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WASSER ALS KONFLIKTMOTOR


Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Umwelt, die Entwicklung und die öffentliche Gesundheit sind inzwischen weithin bekannt und publik gemacht. Die möglichen Folgen für Sicherheit und Frieden, die indirekt mit den durch diese globalen Phänomene hervorgerufenen Umwälzungen verbunden sind, die in der Geschichte der Menschheit beispiellose Ausmaße angenommen haben, werden weniger häufig erwähnt. Und doch trägt die globale Erwärmung den Keim von Sicherheitsproblemen in sich, auf die man vorbereitet sein müsse. Wir wissen in der Tat, dass die Knappheit lebenswichtiger Ressourcen wie Nahrung und Wasser, die mit dem Machtzuwachs von Dürren korreliert, die Gefahr von Konflikten um ihre Kontrolle verschärft. Die absehbare Zunahme extremer klimatischer Ereignisse (Wassermangel, Überschwemmungen und sogar das Überfluten bestimmter Gebiete) wird diesen anderen Unsicherheitsfaktor, der durch die Vertreibung von Bevölkerungen entsteht, noch verstärken. [1] Da der Zugang zu Energie die Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung war, sollten die heute lebenden Menschen aus der Geschichte gelernt haben, dass die ungleiche Verteilung der verfügbaren Energiequellen Rivalitäten schafft, die die internationale Sicherheit bedrohen können.

Wasser ist eine lebenswichtige Ressource, die zumindest indirekt als ein Motor von Spannungen bis hin zu militärischer Gewalt zwischen Staaten angesehen werden kann.


Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation haben mehr als 855 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Etwa 3,6 Millionen Menschen sterben jährlich, wozu auch verunreinigtes Wasser beiträgt. [2] Wasser hat eine doppelte Beziehung zum Krieg. Es kann sowohl Ursache wie Instrument des Krieges sein. Einige Beispiele aus Geschichte und Gegenwart veranschaulichen dies und erlauben, einige Hypothesen für die Zukunft zu skizzieren. Dass es in der Vergangenheit praktisch keine bewaffneten Konflikte mit Wasser als Ursache gab, ist leicht zu erklären. Die Weltbevölkerung war in früheren Zeiten relativ gering und es gab mehr oder weniger keinen großen Mangel an Wasser. Ein Krieg über eine Aufteilung der Gewässer des Euphrats und des Tigris hatte vor mehr als 4500 Jahren die zwei sumerischen Stadtstaaten Mesopotamiens, Lagasch und Umma, im südlichen Teil des heutigen Irak, gegeneinander aufgebracht. Im 18. und 19. Jahrhundert kämpften die Emirate Buchara und Kokand in Zentralasien lange Zeit um die Nutzung eines heute nicht mehr vorhandenen Nebenflusses des Amudarya-Flusses (in der Antike „Oxus“ genannt).

Geopolitiker sind geteilter Meinung über die Rolle des Wassers bei der Auslösung bewaffneter Konflikte in unserer Zeit. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass Wasser eher nicht direkt Kriege provoziere und auch nicht in der Zukunft hervorrufen werde.

Eines ist sicher. Wasser wird dennoch zunehmend die Quelle ernsthafter Streitigkeiten zwischen Ländern sein, was nicht bedeutet, dass diese zwangsläufig zu bewaffneten Konflikten führen. Obwohl Wasser nicht die alleinige Ursache für einen Krieg ist, kann es durch die Ergänzung anderer Faktoren am Ende dazu beitragen. Die Zahl der transnationalen Flusseinzugsgebiete beträgt 276, die Zahl der Grundwasserspeicher, die von mehreren Staaten gemeinsam genutzt werden, ist wahrscheinlich mehr als doppelt so hoch.

Die 1949 abgeschlossenen Genfer Konventionen verbieten grundsätzlich die Verwendung von Wasser als Waffe. Doch das Völkerrecht, das jegliche Zerstörung hydraulischer Infrastrukturen verbietet, wird nicht nur von nichtstaatlichen Akteuren, sondern auch von Staaten missachtet. Die Geschichte ist reich an Beispielen für die defensive Nutzung von Wasser. Im Winter 1672-1673 wurden die militärischen Vorstöße der Armeen Ludwigs XIV. durch die von den Holländern verursachten Polder-Überschwemmungen verzögert. Im Oktober 1914 blockierte die Überflutung der belgischen Tiefebene durch die Öffnung von Schleusen den deutschen militärischen Angriff. Während des indisch-pakistanischen Krieges von 1965 überschwemmten die Inder große Gebiete im Punjab, um ein militärisches Vordringen pakistanischer Panzereinheiten zu verhindern. [3]

Um einen bedeutsamen Durchbruch bei der Erneuerung der regionalen Beziehungen zu veranschaulichen, kann auf die Entspannung zwischen Tadschiken und Usbeken verwiesen werden, die nach jahrelangen Konflikten um das Rogun-Staudammprojekt an einem Nebenfluss des Amudarya im Süden Tadschikistans einsetzte. Der ehemalige usbekische Präsident Islom Karimow war damals entschieden gegen dieses Projekt, das seiner Meinung nach die stromabwärts gelegenen Bewässerungssysteme für die dortigen Baumwollfelder bedrohen könnte. Um das Projekt zum Scheitern zu bringen, hatte er immer wieder zu einschneidenden Maßnahmen gegriffen, wie der Unterbrechung der Erdgaslieferungen oder der Eisenbahnblockade der Strecke, die die Provinzen Suchan Darija (Usbekistan) und Chatlon (Tadschikistan) verbindet. Für seinen Nachfolger, Shavkat Mirziyoyev, schien dieser Streit überholt zu sein. Bei einem offiziellen Besuch in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe im März 2018 erklärte er, dass „es zwischen uns keine ungelösten Fragen mehr gibt“. Wenige Monate später wurden die ersten beiden Turbinen dieses Wasserkraftwerks im November 2018 und September 2019 in Betrieb genommen.

Wasserläufe können militärische Offensiven durchaus begünstigen. Im Falle eines Konflikts im Himalaja könnte China die Flüsse und Ströme Tibets zu seinem Vorteil nutzen, indem es aufgestautes Wasser freisetzt, das flussabwärts in Indien erhebliche Schäden verursachen könnte. Indien seinerseits könnte ebenso im Ernstfall Stauseen öffnen, um mit der damit ausgelösten Flutwelle pakistanische Gebiete schwer in Mitleidenschaft zu ziehen. Heute sind hydraulische Infrastrukturen (Staudämme, Wasserkraftwerke, Speicherbecken, Entsalzungsanlagen, Kläranlagen, Trinkwasserversorgungsleitungen) bevorzugte militärische Ziele. Die Zerstörung von Sanitäranlagen könnte indirekt Krankheiten hervorrufen. Brücken geben hervorragende militärische Ziele ab, vor allem, wenn sie an großen Flüssen liegen.

Die zunehmende Bevölkerungsdichte auf globaler Ebene sowie die Dynamik der Urbanisierung sind zwei wichtige Faktoren, die zur Militarisierung der städtischen Räume beitragen. Wenn schließlich zu viele Menschen auf engstem Raum in solchen Großstädten leben, wo die Infrastruktur zur Bereitstellung etwa von Lebensmittel, Trinkwasser, Elektrizität usw. nicht mehr in ausreichendem Maße gewährleistet werden kann, ist die Gefahr groß, dass Aufstände und Unruhen ausbrechen. [4]

Interne Konflikte aufgrund von Spannungen um Wasserrechte können gewalttätiger sein als internationale Auseinandersetzungen. Sie werden sich verstärken, wenn sich die betroffenen Regionen in ethnischer und/oder religiöser Hinsicht unterscheiden.

Nicht nur in Afrika muss es Ziel einer globalen Wasserstrategie sein, das Recht auf Zugang zu sauberem Trinkwasser und den Zugang zu menschenwürdigen sanitären Einrichtungen als fundamentales Menschenrecht für alle zu verwirklichen. Dafür jedoch ist eine umfassende Reform im Wassermanagement erforderlich – und zwar vorrangig in den Entwicklungsländern. Das wiederum wird nur gelingen, wenn die Industriestaaten ihre immer wieder gegebenen Zusagen einlösen, mehr Finanzmittel für die globale Armutsbekämpfung, für einen effektiven Umweltschutz und eine nachhaltige Ressourcennutzung zur Verfügung stellen. Zahlreiche Beispiele haben gezeigt, dass Wasser auch das Potential besitzt, rivalisierende Nachbarstaaten an einen Tisch zu bringen und sie auf Wege zur Kooperation zu zwingen. In der Tat zwingt die knappe Ressource Wasser die Staatenwelt zum Handeln.


Abgeschlossen: Anfang September 2020



Anmerkungen:

[1] Patrick Destremau, „L’IMPACT DU DÉRÈGLEMENT CLIMATIQUE SUR LES ENJEUX DE DÉFENSE ET DE SÉCURITÉ“. In: Revue Défense Nationale 1/2020, S. 21-24.

[2] Vgl. Sean C. Flores, „PULLING WATER OUT OF THIN AIR“. In: Marine Corps Gazette 3/2020, S. 20-23.

[3] Alain Lamballe, „L’EAU, CAUSE ET INSTRUMENT DE GUERRE?“. In: Revue Défense Nationale 3/2020, S. 75-80.

[4] Nicolas Mazzucchi / Jonathan Jay Mourtont, „SMART CITIES: LA GUERRE DE SIÈGE À L’ÈRE 4.0“. In: Revue Défense Nationale 6/2019, S. 144-148.