GLOBALE EINFLUSSOPERATIONEN CHINAS
Die Volksrepublik China hat sich in jüngster Zeit zunehmend der politischen Kriegsführung und damit der „Hard Power“ zugewandt, um die Politik der USA gegenüber China und in internationalen Fragen, die sie für wichtig hält, zu beeinflussen. Diese Wende spiegelt zum Teil die begrenzte Wirksamkeit von Pekings stark gewachsener Macht und seiner nun zurückgefahrenen „Soft Power“ als Mittel zur Erreichung der Ziele Chinas gegenüber den Vereinigten Staaten wider. Chinas politische Einflusskampagnen haben sowohl direkten Einfluss auf die US-Politik als auch indirekte Auswirkungen, indem sie die amerikanische Haltung gegenüber China und China-bezogenen Fragen tangieren. Chinas Bemühungen erstrecken sich über viele Sektoren - einschließlich Wirtschaft, Kultur, Medien, Bildung und mehr - und haben Reaktionen und Gegenmaßnahmen ausgelöst. Nach Ansicht Chinas sind die Vereinigten Staaten seit langem in so etwas wie politische Kriegsführung gegen China engagiert. Wenn oder sobald sich die Beziehungen zwischen den USA und China weiter verschlechtern, werden politische Kriegsführung, der Einsatz von Hard Power und dementsprechende Gegenmaßnahmen wahrscheinlich zunehmen.
Obwohl die Kluft in Bezug auf militärische Kapazitäten zwischen den Vereinigten Staaten und China nach wie vor beträchtlich ist, so ist sie nicht der einzige oder entscheidende Maßstab für den harten Machtwettbewerb zwischen den USA und China. Die plausibelsten Szenarien für militärische Zwischenfälle und Konflikte zwischen den USA und China sind nach wie vor diejenigen, die Gebiete in der Nähe Chinas betreffen, was China in einem begrenzten Konflikt Vorteile verschafft. Chinas Militärstrategie hat den Schwerpunkt auf „A2/AD“ - Anti-Zugang/Gebietsverweigerung - gelegt, um die Handlungsfähigkeit des US-Militärs in den an China angrenzenden Gebieten einzuschränken. Zumindest hat Washington keine zuverlässige Möglichkeit mehr, kostengünstig einzugreifen, um seine eigenen Interessen auf offener See im westlichen Teil des Indopazifik-Raums oder die Interessen der Verbündeten und Freunde der USA in Ost- und Südostasien, die von China zunehmend überflügelt werden, zu schützen. Diese begrenzte Verschiebung der relativen Macht zu Gunsten Chinas kann die langjährige Wirksamkeit der Abschreckung durch die USA gefährden. US-Verteidigungsplaner müssen zunehmend mit einer Zukunft rechnen, in der China über bedeutende Fähigkeiten verfügen wird, Streitkräfte sowohl über die erste Inselkette (die sich von Japans Heimatinseln bis zu den Archipelen Südostasiens erstreckt und das Süd- und Ostchinesische Meer umschließt) hinaus als auch innerhalb dieser Kette zu projizieren.
Chinas Entwicklung und Einsatz von Instrumenten der politischen Kriegsführung zur Beeinflussung der US-Politik und der Politik der USA in Bezug auf China und chinesische Interessen bleiben trotz allem bis dato relativ begrenzt, zumindest wenn man es mit dem Standard eines vollwertigen ideologischen Konflikts vergleicht. In den Vereinigten Staaten konzentrierten sich die rasch wachsenden Bedenken über die chinesischen Einflussbemühungen mehr auf Risiken oder potenzielle Risiken und weniger auf die bisher nachweislich erzielten Wirkungen.
Es gibt mittlerweile stichhaltige Beweise dafür, dass China in anderen Kontexten - vor allem in Hongkong und Taiwan – in jüngster Zeit von seinen Werkzeugen der politischen Kriegsführung und von Hard Power ausreichend Gebrauch gemacht hat. China hat bisher weder die Fähigkeit noch die klare Absicht gezeigt, in den Vereinigten Staaten das zu wagen, was es in Hongkong und Taiwan [3] unternommen hat.
Eine bisher defensive Agenda Pekings greift nun auf aggressivere und transformative Bestrebungen über: Beeinflussung der Politik der USA (und anderer pro-westlicher Staaten) in Bezug auf ein breiteres Spektrum internationaler Themen, die für China wichtig sind; ideelle Unterstützung für autoritäre Regime in Entwicklungsländern, die vom chinesischen Modell angezogen werden; und Aushöhlung einer auf Regeln basierenden internationalen Ordnung. [4]
Solche Bemühungen Pekings stellen zwar eine Herausforderung für die amerikanische Außenpolitik dar, bleiben aber hinter der gefährlichen Einmischung Moskaus in die amerikanische Demokratie zurück. - Das könnte aber auch Peking in Zukunft verstärkt versuchen.
Steigende operative Führungskapazitäten der chinesischen Streitkräfte bei Übersee-Missionen
Die jüngsten Militärreformen Chinas werden in erster Linie vom Ehrgeiz des chinesischen Präsidenten Xi Jinping angetrieben, die Volksbefreiungsarmee (PLA) umzugestalten, um ihre Fähigkeit zu verbessern, informationsbasierte Kriege zu gewinnen, und um sicherzustellen, dass sie der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gegenüber loyal bleibt. Die Reformen sind in ihrem Ehrgeiz und an Umfang und Reichweite der organisatorischen Veränderungen beispiellos. Praktisch jeder Teil der PLA untersteht jetzt anderen Kommandanten. Ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten wurden geändert. Untergeordnete Einheiten wurden aufgelöst oder hinzugefügt. Die Beziehungen zwischen den Abteilungen, Büros und Kommissionen der Zentralen Militärkommission (CMC), den Diensten und den Kommandostäben haben sich alle verändert. Die Reformen haben neue gemeinsame Führungs- und Kontrollmechanismen eingeführt und wirken sich signifikant darauf aus, wie die PLA Operationen innerhalb und außerhalb der Grenzen Chinas durchführt.
Die Entsendung und Unterstützung von Truppen über Chinas Landesgrenzen hinaus erfordert verschiedene Arten von Waffen und Truppen, neue Logistikfähigkeiten, die Unterstützung durch vernetzte Führungsinformationssysteme (C4ISR) über größere Entfernungen hinweg sowie eine angemessene Ausbildung und Doktrin zur Unterstützung von Missionen zur Machtprojektion. Die Bemühungen zum Aufbau dieser Fähigkeiten sind im Gange. Die Organisationsstruktur der PLA nach der Reform soll den Kommandostäben die Hauptverantwortung für Operationen übertragen und die Dienste auf den Streitkräfteaufbau konzentrieren. Es gibt jedoch eine Reihe von Lücken und von Bereichen mit sich überschneidenden Zuständigkeiten, die dieses Bild trüben und Fragen darüber aufwerfen, wie die PLA verschiedene Arten von Operationen planen und durchführen wird können.
Die Kommando- und Kontrollmechanismen sind nach der Reform vorerst funktionsfähig, werden sich jedoch nach Ansicht mancher Kritiker wahrscheinlich als unzulänglich erweisen, wenn die Auslandseinsätze der PLA größer werden; wenn dazu das Zusammenwirken der Teilstreitkräfte erforderlich wird; wenn die Missionen über längere Zeiträume andauern oder in einem nicht genehmigten Umfeld stattfinden, in dem die eingesetzten Streitkräfte erheblichen Bedrohungen ausgesetzt sind. [5]
Es stellt sich zudem die Frage, wie die PLA neue gemeinsame Kommando- und Kontrollvorkehrungen zur besseren Unterstützung von Expeditionsoperationen schaffen könnte. Einige dieser Optionen würden bedeutende zusätzliche Reformen der Kommando- und Kontrollstrukturen erfordern, insbesondere wenn die PLA die Durchführung gemeinsamer Kriegsführung auf hoher See vorsieht.
Unwägbarkeiten für den Westen
In den Vereinigten Staaten hingegen, wo der öffentliche Diskurs von angeblicher russischer Einmischung dominiert wurde, hat der chinesische Einfluss hauptsächlich dazu gedient, Konsens unter den Eliten in Amerika über den Charakter des strategischen Wettbewerbs zwischen den USA und China zu stärken.
In den letzten Jahren hat die kommunistische Führung in Peking ihre Einwirkungsstrategien auf den Westen deutlich erhöht. Dahinter steckt die langfristig angelegte Bestrebung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), im Rahmen der global ausgerichteten „Neuen Seidenstraßen“-Initiative ökonomisch-politisch insbesondere auch über ihre Präsenz in internationalen Organisationen verstärkt Fuß zu fassen, um die von den USA angeführte, westlich-liberale Werteordnung schrittweise zugunsten autoritärerer Strukturen nach chinesischen Vorstellungen auszuhebeln. Der Einfluss auf westliche Gesellschaften, die Politik, Wirtschaft, auf Hochschulen etc. geht damit Hand in Hand. Dahinter steht der Versuch Chinas, seine Position als Großmacht weltweit zu festigen. Insbesondere auch in sozialen Medien strebt Peking (aber auch Moskau) danach, die Meinung in westlichen Demokratien in ihrem jeweiligen Interesse zu steuern. Vor allem werden die Eliten in den westlichen Staaten ins Visier genommen, um dort die Sicht über Chinas Stellung in der Welt positiv ausfallen zu lassen. Ziel ist es, ein Narrativ unter westlichen Eliten aufzubauen, das den unvermeidbaren „Niedergang“ der Weltmacht Amerika zugunsten Chinas hervorstreicht.
In Australien haben solche chinesischen Propaganda-Strategien dazu geführt, dass die bisherige überparteiliche Politik des tiefen wirtschaftlichen Engagements und der strategischen Absicherung und Ausgewogenheit gegenüber China deutliche Risse erhalten hat. Bis heute basiert die Strategie Australiens zwar auf der Annahme, dass angesichts der relativen Macht und der geografischen Lage des Landes der effektivste Weg zum Schutz und zur Förderung seiner Interessen und seiner Sicherheit ein Bündnis mit den USA ist. Gleichzeitig ist und bleibt China ein wichtiger Wirtschaftspartner Australiens in der Region und damit eine signifikante Einflussgröße für Canberra. [6]
In den USA sind Demokraten und Republikaner in ihren sonst oft sehr unterschiedlichen Weltsichten angesichts steigender chinesischer Einflussoperationen im Lande näher zusammengerückt und bilden gewissermaßen eine Abwehrfront gegenüber solchen chinesischen Bestrebungen. Im US-Präsidentschaftswahlkampf dürfte dieses Thema weidlich von beiden politischen Parteien für ihre jeweiligen Interessen ausgeschlachtet werden.
Abgeschlossen: Anfang November 2020
Anmerkungen:
[1] Clive Hamilton / Mareike Ohlberg, Die lautlose Eroberung – Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet. DVA 2020, 495 Seiten.
[2] Toshi Yoshihara, „EVALUATING THE LOGIC AND METHODS OF CHINA’S UNITED FRONT WORK“. In: Orbis 2/2020, S. 230-248.
[3] Vgl: Chia-Chien Chang / Alan H. Yang, „WEAPONIZED INTERDEPENDENCE: CHINA’S ECONOMIC STATECRAFT AND SOCIAL PENETRATION AGAINST TAIWAN“. In: Orbis 2/2020, S. 312-333.
[4] Siehe dazu etwa: Jacques deLisle, „FOREIGN POLICY THROUGH OHTER MEANS: HARD POWER, SOFT POWER, AND CHINA’S TURN TO POLITICAL WARFARE TO INFLUENCE THE UNITED STATES”. In: Orbis 2/2020, S. 174-206.
[5] Dazu etwa: Phillip C. Saunders, “BEYOND BORDERS: PLA COMMAND AND CONTROL OF OVERSEAS OPERATIONS”. In: Strategic Forum 306/20, S. 1-12.
[6] Michael Clarke / Jennifer S. Hunt / Matthew Sussex, “SHAPING THE POST-LIBERAL ORDER FROM WITHIN: CHINA’S INFLUENCE AND INTERFERENCE OPERATIONS IN AUSTRALIA AND THE UNITED STATES”. In: Orbis 2/2020, S. 207-229.
Weiterführende LINKS:
Chinas KP: Die mächtigste Partei des Planeten | DiePresse.com
USA stellen Cyber-Strategie gegen China vor - FAZ.NET
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