Ausgabe 04/2013


Bernhard Richter

„Denken in Szenarien" als Methode innovativer strategischer Planung - Teil 1


Das internationale System ist geprägt durch steigende Multipolarität und somit durch eine Vermehrung relevanter Akteure, eine steigende Bedeutung nicht staatlicher Akteure (auch Gewaltakteure), eine steigende Vernetzung der Gesellschaften, Volkswirtschaften, Wertesysteme etc. Darüber liegt, sozusagen als Metatrend, die Globalisierung, die mit ihrer ungeheuren Kraft alle Lebensbereiche erfasste und zu einer starken Veränderungsdynamik des internationalen Systems beiträgt. Aufgrund dieser zunehmenden Ungewissheit, Komplexität und Dynamik der Umfelder und Rahmenbedingungen erscheint an dieser Stelle die Erkenntnis, dass es die Zukunft nicht geben kann, sondern in alternativen „Zukünften“ (den so genannten Szenarien) gedacht werden sollte, zweckmäßiger. Dieses Denken in Szenarien resultiert aus der Erkenntnis, dass zukünftige Entwicklungen nicht auf Basis einer Prognose aus der Fortschreibung von Zahlen oder impliziten Vorstellungen über die Zukunft ermittelt werden können. Das Ziel dieses Aufsatzes ist die Darstellung:

1. Was wird unter dem Begriff Szenarien verstanden, und welche unterschiedlichen Szenarien gibt es.

2. Wie können Szenarien gewinnbringend in den Prozess des strategischen Managements verwendet werden und welchen Mehrwert bringen diese?

3. Praktische Anwendungsbeispiele, des in diesem Aufsatz vorgestellten Prozessmodells des strategischen Managements aus dem Bereich des österreichischen Bundesheeres und der niederländischen Streitkräfte.

Dabei erhebt diese Methode strategischen Managements keinesfalls den Anspruch „das Rad völlig neu zu erfinden“, sondern baut auf einem bewährten (generischen) Prozess strategischen Managements auf bzw. erweitert diesen. Die Entscheidung für eine strategische Ausrichtung und Weiterentwicklung der eigenen Organisation basiert somit (meist) nicht auf einer möglichen Zukunftsentwicklung sondern auf mehreren.

Zudem kann das hier vorgestellte Prozessmodell nahezu unterschiedslos in der Wirtschaft und in sicherheits- und verteidigungspolitischen Strategieentwicklungsprozessen angewandt werden.

„Es kommt nicht darauf an, die Zukunft zu wissen, sondern auf die Zukunft vorbereitet zu sein.“ (Perikles)

The international system is determined by increasing multi-polarity and so also by an increase of relevant protagonists, an increasing importance of non-governmental protagonists (violent ones as well), increasing networking of societies, national economies, sets of values, etc. On top of it, as a mega-trend so to speak, there is globalization, which has seized all areas of life with enormous power and contributes to a strong dynamics of change of the international system. Due to this increasing uncertainty, complexity and dynamics of environments and general set-ups we have to realize that there is no single future; on the contrary, we ought to think of alternative “futures” (the so-called scenarios). This reasoning in scenarios results from the perception that future developments cannot be determined from updating figures or from implicit ideas about the future. The object of this essay is the following presentation:

1. What is understood by the term scenarios, and which varying scenarios are there?

2. How can scenarios be profitably used in the process of strategic management, and which increase in value do they have?

3. Practical examples of use of the process model of strategic management presented in this essay applied both in the Austrian and the Dutch Armed Forces.

Nevertheless, this method of strategic management does not claim to “invent the wheel a second time”; on the contrary, it builds on a proven (generic) process of strategic management and improves it. Thus, the decision for a strategic alignment and development of one’s own organisation usually is not based on one possible future development, but on several ones. In addition to that, the process model presented in this essay can be applied almost indiscriminately in economy as well as in security and defence political processes of strategy development. “Not knowing the future, but being prepared for the future is decisive.” (Perikles)

Le système international est marqué par une multipolarité croissante et, ainsi, par une augmentation du nombre d’acteurs importants, une importance croissante d’acteurs non-étatiques (aussi des acteurs violents), une interconnexion croissante des sociétés, des économies nationales, des systèmes de valeurs, etc. Au-dessus de cela se place, quasiment comme une métatendance, la globalisation qui, avec sa force énorme, a saisi toutes les sphères de vie, et qui contribue à un dynamisme de changement intensif du système international. A cause de cette incertitude, complexité et dynamisme croissants de l’environnement et des conditions-cadre, la connaissance se concrétise qu’un seul futur n’est pas possible, mais qu’on devrait plutôt penser sous forme de « futurs » alternatifs (les dénommés scénarios). Cette façon de penser sous forme de scénarios résulte de la connaissance qu’on ne pourra pas déterminer des développements futurs sur base d’un pronostic tiré d’une série de chiffres ou des imaginations implicites sur le futur. Le but de cet exposé est, premièrement, de démontrer ce qu’on comprend par le terme « scénarios » et combien de scénarios différentes existent ; deuxièmement la façon d’utiliser profitablement ces scénarios dans le processus de gestion stratégique et la survaleur qu’ils apportent ; et, troisièmement, de montrer des exemples d’utilisation pratiques du modèle de gestion stratégique présenté dans cet exposé à l’exemple des Forces armées autrichiennes et néerlandaises. Dans ce contexte, il faut mentionner que la méthode de gestion stratégique ne revendique pas de « réinventer la roue », mais qu’elle se base sur un processus établi (et générique) de gestion stratégique, processus qu’elle élargit en permanence. La décision en faveur d’une orientation stratégique et d’un développement continu de la propre organisation se base ainsi (la plupart du temps) non seulement sur un seul développement futur possible, mais sur plusieurs. De plus, on peut utiliser le modèle de processus ici présenté presque sans modification en économie ainsi que pour les processus de développement de stratégies de défense et de sécurité. « Il n’est pas important de connaître le futur, mais de s’y préparer » (Périclès).

Martin Pabst

Ist Algerien immun gegenüber dem arabischen Umbruch?

In den zahlreichen Neuerscheinungen zur „Arabische Revolte“ wird Algerien kaum behandelt, und wenn, dann meist nur am Rande als vergleichsweise stabiler Staat. Doch das Land ist zu wichtig, um es mit wenigen Sätzen abzutun. Mit 2,38 Mio. qkm ist Algerien nicht nur größter Flächenstaat in Afrika, sondern auch im MENA-Raum (Naher/Mittlerer Osten, Nordafrika). In punkto Bevölkerungszahl steht es dort nach Ägypten (ca. 83 Mio.) mit 37 Mio. Einwohnern an zweiter Stelle. Aufgrund seiner reichen Vorkommen an Erdöl und Erdgas besitzt Algerien erhebliche geostrategische Bedeutung. So ist es zehntgrößter Erdgasproduzent der Welt und für 25% der EU-Erdgasimporte verantwortlich - die EU kann damit ihre Abhängigkeit von russischen Lieferungen reduzieren. Als größter Sahara-Staat hat Algerien zudem erhebliches Potenzial bei erneuerbaren Energien und spielt eine wichtige Rolle im von der Union für das Mittelmeer unterstützten DESERTEC-Projekt.

Algerien ist auch ein Brückenland zwischen Europa und Sub-Sahara-Afrika und verfügt über erheblichen Einfluss im instabilen Sahel-Raum. Nach dem Zerfall der syrischen Armee stellt Algerien im MENA-Raum nach Ägypten die zweitstärksten Sicherheitskräfte. Die in der Anti-Terror-Kampf erprobte Wehrpflichtigen-Armee zählt 130.400 Mann (Heer 110.000, Luftwaffe 14.000, Marine 6.000) zuzüglich 150.000 Reservisten. Hinzu kommen 187.200 Paramilitärs (Gendarmerie 20.000, Nationale Sicherheitskräfte 16.000, Republikanische Garde 1.200, kommunale Milizen ca. 150 000).

So stark Algerien nach außen auftritt, so groß sind freilich seine Probleme im Innern, die denen anderer arabischer Staaten ähneln: hohe Jugendarbeitslosigkeit, desaströse Lebensverhältnisse vieler Bürger, mangelhafte staatliche Dienstleistungen, Benachteiligung von Bevölkerungsgruppen, staatliche Legitimitätsdefizite. 2014 wird nicht nur ein Nachfolger für den 77-jährigen Staatspräsidenten Abd al-Aziz Bouteflika gewählt, sondern es steht auch die überfällige Ablösung der Generation des Befreiungskrieges (1954-62) an, die noch die Schalthebel von Politik, Militär und Wirtschaft kontrolliert. Dies birgt Chancen und Risiken.

Warum hat sich die Unruhe in der arabischen Welt bisher nicht stärker in Algerien bemerkbar gemacht? Der Islam ist eine allgemein respektierte, nicht desavouierte Kraft, doch haben islamistische Parteien und Führer aufgrund der Exzesse des Bürgerkriegs an Renommee verloren. Die legalen islamistischen Parteien sind kooptiert und in Klientelnetzwerke eingebunden, was ihre Glaubwürdigkeit mindert. Entscheidend ist zudem, dass die algerische Gesellschaft zutiefst traumatisiert ist: vom erbitterten Befreiungskrieg gegen Frankreich (1954-62), vom dauernden Machtkampf in der FLN und dem ständigen Feldzug gegen Abweichler und Minderheiten, schließlich vom Terror und Gegenterror des Bürgerkriegs (1991-2002). Viele Algerier ziehen sich resigniert ins Privatleben zurück und fürchten nichts mehr als eine erneute Entfesselung der Barbarei. Noch offen ist, welche Folgen die vom Mali-Konflikt ausgelösten jüngsten Ereignisse in der algerischen Innenpolitik haben werden.

Die Frustration vieler Algerier wird zunehmen und sich irgendwann explosiv entladen, wenn keine Reformen angegangen werden. Das Jahr 2014 ist für Algerien Chance und Risiko zugleich. Gelingt ein geordneter Übergang mit mehr Pluralismus und weniger Einfluss der Sicherheitskräfte, kann sich Algerien auf die Lösung seiner sozio-ökonomischen Probleme konzentrieren.

In the numerous recent publications concerning the „Arabian Revolt” Algeria is hardly mentioned, and if it is, usually only marginally as a comparatively stable state. Nevertheless, the country is too important to brush it aside with a couple of sentences. With 2.38 million km2, Algeria is not only the biggest state in Africa, but also in the MENA Area (Near/Middle East, North Africa). As far as the population number is concerned, Algeria holds the second place with 37 millions behind Egypt with 83 millions of inhabitants. Due to its rich deposits of oil and gas Algeria has considerable geo-strategic importance - it is the tenth largest gas producer of the world and is responsible for 25% of the EU’s gas imports. For this reason, the EU is able to reduce its dependence on Russian supplies. As the biggest Sahara-state, Algeria additionally has considerable potential with renewable forms of energy, and it plays an important part in the DESERTEC-project, which is supported by the EU. Algeria is also a bridging country between Europe and Sub-Sahara-Africa, thus having considerable influence in the instable Sahel region. After the collapse of the Syrian army Algeria has the second strongest forces in the MENA-Area. The army of conscripts, which has been well-tried in fighting against terrorism, consists of 130.400 soldiers (army 110.000, air force 14.000, navy 6.000) and 150.000 reservists. On top of these, there are 187.200 paramilitary personnel (police 20.000, national security forces 16.000, Republican Guard 1.200, local militia 150.000). Although Algeria acts as a strong player in public, there nevertheless are interior problems similar to those of other Arabian states: a high youth unemployment, disastrous living conditions for many citizens, unsatisfactory governmental services, discrimination of segments of the population, and governmental legitimacy deficits. In 2014 not only a successor for the 77 years old president Abd al-Aziz Bouteflika will be elected; the generation of the war of liberation 1954 - 1962 urgently will have to be replaced, which still holds the controls of politics, military and economy. This will involve risks. Why have the disturbances in the Arabian world not become more apparent in Algeria? The Islam is a generally respected and undenied power, but both Islamistic parties and leaders have lost their reputations because of the violent incidents in the course of the civil war. The legal Islamistic parties are co-opted and involved in clientele networks, which reduces their reliability. The fact that the Algerian society is deeply traumatised is decisive: by the fierce war of liberation against France (1954-62), by the permanent power struggle within the FLN and the constant campaign against deviationists and minorities, and by the terror and anti-terror of the civil war (1991-2002). The frustration of many Algerians will increase and will finally erupt explosively if no reforms are started. The year 2014 will be both chance and risk for Algeria. If a steady transition with more pluralism and less influence of the security forces turns out well, Algeria will be able to concentrate on solving its socio-economic problems.

Dans les dernières nombreuses publications sur la « révolte arabe » on ne s’occupe presque pas de l’Algérie, et, si c’est le cas, le pays est la plupart du temps marginalisé comme un état stable par rapport aux autres. Néanmoins, le pays est trop important pour l’écarter avec quelques phrases seulement. Avec ses 2,38 mio de kilomètres carrés, l’Algérie est non seulement le plus grand état en Afrique mais aussi dans la région MENA (Proche et Moyen-Orient, Afrique du Nord). Quant au nombre de ses habitants (37 mio), l’Algérie occupe la deuxième place après l’Egypte (env. 83 mio d’habitants). Par ses ressources de pétrole et de gaz naturel énormes, l’Algérie a une importance géostratégique considérable. Ainsi, elle est le dixième producteur de gaz naturel du monde et responsable de 25% des importations de gaz naturel vers l’Europe - ce qui permet à l’UE de réduire sa dépendance des importations russes. Comme plus grand état de la région saharienne, l’Algérie dispose en plus d’un potentiel important d’énergies renouvelables et joue un grand rôle dans le projet DESERTEC, projet soutenu par l’UE en faveur de la Méditerranée. L’Algérie est aussi un pays pont entre l’Europe et l’Afrique subsaharienne et dispose d’une influence considérable dans la région instable du Sahel. Depuis la dissolution de l‘Armée syrienne, l’Algérie dispose, après l’Egypte, de la deuxième plus grande force de sécurité dans la région MENA. Cette armée d’appelés, expérimentée dans la lutte antiterroriste, comprend 130 400 hommes (Forces Terrestres : 110 000, Forces Aériennes : 14 000, Marine : 6 000) et peut être augmentée par 150 000 soldats de réserve. Ici s’ajoutent 187 200 personnes paramilitaires (Gendarmerie : 20 000, Forces Nationales de Sécurité : 16 000, Garde Républicaine : 1 200, Milices communales : env. 150 000). Si l’Algérie se présente de manière très forte vers l‘extérieur, elle a cependant de grands problèmes à l’intérieur, problèmes qui ressemblent à ceux des autres états arabes : un chômage élevé des jeunes, des conditions de vie désastreuses, services publiques insuffisants, discrimination de certains groupes de population, déficits de légitimité étatiques. En 2014, on ne va pas seulement élire un successeur pour le président d’état Abd al-Aziz Bouteflika (77 ans), mais on va aussi enfin remplacer la génération de la Guerre de libération (1954 - 62), qui est toujours aux commandes de la politique, du militaire et de l’économie - un acte qui offre des chances, mais qui contient aussi des risques. Pourquoi est-ce que l‘inquiétude dans le monde arabe ne s’est pas fait remarquer plus fortement en Algérie jusqu’à présent ? L’Islam est une force généralement respectée et non-désavouante, mais les partis et leaders islamistes ont perdu beaucoup de renommée à cause des excès de la guerre civile. Les partis islamistes légaux sont cooptés et intégrés dans des réseaux de clientèle, ce qui réduit leur crédibilité. De plus, la société algérienne est profondément traumatisée par la Guerre de libération contre la France (1954-62), par la lutte continue pour le pouvoir dans le FLM et la campagne permanente contre les déviationnistes et les minorités et, finalement, par la terreur et contreterreur de la guerre civile (1991 - 2002) - différents facteurs qui jouent aussi un rôle décisif. Beaucoup d’Algériens se retirent ainsi dans leur vie privée et craignent un nouveau déchainement des barbaries. De plus, on ne connait pas encore les conséquences que les événements récemment déclenchés par le conflit du Mali pourraient avoir pour la politique intérieure algérienne. La frustration de beaucoup d‘Algériens va s’accroitre et se décharger explosivement un jour ou l’autre si l’on n’initie pas des réformes. L’an 2014 contient pour l’Algérie des chances ainsi que des risques. Si on arrive à une transition organisée marquée par plus de pluralisme et moins d’influence des forces de sécurité, l’Algérie pourra se concentrer sur la solution de ses problèmes socio-économiques.

Heinz Brill

Die neue geopolitische Rolle der Türkei „Strategische Tiefe“ als außenpolitisches Konzept?

Aufgrund der Lage der Türkei an der Schnittstelle geopolitischer Großräume und der veränderten Raum-Mächte-Konstellation in Eurasien, dem Nahen Osten und Nordafrika ist die „Geopolitik“ nicht nur ein zentraler Begriff, sondern ein zentrales Kriterium bei der neuen „Lagebeurteilung“ türkischer Interessen geworden. Aufschlussreich ist hierbei die Entwicklung vom Objekt (bzw. Passiv-Akteur) zum Subjekt in der internationalen Politik.

Aufgrund der internationalen Strukturveränderungen und der neuen Raum-Mächte-Konstellation in Vorder-, Zentralasien und in Nordafrika hat sich die geopolitische, geostrategische, geokulturelle und geoökonomische Interessenlage der Türkei grundlegend geändert. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts ist die Türkei auf der Suche nach ihrer neuen Rolle in Eurasien. Wie diese Analyse zeigt, ist die von Ahmet Davutoğlu angeregte „Strategiedebatte“ eine Herausforderung an die türkische und internationale Sicherheitspolitik.

Das von Davutoğlu vorgelegte Konzept der „Strategischen Tiefe“ ist das eine, die praktische Umsetzung das andere. Das reizvolle an der innertürkischen „Strategiedebatte“ ist, dass die gleiche Person an der theoretischen Ausarbeitung wie an der operativen Planung maßgeblich beteiligt war. Seine Leitlinie für die türkische Außen- und Sicherheitspolitik lautet(e): „Maximale Kooperation verbunden mit friedlicher Nachbarschaftspolitik.“ Ihr Credo: „Keinerlei Konflikte mit unseren Nachbarn und in unserer Nachbarschaft.“ Im Grunde: Ein „Soft-Power“-Konzept!

Gegen diesen Anspruch gab es seit Bekanntwerden drei kritische Einwände:

- Erstens werde die Türkei selbst ihrem Modell nicht gerecht, weil im eigenen Land die Menschenrechte verletzt würden.

- Zweitens sei die türkische Außenpolitik ehrgeiziger, als es ihren Mitteln entspricht.

- Drittens bedingt die beanspruchte Rolle einer Regionalmacht inneren Frieden und Stabilität für äußere Handlungsfähigkeit. Darüber hinaus brachte der so genannte arabische Frühling Davutoğlu’s Strategie auf zentralen Feldern nahezu zum Scheitern. Aus diesem Grund wurde vom türkischen Außenministerium eine neue Strategie ausgearbeitet, deren Essenz Davutoğlu als „Maximierung des Einflusses der Türkei“ bezeichnete. Mit dieser neuen Strategie der „Flexiblen Reaktion“ fand die türkische Nachbarschaftspolitik zurück zur politischen Realität.

Because of the position of turkey at the meeting point of geo-political areas, and due to the shifted area-powers-constellation in Eurasia, in the Near East and in North Africa, “geo-politics” is not only a central concept, but also a central criterion for a new “assessment of the situation” of Turkish interests. Here, the development from object (or passive protagonist) to a player in international politics is informative. Due to the changes in international patterns and to the new area-powers-constellation in the Middle East, Central Asia and North Africa, the geo-political, geo-strategic, geo-cultural and geo-economic situation of interests of Turkey has changed fundamentally. Since the end of the conflict between the East and the West, Turkey has been looking for its new position in Eurasia. As is shown in this analysis, the “strategy debate” launched by Ahmet Davutoğlu represents a challenge for both Turkish and international security policy. The plan of „strategic depth“ presented by Davutoğlu is one thing, but its practical implementation is something completely different. The Turkish national “strategy debate” is interesting insofar as the same person played a decisive role both in its theoretical drawing up and in its operational planning. His guideline for the Turkish international and security policy was “maximum cooperation combined with peaceful neighbourly policy”, and its credo “no conflicts with our neighbours and in our neighbourhood, neither”, basically a “soft power” plan. Since this claim became known, three discerning objections have risen:

- Firstly, Turkey itself does not meet its own model, because the human rights are violated in the own country.

- Secondly, the Turkish international policy is more ambitious than it correspond to its means.

- Thirdly, the role of a regional power Turkey claims requires peace and stability in the country in order to be able to be functioning internationally. On top of that, the so-called Arabian Spring nearly caused Davutoğlu’s to fail in central fields. For this reason a new strategy was drawn up by the Turkish foreign ministry, the essence of which was called “maximization of Turkey’s influence” by Davutoğlu. With this new strategy of “flexible reaction” the Turkish neighbourly policy found its way back to political reality.

Suite à la position de la Turquie à l’interface de grandes régions géopolitiques et la constellation modifiée des espaces et des pouvoirs en Eurasie, au Proche-Orient et en Afrique du Nord, la « géopolitique » n’est pas seulement devenue une notion centrale, mais un critère essentiel pour la nouvelle « estimation des intérêts turcs ». Ce qui est intéressant dans ce contexte, c’est le passage de la Turquie d’un acteur passif (« objet ») à un « sujet » de la politique internationale. A cause des changements de structure internationaux et la nouvelle constellation espace-pouvoir en Asie de l’Ouest, en Asie Centrale et en Afrique du Nord, la situation des intérêts géopolitiques, géostratégiques, géoculturels et géoéconomiques turcs a profondément changé. Depuis la fin du conflit Est-Ouest, la Turquie est à la recherche de son nouveau rôle en Eurasie. Comme cette analyse le montre, le « débat stratégique » (initié par Ahmet Davutoğlu) est un défi pour la politique de sécurité turque et internationale. Le concept de la « profondeur stratégique », présenté par Davutoğlu, est une chose, son implémentation pratique en est une autre. L’aspect intéressant du « débat stratégique » tenu en Turquie est le fait que les personnes qui ont participé à l’élaboration théorique ont aussi considérablement contribué à la planification opérationnelle. Sa devise pour la politique extérieure et de sécurité turque était et est toujours : « Coopération maximale, combinée à une politique de voisinage pacifique ». Son crédo: « Pas de conflits avec nos pays voisins et dans notre voisinage » - en fait un concept de « pouvoir doux » ! Dès la publication de cette revendication, trois objections critiques ont existé : premièrement, la Turquie ne satisferait pas à son propre modèle parce qu’il y a toujours des violations des droits de l’homme dans le pays; deuxièmement, la politique extérieure turque serait trop ambitieuse par rapport à ses moyens ; troisièmement, le rôle d’une puissance régionale visé par la Turquie exige une paix intérieure et une stabilité pour avoir la capacité d’agir vers l’extérieur. En dehors de cela, le dénommé printemps arabe à presque causé un échec pour les idées centrales de la stratégie de Davutoğlu. Pour cette raison, le ministère des Affaires étrangères turc a élaboré une nouvelle stratégie, dont l’essence a été nommée « la maximisation de l’influence turque » par Davutoğlu. Avec cette nouvelle stratégie d’une « réaction flexible », la politique de voisinage turque a retrouvé son chemin vers la réalité politique.

Michael Paul

Konfrontation, Kooperation oder Kompromiss? Russland und die Raketenabwehr?

Mitten im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf äußerte Präsident Barack Obama gegenüber dem russischen Präsidenten Dimitri Medwedew, er werde nach der Wahl im November 2012 „mehr Flexibilität“ in der strittigen Frage der Raketenabwehr haben. Nach seiner erfolgreichen Wiederwahl eröffnen sich damit neue, aber auch bereits bekannte Optionen, um die Differenzen zu überwinden. Falls keine Einigung erzielt werden kann, könnte sich die NATO in wenigen Jahren mit nuklearwaffenfähigen Kurzstreckenraketen in der russischen Exklave Kaliningrad konfrontiert sehen und die bereits angespannten Beziehungen zu Russland dürften sich noch verschlechtern. Darüber hinausgehende Befürchtungen, es könne zu einem amerikanisch-russischen Rüstungswettlauf kommen, sind zwar weitgehend unbegründet, nicht aber Sorgen über die möglichen Folgen des Misstrauens. Der beste Weg, um Missverständnisse zu überwinden, wäre eine Kooperation in der Raketenabwehr in Form eines intensiveren Informationsaustauschs und einer Kombination von Fähigkeiten. Eine andere Möglichkeit wäre ein Kompromiss, der ebenfalls die Chancen auf eine weitere Abrüstung strategischer und substrategischer Nuklearwaffen eröffnen würde. Welche Wahl der wiedergewählte amerikanische Präsident treffen wird, ist offen. Sicherlich wird aber die Entscheidung darüber auf höchster Ebene mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen sein.

In den nächsten Jahren könnte beispielsweise ein Kompromiss erzielt werden, der anstelle von Garantien ein Abkommen über die Zusammenarbeit beinhalten könnte, mit Regeln zur Kooperation wie zur Rüstungskontrolle. Die russischen Vorstellungen, welche Komponenten eines Abwehrsystems in welchem Umfang begrenzt werden sollten, sind weitreichend. Aber unter Umständen wäre es ausreichend, wenn Washington sich zur Begrenzung einer verifizierbaren Zahl von Interzeptoren bereit erklärt. Moskau könnte dann beurteilen, ob die Fähigkeiten des Raketenabwehrsystems mit dem erklärten Ziel übereinstimmen oder nicht. Die Zusammenarbeit könnte sich dann pragmatisch weiter entwickeln.

Die Raketenabwehr bietet eine Gelegenheit, die NATO-Russland-Beziehungen langfristig und nachhaltig zu verbessern. In der Tat könnten damit die Spielregeln der NATO-Russland-Beziehungen grundlegend erneuert werden. Ob das Potenzial für Kooperation genutzt wird, ist offen. Aus deutscher und europäischer Sicht wäre eine weitergehende Zusammenarbeit im Sinne einer vertieften Transparenz und Vertrauensbildung sinnvoll und erstrebenswert. Aus amerikanischer Perspektive könnte sie jedoch, sofern Moskau auf Maximalforderungen bestehen sollte, noch schwieriger werden - selbst wenn Präsident Obama nun eine gewisse Flexibilität in dieser Frage hat. Wie im Verhandlungsprozess des „New START“-Vertrages bedarf es erneut des persönlichen Engagements beider Präsidenten, wenn signifikante Fortschritte erzielt werden sollen.

In the middle of the American presidential election campaign US-President Barack Obama told the Russian President Dimitri Medwedew that he would have “more flexibility” concerning the contentious problem of missile defence after the elections of November 2012. Thus, after his successful re-election, now - but also already known - options for overcoming the differences present themselves. If no agreement can be reached, NATO might be confronted with short-range missiles carrying nuclear warheads in the Russian exclave Kaliningrad in a couple of years, and the relationships with Russia, which are strained already, will presumably deteriorate. Further misgivings that an American-Russian arms race might develop are largely unfounded, but misgivings concerning possible consequences caused by mistrust are not. Cooperation in form of more intensive information exchange and a combination of capabilities would be the best way to overcome misunderstandings. A compromise would be another possibility, which could offer chances for a further disarmament of strategic and sub-strategic nuclear weapons. Which option the re-elected American president will choose is still open, but this decision will have to be made at the highest level with the Russian president Wladimir Putin. So in the following years a compromise could be agreed upon, which - instead of guarantees - could contain an agreement on cooperation, with regulations concerning both this cooperation and arms control. The Russian ideas, which components of a defence system could be limited to what extent, are wide-ranging. Possibly, however, it would be sufficient if Washington agrees to limit its verifiable number of interceptors. Afterwards Moscow could assess whether the capabilities of the missile defence system match with the declared aim or not. Thus, cooperation could develop pragmatically. Missile defence offers an opportunity to improve the relationships between NATO and Russia both in the long term and with a lasting effect. Indeed, thus the rules of the NATO-Russian relationships could be fundamentally restored. Whether this potential for cooperation will be used is still open. From a German and European point of view, enhanced cooperation in the sense of more transparency and confidence-building is wise and desirable. From an American perspective, however, if Moscow insists on maximum demands, cooperation could become even more difficult, even if Obama now has a certain flexibility concerning this problem. As in the negotiation process of the “New START” Treaty, personal engagement of both presidents will be required if significant progress is to be achieved.

Lors de la campagne électorale présidentielle américaine, le président Barack Obama a dit au président russe Dimitri Medvedev qu’il disposera de « plus de flexibilité » dans le domaine contesté de la défense antimissile en novembre 2012, c’est-à-dire après l’élection présidentielle. Ainsi, après sa réélection, des options nouvelles mais aussi déjà connues se sont ouvertes pour surmonter les divergences. Si on n’arrivait pas à un accord, l’OTAN pourrait, dans peu d’années, se voir confrontée à des missiles nucléaires à courte portée dans l’exclave russe de Kaliningrad, et les relations avec la Russie, déjà tendues, pourraient encore s’empirer. D’autres craintes, comme par exemple la possibilité d’une course à l’armement entre les USA et la Russie, sont largement injustifiées, mais pas les soucis sur les conséquences possibles d’une méfiance. La meilleure façon de surmonter des malentendus serait une coopération dans la défense antimissile sous forme d’un échange d’informations plus intensif et d’une combinaison des capacités. Une autre possibilité serait un compromis qui pourrait également offrir des chances d’un désarmement continu stratégique et substratégique. Il n’est pas encore clair quelle décision le président réélu américain va prendre. Ce qui est sûr pour le moment c’est le fait que cette décision doit être prise au plus haut niveau avec le président russe Vladimir Poutine. Dans les prochaines années on pourrait, par exemple, arriver à un compromis qui, à la place de garanties, pourrait contenir un accord sur la coopération avec des règlementations sur la collaboration et le contrôle d’armement. Les idées russes concernant l’ampleur de la restriction des composantes d’un système de défense sont assez étendues. Néanmoins, ce serait peut-être suffisant si Washington se déclarerait prêt à limiter un nombre vérifiable d’intercepteurs. Ensuite, Moscou pourrait juger si les capacités du système de défense antimissile correspondent au but déclaré ou pas. Par conséquence, la collaboration pourrait continuer de se développer de façon pragmatique. La défense antimissile offre la possibilité d’améliorer durablement les relations entre l’OTAN et la Russie à long terme. Par cela, on pourrait en fait profondément renouveler les lois du jeu entre l’OTAN et la Russie. Il n’est toujours pas fixé si on va utiliser le potentiel pour une coopération. Du point de vue allemand et européen, une coopération continue, dans le sens d’une transparence et instauration de confiance approfondies serait raisonnable et souhaitable. Du point de vue américain, la coopération pourrait s’avérer même plus difficile si Moscou insiste sur des revendications maximales - même si le président Obama montre maintenant une certaine flexibilité dans cette question. Comme dans le processus de négociation sur le contrat « New START », on aura de nouveau besoin d’un engagement des deux présidents si on veut faire des progrès significatifs.