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DIE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE ZUSAMMENARBEIT


Vor dem Hintergrund wieder seit dem Ukraine-Konflikt 2014 erhöhter Spannungen des Westens mit Russland und verstärkter Unwägbarkeiten im „transatlantischen Gebälk“ infolge des weiteren Engagements der USA in der NATO in der Ära von US-Präsident Donald Trump, der darauf pocht, dass die europäischen Partner ihre Verteidigungsbudgets und auch ihr militärisches Engagement im Bündnis deutlich steigern, ist es heute von erheblicher Bedeutung zu erkennen, dass Europa sich nicht mehr auf den militärischen Schutz der westlichen Führungsmacht Amerika verlassen kann. Schon Trumps Amtsvorgänger, Barack Obama, hat die strategische Hinwendung der USA auf den asiatisch-pazifischen Raum forciert. Trumps „America First“-Politik führt diesen Kurs weiter und sucht gleichgesinnte Verbündete wie etwa den neuen britischen Premierminister Boris Johnson, um Großbritannien inmitten des Abnabelungsprozesses von der EU in von den Vereinigten Staaten angeführten „Koalitionen der Willigen“ wie etwa bei der militärischen Schutzmission in der Straße von Hormuz am Persischen Golf aktiver an sich zu binden.

Angesichts multipler Bedrohungen, von denen die Infragestellung des Multilateralismus ein wachsendes Symptom ist, sind Frankreich und Deutschland immer mehr in den letzten Jahren zu Befürwortern einer europäischen strategischen Autonomie geworden. Trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse auf dem gemeinsamen Weg, müsse der „deutsch-französische Motor“ insbesondere auch auf militärisch-verteidigungspolitischer europäischer Ebene in Schwung kommen, um die europäischen Partner sowohl im Hinblick auf die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), als auch in Bezug auf die NATO zu motivieren und dafür zu werben, dass Europa angesichts der vielgestaltigen geopolitischen Veränderungen und Herausforderungen wehrhaft bleiben bzw. sich glaubhaft möglichst im Ernstfall selbst verteidigen müsse und könne.


Paris und Berlin haben damit ihre bilateralen Beziehungen, insbesondere auf militärischer Ebene, wieder in den Mittelpunkt des europäischen Projekts gestellt. Aus Sicht so mancher politischer Kommentatoren wären Paris und Berlin sogar die letzten „Pro-Europäer“, die sich darauf verlassen würden, die europäische Integration über Wasser zu halten. Wenn Paris und Berlin jedoch seit dem Sommer 2016 ihre bilateralen Initiativen in Richtung einer größeren strategischen Autonomie der Europäischen Union vervielfacht haben, bedeute das nicht, dass die französischen und deutschen strategischen Doktrinen in jeder Hinsicht zusammenlaufen. Dies ist bei weitem nicht der Fall, da ihre strategischen Kulturen nach wie vor unterschiedlich sind. Auch die operative Wirksamkeit der deutsch-französischen militärischen Zusammenarbeit wird regelmäßig kritisiert: Das Beispiel des auf mehreren verschiedenen Spezifikationen basierenden Hubschraubers TIGER als Gemeinschaftsprojekt reicht in Wahrheit nicht aus, um ein glaubwürdiges Testfeld für eine weiter entwickelte europäische Verteidigung zu sein.

Der bloße Blick auf die konkreten Ergebnisse der deutsch-französischen militärischen Kooperation in Europa dürfe jedoch nicht dazu führen, den grundlegenden Zweck dieser Zusammenarbeit zu vernachlässigen: nämlich die politische Aussöhnung. Es ist eben gerade diese Versöhnung, die historisch gesehen im Mittelpunkt des Prozesses steht und die durch konkrete Erfolge gefördert werden musste und nicht umgekehrt. Daher erscheint es hier wichtig, insbesondere auf die Rolle des politischen Symbolismus in der deutsch-französischen militärischen Verständigung zu verweisen.[1]


Vertiefte und erneuerte Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland - Der Aachener Vertrag

Am 22. Jänner 2019 unterzeichneten der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Krönungssaal des historischen Aachener Rathauses aus Anlass des 56. Jahrestages des Élysée-Vertrags ein erneuertes bilaterales vertiefendes Abkommen.

Der sogenannte Aachener Vertrag bietet einen wichtigen Bezugspunkt für diejenigen, die sich verpflichten, über die bilateralen Beziehungen aus einer spezifischeren Perspektive der Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit nachzudenken.

Der Elysée-Vertrag von 1963 zielte auf die Aussöhnung zwischen den beiden Ländern ab. Es handelte sich dabei um ein deutsch-französisches Freundschaftsabkommen, das der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Präsident Charles de Gaulle im Pariser Élysée-Palast unterzeichneten. Heute geht es darum, den da und dort etwas ins Stottern geratenen „deutsch-französischen Motor“ wieder zum Laufen zu bringen, damit Paris und Berlin gemeinsam auf ein vor allem politisch-militärisch-ökonomisch gestärktes Europa hinarbeiten können. Durch die sich verändernden internationalen strategischen Rahmenbedingungen ist die bisher latente Frage nach der Rolle Europas in der Sicherheit vermehrt in den Vordergrund gerückt. Bei dieser Gelegenheit kommen Paris und Berlin nicht umhin, die Bedeutung einer größeren strategischen Autonomie für die EU zu unterstreichen. In der Realität gibt es zwar sowohl in Paris als auch in Berlin den politischen Willen für gemeinsame Ambitionen in diesem Bereich, aber es gibt weiterhin Unterschiede in der strategischen Kultur, die oft Hindernisse für eine sinnvolle Zusammenarbeit darstellen.

So bestehen in Paris und Berlin nach wie vor Unterschiede etwa bei der Anwendung militärischer Gewalt. Obwohl sich die deutsche Position mit dem Münchner Konsens und der Berliner Erkenntnis, dass Deutschland mehr Verantwortung auf internationaler Ebene übernehmen muss, deutlich weiterentwickelt hat, spielt der Bundestag eine grundlegende Rolle bei den Prozessen des Einsatzes der Bundeswehr im Ausland und im Einsatz. Im französischen Fall ist der Einfluss der Exekutive unverhältnismäßig hoch, sodass die Nationalversammlung nur einen kleinen Teil davon auf der Grundlage verfassungsrechtlicher Kompetenzen behält.

Konkret stellt sich folgende knifflige Frage: Wie können wir uns den Einsatz europäischer Gefechtsverbände in einem Konfliktgebiet vorstellen, wenn der französische Präsident sehr kurzfristig über den Einsatz von Gewalt entscheiden kann, während die Bundeskanzlerin zunächst vom Deutschen Bundestag ihre Zustimmung für einen militärischen Einsatz der Bundeswehr erhalten muss, was je nach Intensität der Debatten mehrere Wochen dauern kann?

Angesichts dieser Unterschiede bleibt abzuwarten, ob die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und Verteidigung als Sprungbrett auf dem Weg zu mehr strategischer europäischer Autonomie dienen kann oder nicht.

Die deutsch-französische Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit hat bisher eine starke Portion Symbolik, einige Fortschritte und eine Reihe verpasster Chancen hervorgebracht. In Wahrheit müsse man erkennen, dass die deutsch-französische Sicherheits- und Verteidigungskooperation jeweils ein „Sprungbrett“ als auch ein „Stolperstein“ gewesen sei.[2] Daran hat sich bis heute nicht sehr viel geändert. Trotz allem handle es sich aber um einen wertvollen Baustein, um ein konstitutives Element, das unter anderem die Bemühungen Europas unterstützt, seine Fähigkeit zu autonomem Handeln zu stärken. Schließlich ist die deutsch-französische Kooperation auch aus der Sicht von Paris ein wichtiges Instrument des Ausgleichs, um eine von Deutschland im Wesentlichen dominierte EU möglichst zu verhindern.[3]


Die deutsch-französische militärische Zusammenarbeit ist und bleibt trotz aller Schwierigkeiten ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Verteidigung.[4] Zwischen Paris und Berlin bestehen weiterhin jedoch noch viele strategische Unterschiede. Man kann aber den vollen Umfang der militärischen Kooperation Frankreichs und Deutschlands nicht erfassen, wenn man nicht ihren Hauptzweck versteht: Und das ist die politische Versöhnung zwischen den Feinden von gestern. Dieses symbolische Ziel ist inzwischen weitgehend erreicht, sollte Frankreich und Deutschland aber nicht vergessen lassen, dass beide Mächte keine alleinige Triebkraft für die europäische militärische Zusammenarbeit sein können. Paris und Berlin müssen daher, damit ihre vertiefenden Bemühungen auch künftig Früchte tragen, sicherstellen, dass sie ihre Partner sowohl im Süden (Italien, Spanien) als auch im Osten der EU (insbesondere Polen und die baltischen Länder) in einem Umfeld tiefer strategischer und politischer Turbulenzen in Europa für ihre Ziele überzeugen und für sich gewinnen.

Eine ambitioniertere Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der Europäer ist deshalb mehr als nur ein Teilaspekt der NATO. Die europäischen Partner inmitten einer unsicheren Strategie Amerikas unter Trump müssen wieder als wirklich erstzunehmende militärische Sicherheitsakteure in und außerhalb der transatlantischen Allianz wahrgenommen werden und können sich nicht mehr darauf verlassen, als militärisch-sicherheitspolitische „Mitläufer“ im Schlepptau der Weltmacht USA zu agieren.[5]


Deutsch-französische Initiativen auf europäischer Ebene zur Überwindung der Corona-Krise

Berlin und Frankreich haben schließlich eine gemeinsame ökonomisch-politisch-finanzielle Initiative auf Ebene der EU (Stichwort „Eurobonds“) auf den Tisch gelegt, um vor allem die vom Corona-Virus besonders schwer getroffenen Volkswirtschaften Italiens und Spaniens wieder auf die Beine zu helfen. Dies stieß auf Widerstand einiger EU-Nettozahler-Staaten wie Österreich, die finanzielle Hilfen an Rückzahlungen durch die betroffenen Länder geknüpft sehen wollen. Die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel verfolgte Strategie sei für sie ein klarer Schritt in Richtung einer „Transferunion“, die man nicht haben wolle. 


Der französische Präsident Macron und seine Vision einer künftigen europäischen Verteidigung

Der französische Präsident Emmanuel Macron stellte seine Überlegungen zu den Grundlagen der Verteidigungsstrategie Frankreichs vor, die er im Rahmen eines Vortrages am 7. Februar 2020 an der École de Guerre in Paris präsentierte. Es brauche angesichts vieler Ungewissheiten in Bezug auf die Tiefe des künftigen Engagements der USA in der Ära von Präsident Donald Trump in Europa im Rahmen der NATO eine neue gemeinsame europäische Strategie: Diese Strategie beruhe laut Macron auf vier Säulen: Förderung eines funktionierenden Multilateralismus, Entwicklung strategischer Partnerschaften, die Suche nach europäischer Autonomie und nationaler Souveränität. Diese vier Elemente bilden ein Ganzes, das der französischen Verteidigungsstrategie ihre Gesamtkohärenz und ihren tiefen Sinn verleiht, so Macron.

Seit dem Brexit ist Frankreich die einzige Atommacht der EU. Deshalb lädt Macron die Europäer ein, das französische Atomarsenal in eine gemeinsame Verteidigungsstrategie Europas einzubinden. Mit anderen teilen wolle Frankreich sein nationales Atomarsenal aber nicht.

Weiters strebt Frankreich ein gemeinsames Engagement mit Deutschland in Sicherheits- und Verteidigungsfragen an, anstatt sich wie bisher nur auf Bereiche zu konzentrieren, in denen Frankreich ganz offenbar auf das Wohlwollen Deutschlands angewiesen ist, wie beispielweise im Euro-Währungsgebiet oder in der europäischen Industriepolitik.

Insgesamt propagiert Macron ein militär- und verteidigungspolitisch autonomeres Europa mit einem starken Frankreich, das den künftigen Herausforderungen in der Welt des 21. Jahrhunderts gewachsen ist. Deutschland dürfte dabei als Partner wohl eine zentrale Rolle zukommen.


Abgeschlossen: Anfang Juli 2020



Anmerkungen:

[1] Siehe dazu: Delphine Deschaux-Dutard, „LA FRANCE, L’ALLEMAGNE ET LA DÉFENSE EUROPÉENNE: UNE LOCOMOTIVE SYMBOLIQUE PLUS QU’OPÉRATIONNELLE?“. In: Revue Défense Nationale 6/2019, S. 37-42.

[2] Bastian Giegerich, „COOPÉRATION FRANCO-ALLEMANDE DE SÉCURITÉ ET DE DÉFENSE ET AUTONOMIE STRATÉGIQUE EUROPÉENNE“. In: Revue Défense Nationale 6/2019, S. 43-49.

[3] Luis Simón, „THE SPECTRE OF A WESTPHALIAN EUROPE?“, Whitehall Paper 90 – Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (RUSI) 2018, p. 56.

[4] Vgl. dazu: Nicole Gnesotto, „EUROPE EUROPÉENNE OU EUROPE ATLANTIQUE: HISTOIRE DE DEUX ILLUSIONS“. In: Revue Défense Nationale 6/2019, S. 50-55.

[5] Jean-Yves Haine, „A NEW GAULLIST MOMENT? EUROPEAN BANDWAGONING AND INTERNATIONAL POLARITY“. In: International Affairs 5/2015, S. 991-1008.


Weiterführende LINKS:

Why Franco-German Defence Cooperation Is Difficult, But Without Alternative

Europe is better together: Franco-German Treaty shows the way

France and Germany provoke populist anger over 'friendship pact'

The Franco-German Cooperation in the Midst of European Crises

Franco-German cooperation and the rescuing of the Eurozone

What's in the Franco-German Treaty of Aachen?

Germany: ‘Deep’ Franco-German cooperation necessary for European progress – Macron – Merkel – Presse Conference

Franco-German Defence and Security Cooperation - Oxford Scholarship

The Treaty of Aachen: Opportunities and Challenges for Franco-German Cooperation in Development Policy and Beyond

Traité de coopération franco-allemand d’Aix-la-Chapelle

Le moteur franco-allemand de l’Europe

Défense : comment les industriels poussent à la coopération franco-allemande

DIE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE ZUSAMMENARBEIT


Vor dem Hintergrund wieder seit dem Ukraine-Konflikt 2014 erhöhter Spannungen des Westens mit Russland und verstärkter Unwägbarkeiten im „transatlantischen Gebälk“ infolge des weiteren Engagements der USA in der NATO in der Ära von US-Präsident Donald Trump, der darauf pocht, dass die europäischen Partner ihre Verteidigungsbudgets und auch ihr militärisches Engagement im Bündnis deutlich steigern, ist es heute von erheblicher Bedeutung zu erkennen, dass Europa sich nicht mehr auf den militärischen Schutz der westlichen Führungsmacht Amerika verlassen kann. Schon Trumps Amtsvorgänger, Barack Obama, hat die strategische Hinwendung der USA auf den asiatisch-pazifischen Raum forciert. Trumps „America First“-Politik führt diesen Kurs weiter und sucht gleichgesinnte Verbündete wie etwa den neuen britischen Premierminister Boris Johnson, um Großbritannien inmitten des Abnabelungsprozesses von der EU in von den Vereinigten Staaten angeführten „Koalitionen der Willigen“ wie etwa bei der militärischen Schutzmission in der Straße von Hormuz am Persischen Golf aktiver an sich zu binden.

Angesichts multipler Bedrohungen, von denen die Infragestellung des Multilateralismus ein wachsendes Symptom ist, sind Frankreich und Deutschland immer mehr in den letzten Jahren zu Befürwortern einer europäischen strategischen Autonomie geworden. Trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse auf dem gemeinsamen Weg, müsse der „deutsch-französische Motor“ insbesondere auch auf militärisch-verteidigungspolitischer europäischer Ebene in Schwung kommen, um die europäischen Partner sowohl im Hinblick auf die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), als auch in Bezug auf die NATO zu motivieren und dafür zu werben, dass Europa angesichts der vielgestaltigen geopolitischen Veränderungen und Herausforderungen wehrhaft bleiben bzw. sich glaubhaft möglichst im Ernstfall selbst verteidigen müsse und könne.


Paris und Berlin haben damit ihre bilateralen Beziehungen, insbesondere auf militärischer Ebene, wieder in den Mittelpunkt des europäischen Projekts gestellt. Aus Sicht so mancher politischer Kommentatoren wären Paris und Berlin sogar die letzten „Pro-Europäer“, die sich darauf verlassen würden, die europäische Integration über Wasser zu halten. Wenn Paris und Berlin jedoch seit dem Sommer 2016 ihre bilateralen Initiativen in Richtung einer größeren strategischen Autonomie der Europäischen Union vervielfacht haben, bedeute das nicht, dass die französischen und deutschen strategischen Doktrinen in jeder Hinsicht zusammenlaufen. Dies ist bei weitem nicht der Fall, da ihre strategischen Kulturen nach wie vor unterschiedlich sind. Auch die operative Wirksamkeit der deutsch-französischen militärischen Zusammenarbeit wird regelmäßig kritisiert: Das Beispiel des auf mehreren verschiedenen Spezifikationen basierenden Hubschraubers TIGER als Gemeinschaftsprojekt reicht in Wahrheit nicht aus, um ein glaubwürdiges Testfeld für eine weiter entwickelte europäische Verteidigung zu sein.

Der bloße Blick auf die konkreten Ergebnisse der deutsch-französischen militärischen Kooperation in Europa dürfe jedoch nicht dazu führen, den grundlegenden Zweck dieser Zusammenarbeit zu vernachlässigen: nämlich die politische Aussöhnung. Es ist eben gerade diese Versöhnung, die historisch gesehen im Mittelpunkt des Prozesses steht und die durch konkrete Erfolge gefördert werden musste und nicht umgekehrt. Daher erscheint es hier wichtig, insbesondere auf die Rolle des politischen Symbolismus in der deutsch-französischen militärischen Verständigung zu verweisen.[1]

Vertiefte und erneuerte Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland - Der Aachener Vertrag

Am 22. Jänner 2019 unterzeichneten der französische Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Krönungssaal des historischen Aachener Rathauses aus Anlass des 56. Jahrestages des Élysée-Vertrags ein erneuertes bilaterales vertiefendes Abkommen.

Der sogenannte Aachener Vertrag bietet einen wichtigen Bezugspunkt für diejenigen, die sich verpflichten, über die bilateralen Beziehungen aus einer spezifischeren Perspektive der Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit nachzudenken.

Der Elysée-Vertrag von 1963 zielte auf die Aussöhnung zwischen den beiden Ländern ab. Es handelte sich dabei um ein deutsch-französisches Freundschaftsabkommen, das der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Präsident Charles de Gaulle im Pariser Élysée-Palast unterzeichneten. Heute geht es darum, den da und dort etwas ins Stottern geratenen „deutsch-französischen Motor“ wieder zum Laufen zu bringen, damit Paris und Berlin gemeinsam auf ein vor allem politisch-militärisch-ökonomisch gestärktes Europa hinarbeiten können. Durch die sich verändernden internationalen strategischen Rahmenbedingungen ist die bisher latente Frage nach der Rolle Europas in der Sicherheit vermehrt in den Vordergrund gerückt. Bei dieser Gelegenheit kommen Paris und Berlin nicht umhin, die Bedeutung einer größeren strategischen Autonomie für die EU zu unterstreichen. In der Realität gibt es zwar sowohl in Paris als auch in Berlin den politischen Willen für gemeinsame Ambitionen in diesem Bereich, aber es gibt weiterhin Unterschiede in der strategischen Kultur, die oft Hindernisse für eine sinnvolle Zusammenarbeit darstellen.

So bestehen in Paris und Berlin nach wie vor Unterschiede etwa bei der Anwendung militärischer Gewalt. Obwohl sich die deutsche Position mit dem Münchner Konsens und der Berliner Erkenntnis, dass Deutschland mehr Verantwortung auf internationaler Ebene übernehmen muss, deutlich weiterentwickelt hat, spielt der Bundestag eine grundlegende Rolle bei den Prozessen des Einsatzes der Bundeswehr im Ausland und im Einsatz. Im französischen Fall ist der Einfluss der Exekutive unverhältnismäßig hoch, sodass die Nationalversammlung nur einen kleinen Teil davon auf der Grundlage verfassungsrechtlicher Kompetenzen behält.

Konkret stellt sich folgende knifflige Frage: Wie können wir uns den Einsatz europäischer Gefechtsverbände in einem Konfliktgebiet vorstellen, wenn der französische Präsident sehr kurzfristig über den Einsatz von Gewalt entscheiden kann, während die Bundeskanzlerin zunächst vom Deutschen Bundestag ihre Zustimmung für einen militärischen Einsatz der Bundeswehr erhalten muss, was je nach Intensität der Debatten mehrere Wochen dauern kann?

Angesichts dieser Unterschiede bleibt abzuwarten, ob die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und Verteidigung als Sprungbrett auf dem Weg zu mehr strategischer europäischer Autonomie dienen kann oder nicht.

Die deutsch-französische Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit hat bisher eine starke Portion Symbolik, einige Fortschritte und eine Reihe verpasster Chancen hervorgebracht. In Wahrheit müsse man erkennen, dass die deutsch-französische Sicherheits- und Verteidigungskooperation jeweils ein „Sprungbrett“ als auch ein „Stolperstein“ gewesen sei.[2] Daran hat sich bis heute nicht sehr viel geändert. Trotz allem handle es sich aber um einen wertvollen Baustein, um ein konstitutives Element, das unter anderem die Bemühungen Europas unterstützt, seine Fähigkeit zu autonomem Handeln zu stärken. Schließlich ist die deutsch-französische Kooperation auch aus der Sicht von Paris ein wichtiges Instrument des Ausgleichs, um eine von Deutschland im Wesentlichen dominierte EU möglichst zu verhindern.[3]


Die deutsch-französische militärische Zusammenarbeit ist und bleibt trotz aller Schwierigkeiten ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Verteidigung.[4] Zwischen Paris und Berlin bestehen weiterhin jedoch noch viele strategische Unterschiede. Man kann aber den vollen Umfang der militärischen Kooperation Frankreichs und Deutschlands nicht erfassen, wenn man nicht ihren Hauptzweck versteht: Und das ist die politische Versöhnung zwischen den Feinden von gestern. Dieses symbolische Ziel ist inzwischen weitgehend erreicht, sollte Frankreich und Deutschland aber nicht vergessen lassen, dass beide Mächte keine alleinige Triebkraft für die europäische militärische Zusammenarbeit sein können. Paris und Berlin müssen daher, damit ihre vertiefenden Bemühungen auch künftig Früchte tragen, sicherstellen, dass sie ihre Partner sowohl im Süden (Italien, Spanien) als auch im Osten der EU (insbesondere Polen und die baltischen Länder) in einem Umfeld tiefer strategischer und politischer Turbulenzen in Europa für ihre Ziele überzeugen und für sich gewinnen.

Eine ambitioniertere Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der Europäer ist deshalb mehr als nur ein Teilaspekt der NATO. Die europäischen Partner inmitten einer unsicheren Strategie Amerikas unter Trump müssen wieder als wirklich erstzunehmende militärische Sicherheitsakteure in und außerhalb der transatlantischen Allianz wahrgenommen werden und können sich nicht mehr darauf verlassen, als militärisch-sicherheitspolitische „Mitläufer“ im Schlepptau der Weltmacht USA zu agieren.[5]

Deutsch-französische Initiativen auf europäischer Ebene zur Überwindung der Corona-Krise

Berlin und Frankreich haben schließlich eine gemeinsame ökonomisch-politisch-finanzielle Initiative auf Ebene der EU (Stichwort „Eurobonds“) auf den Tisch gelegt, um vor allem die vom Corona-Virus besonders schwer getroffenen Volkswirtschaften Italiens und Spaniens wieder auf die Beine zu helfen. Dies stieß auf Widerstand einiger EU-Nettozahler-Staaten wie Österreich, die finanzielle Hilfen an Rückzahlungen durch die betroffenen Länder geknüpft sehen wollen. Die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel verfolgte Strategie sei für sie ein klarer Schritt in Richtung einer „Transferunion“, die man nicht haben wolle. 

Der französische Präsident Macron und seine Vision einer künftigen europäischen Verteidigung

Der französische Präsident Emmanuel Macron stellte seine Überlegungen zu den Grundlagen der Verteidigungsstrategie Frankreichs vor, die er im Rahmen eines Vortrages am 7. Februar 2020 an der École de Guerre in Paris präsentierte. Es brauche angesichts vieler Ungewissheiten in Bezug auf die Tiefe des künftigen Engagements der USA in der Ära von Präsident Donald Trump in Europa im Rahmen der NATO eine neue gemeinsame europäische Strategie: Diese Strategie beruhe laut Macron auf vier Säulen: Förderung eines funktionierenden Multilateralismus, Entwicklung strategischer Partnerschaften, die Suche nach europäischer Autonomie und nationaler Souveränität. Diese vier Elemente bilden ein Ganzes, das der französischen Verteidigungsstrategie ihre Gesamtkohärenz und ihren tiefen Sinn verleiht, so Macron.

Seit dem Brexit ist Frankreich die einzige Atommacht der EU. Deshalb lädt Macron die Europäer ein, das französische Atomarsenal in eine gemeinsame Verteidigungsstrategie Europas einzubinden. Mit anderen teilen wolle Frankreich sein nationales Atomarsenal aber nicht.

Weiters strebt Frankreich ein gemeinsames Engagement mit Deutschland in Sicherheits- und Verteidigungsfragen an, anstatt sich wie bisher nur auf Bereiche zu konzentrieren, in denen Frankreich ganz offenbar auf das Wohlwollen Deutschlands angewiesen ist, wie beispielweise im Euro-Währungsgebiet oder in der europäischen Industriepolitik.

Insgesamt propagiert Macron ein militär- und verteidigungspolitisch autonomeres Europa mit einem starken Frankreich, das den künftigen Herausforderungen in der Welt des 21. Jahrhunderts gewachsen ist. Deutschland dürfte dabei als Partner wohl eine zentrale Rolle zukommen.


Abgeschlossen: Anfang Juli 2020



Anmerkungen:

[1] Siehe dazu: Delphine Deschaux-Dutard, „LA FRANCE, L’ALLEMAGNE ET LA DÉFENSE EUROPÉENNE: UNE LOCOMOTIVE SYMBOLIQUE PLUS QU’OPÉRATIONNELLE?“. In: Revue Défense Nationale 6/2019, S. 37-42.

[2] Bastian Giegerich, „COOPÉRATION FRANCO-ALLEMANDE DE SÉCURITÉ ET DE DÉFENSE ET AUTONOMIE STRATÉGIQUE EUROPÉENNE“. In: Revue Défense Nationale 6/2019, S. 43-49.

[3] Luis Simón, „THE SPECTRE OF A WESTPHALIAN EUROPE?“, Whitehall Paper 90 – Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (RUSI) 2018, p. 56.

[4] Vgl. dazu: Nicole Gnesotto, „EUROPE EUROPÉENNE OU EUROPE ATLANTIQUE: HISTOIRE DE DEUX ILLUSIONS“. In: Revue Défense Nationale 6/2019, S. 50-55.

[5] Jean-Yves Haine, „A NEW GAULLIST MOMENT? EUROPEAN BANDWAGONING AND INTERNATIONAL POLARITY“. In: International Affairs 5/2015, S. 991-1008.