WESTLICHE GEGENSTRATEGIEN IM ASIATISCH-PAZIFISCHEN RAUM

Die immer weiter ausgreifenden Machtprojektionen Chinas im globalen Maßstab veranlassen die USA und ihre Verbündeten zu möglichst umfassenden und effizienten Gegenstrategien, insbesondere im asiatisch-pazifischen Raum. Handlungsrichtlinien westlicher Eindämmungsstrategien gegenüber der damaligen Sowjetunion im Ost-West-Konflikt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges können heute gewissermaßen als Blaupause herhalten, um sich den aktuellen Bedrohungen und Herausforderungen entschieden entgegenstellen zu können.

In der modernen Welt globalisierter Volkswirtschaften und vernetzter Gesellschaften geht es in Politik und Geostrategie nicht mehr um rein klassische militärische Konflikte zwischen Großmächten. Dies galt insbesondere zwischen 1947 und 1989 während des Kalten Krieges, als die USA mit der damaligen Sowjetunion auf den Meeren einen Stellungskrieg ausfochten. Die Lektionen, die im Laufe dieser 44-jährigen „Schachpartie“ gelernt wurden - manchmal mit Raketen in regionalen Stellvertreterkonflikten, aber häufiger durch militärische Manöver und die Positionierung militärischer Machtmittel - können heute gut angewandt werden, da sich die USA zunehmend mit dem zur Großmacht erstarkten China in einem globalen Ringen um Vorherrschaft befinden.


In einer
 Ansprache vor dem US-Kongress 1947 verkündete Präsident Harry S. Truman die Entschlossenheit der USA, die Ausbreitung des Kommunismus in Kontinentaleuropa (die als Truman-Doktrin bekannt wurde) zu verhindern. Zu diesem Zweck wurde im April 1948 die Sechste Flotte, die ständige Präsenz der US-Navy in Europa, geschaffen. Im Jahr 1952 waren an „Mainbrace“, der ersten großen NATO-Marineübung im Nordatlantik, mehr als 100 Kriegsschiffe von neun Verbündeten beteiligt. Die Botschaft an die UdSSR war klar: Die NATO würde in der Lage sein, den Nordatlantik vor einem Eindringen sowjetischer Kräfte mit allen Mitteln zu verteidigen. Es folgte das NATO-Marinemanöver „Longstep“ im Jahr 1952, bei dem 170 Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer involviert waren. 1958 ließ US-Präsident Dwight D. Eisenhower zur Stabilisierung des Landes Marinesoldaten im Libanon anlanden. In den 1960er-Jahren herrschte unter westlichen Politikern und Militärs Konsens darüber: Der Warschauer Pakt - eine gemeinsame Verteidigungsorganisation, die sich aus der Sowjetunion, Albanien, Bulgarien, der Tschechoslowakei, Ostdeutschland, Ungarn, Polen und Rumänien zusammensetzte - verfügte über eine überlegene Landstreitmacht, während die NATO auf See weiterhin dominierend bleiben würde. Um die Landüberlegenheit des Warschauer Paktes zu bekämpfen, verlagerte die NATO-Doktrin den Schwerpunkt auf nukleare Vergeltungsmaßnahmen, um jede Invasion unter sowjetischer Führung zu verzögern bzw. aufzuhalten. [1]

Ein Vergleich zwischen der sowjetischen Flotte und der chinesischen Marine zeigt viele taktische und kompositorische Ähnlichkeiten. Sowohl die sowjetische Marine des Kalten Krieges als auch die chinesische Flotte von heute forcierten und forcieren Seeverweigerungsstrategien, die sich auf die Bekämpfung feindlicher Flugzeugträger-Gruppen und die Unterbrechung der Nachschubbemühungen konzentrieren.

Um die Machtprojektionen Chinas im asiatisch-pazifischen Raum effizient einzudämmen, braucht es eine gemeinsame Abschreckungsdoktrin unter Führung der USA mitsamt ihren pro-westlichen Anrainerländern und Partnern. Dazu gehört eine effektive militärisch-diplomatische Vorwärtsverteidigung samt vorgelagerten Stützpunkten.


Rim of the Pacific (RimPac) ist ein zweijährlich abgehaltenes multinationales Militärmanöver jeweils im Juni oder Juli um Honolulu/Hawaii. Die Übung wird durchgeführt und geplant von der US-Pacific Fleet, einem Teil der US-Navy. Neben den Anrainerstaaten des Pazifiks, dem US-Marine Corps, der US-Coast Guard, der US-National Guard ist außerdem noch die Royal Navy eingeladen, daran teilzunehmen.

Während RimPac 2018 war der Kommandant der chilenischen Marinestreitkräfte, Pablo Niemann, Kommandeur der maritimen Komponente. Zudem waren die chilenische Fregatte „Almirante Lynch“, ein Verband des chilenischen Marine Corps und eine Gruppe von Offizieren, die der Kommando- und Kontrollorganisation der Übung angehörten, mit dabei. Chile und andere Marineverbände im Pazifik nehmen an anderen Übungen wie UNITAS, Kakadu, Malabar und Teamwork South teil, aber RimPac ist einzigartig in seiner Komplexität, der Anzahl der teilnehmenden Länder und seiner fast 40-jährigen Geschichte, was es zum wichtigsten Marinemanöver der Region macht. Darüber hinaus bietet RimPac den teilnehmenden Marineeinheiten die einzigartige Möglichkeit, als multinationale Seestreitmacht zu trainieren und zu operieren, um eine stabile Pazifikregion mit sicheren und offenen Seewegen zu gewährleisten.

Was RimPac 2018 betraf, so hatte die US-Navy die chinesische Marine wegen der Ereignisse im Südchinesischen Meer ausgeladen. Der steigende ökonomisch-politische Einfluss Chinas ist auch am südamerikanischen Kontinent zu spüren. Länder wie Chile, Peru oder Kolumbien exportieren Rohstoffe nach China und in andere asiatische Staaten. [2]

Was würde passieren, wenn die Straße von Malakka oder andere relevante maritime Engstellen wegen erhöhter Spannungen zwischen den beiden Großmächten USA und China geschlossen würden?

Regionale nationale Marineverbände haben zwar enge Bindungen an die USA, aber in vielen Fällen zahlt China hohe Summen an die betreffenden Länder - und wer zahlt, schafft an. [3]

Um diese kritischen Meerengen für den internationalen Seeverkehr offen zu halten, braucht es die Kooperation der pro-westlichen Anrainerstaaten und ihrer Flottenverbände, um mögliche maritime Blockaden im Großraum durch China zu verhindern bzw. zu beenden.

RimPac könnte ein Lehrbeispiel dafür sein, wie die Logistik, die Ausbildung und die Koordination zur Aufstellung einer westlich-orientierten, multinationalen Seestreitkraft lanciert werden können. Neben der gemeinsamen Patrouille der Straße von Malakka und Singapur könnte eine neue südpazifische Allianz für Seepatrouillen entstehen, um weitere chinesische Machtprojektionen im Großraum möglichst einzudämmen.

Globale Konkurrenten wie China oder auch das wiedererstarkte Russland stellen die bisherige US-Dominanz aktiv und aggressiv in Frage. Die Reichweite, der Umfang und die Ausgereiftheit der gegnerischen Antizugangs- und Gebietsverweigerungswaffen machen große maritime Formationen und stationäre Einrichtungen zu äußerst verwundbaren und anfälligen Zielen. Infolgedessen verfolgt unter anderem die US-Navy nun Konzepte einer aufgeteilten Feuerkraft durch eine integrierte maritime Verteidigung. Die neue Rolle des US-Marine Corps bei der Unterstützung des Marinekommandanten in diesem sich entwickelnden und gefährlichen Bedrohungsumfeld wird im Konzept der Expeditionary Advance Base Operations (EABO) und der Abschreckung durch eine Verweigerungsstrategie der Kampfeinheiten an vorderster Front und der Stand-by-Kräfte verankert. Das US-Marine Corps spielt künftig eine wesentlich bedeutendere Rolle bei der Unterstützung der maritimen Einsätze. [4]


Die USA bezeichnen Pekings Ansprüche im Südchinesischen Meer erstmals als illegal. Der damalige US-Außenminister Mike Pompeo meinte Mitte Juli 2020 dazu: „Die Ansprüche Pekings auf Offshore-Ressourcen im Südchinesischen Meer seien größtenteils unrechtmäßig – ebenso wie die Einschüchterungskampagne, um diese Ressourcen unter seine Kontrolle zu bringen.“  

Zudem nahmen die gegenseitigen Spannungen und Vorwürfe in Bezug auf die Hongkong-Politik Chinas zu.

Auch die neue US-Administraton von Präsident Joe Biden verfolgt einen harten außenpolitischen Kurs gegen China. Peking versucht zu kalmieren und fordert Washington dazu auf, vielmehr auf ein „kooperatives Miteinander“ hinzuarbeiten, anstatt das „Gegeneinander“ in den Vordergrund zu stellen, das niemandem nütze.


Global Maritime Coalition 2.0  Die Weltmacht USA kann angesichts dieser doppelten Herausforderung nicht alleine die Gesamtlast aller Kapazitäten stemmen, um ein effizientes und glaubwürdiges Abschreckungsdispositiv zu errichten. Dazu braucht es die intensive Zusammenarbeit pro-westlicher Staaten, Partner und Verbündeter überall auf der Erde. Ziel ist die Errichtung einer globalen maritimen Koalition 2.0 (Global Maritime Coalition 2.0) unter Führung Amerikas. Dafür sind voll integrierte interoperable maritime Kräfte westlicher Partnerländer notwendig. Neben den Kampfformationen müsse auch die umfassende Versorgung (von logistischer Unterstützung bis hin zu geheimdienstlicher Aufklärung) der gemeinsamen maritimen Streitmacht sichergestellt werden.

Potenzielle beteiligte Alliierte in einer solchen globalen maritimen Koalition 2.0 sind im Kern vor allem Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Spanien, Kanada, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland. Die Flottenverbände dieser Staaten müssen am oberen Ende des Spektrums moderner Kriegsführung agieren und vor allem mit den US-Flugzeugträgergruppen und den Expeditionseinsatzkräften Amerikas operieren. Sie spielen eine aktive Rolle bei vielen militärischen Missionen zur Bekämpfung des Feindes. „Volle Interoperabilität“ ist letztlich das Schlüsselwort für eine schlagkräftige, global ausgerichtete, gemeinsame maritime westliche Koalition, um den veränderten geopolitischen Herausforderungen im angebrochenen 21. Jahrhundert gewachsen zu sein.

Auch in der Ära des neuen US-Präsidenten Joe Biden dürfte sich an den zentralen Eckpfeilern dieser Strategie wohl kaum etwas ändern.

 

Abgeschlossen: Anfang März 2021



Anmerkungen:

[1] Siehe dazu etwa: Jason Dudell, „FROZEN DRAGON - Applying the Lessons of the Cold War to the China Seas“. In: Naval Institute Proceedings 3/2020, S. 50-55.

[2] Clive Hamiltion / Mareike Ohlberg, Die lautlose Eroberung – Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet. DVA 2020, 495 Seiten.
Vgl. Sarwar A. Kashmeri, China's Grand Strategy: Weaving a New Silk Road to Global Primacy. Praeger 2019, 171 Seiten.

[3] Richard Kouyoumdjian Inglis, „REGIONAL NAVIES MUST TAKE RESPONSIBILITY FOR PACIFIC SECURITY“. In: Naval Institute Proceedings 3/2020, S. 56-59.

[4] Marc Riccio / William Grimball, „COMMAND AND CONTROL CONSIDERATIONS FOR EABO“. In: Marine Corps Gazette 4/2020, S. 60-64.