RUSSLANDS MILITÄRINTERVENTION IN SYRIEN
Die militärische Intervention Moskaus in Syrien seit 2015 ist Gegenstand zunehmender Aufmerksamkeit der NATO: Im Gegensatz zu vielen westlichen Interventionen der letzten Zeit scheint der russische Feldzug insofern wirksam gewesen zu sein, als der Kreml viele seiner politischen Ziele zu angemessenen Kosten erreicht und gleichzeitig seinen Einfluss in der Region erheblich gestärkt hat. Dieser Erfolg scheint umso überraschender, als die russischen Streitkräfte gerade eine umfassende Umstrukturierung abgeschlossen haben und technologisch noch immer im Rückstand sind, weshalb die faktischen Daten nicht ausreichen, um einen solchen Erfolg zu erklären. Es ist den russischen Interventionskräften gelungen, durch eine geschickte Kombination von Land- und Luftmitteln zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine umfangreiche und offenbar effiziente Struktur zur Aufklärungs- und Gefechtsbereitschaft (ein Leitmotiv der russischen Doktrin seit den 1980er-Jahren) aufzubauen, die systematisch an den Kontext der externen Intervention angepasst worden ist.[2]
Die russische Luftwaffe führte die Kampagne hauptsächlich von Syrien aus durch, um dem zwischenzeitlich militärisch in Bedrängnis geratenen syrischen Regime von Präsident Baschar al-Assad in Damaskus zur Seite zu stehen. In Anbetracht der im russischen Bestand verfügbaren Elemente operierte und operiert eine relativ kleine russische Kampftruppe vom Stützpunkt Hmeimim aus. Die Zusammensetzung des Einsatzes variierte jedoch in den ersten beiden Jahren des Konflikts nur sehr wenig und überschritt die Zahl von etwa 40 Kampfflugzeugen und Hubschraubern nicht. Die Flugzeuge blieben hauptsächlich in Syrien stationiert, obwohl strategische Luftschläge von Russland aus ad hoc beschlossen wurden, wobei der russische Flugzeugträger Admiral Kusnezow Ende 2016 zwei Monate lang nicht wirklich zum Einsatz kam. Die Lancierung der russischen Luftwaffe über syrischem Konfliktgebiet stellte ein hohes Risiko dar – zumal die sich in Umorganisation und Reformierung befindlichen russischen Luftstreitkräfte für einen solchen Einsatz noch relativ unerfahren waren. Große Infrastrukturarbeiten waren notwendig, um die russischen Luftkräfte in Syrien unterzubringen. Zudem erforderte die Unterstützung der Maschinen ein komplexes logistisches Manöver, bei dem See- und Luftkonvois mit veralteter und kaum verfügbarer Ausrüstung kombiniert wurden. Jeder Rückgang der Luftaktivität - als Folge logistischer Pannen oder technischer Ausfälle - wurde sicherlich sofort von den syrischen Behörden, den Kämpfern und der Bevölkerung in der Nähe bemerkt und musste durch das russische Kommando erklärt werden. Schließlich musste eine konventionelle Doktrin an die jeweiligen neuen Gegebenheiten angepasst werden - im Rahmen einer externen Intervention inmitten eines besonders komplexen Bürgerkriegs.
Vor diesem Hintergrund spielt weiterhin die Landkomponente die entscheidende Rolle als Schnittstelle zwischen den wenigen russischen High-Tech-Mitteln und der Masse der regulären Einheiten der syrischen Armee, die oft undiszipliniert, unterbesetzt und mit unterschiedlicher Motivation gegen die oppositionellen Kräfte kämpften und kämpfen. So wurden und werden nicht nur russische Spezialeinheiten für eine große Zahl lokaler Operationen Seite an Seite mit der syrischen Armee eingesetzt, sondern es existieren auch andere „Multiplikatoren“ – (einschließlich russische Panzer, die von russischer Besatzung gesteuert werden) innerhalb der syrischen Formationen, um ihr Vertrauen und ihre operative Wirksamkeit während größerer Offensiven bei den syrischen Verbündeten zu stärken.
Strategische Bomber werden generell als Hebel der russischen Außenpolitik eingesetzt, wobei die „Luftdiplomatie“ ein integraler Bestandteil der Strategie des Kremls ist. Um diese anspruchsvollen Missionen durchzuführen, hat Moskau nun die Haushaltsmittel gesichert, so dass die russischen Luftstreitkräfte die Anzahl der Flugstunden und Übungen vervielfachen können, um das Niveau der Vorbereitung und Qualifikation der Besatzungen zu erhöhen. Die während des Konflikts in Syrien gewonnenen operativen Erfahrungen setzen einen neuen Standard für russische Luftoperationen.
Laut Schätzungen westlicher Beobachter umfasst die strategische Luftwaffe Russlands heute über 70 Tu-22M3 Mittelstreckenbomber, 50 Tu-95MS Langstreckenbomber und etwa 15 operative schwere strategische Schwenkflügel-Überschall-Bomber des Typs Tu-160 mit interkontinentaler Reichweite. Die Indienststellung der ersten Bomber aller drei Kategorien erfolgte jeweils zu Sowjetzeiten. Heute haben die in die Jahre gekommenen Flugzeuge eine mehr oder weniger intensive Modernisierung erfahren.[3]
Diese Beobachtung, zusammen mit den im Westen als „aggressiv“ bewerteten Aktionen, die gegen den Luftraum der NATO-Mitglieder sowie gegen US-Schiffe unter anderem in der Ostsee lanciert wurden und werden, stellen starke und überzeugende Anzeichen für ein restauratives Russland dar, das den langen militärischen Niedergang, den es zwischen 1990 und 2000 erlebte, umzukehren imstande ist. Die machtpolitische Rückkehr Russlands unter Präsident Wladimir Putin in den nahen und mittelöstlichen Konfliktraum ist dabei ein erster Schritt.
Fazit: Die militärisch-soziopolitisch-ökonomischen Verwerfungen im Nahen und Mittleren Osten, aber auch in Nordafrika oder auf der arabischen Halbinsel im Jemen, die zum Teil eine deutliche religiös bedingte Überlagerung wie im laufenden syrischen Bürgerkrieg oder auch im irakischen Konfliktraum aufweisen, bilden ein komplexes Exerzierfeld unterschiedlicher interner und externer Akteure.[4] Russland unter Präsident Wladimir Putin zeigt mit seiner militärischen Intervention zugunsten des in Bedrängnis geratenen syrischen Regimes von Präsident Baschar al-Assad klar wieder Flagge im Großraum. Gleichzeitig sucht die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Wegen, um zumindest im Norden Syriens bzw. auch in Libyen immer mehr politisch-militärischen Einfluss zu gewinnen – im Rahmen „neoosmanisch-restaurativer Überlegungen“. Die USA wiederum handelten mit ihrer Unterstützung der syrischen Kurden im Rahmen der Anti-IS-Koalition gegen die Interessen Ankaras im laufenden Bürgerkrieg in Syrien. Parallel dazu sucht Erdogan offensichtlich mit dem Kauf des russischen S400-Abwehrraketen-Systems die Nähe zu Putin als zunehmend wichtige externe Einflussmacht in Syrien.[5]
Russland ist zudem auch dabei, seit der Annexion der Krimhalbinsel 2014 wieder zu einer mediterranen Seemacht zu avancieren. Die westlichen Marineeinheiten verfolgen diese Entwicklungen unter anderem angesichts verstärkter Spannungen mit dem Iran mit erhöhter Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt sucht China mit Hilfe seiner „Neuen Seidenstraßen-Strategie“ nach Wegen, um seinen politisch-ökonomischen Einfluss in der besagten Weltregion zu vertiefen.
Abgeschlossen: Anfang Mai 2020
Weiterführende LINKS:
The Development of Military Strategy under Contemporary Conditions. Tasks for Military Science
What Putin Really Wants in Syria – Foreign Policy
Russia's strategy in Syria shows how to win a Middle East war
How Syria Became The Centerpiece Of Russia's Middle East Strategy
Understanding Russia's Intervention in Syria | RAND
Moscow's Syria Campaign: Russian Lessons for the Art of Strategy
Russia’s grand strategy: how Putin is using Syria conflict to turn Turkey into Moscow’s proxy
Re-Emergence: A Study of Russian Strategy in Syria, the Middle East and Its Implications
How Russia's Putin became the go-to man on Syria - BBC News
Russia's Syria War: A Strategic Trap?
Could Russia Go to War With Turkey in Syria?
Russia, Iran and Turkey, a common strategy in Syria?
How Big Is Russia's Win in Syria? | Russia Matters
GRAND STRATEGY LESSON - Why Is Russia in Syria?
Syria May Be the Test Case For Russia's Influence
Putin's Plan for Syria - Carnegie Moscow Center
Russia finds few fruits to harvest in the scramble for eastern Syria
Armed Forces As The Russian Federation’s Strategic Tool
Anmerkungen:
[1] Ana Pouvreau, „LA STRATÉGIE DE LA RUSSIE EN MÉDITERRANÉE“. In: Revue Défense Nationale 7-9/2019, S. 112-119.
[2] Xavier Rival / Antoine Burtin, „LA CAMPAGNE AÉROTERRESTRE RUSSE EN SYRIE: UNE APPROCHE DIFFÉRENTE DE L’INTERVENTION EXTÉRIEURE?“
In: Revue Défense Nationale 11/2019, S. 107-112.
[3] Malcolm P., „L’INSTRUMENT DE PUISSANCE DE LA DIPLOMATIE AÉRIENNE RUSSE“. In: Revue Défense Nationale 11/2019, S. 101-106.
[4] Vgl: Gilles Kepel, „LES ENJEUX DU JIHADISME ET DU TERRORISME EN MÉDITERRANÉE“. In: Revue Défense Nationale 7-9/2019, S. 47-51.
[5] Jean-Paul Chagnollaud, „LA MÉDITERRANÉE ORIENTALE, CONDENSÉ DES RIVALITÉS INTERNATIONALES“.
In: Revue Défense Nationale 7-9/2019, S. 57-63.