BOLIVIEN IM UMBRUCH
Im Oktober 2019 stellte er sich zum dritten Mal zur Wiederwahl, obwohl die Verfassung höchstens eine Wiederwahl vorsieht. Morales überwand diese Hürde mit Hilfe der Justiz, die die Begrenzung der Amtszeiten als „Verletzung seiner Menschenrechte“ titulierte. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hatte dann in einem vorläufigen Bericht Manipulationen bei der Präsidentenwahl festgestellt und eine Annullierung empfohlen.
Nach zum Teil gewaltsamen Protesten in den Städten gegen Morales kündigte dieser am 10. November 2019 zunächst eine Neuwahl an, am Ende gab er aber dem wachsenden Druck der Militärspitze nach. Morales dankte ab und ging kurz darauf nach Mexiko ins Exil. Neben Morales traten auch der Vizepräsident, die Präsidentin des Senats und der Präsident der Abgeordnetenkammer und der Verteidigungsminister des Landes zurück.
Aufgebrachte Anhänger des früheren Präsidenten plündern daraufhin Geschäfte, errichteten Barrikaden und legten Feuer. Marodierende Banden nützten das politische Machtvakuum aus und terrorisieren die Zivilbevölkerung.
Morales und seine Verbündeten in der Region sprachen von einem Putsch. Gegenkandidat Carlos Mesa nannte den Rücktritt das „Ende der Tyrannei“.
Auf Twitter rief der Ex-Präsident seine Landsleute zur Mäßigung auf. „Mit viel Liebe und Respekt bitte ich mein Volk, sich nicht auf die Gewalt jener Gruppen einzulassen, die den Rechtsstaat zerstören wollen. Wir bolivianischen Brüder dürfen uns nicht bekämpfen. Ich rufe alle dringend dazu auf, die Differenzen mit Dialog und Einigung zu überwinden“, so Morales.
Evo Morales – Aufstieg und Fall
Der 1959 in bitterer Armut geborene Sohn einer Aymara-Indianerfamilie verschrieb sich früh der Gewerkschaftsarbeit auf dem Lande, wo es weder Fachhochschulen noch Universitäten gibt. Die beste Schule und die beste Universität sei das Leben selbst: das Leid, der Hunger, das Elend, die sozialen Kämpfe, die politischen Versammlungen, beteuert Morales immer wieder. Seine Liebe zum Fußball hat er stets beibehalten. Der politische Aufstieg von Morales lässt sich letztlich ohne der politischen Herrschaft von General Hugo Banzer Suarez nicht erklären. In dessen letzter Amtszeit - Banzer starb 2002 - wurde auf Drängen der USA die Vernichtung des illegalen Koka-Anbaus in Bolivien angeordnet. Sein leidenschaftlicher Einsatz für die Kokabauern brachte den Cocalero-Gewerkschafter Morales sukzessive nach oben. Ende 2005 gewann Morales für viele überraschend die Präsidentschaftswahl. Nach 474 Jahren kehrte so erstmals wieder ein Indigena auf dem südamerikanischen Kontinent an die politische Macht zurück. Und er machte als Präsident sein Versprechen wahr, einen „integrierenden Staat“ für Mestizen und Kreolen unter Führung der bislang missachteten Indigenas zu gründen. Mit der Teilverstaatlichung des Energiesektors in Bolivien hat er allerdings für manche den Weg seines Vorbildes, des venezulanischen Präsidenten Hugo Chavez, - hin zum revolutionären Populismus - beschritten. Tatsächlich wurde Morales von der lateinamerikanischen Linken unter Führung Fidel Castros früh gefördert. Zwar verstaatlichte er als Präsident die Erdgas- und Erdölproduktion und einen Teil der übrigen Industrie. Darüber hinaus ließ er jedoch die Privatwirtschaft, von Steuererhöhungen abgesehen, ebenso unangetastet wie die politischen Freiheiten. Bolivien war auf die von Kuba und Venezuela gewährte Bruderhilfe kaum angewiesen.
Zunächst kündigte Morales auch den internationalen Wirtschaftsorganisationen als Verkörperung eines „neoliberalen Neokolonialismus“ die Freundschaft. In der Folge aber erhielt er vom internationalen Währungsfonds (IWF) Lob für die „gesunde Finanzpolitik“ seiner Regierung. Die dank den Nationalisierungen stark gestiegenen Staatseinnahmen wurden für Infrastrukturprojekte und soziale Verbesserungen eher vorsichtig eingesetzt, die Schulden gesenkt. So wurde ein anhaltendes Wirtschaftswachstum, das breiten Schichten, vor allem auch der indigenen Bevölkerungsmehrheit, zugutekam, gesichert. Die Armut ging markant zurück.
Eine 2009 in einem Volksreferendum abgesegnete neue Verfassung erklärte Bolivien zum „plurinationalen“ Staat, gewährte Regionen und Eingeborenengruppen Teilautonomie, trennte Staat und Kirche, führte soziale Rechte ein, zementierte die Wirtschaftsreformen und unterstellte alle Bodenschätze staatlicher Kontrolle.
Sein Führungsstil wurde aber mit den Jahren an der Macht immer autoritärer, sodass sich sogar die Morales lange unterstützende Gewerkschaft von ihm distanzierte. Demonstrationen ließ er mit aller Härte von den Sicherheitskräften auflösen. Schließlich wollte er seine politische Macht im Staat perpetuieren und war offensichtlich dazu bereit, dafür das Recht zu beugen und zuletzt ein Wahlergebnis zu verfälschen, weil ihm die Wähler die zuvor dreimal gewährte klare Mehrheit verweigert hatten. Es folgten sein erzwungener Rücktritt und die Flucht per Flugzeug nach Mexiko ins Exil.
Nach dem Rücktritt des Staatschefs Morales trat die Chefin des bolivianischen Senats, Jeanine Anez, das Amt als Interimspräsidentin an. Die Anerkennung durch alle Abgeordneten blieb ihr allerdings verwehrt. Als Begründung für ihre Selbstproklamation nannte die Oppositionspolitikerin die „Notwendigkeit, ein Klima des sozialen Friedens zu schaffen“. „Ich werde alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um das Land zu befrieden“, sagte sie. Zugleich kündigte die 52-Jährige an, „so schnell wie möglich Neuwahlen einzuberufen“.
Die Selbstproklamation zur Übergangspräsidentin wurde schließlich trotz Protests der Morales-Anhänger vom Verfassungsgericht gebilligt. Das Gericht verwies in einer Erklärung auf die Notwendigkeit des Funktionierens der Exekutive.
Eine „rechte Putschistin“ ernenne sich selbst zur Präsidentin des Senats und dann zur Interimspräsidentin Boliviens ohne das nötige Quorum, umgeben von Komplizen und Polizisten und Soldaten, die das Volk unterdrücken, polterte Ex-Präsident Morales auf Twitter.
Mitte Dezember 2019 stellte die bolivianische Interimspräsidentin Anez gegen den mittlerweile in Argentinien befinlichen ehemaligen Präsidenten Morales, wo ihm der Flüchtlingsstatus zugesprochen worden war, einen Haftbefehl aus. Der Vorwurf: „Volksverhetzung“.
Abgeschlossen: Mitte Jänner 2020
Literatur und Weiterführende LINKS:
Muruchi Poma, Evo Morales - Die Biografie. Militzke Verlag Leipzig 2007, 222 Seiten.
Rücktritt von Boliviens Präsident Morales - Sturz eines Idols - SPIEGEL ONLINE
Evo Morales: Boliviens Ex-Präsident geht ins Exil in Mexiko - WELT
Boliviens Präsident Evo Morales tritt zurück | DiePresse.com
Kommentar: Evo Morales' Zeit ist abgelaufen - DEUTSCHE WELLE
Bolivien: Nach dem Rücktritt von Evo Morales herrscht das Chaos - NZZ
Evo Morales: Bolivian leader's turbulent presidency - BBC News