INDIEN – PAKISTAN – AFGHANISTAN

Ein gefährliches Dreieck

Rivalitäten haben die Koexistenz von Ethnien und Staaten seit der Unabhängigkeit 1949 untergraben. Pakistan befindet sich in einem intensiven Einfluss- und Interessenswettbewerb mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan, steht aber auch in Interaktion mit dem Iran und vor allem mit China. Diese Krisenregion nuklear bewaffneter Mächte ist eine Quelle von Krisen. Jede Eskalation von Spannungen hat Konsequenzen, die über die Protagonisten in Südasien hinausgehen.

Jenseits des Nahen und Mittleren Ostens, dessen chronische Instabilität unsere Sicherheit bedroht, stellt ein weiterer Krisenbogen eine Gefahr für den Frieden dar: das Dreieck Indien-Pakistan-Afghanistan. Indien und Pakistan befinden sich seit dem Tag ihrer Unabhängigkeit in einem Konflikt. Während Indien mit Afghanistan durch immer engere Zusammenarbeit verbunden ist, sind die Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan von tiefem gegenseitigem Misstrauen geprägt.

Der indisch-pakistanische Konflikt war schon vor der Teilung 1948 virulent. Die Schaffung eines separaten Subkontinentalstaates für die Minderheit der Muslime von Britisch-Indien war nicht das Ziel der muslimischen Eliten. Die Muslimliga forderte eine gleichberechtigte politische Vertretung von Muslimen und Hindus in einem neuen Indien. Die Muslimliga stellte das Prinzip „ein Mann, eine Stimme“ der These von der „Gleichheit der Gemeinschaften“ entgegen. Die Muslime des Subkontinents hofften, ihren Platz in einem sehr großen dezentralisierten neuen Indien zu finden, dessen Territorium dem heutigen Indien, Pakistan und Bangladesch entsprochen hätte.

Als sie erkannten, dass das unabhängige neue Indien von Jawaharlal Nehru säkular sein würde, aber dass die Hindus es politisch dominieren würden, griffen sie auf ihren Plan B zurück und baten die Kolonialmacht, einen Staat nur für sie zu schaffen. Großbritannien und die USA wollten einen Verbündeten gegen die UdSSR in der Region, während man im Westen annahm, dass Indien unter Nehru mehr oder weniger in das sowjetische Lager fallen würde. Pakistan war denn auch einer der Gründerstaaten des Bagdad-Pakts von 1955 mit dem Vereinigten Königreich, dem Iran, dem Irak und der Türkei. „Historisch gesehen wurde Pakistan gegen Indien aufgebaut“, betonten internationale Beobachter. Während Pakistan seine Gesellschaft entlang islamisch-kulturellen staatsrechtlichen Richtlinien ausrichtete, entschied sich Indien für ein demokratisches Gemeinwesen unter hinduistischer Dominanz. Die Kriege beider Nachbarländer drehten sich dreimal um das bis heute höchst umstrittene Kaschmir-Gebiet (1947-1949; 1965; 1999) und einmal um Bangladesch (das ehemalige „Ostpakistan“), das 1971 mit Hilfe Indiens die Unabhängigkeit von Islamabad erwirkte.

Afghanistan ist ein weiterer Zankapfel im Interessenskonflikt zwischen den verfeindeten Nachbarn Pakistan und Indien. Afghanistan wird seit der Staatsgründung von allen pakistanischen Regierungen im Rahmen der Konfrontation mit Indien als „strategische Tiefe“ (kein Feind im Rücken) betrachtet. Pakistans Einflussnahme auf militante Gruppen wie die Taliban ist Teil dieses vom pakistanischen Militär postulierten Prinzips. Es dient als Rückversicherung im Falle einer militärischen Eskalation mit Indien.

Indien und Pakistan haben in den letzten Jahrzehnten beträchtliche Ressourcen für die Modernisierung ihrer Streitkräfte, sowohl der konventionellen als auch der nuklearen, aufgewendet. Zunehmende Spannungen mit Indien schüren die Angst vor einer Zerstückelung Pakistans unter den Eliten in Islamabad. Das Risiko eines Nuklearkonflikts ist ebenso eine Frage des Arsenals beider Seiten wie die einer Fehleinschätzung oder Fehlkalkulation. „Ohne eine Verbesserung der Lage in Pakistan wird es kaum gelingen, in Afghanistan stabile Verhältnisse zu erreichen. Und wenn Afghanistan wieder zu einer Basis des islamistischen Terrors würde, geriete die benachbarte Nuklearmacht Pakistan tief in den Strudel hinein“, schrieb Ulrich Stahnke 2011. [1] Dies scheinen „prophetische Worte“ für ein mögliches neuerliches Abgleiten Afghanistans in Terror und Bürgerkrieg zu sein, falls der zaghafte Friedensprozess zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban ein jähes Ende finden sollte.

Anhaltende Gewalt stärkt die Verhandlungsmacht der Taliban bei innerafghanischen Friedensgesprächen. Aber die Themen sind so komplex, dass sich diese Gespräche wahrscheinlich über Monate hinziehen werden. Und die Taliban haben ein persönliches Interesse daran, einen Waffenstillstand zu vereiteln, damit der Aufstand während dieser Verhandlungsphase nicht an Schwung verliert. Einige der Taliban-Kämpfer könnten sich der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) anschließen, wenn die Taliban-Führung unter Druck gerät, einige Kompromisse über das „islamische System“ einzugehen.

Wenn es in der Nachbarschaft einen unerschütterlich zuverlässigen Freund Indiens gab, dann ist es Afghanistan. Doch das jüngste überraschende Angebot des afghanischen Politikers und ehemaligen Mudschaheddin-Führers Gulbuddin Hekmatyar, mit den afghanischen Taliban eine Partnerschaft einzugehen, würde den Einfluss Chinas und Pakistans in Kabul nur stärken, meinen Experten. Pakistan wird sich nach Kräften dafür einsetzen, dass Indien gezwungen wird, seine Präsenz in Afghanistan unter einem Taliban-lastigen Regime zurückzufahren - und China wäre mehr als bereit, dieses Unterfangen zu unterstützen.

Indiens Hauptsorge gilt den komplizierten Gegebenheiten in Afghanistan, die Pakistan bei seinen Versuchen, die Taliban in die Machtkorridore in Kabul zurückzubringen, zu begünstigen scheinen.

Falls die amerikanischen Truppen aus Afghanistan abziehen, könnten immer mehr afghanische politische Eliten in die Fußstapfen Hekmatyars treten. Schließlich sind es nicht militärische Gewalt, sondern Überläufer, die beim Regimewechsel in Afghanistan die wichtigste Rolle gespielt haben. Während sich das afghanische Volk auf eine positive Veränderung in seinem Leben vorbereitet, hat Pakistan möglicherweise die „dschihadistische DNA Hekmatyars“ reaktiviert, meinen kritische Beobachter. Indien sollte diese Entwicklungen genau beobachten.

Die neue US-Administration von Präsident Joe Biden begann mit Amtsantritt im Jänner 2021 die laufenden Friedensverhandlungen und damit den Friedensprozess mit den Taliban in Afghanistan kritisch zu durchleuchten. Die Taliban reagierten mit der unverhohlenen Warnung, dass sie bei einer Nicht-Fortsetzung des Friedensprozesses durch die USA mit einem „großen Krieg“ gegen die US-Truppen und die verbündeten Einheiten der afghanischen Zentralregierung antworten würden.

Auf jeden Fall wird dieser Krisenbogen nicht verschwinden. Südasien braucht die volle Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft mehr denn je.

 Abgeschlossen: Anfang März 2021


Anmerkungen:

[1] Ulrich Stahnke, „Der Kaschmirkonflikt zwischen Pakistan und Indien - auch ein Hindernis für die Befriedung Afghanistans“. In: ÖMZ 4/2011, S. 1-9.