REFORMBESTREBUNGEN DER US-NAVY ZUR WAHRUNG DER BISHERIGEN DOMINANZ
Einblicke in die laufende Debatte
US-Navy und US-Marine Corps müssen intensiv daran arbeiten, neue Technologien zu entwickeln, um im Kampf gegen ebenbürtige Gegner weiterhin ihre Überlegenheit ausspielen zu können.[1] In dem Maße, wie sich die Technologien der Signalaufklärung und die Radarsatelliten mit synthetischer Apertur weltweit ausbreiten, verringert sich der bisherige Vorsprung der US-Navy im Bereich der eigenen traditionellen Tarnsysteme. Chinesische Raketen sind heute in der Lage, Ziele aus einer Entfernung von mehr als 3.000 km zu treffen und damit sowohl den schiffsgestützten Marschflugkörper Tomahawk (1,7 km), als auch die Luftkapazitäten der US-Flugzeugträger zu überbieten. Eine effektive chinesische Aufklärungsattacke würde technologisch fortschrittliche, aber dennoch fragile US-Kriegsschiffe dezimieren - lange bevor ein Gegenangriff gestartet werden könne. Folglich müsse sich die US-Navy, wenn sie Chinas Raketenanlagen an Land zerstören möchte, wahrscheinlich auf die wenigen getarnten Plattformen im aktuellen Bestand verlassen, um unentdeckt einzudringen und wichtige chinesische Ziele anzugreifen, bevor der Rest der Flotte eingesetzt wird. Bis jetzt war die US-Navy aufgrund ihres Monopols in Bezug auf Stealth-Fähigkeiten klar überlegen, aber Fortschritte in der kommerziellen Technologie, wenn sie von gleichrangigen Konkurrenten genutzt werden, untergraben die Wirksamkeit der Stealth-Technologie rapide. In einem potentiellen Konflikt mit China könnten etwa Zerstörer der ZUMWALT-Klasse versuchen, sich in die erste Inselkette Chinas einzuschleichen, um einen Erstschlag gegen chinesische Ziele zu lancieren, aber ihre traditionellen Tarnsysteme dürften dabei angesichts modernster chinesischer Aufklärungsmittel wirkungslos bleiben. Deshalb müsse die Navy raschest umdenken und handeln.[2]
Modernste autonom agierende Systeme der Künstlichen Intelligenz (KI) können hier für die US-Marineverbände Abhilfe schaffen, um ein autonomes „Netzwerk bewaffneter Plattformen“ gegen die chinesischen Kräfte loszuschicken, das in der Lage ist, gezielt unter anderem mittels Schwarmattacken chinesische Ziele auszuschalten. Um diese Kapazitäten angesichts schwindender Effektivität im Bereich der Tarnung zu erreichen, müsse die US-Navy die nötige technische Infrastruktur bereitstellen, um KI-Modelle zeitnah in die Tat umzusetzen, die den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden. Eine enge Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie ist dabei notwendig, um am Ende auch in künftigen militärischen Konflikten erfolgreich bestehen zu können.
Während Russland und vor allem auch China seit Jahren danach streben, operative Konzepte zur Informationsdominanz zu verwirklichen, hat die US-Navy auf diesem Gebiet Nachholbedarf. Russische wie chinesische Konzepte versuchen jeweils militärtechnologische Defizite gegenüber den US-Streitkräften möglichst dadurch zu kompensieren, indem sie westliche Informationssysteme nachhaltig stören möchten. Chinas Strategie der informationsbasierten Kriegsführung stützt sich in hohem Maße auf weitreichende Präzisionsschläge als unterstützendes Element. Auch wenn die Stärke der Waffen der chinesischen Streitkräfte beträchtlich ist, sollte die Konzentration auf Manöver und Feuerkraft nicht das Verständnis darüber verdecken, wie die Chinesen ihre Waffen einsetzen werden, betonen Experten.[3] Die Strategie der Chinesen zielt darauf ab, die Initiative im Kampfraum zu ergreifen, indem zunächst die gegnerischen Führungs- und Kommunikationssysteme, die Computerstruktur sowie nachrichtendienstliche Überwachungs- und Aufklärungseinrichtungen (C4ISR) zerstört oder zumindest beeinträchtigt werden, um eine Informationsüberlegenheit herzustellen. Langstrecken-Waffensysteme tragen dazu bei, die Informationsknotenpunkte des Gegners zu zerschlagen und die feindliche Aufklärung, einschließlich weltraumgestützter Sensoren, aus dem Kampfraum zu verdrängen. Die US-Streitkräfte werden dadurch anfälliger für gezielte chinesische Schläge.
Angesichts dessen ist ein „Design for Maintaining Maritime Superiority 2.0“ von hoher Priorität für die USA. Der neue Chief of Naval Operations, Admiral Mike Gilday, hat zu diesem Zweck die Schwerpunkte des neuen Konzepts herausgestrichen. Dazu gehört vor allem die maritime Macht der US-Navy und ihre Eigenständigkeit größtmöglich zu stärken. Zudem müssen die Fähigkeitsprofile der Besatzungsmitglieder der einzelnen Plattformen weiter erhöht werden. Es dürfe keine Zeit verloren werden, um mit Nachdruck die angepeilten Ziele zu erreichen, betont Gilday. Schließlich ist ausschlaggebend, dass die USA ihre Kooperationsnetzwerke mit ihren Alliierten und Partnern auf der Erde vertiefen, um ein möglichst effizientes und schlagkräftiges Design maritimer Superiorität zu schaffen, das den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen ist.
Dynamische Raketenabwehr
Admiral John Richardson, Chief of Naval Operations (September 2015 - August 2019), erklärte am Strategieforum 2018 des U.S. Naval War College, dass es Sinn mache, aus den zu eng bemessenen und operativ begrenzten Strukturen der bisherigen Raketenabwehr auszusteigen - zugunsten eines dynamischen Raketenabwehr-Modells.[4]
Es ist an der Zeit, dass sich die Marine auf schiffsbasierte Fähigkeiten zur Raketenabwehr fokussiert. Die US-Navy sollte die Nutzung von Plattformen, die mit dem elektronischen Warn- und Feuerleitsystem AEGIS ausgestattet sind, neu ausrichten. Es wird niemals genug AEGIS-Kreuzer und -Zerstörer geben, um die operativen Anforderungen vollumfänglich wahrnehmen zu können. Das bedeutet, dass die Kommandeure Risiken einschätzen, Prioritäten festlegen und Ressourcen entsprechend zuweisen müssen. Gegenüber ebenbürtigen oder fast ebenbürtigen Gegnern werden die Kommandeure gezwungen sein, Überwasserplattformen einzusetzen, dort wo sie am meisten gebraucht werden. Sie werden dafür die nötige Flexibilität aufbringen müssen, um die Kampfgruppen zu dislozieren, wenn sich die Bedrohungslage ändert oder sich neue Gelegenheiten ergeben. Die Beschränkung von Schiffen auf eine einzige Mission in einem kleinen geographischen Gebiet ist ein ineffizienter Einsatz von Mehrzweckplattformen und nicht zu rechtfertigen, wenn es praktikable Alternativen gibt, kritisieren Experten. Gegen einen gleichwertigen Konkurrenten oder sogar einen mäßig kompetenten regionalen Gegner, der in einem begrenzten geographischen Umfeld agiert und gleichzeitig etwa das leistungsstarke SPY-1-Radar zum Einsatz bringt, kann man nicht bestehen. Ein Schiff, das auf diese Weise operiert, ist vergleichsweise einfach zu treffen und anfällig für Bedrohungen durch Antischiffsraketen, U-Boote oder Minen. In den meisten Szenarien sind Schiffe nicht sehr gut in der Lage, landgestützte Anlagen zu verteidigen. Potentielle Gegner setzen dagegen Raketen mit erhöhter Reichweite und Genauigkeit ein. Fregatten oder Zerstörer der US-Navy können zur Verstärkung der landgestützten Raketenabwehr-Kräfte herangezogen werden, wenn die Bedrohung die landbasierten Raketenabwehr-Kapazitäten übersteigt oder wenn es zu Verlusten kommt.
Aktive wie defensive Kapazitäten der Minenkriegsführung
Parallel dazu müsse sich die US-Navy darum bemühen, auch den Bereich der aktiven wie defensiven Kapazitäten der Minenkriegsführung zu forcieren. Vor allem die aufsteigende Großmacht China hat sich in den letzten zehn Jahren viel Mühe gegeben, um Minen als geeignete Kampfmittel einer asymmetrischen Kriegsführung gegen die USA zu lancieren. Minen sind eine entscheidende Fähigkeit, um die Schlagkraft sowie Beweglichkeit der US-Navy und anderer verbündeter Nationen zu beeinträchtigen und ihnen den Zugang zum westlichen Pazifik zu verwehren. Den USA fehlen derzeit die Fähigkeiten und Einsatzkonzepte, um groß angelegte Minenabwehrmaßnahmen gegen einen gleichrangigen Konkurrenten einzusetzen, geschweige denn eine ernsthafte offensive Minenkriegsführung durchzuführen. Die Fähigkeit der US-Navy, über die Inselketten Zugang zu den maritimen Regionen im asiatisch-pazifischen Großraum zu erlangen, ist ein strategischer Imperativ für die Dominanz Amerikas in einem potentiellen Konflikt mit dem „Reich der Mitte“.[5]
Deshalb muss die Navy neue Strategien und Kapazitäten erstellen, um die strategisch-operative Überlegenheit der US-Kräfte einmal mehr zu gewährleisten, so US-Militärexperten.
Ein neuer Ansatz muss folgende Prinzipien einer agilen Navy beinhalten: Den Einsatz effizienter Kampfmittel, Verfügbarkeit, Flexibilität und Geschwindigkeit.
Anti-Access Area Denial (A2AD) ist die eigene Fähigkeit, gegnerischen Einheiten zu Lande, zu Wasser und in der Luft den Zugang und/oder die Bewegungsfreiheit in einem ausgewählten Operationsgebiet mit militärischen Mitteln zu versagen, mindestens aber zu erschweren. Eigene Minenteppiche können im potenziellen Kampfraum gegnerische Kräfte dazu zwingen, auf Wegen auszuweichen, die für die US-Navy leichter zu verteidigen sind.
Die USA besitzen trotz allem noch immer einen signifikanten taktischen und operativen Vorteil unter Wasser, der unbedingt genützt werden müsse. Dazu zählen insbesondere U-Boote, die im betroffenen Großraum chinesische Ziele unter Wasser, über Wasser und an Land im Ernstfall anvisieren können. Neu hinzu kommen autonome Systeme wie Unterwasser-Drohnen zur offensiven wie defensiven Minen-Kriegsführung. Weiters sind auch wieder mobile Spähtrupps des US-Marine Corps und Kampftaucher in den speziellen Fokus zu rücken, die von U-Booten aus agieren.
Die USA dürfen jedenfalls ihre Fähigkeiten für offensive wie defensive Mineneinsätze nicht vernachlässigen, um gegenüber China (aber auch Russland) weiter militärisch überlegen zu bleiben.[6]
Die US-Navy muss gegenüber den politisch-militärischen Entscheidungsträgern im Lande klären, warum die verschiedenen Reformbestrebungen der US-Navy nicht ein banales Anliegen darstellen, sondern entscheidend für die gemeinsamen Bemühungen sind, um letztlich im 21. Jahrhundert erfolgreich gegen hochgerüstete feindliche Kräfte bestehen zu können.
Abgeschlossen: Anfang Juli 2020
Weiterführende LINKS:
A Design for Maintaining Maritime Superiority - Navy.mil
Maritime Superiority Definition (US DoD) - Military Factory
Naval Engineers Must 'Lean In' to Advance Technological Agility
Navy Aegis Ballistic Missile Defense
The Navy's Aegis Ballistic Missile Defense Is About to Get a Major Radar Upgrade
Aegis Ballistic Missile Defense (Aegis BMD)
Aegis Afloat – Missile Defense Advocacy Alliance
U.S. Navy - The New Approach to Mine Warfare
The Other Mine Warfare Will Work - US Naval Institute
Unmanned Solutions for the U.S. Navy's Mine Warfare Renaissance
Anmerkungen:
[1] Vgl: Brandon Turner / Jason Garza, „FIGHTING (AND DECEIVING) TO GET TO THE FIGHT“. In: Naval Institute Proceedings 11/2019, S. 26-31.
[2] Tom Wester / Richard Kuzma, „THE END OF DECEPTION“. Naval Institute Proceedings 11/2019, S. 62-66.
[3] Siehe dazu: Mike Dahm, „NEEDED: A DESIGN FOR ACHIEVING MARITIME INFORMATION SUPERIORITY“. In: Naval Institute Proceedings 11/2019, S. 67-71.
[4] L. Paul James, „RETHINK NAVY – BALLISTIC MISSILE DEFENSE“. In: Naval Institute Proceedings 10/2019, S. 42-46.
[5] Vgl dazu: Brian Kerg, „WHAT DOES THE NAVY NEED FROM THE MARINE CORPS“. In: Naval Institute Proceedings 11/2019, S. 20-25.
[6] Ryan Hilger, „THE NAVY NEEDS AGILE MINE WARFARE“. In: Naval Institute Proceedings 10/2019, S. 36-41.