INDIEN-PAKISTAN
Update Anfang Mai 2020
Die Kaschmir-Region im Grenzgebiet zwischen Indien und Pakistan kommt nicht zur Ruhe. Die indische Regierung erklärte Mitte Juli 2019, weitere 10.000 Soldaten für Einsätze gegen islamistische Aufständische in den von ihr kontrollierten Teil der Unruheregion Kaschmir zu entsenden, die eine Abspaltung vom mehrheitlich hinduistisch geprägten Indien anstreben.
Zuvor hatte der Chef des Terrornetzwerkes Al-Kaida, Aiman az-Zawahiri, militante Islamisten im indischen Teil von Kaschmir zu Anschlägen aufgerufen. Indien hat in dieser Region nach inoffiziellen Schätzungen bereits zwischen 300.000 und 500.000 Sicherheitskräfte – darunter Polizisten, Soldaten und Paramilitärs – abkommandiert, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Während Neu Delhi vor allem den pakistanischem Militärapparat und hier speziell den nationalen Geheimdiensten vorwirft, islamistisch-extremistische Untergrundgruppen als „Speerspitze“ gegen das Nachbarland Indien in der Kaschmir-Region für ihre Ziele zu instrumentalisieren, weist dies Islamabad stets brüsk von sich.
Unklare Winkelzüge Trumps gegenüber Pakistan und Indien
Beim Staatsbesuch des pakistanischen Premierministers Imran Khan am 22. Juli 2019 im Weißen Haus in Washington suchte der Gastgeber US-Präsident Donald Trump – entgegen der bisher geltenden offiziellen militärpolitischen Richtlinie Amerikas – eine verstärkte Annäherung mit Pakistan, um insbesondere den US-Militäreinsatz gegen die Taliban im Nachbarland Afghanistan bald beenden zu können. Hier sollte Islamabad einmal mehr eine zentrale Rolle spielen, um die islamistischen Aufständischen von weiteren Angriffen und Anschlägen in Afghanistan möglichst zurückzuhalten.
Noch vor einem Jahr kanzelte Trump die pakistanischen Entscheidungsträger als nicht wirklich vertrauenswürdig ab und setzte die milliardenschwere Sicherheitskooperation der USA mit Pakistan aus. Nunmehr war Islamabad offensichtlich wieder ein willkommener Partner, um die Taliban an den Verhandlungstisch zu bringen.
Als Zeichen des guten Willens verkündete der pakistanische Staat dafür wieder einmal die Verhaftung von Hafiz Saeed, dem Chef der Terrororganisation Laschkar-e Taiba. Obwohl Saeed in Pakistan seit Jahren immer wieder im Gefängnis gesessen hat und dann wieder freigelassen wurde, bezeichnete der US-Präsident diese Entscheidung Islamabads als „Ergebnis einer schon lange währenden Operation“.
Das derzeitige militärische Engagement mit ca. 14.000 Soldaten würde den USA dabei den nötigen zeitlichen Freiraum schaffen, um mit den Taliban durch eine Strategie des „Zuckerbrots und der Peitsche“ dann letztendlich doch einen tragfähigen Friedensprozess am Hindukusch zu ermöglichen, betonte jüngst unter anderem der frühere US-Sicherheitsberater Herbert McMaster.*
Für Trump geht es darum, die US-Truppen so rasch wie möglich aus dem afghanischen Konfliktraum abzuziehen. „Die USA sollten nicht die Rolle der Polizei am Hindukusch spielen“, so Trump.
Für Islamabad waren die Worte Trumps Balsam auf die zuvor mehr als irritierten amerikanisch-pakistanischen Beziehungen. Für Pakistan ist eine deutlich vertiefte Vermittlerrolle Amerikas höchst willkommen. Indien hingegen vertritt die Ansicht, dass es in diesem Fall hauptsächlich nur Platz für zwei Akteure (Indien und Pakistan) gebe.
Als Trump nach dem Treffen mit Imran Khan dann vor der Presse kundtat, dass der indische Premierminister Narendra Modi ihm während ihres bilateralen Treffens am G-20-Gipfel Ende Juni 2019 in Osaka den gleichen Vorschlag gemacht habe, was so offensichtlich nicht stimmte, fühlte sich Neu Delhi vor den Kopf gestoßen und reagierte empört. Ein klares Dementi des indischen Außenministeriums erfolgte prompt.
Auch das Weiße Haus verkündete danach eine Erklärung, in der es die Äußerungen Trumps relativierte. Von einer indischen Bitte um Vermittlung war nicht mehr die Rede. Es hieß nur noch, der Präsident habe die Bereitschaft der USA zur Hilfeleistung betont, falls Indien und Pakistan eine solche wünschen würden.
Dazu kommt eine „America first“-Politik Trumps, die der bisherigen Vorzugsbehandlung von Importen aus Indien ein Ende setzen möchte. Diese Ankündigung Trumps vom März 2019 steht im Widerspruch zum langfristig angelegten strategischen Ziel, Indien als Verbündeten Amerikas gegenüber Chinas wachsenden Machtansprüchen im Großraum zu gewinnen.
Indien hebt Sonderstatus von Kaschmir auf
Die indische Regierung kündigte am 5. August 2019 an, den Sonderstatus für den indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir aus der indischen Verfassung zu streichen. Die Bestimmung garantierte bislang der mehrheitlich muslimisch bewohnten Region Autonomierechte. Dazu gehörte eine eigene Flagge und weitgehende Kompetenzen mit Ausnahme der Außen- und Verteidigungspolitik.
Islamabad reagierte auf den indischen Schritt mit Empörung. Das pakistanische Außenministerium erklärte, es sei international anerkannt, dass der indische Teil (Jammu und Kaschmir) als umstrittenes Gebiet betrachtet werde. Keine einseitige Maßnahme der indischen Regierung könne das ändern oder für die Menschen in dem Gebiet und Pakistan akzeptabel sein. „Pakistan wird als Partei dieses internationalen Streits alle möglichen Optionen ausüben, um den illegalen Schritten entgegenzuwirken.“
Pakistans Ministerpräsident Imran Khan warnte vor „unvorstellbaren“ Konsequenzen. Khan rief die internationale Gemeinschaft zum Eingreifen auf, sollte sie eine Katastrophe verhindern wollen. Islamabad werde dieses Thema in allen globalen Foren ansprechen, darunter im UNO-Sicherheitsrat. Man wolle zudem prüfen, vor den Internationalen Gerichtshof zu gehen.
Wenige Stunden zuvor hatten die indischen Behörden Ausgangssperren in Kaschmirs Hauptstadt Srinagar und in umliegenden Gebieten verhängt. Internetdienste wurden blockiert, das Handynetz und das Festnetz abgeschaltet.
Neben Indien beansprucht auch das verfeindete Nachbarland Pakistan die mehrheitlich muslimische Region im Himalaya. Die beiden Staaten befinden sich seit der Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947 im Dauerkonflikt, immer wieder geht es dabei auch um Kaschmir.[1]
Pakistan reagierte postwendend und verwies den indischen Botschafter des Landes. Nach der Aberkennung der Autonomierechte sind Hunderte Lokalpolitiker und Separatistenführer von den indischen Behörden festgesetzt worden. Pakistan warf Neu Delhi vor, eine religiös motivierte Mehrheitspolitik zu verfolgen.
Nachdem die indischen Behörden Proteste der muslimischen Bevölkerung im indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir am 16. August 2019 mit Gewalt niederschlugen, lieferten sich an der Grenzlinie zwischen dem indischen und dem pakistanischen Teil Kaschmirs die dort stationierten Streitkräfte beider Länder ein heftiges Feuergefecht.
Pakistan und Indien unterzeichnen Abkommen für Grenzkorridor
Inmitten der Spannungen um die umstrittene Region Kaschmir unterzeichneten Pakistan und Indien überraschend im Oktober 2019 ein Abkommen für einen Grenzkorridor. Der Grenzkorridor soll indischen Anhängern der Sikh-Religion den Besuch eines ihrer heiligsten Schreine im wenige Kilometer von der indisch-pakistanischen Grenze entfernten pakistanischen Kartapur Sahib erleichtern. Der Grenzkorridor, auch als „Friedenskorridor“ bezeichnet, soll helfen, die zerrütteten Beziehungen zwischen den Erzfeinden zu verbessern, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.
Der indische Teil Kaschmirs wird neu verwaltungstechnisch aufgeteilt
Die indische Region Kaschmir wurde am 31. Oktober 2019 formell in zwei Verwaltungsgebiete aufgeteilt, die direkt der Zentralregierung in Delhi unterstehen. Indiens Regierung unter Premierminister Narendra Modi setzte damit eine Ankündigung von Anfang August um. Der bisherige Gliedstaat Jammu und Kaschmir wurde unterteilt in den östlichen Teil Ladakh an der Grenze zu China und den westlichen Teil Jammu und Kaschmir an der Grenze zu Pakistan. Mit dem Schritt will die hindu-nationalistische Regierung in Delhi ihren Einfluss auf den indischen Teil des Kaschmir-Gebiets vertiefen.
Wasser auf die Mühlen der angespannten indisch-pakistanischen Beziehungen - Indisches Gericht spricht heiligen Ort in Ayodhya Hindus zu
Der Konflikt zwischen Hindus und Muslimen um ein heiliges Areal im nordindischen Ayodhya hatte 1992 zu Ausschreitungen mit mehr als 2.000 Toten geführt. Erst am 9. November 2019 urteilte ein indisches Gericht, dass Hindus auf einem Areal, wo sie eine Moschee zerstört hatten, einen Tempel für sich errichten dürfen.
Den Muslimen wurde ein anderes Stück Land in Ayodhya zugeteilt, wo sie eine neue Moschee bauen dürfen. Das neue Bauland ist etwa doppelt so groß. Der Streit darum, wem der Ort gehört, spaltet Indien seit Jahrzehnten. 80 Prozent der 1,3 Milliarden Einwohner sind Hindus. Muslime machen etwa 14 Prozent aus.
Der Tempelbau war seit längerer Zeit ein Wahlversprechen von Modis hindu-nationalistischer Bharatiya Janata Party (BJP).
Demokratie Indiens in Gefahr?
Dennoch sei für viele Kritiker Modis und seiner BJP der demokratische Rechtsstaat in Indien durch die mehr oder weniger „rücksichtslose“ Politik der gesellschaftlichen „Hinduisierung“ auf Kosten von großen wie kleineren Minderheiten in Gefahr. Auch wenn der indische Vielvölkerstaat seit der Unabhängigkeit von Großbritannien nie wirklich als „säkular“ bezeichnet werden konnte, sondern mehr oder weniger im Sinne hinduistischer Wertvorstellungen und Normen regiert wurde, so blieb die „demokratische Fassade“ zumindest vordergründig gewahrt. Indien funktionierte in Wahrheit immer als ein moderat geführter „Hindu-Staat der obersten Kasten“. Wenn nun in einer Welle des verstärkten Hindu-Nationalismus diese Fassade immer mehr heruntergerissen wird, dann würde Indien in seiner „bruchstückhaften Geschlossenheit“ untergehen, so die Kritik.
Modi hingegen weist diese mehr oder weniger berechtigten Vorhaltungen gegen seine Politik als Hirngespinste von sich und erwartet vielmehr einen „epochalen Aufstieg“ Indiens als regionale Vormacht.
Coronavirus-Pandemie als gefährlicher „Brandbeschleuniger“ ethnisch-religiöser Spannungen?
Vor dem Hintergrund der nun auch die beiden verfeindeten Nachbarländer in Mitleidenschaft ziehenden Covid-19-Pandemie scheinen die ethnisch-religiösen Spannungen nicht nur zwischenstaatlich, sondern vor allem den politisch-gesellschaftlichen Zusammenhalt der Indischen Union zu erschüttern. So hatte ein internationales Treffen einer muslimischen Gemeinschaft Anfang März 2020 die Verbreitung des Virus in Indien markant beschleunigt. Rund 1.800 Mitglieder der Missionsbewegung Tablighi Jamaat wurden deshalb von den staatlichen Behörden Ende März unter Quarantäne gestellt.
Radikale hinduistische Gruppen nahmen dies zum Anlass, um gegen die 200 Millionen indischen Muslime zu hetzen. Sie wurden in einem Rundumschlag für alles verantwortlich gemacht, was im Land schiefläuft. Auf Twitter verbreiteten sich Hashtags wie #CoronaJihad oder #MuslimVirus. Auch Politiker der Hindu-nationalistischen Regierungspartei BJP stimmten in den Kanon ein. Ein führender Vertreter twitterte über einen „islamischen Aufstand“, der in Indien stattfinde. Ein Parlamentsabgeordneter forderte, die Tablighi Jamaat wegen Aufruhrs strafrechtlich zu verfolgen.
Das zeigt, wie stark sich in der Corona-Krise die üblichen Konfliktlinien Indiens widerspiegeln. Erst einige Wochen zuvor hatte Delhi die schwersten religiös motivierten Ausschreitungen seit Jahrzehnten erlebt. Über 50 Personen wurden getötet, die meisten von ihnen waren Muslime. Dabei gingen Zehntausende indische Bürer auf die Straßen, um gegen ein neues Bürgerrechtsgesetz zu demonstrieren, das Muslime offensichtlich benachteiligt.
An der pakistanisch-indischen Grenze kam es auch inmitten der Corona-Krise zu blutigen Scharmützeln zwischen Truppen beider Seiten.[2]
Abgeschlossen: Anfang Mai 2020
Anmerkungen:
[1] Arundhati Roy, „DAS ENDE DES INDISCHEN TRAUMS - Kaschmir und die Hunde des Krieges“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2020,
S. 47-58.
[2] Pakistani soldier killed in India’s retaliatory fire along LoC in Jammu and Kashmir’s Poonch. In: Hindustan Times-Online v. 1.5.2020.
INDIEN-PAKISTAN
Jüngste Spannungen
Seit der staatlichen Unabhängigkeit von britischer Kolonialherrschaft im Jahr 1947 haben Indien und Pakistan vier Kriege geführt (1947/48, 1965, 1971 und 1999). Speziell um das mehrheitlich muslimische Kaschmir-Gebiet entflammten militärische Konflikte (1947/48, 1965 und 1999). In jüngerer Vergangenheit standen Indien und Pakistan 1987, 1990 und 2001/2002 am Rande eines neuerlichen Waffenganges. Die umstrittenen Grenzen gerade in der Kaschmir-Region zwischen Pakistan, Indien und China gehören zu den konfliktanfälligsten der Welt, weil tiefe Emotionen sich mit handfesten Interessen mischen. Geplante Staudammprojekte und die negativen Folgen des Klimawandels heizen diese Spannungen zusätzlich an.[1]
Seit der blutigen Teilung Indiens und Pakistans 1947 ist die Zugehörigkeit des mehrheitlich von Muslimen dominierten Kaschmir umstritten. Beide Länder erheben Anspruch auf die gesamte Region, die vor der Unabhängigkeit von Großbritannien vom Maharadscha von Kaschmir regiert worden war.
Nach den schweren Terroranschlägen in Mumbai 2008, für die islamistische Extremisten aus Pakistan verantwortlich waren, hat sich die Beziehung zwischen den Nachbarn deutlich abgekühlt. Erst 2012 haben Indien und Pakistan wieder Gespräche aufgenommen. So wurde etwa das strikte Visa-Regime gelockert und der bilaterale Handel erleichtert.
Neue Gewalt im indisch-pakistanischen Grenzgebiet
Die Gewaltspirale im Grenzgebiet des geteilten Kaschmir-Gebietes begann sich 2019 zwischen den Atommächten Indien und Pakistan wieder verstärkt zu drehen. In der Region waren am 14. Februar 2019 bei einem Selbstmordanschlag der islamistischen Terrorgruppe Jaish-e-Mohammed (JeM) 41 indische Sicherheitskräfte getötet worden. Es war der schwerste Anschlag auf Regierungstruppen im indischen Teil der Kaschmir-Region seit drei Jahrzehnten. Die im Nachbarland Pakistan ansässige Islamistengruppe beanspruchte die Tat für sich. Die indische Armee startete nach dem Anschlag eine umfangreiche Vergeltungsaktion und bombardierte schließlich den mutmaßliche Terroristen-Stützpunkt. Dabei sei „eine grosse Zahl“ an Extremisten getötet worden, so ein indischerRegierungssprecher. Die indische Regierung sprach von einer „unumgänglichen Präventivaktion“. Die islamistischen Extremisten seien kurz davor gestanden, neue Angriffe auf indische Ziele zu verüben, hieß es. Die pakistanische Regierung verurteilte hingegen die Verletzung des pakistanischen Luftraums als „provokativen Akt“.
Indien hat in der unruhigen Kaschmir-Region ca. 500.000 Soldaten stationiert. Der indische Premierminister Narendra Modi hatte nach dem Selbstmordanschlag der Islamisten im indischen Kaschmir gedroht, dass der pakistanische Staat einen hohen Preis dafür zahlen werde.
Danach eskalierte die Lage: Am 27. Februar scchossen pakistanischen Streitkräfte nach eigenen Angaben zwei neuerlich in den pakistanischen Luftraum eingedrungene indische Militärmaschinen ab; auch ein pakistanisches Kampfflugzeug wurde im Luftkampf mit den Indern zerstört, so die indische Regierung.
Unabhängige Experten zweifelten aber die Existenz solcher Lager in unmittelbarer Nähe der pakistanisch-indischen Grenze an.
Islamabad bestritt parallel dazu jede Mitverantwortung am Terrorangriff von Mitte Februar, den ein junger Kaschmirer mit indischem Pass auf indische Soldaten verübt hatte. Allerdings bekannte sich der Attentäter zur JeM, die in Pakistan verboten ist. Die pakistanische Regierung von Premierminister Imran Khan scheint trotz aller gegenteiligen Beteuerungen dennoch diese islamistische Gruppierung auf ihrem Gebiet zu dulden.
China und die USA drängten beide Staaten zur Mäßigung. US-Außenminister Mike Pompeo rief in einer veröffentlichten Stellungnahme Indien und Pakistan dazu auf, auf weitere Militäreinsätze zu verzichten.
Pakistanische Terrororganisation Laschkar-e Taiba als „verlängerter Arm“ des pakistanischen Geheimdienstes?
Im November 2008 führte die pakistanische Terrororganisation Laschkar-e Taiba einen groß angelegten Angriff auf die indische Millionenstadt Mumbai durch, bei dem nach fast viertägigen Gefechten mit den indischen Sicherheitsbehörden am Ende über 160 Menschen ums Leben kamen. Damals hatten viele Experten vorausgesagt, dass sich die pakistanische Untergrundgruppe der Liga global agierender dschihadistischer Milizen angeschlossen hätte und ihre Operationen und Ziele dementsprechend koordinieren würde. Doch es stellte sich nach und nach heraus, dass die Terroranschläge von Mumbai ein Produkt der offenbar engen Beziehungen von Laschkar-e Taiba und dem pakistanischen Militär waren. Die Absenz einer weiteren Terrorattacke dieses Ausmaßes auf indischem Territorium sei keine wirkliche Abkehr von der bisherigen Strategie. Vielmehr reflektiert das Fehlen neuer großer Anschläge dieser Gruppe in Indien nach 2008 die neue Prioritätensetzung vor allem der pakistanischen Streitkräfte und des Geheimdienstapparates, weiteren internationalen Druck auf Pakistan und erhöhte Spannungen mit dem Nachbarland Indien tunlichst zu vermeiden. Schließlich solle damit offensichtlich einer breit angelegten militärischen Eskalation mit Indien aus dem Weg gegangen werden.
Seit 9/11 versuchten die USA vergeblich, die politischen und militärischen Entscheidungsträger in Islamabad davon zu überzeugen, dass seine verbündeten Terrorgruppen im Kaschmirgebiet zu einer großen Belastung geworden seien. Aus Sicht Washingtons sei die Untergrundgruppe ihrem „Meister“ entwachsen und würde zunehmend auch die innere Sicherheit Pakistans gefährden. Einige andere militante Dschihadistenmilizen hatten sich bereits gegen staatliche Institutionen in Pakistan gewandt und gingen gewaltsam gegen religiöse Minderheiten im Lande vor. All das trägt zu weiterer Instabilität Pakistans bei.
Doch Laschkar-e Taiba ist in solchen Aktivitäten gegen den pakistanischen Staat auffallend nicht involviert. Die Organisation hat offenbar einen ganz anderen Wert für das pakistanische Militär. Seit 2008 ist Laschkar-e Taiba eine mehr oder weniger klar erkennbare „Verlängerung“ des pakistanischen Sicherheitsapparates geworden.[2] Die Untergrundgruppe ist bemüht, die außenpolitischen Interessen des pakistanischen Militärs in Kaschmir und Afghanistan umzusetzen. Zudem sucht Laschkar-e Taiba nach Wegen, die Interessen des Militärs im Inland zu schützen. Weiters ist die Terrorgruppe bemüht, sich sozial zu engagieren und tritt nun auch als politische Partei in Pakistan auf. Die Loyalität von Laschkar-e Taiba zum pakistanischen Militärapparat hat den pakistanischen Staat vor einer größeren Krise mit Indien bewahrt. Andererseits könnte gerade diese Nähe zu den pakistanischen Sicherheitskräften der Auslöser für einen großen Krieg zwischen den zwei benachbarten Atommächten in den nächsten zehn Jahren sein. Dabei handle es sich um eine „tickende Zeitbombe“.
Abgeschlossen: Anfang Mai 2019
Anmerkungen:
[1] Siehe: Claus Kleber, Cleo Paskal, Spielball Erde – Machtkämpfe im Klimawandel, C. Bertelsmann Verlag München 2012, S. 182ff.
[2] Tricia Bacon, „The Evolution of Pakistan’s Lashkar-e-Tayyiba Terrorist Group“. In: Orbis 1/2019, S. 27-43.