-nil-staudamm/a-60846616

[5] The Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) Hydroelectric Project. In: NS-ENERGY-BUSINESS.COM: https://www.nsenergybusiness.com/projects/the-grand-ethiopian-renaissance-dam-gerd-hydroelectric-project/

[6] The controversy over the Grand Ethiopian Renaissance Dam. In: BROOKINGS v. 5.8.2020: https://www.brookings.edu/blog/africa-in-focus/2020/08/05/the-controversy-over-the-grand-ethiopian-renaissance-dam/

[7] Aktualisierungen von Äthiopiens 5 Mrd. USD schwerem Grand-Renaissance-Staudammprojekt. In: CR CONSTRUCTION REVIEW ONLINE v. 13.5.2022: https://de.constructionreviewonline.com/project-timelines/ethiopias-us-5bn-grand-renaissance-dam-project-updates/

[8] ‘Ethiopia’s other conflict’: what’s driving the violence in Oromia? In: THE CONVERSATION.COM v. 20.7.2022: https://theconversation.com/ethiopias-other-conflict-whats-driving-the-violence-in-oromia-187035

[9] WHO chief: 'Colour of skin' may be why Tigray crisis not getting attention. In: REUTERS.COM v. 17.8.2022: https://www.reuters.com/world/africa/who-chief-colour-skin-may-be-why-tigray-crisis-not-getting-attention-2022-08-17/

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Philine Wehling, Nile Water Rights - An International Law Perspective. Springer; 1st ed. 2020 Edition (25. Juni 2020), 600 Seiten.

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