DIE ZUKUNFT DER EUROPÄISCHEN VERTEIDIGUNG – EINE LAUFENDE DEBATTE
Fortsetzung
Deutsch-französischer Motor als Nukleus einer „neuen Ostpolitik“?
Der strategische Dialog mit Russland ist nicht einfach, aber er bleibt notwendig – auch wenn der französische und der deutsche Ansatz nicht völlig übereinstimmen. Paris und Berlin müssen jedoch ihre Bemühungen fortsetzen, Europa voranzubringen und mit Moskau zu diskutieren. Besteht also wieder Bedarf an einer erneuerten Ostpolitik? In Deutschland argumentieren einige Politikerinnen und Politiker in diese Richtung, wie der ehemalige SPD-Politiker Matthias Platzeck in seinem 2020 veröffentlichten Buch. Es gibt jedoch viele, die den Aufruf des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu einem strategischen Dialog mit Russland kritisieren. Die Debatte ist offen.
Im November 2020 organisierten die Universität Bonn und das Institut français einen Runden Tisch zu diesem Thema: „Brauchen wir eine Ostpolitik 2.0? Visionen aus Deutschland und Frankreich“. „Das Konzept der Ostpolitik ist deutsch“, so der Tenor der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Runden Tisch. Aufgrund ihrer geografischen Lage standen die Deutschen im Laufe der Geschichte immer wieder in Kontakt mit der slawischen Welt. Mehr als ein Jahrhundert lang teilten sie eine gemeinsame Grenze mit den Russen. Nach der letzten Teilung Polens im Jahr 1795 wurden Preußen, das 1871 zum Deutschen Reich wurde, und die habsburgischen Besitzungen, die 1804 zum Habsburgerreich gehörten, zu Russlands Nachbarn. Dies dauerte bis 1918. Nach dem Zweiten Weltkrieg fungierten die Russen in Deutschland selbst als Besatzer und dann als Wächter der Deutschen Demokratischen Republik.
Man kann argumentieren, dass die Deutschen ständig eine „De-facto-Ostpolitik“ betrieben haben, ohne dass sie formalisiert wurde. Schon im Mittelalter gerieten sie mit den Russen aneinander – zum Beispiel in der Schlacht am Peipussee im Jahr 1242, in der Alexander Newski die Deutschordensritter besiegte.
Es sei darauf hingewiesen, dass zur Zeit des Kalten Krieges, als die Unterschiede noch größer waren als heute und in der Sowjetunion ein totalitäres Regime herrschte, der Dialog zu der Schlusserklärung von Helsinki im Jahr 1975 führte, die zum Abbau der Spannungen beitrug – aber ein anderes, damals unerwartetes Ergebnis hatte. Kommentatoren schätzten dies als Erfolg für den Ostblock ein, indem sie die ersten beiden „Körbe“ zum Status quo in Europa und zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit bewerteten und den dritten „Korb“ zu den Menschenrechten als unbedeutend einstuften. Es war jedoch dieser „Korb“, der die größte Wirkung im sowjetischen Raum hatte und zum Untergang des Sowjetimperiums beitrug.
Der heutige strategische Dialog mit Russland als direkter Nachfolgestaat der untergegangenen UdSSR kann auch dazu beitragen, bei einem Teil der dortigen Jugend und der Medien eine „Sehnsucht nach Europa“ zu wecken – eine „Sehnsucht“, die zu weiteren unerwarteten positiven Entwicklungen führen könne, halten so manche Experten fest.[1]
Wie steht es um die Kooperation auf dem Gebiet der europäischen Verteidigung?
Seit 2016 gibt es eine Vielzahl von Initiativen zur Verteidigungszusammenarbeit: darunter eine umfassende außen- und sicherheitspolitische Strategie, eine militärische Planungs- und Durchführungskapazität für Operationen mit einem nicht-exekutiven Mandat, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation – PESCO), die Europäische Interventionsinitiative, ein Europäischer Verteidigungsfonds und die Generaldirektion für Verteidigung und Raumfahrt der EU-Kommission (Generaldirektion Verteidigungsindustrie und Weltraum – DEFIS). Diese Instrumente, die zusammen auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der strategischen Autonomie der EU abzielen, zeigen, dass die Verteidigung in den letzten fünf Jahren nicht nur in den Mitgliedsstaaten, sondern auch in Brüssel ein vorrangiges Thema war und weiter ist. Dieser Fortschritt sollte jedoch nicht als selbstverständlich angesehen werden. Im Gegenteil, der Erfolg der kürzlich eingeführten Instrumente hängt weitgehend vom politischen und wirtschaftlichen Kontext ab, in dem sie in den kommenden Jahren wirken werden.[2]
Obwohl die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich seit 2016 auf den Agenden der Regierungen nach oben gerückt ist, zeigt die Covid-19-Pandemie – und die dadurch ausgelöste Wirtschaftskrise – deutlich, dass der Stellenwert von Verteidigungsfragen auf der europäischen Agenda fragil ist. Die Gesundheitskrise, die dabei ist, sich in eine Rezession von einem Ausmaß zu verwandeln, wie es sie seit der Großen Depression nicht mehr gegeben hat, droht dieser Dynamik ein Ende zu setzen, indem sie die Verteidigung zu einer „Anpassungsvariable“ macht. Die ersten Folgen der Pandemie in Bezug auf die politischen Prioritäten sind bereits sichtbar: Seit Anfang März 2020 war und ist es die Priorität der europäischen Regierungen, die Pandemie einzudämmen bzw. zu managen; dicht gefolgt von massiven staatlichen Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft. Mehr Aufmerksamkeit für Gesundheit und Wirtschaft bedeutet jedoch weniger Aufmerksamkeit für andere Themen, wie zum Beispiel die Verteidigung/Rüstung – auch aus haushaltspolitischer Sicht. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Covid-19-Pandemie Auswirkungen auf die Fähigkeit der Staaten haben wird, die europäischen Verteidigungsambitionen zu erfüllen.
Das noch nicht absehbare Ausmaß der Covid-19-Pandemie könnte durchaus dazu führen, den jüngsten Fortschritten auf dem Gebiet der Verteidigungszusammenarbeit ein Ende zu setzen. Allerdings kann die Pandemie auch eine Chance sein, insbesondere wenn die für die nationale Sicherheit zuständigen Akteure in den EU-Mitgliedstaaten die Gelegenheit nutzen, auf bi-, mini- oder multilateraler Ebene enger zusammenzuarbeiten – sei es in Sicherheits- oder Verteidigungsfragen.
Das Panorama der Verteidigungsindustrie in Europa ist komplex – mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen und Ambitionen, insbesondere in Bezug auf die Beziehung zu den USA.[3] Es gibt viele Asymmetrien, was es schwierig macht, von beschwörender Rhetorik über strategische Autonomie zu konkretem Handeln überzugehen, um sie zu erreichen.[4]
Die Intensität der Verhandlungen über die Anteile und förderfähigen Einrichtungen, die Vergabekriterien und die Modalitäten für die Finanzierung von Projekten im Rahmen des künftigen Europäischen Verteidigungsfonds spiegeln die asymmetrische Situation der EU-Mitgliedstaaten im Bereich der Rüstungsentwicklung und -produktion wider. Während der in offiziellen Reden und Texten häufig verwendete Begriff „europäische verteidigungsindustrielle und -technologische Basis“ ein kohärentes Ganzes suggeriert, das aus der Konvergenz von Zielen und gemeinsamen Anstrengungen resultiert, sieht die Realität ganz anders aus und ist durch die „roten Linien nationalstaatlicher Souveränitäten“ erkennbar.[5] In Großbritannien sind Unternehmen aller Größenordnungen auf dem Verteidigungsmarkt in der EU-27 tätig. Die Technologien und Produkte, die diese Unternehmen auf dem Markt behaupten können, sind offenbar größtenteils auf die Unterstützung des Staates zurückzuführen (Beschaffungspolitik für Rüstungsgüter, Industriepolitik, Finanzierung von Forschung und Entwicklung sowie Förderung von Qualifikationen und Festigung ihrer Wettbewerbspositionen). Infolgedessen werden die unterschiedlichen Ambitionen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit bei der Entwicklung, Herstellung, Instandhaltung in betriebsbereitem Zustand und dem Einsatz von Ausrüstung für die Streitkräfte, einen tiefgreifenden Einfluss auf die europäische Verteidigungsindustrielandschaft haben und ihre Konturen im Laufe der Zeit (neu) formen.[6]
Seit vielen Jahren sind offizielle Diskussionen und Berichte vom Begriff der Autonomie durchdrungen. Die Herausforderung besteht heute darin, von dieser rein beschwörenden Haltung wegzukommen, indem man die praktischen Bedingungen hinterfragt, die es ermöglichen, diese Autonomie zu erreichen. Die derzeitige Gesundheitskrise sollte, indem sie ein grelles Licht auf die sehr konkreten Folgen einer übermäßigen Abhängigkeit von Lieferanten aus Drittländern wirft, eine Gelegenheit bieten, diese operativen Überlegungen zu beschleunigen. Ohne diese Überlegungen würden die auf EU-Ebene eingeleiteten Initiativen für die Verteidigungsindustrie wirkungslos.
Die Einrichtung eines Europäischen Verteidigungsfonds und vor allem die Schaffung einer Generaldirektion für Verteidigungsindustrie und Raumfahrt innerhalb der neuen EU-Kommission werfen die Frage auf, wie die Konturen einer koordinierten Strategie im Rüstungssektor auf Ebene der EU aussehen könnten.[7] Diese Frage, die weitgehend theoretisch geblieben ist, kehrt nun mit Nachdruck zurück, da Europa und die Welt in einer noch nie dagewesenen Wirtschaftskrise versinken. Diese Rezession stellt eine Bedrohung für die europäische Verteidigungsindustrie dar, da in den letzten drei Jahrzehnten in Europa die Militärausgaben oft die „Anpassungsvariable für öffentliche Haushaltsdefizite“ waren.[8] In einer Zeit, in der die Bedrohungen zunehmen, die mit der Vervielfachung der Spannungen in der östlichen und südlichen Nachbarschaft Europas, dem Aufstieg Chinas zur Großmacht und dem weltweiten Wettrüsten zusammenhängen, wo noch dazu die USA in der Ära von Präsident Donald Trump gedroht haben, sich aus der NATO zurückzuziehen, würde eine solche Entwicklung die Verwundbarkeit der Europäer und ihre Abhängigkeit von der Außenwelt erhöhen.[9]
Vor diesem Hintergrund dieser komplexen Verwerfungen scheint die neue EU-Kommission die Herausforderungen einer kohärenten Strategie des europäischen Rüstungsbereichs erkannt zu haben. Deshalb ist es nach Meinung von Experten unerlässlich und heilsam, die Verteidigung in eine integrative europäische Industriestrategie einzubeziehen.[10]
Schließlich ist eine weitere Konsolidierung der Nachfrage die einzige Möglichkeit, das Angebot auf europäischer Ebene aufrecht zu erhalten. Große transnationale Programme für die Entwicklung und den Erwerb neuer Kapazitäten müssen daher gefördert und vor zukünftigen Budgetkürzungen geschützt werden.[11]
Die militärtechnologische Basis der europäischen Rüstungsindustrie muss eine Chance sein, die es zu nutzen gilt, zumal sich der technologische Wettbewerb verschärft. Die europäischen Instrumente sind vorhanden, um Innovationen zu fördern und die Verteidigungsindustrie zu modernisieren – vorausgesetzt, es besteht ein echter Ehrgeiz, den Interessen Europas zu dienen.
Die aktuelle Gesundheitskrise ist eine große Herausforderung für die europäischen Staaten in wirtschaftlicher, industrieller und verteidigungspolitischer Hinsicht. Noch herrscht allgemeine Unsicherheit darüber, ob sich die europäischen Akteure auf dem Weg aus der Krise einigen und Zusammenhalt zeigen können.
Während Widrigkeiten verheerend sein können, stellen sie auch eine enorme Chance dar.[12]
Großbritannien bleibt auch nach dem Brexit wichtiger Partner der EU im Rüstungsbereich
Trotz Brexit bleiben Großbritannien und die EU wichtige Partner im Bereich der Verteidigung und der Rüstungsindustrie. Die „amerikanische Versuchung“ würde de facto zu einer Schwächung der britischen Souveränität führen. Daher sei die weitere Kooperation mit dem europäischen Kontinent im Rüstungsbereich ein Akt der Vernunft, ist hinter den Kulissen von Diplomaten zu hören.
Am Abend des Brexit-Referendums im Juni 2016, das den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ankündigte, waren einige Menschen begeistert. Endlich würden die Briten aufhören, den Start der europäischen Verteidigung auf ewig zu blockieren! Es stimmt, dass die Europäische Verteidigungsagentur seit ihrer Gründung in ihrer föderalen Rolle blockiert ist, weil das britische Veto jede Erhöhung ihres Budgets verhindert hat. In ähnlicher Weise war Großbritannien immer der Vorbote einer europäischen Verteidigung, die ausschließlich von der NATO unterstützt wird und jede Autonomie der EU zu behindern versucht.
Doch ist es zu begrüßen, dass das Vereinigte Königreich wieder zu einer „Insel“ vor der Küste Europas wird? Außerdem: Ist es für die Europäer vernünftig, sich ihre Verteidigung ohne die Briten vorzustellen – und umgekehrt?
Die Europäer teilen mehr von der gemeinsamen europäischen Verteidigung und internationalen Sicherheit miteinander, als viele Menschen auf beiden Seiten des Kanals glauben.[13] Die Beziehungen sind komplex, wechselhaft und manchmal konfliktreich, aber wirtschaftlicher Realismus führt das Vereinigte Königreich und Kontinentaleuropa dazu, sich auf die wesentlichen Fähigkeiten der gemeinsamen Verteidigung zu einigen.
Ökonomischer Realismus verbindet sich mit der Erfüllung der kapazitären Bedürfnisse, um das britische Volk aufzufordern, ein wichtiger Partner der Länder Kontinentaleuropas zu bleiben – und umgekehrt. Die Effektivität der gemeinsamen Strategie im Rüstungssektor ist der einzige Weg, um dies zu verstehen, zumal künftige große Beschaffungsprojekte eine „Einstiegskompetenz“ erfordern werden, die wesentlich höher sein werden als die derzeit in den Streitkräften eingesetzten Technologien. So werden die Beschaffungskosten für das zukünftige Luftkampfsystem mit Sicherheit mindestens doppelt so hoch sein wie die der vorherigen Generation (Eurofighter Typhoon und Rafale). Dies macht es für die Europäer unerlässlich, ihre Investitionen zu bündeln, um sicherzustellen, dass sie eine solch kritische Fähigkeit mit dem gewünschten Grad an strategischer Autonomie kontrollieren können.[14]
Afghanistan-Debakel des Westens – Ein neuer Schub für eine engere europäische Verteidigung?
Nach dem überhasteten Abzug der USA und der NATO aus Afghanistan und dem Mitte August 2021 großteils kampflos an die radikal-islamischen Taliban gefallenen Land offenbart sich das ganze Ausmaß des „militärisch-politisch-strategischen Desasters“ des Westens. Auch wenn sein Amtsvorgänger Donald Trump den schrittweisen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan angeordnet hatte, so könne nach Meinung vieler politischer Kommentatoren und Experten die jetzige US-Administration von Präsident Joe Biden nicht aus der Schuld und Verantwortung für das hinterlassene Chaos in der Region genommen werden.
Die europäischen Verbündeten sehen einmal mehr, dass die zwanzig Jahre ihrer militärischen Präsenz und ihrer Aufbauarbeit am Hindukusch „verlorene Jahre“ gewesen sind. Die Nicht-Bereitschaft der Armee und Polizei der afghanischen Zentralregierung ohne Hilfe westlicher Truppen gegen die Islamisten zu kämpfen, komplettierte das Debakel des westlichen Strategieansatzes.
Vor diesem Hintergrund scheinen diese Ereignisse die Meinungen in den europäischen Hauptstädten zu mehren, die nunmehr wirklich einsehen, dass es angesichts dessen höchste Zeit sei, die Weichen in forcierte europäische Verteidigungskapazitäten zu stecken. Ob dies nur Lippenbekenntnisse sind oder nicht, bleibt abzuwarten.
Abgeschlossen: Anfang September 2021
Anmerkungen:
[1] Cyrille Schott, „UNE OSTPOLITIK RENOUVELÉE? VISIONS DEPUIS L’ALLEMAGNE ET LA FRANCE“. In: Revue Défense Nationale 5/2021, S. 70-77.
[2] Vgl. Friederike Richter, „LA COOPÉRATION DE DÉFENSE EN EUROPE, UN ENJEU PRIORITAIRE?“ In: Revue Défense Nationale 7-9/2020, S. 115-119.
[3] Vgl. Eckhard Lübkemeier, „EUROPA SCHAFFEN MIT EIGENEN WAFFEN? Chancen und Risiken europäischer Selbstverteidigung“. In: SWP-Studie 17/2020, S. 1-39.
[4] Josselin Droff / Julien Malizard, „MENACES, BIENS PUBLICS ET DEMANDE DE DÉFENSE EUROPÉENNE“. In: Revue Défense Nationale 3/2020, S. 95-100.
[5] Siehe: dazu: Hélène Masson, „QUELLE INDUSTRIE DE DÉFENSE POUR QUELLE EUROPE? In: Revue Défense Nationale 7-9/2020, S. 61-66.
[6] Vgl. Comité 4 – Autorenkollektiv, „LES COOPÉRATIONS D’ARMEMENT À L’HEURE DE L’AUTONOMIE STRATÉGIQUE EUROPÉENNE“. In: Revue Défense Nationale 1/2021, S. 33-38.
[7] Caterina Tani, „EU PROGRESS IN DEFENCE AND SPACE“. In: Military Technology – MT 6/2020, S. 52-54.
[8] Lucie Béraud-Sudreau, „DÉPENSES MILITAIRES EN EUROPE DANS LES ANNÉES 2010 ET LEÇONS POUR L’ÉRE POST-COVID 19“. In: Revue Défense Nationale 7-9/2020, S. 21-26.
[9] Dazu etwa: Michael Kimmage, „EIN REAKTIONÄRER WESTEN? Präsident Trump und die Abkehr von der Aufklärung“. In: Merkur 5/2020, S. 39-48.
[10] Sylvie Martelly / Édouard Simon, „POUR UNE STRATÉGIE INDUSTRIELLE EUROPÉENNE DE DÉFENSE“. In: Revue Défense Nationale 7-9/2020, S. 67-72.
[11] Vgl. Patrick Bellouard / Jean-Paul Perruche / Patrice Mompeyssin / Nathalie de Kaniv, „TRENTE ANS APRÈS LA CHUTE DU MUR DE BERLIN: OÙ EN EST LA DÉFENSE DE L’EUROPE?“. In: Revue Défense Nationale 5/2020, S. 39-46.
[12] Comité 3 – Autorenkollektiv, „LA BASE INDUSTRIELLE ET TECHNOLOGIQUE DE DÉFENSE EUROPÉENNE, UNE OPPORTUNITÉ HISTORIQUE“. In: Revue Défense Nationale 1/2021, S. 26-32.
[13] Renaud Bellais, „ROYAUME-UNI ET UNION EUROPÉENNE, UN MARIAGE DE RAISON DANS L’ARMEMENT“. In: Revue Défense Nationale 7-9/2020, S. 73-78.
[14] Vgl. Jean-Baptiste Blandenet, „PLAIDOYER POUR UNE CULTURE STRATÉGIQUE EUROPÉENNE“. In: Revue Défense Nationale 1/2021, S. 82-87.
Weiterführende LINKS:
Reflexionspapier über die Zukunft der europäischen Verteidigung
European Security & Defence: News
European defence | Chatham House
European Defense Report - Munich Security Conference
The Case for EU Defense - Center for American Progress
European defence: Challenges ahead | IRIS
European Defence Network – European awareness
European Defense Community | Britannica
The failure of the European Defence Community (EDC)
EU Security and Defense Challenges: Toward a European Defense Winter?
Old allies, new ways: Reappraising European defense
European Defense Integration | Center for Strategic and International Studies
Four steps towards a European Defence Union – CEPS
The governance of the European Defence Fund
Is Europe Really Ready for Its Own Defense Force?
Their Own Army? Making European Defense Work
European Defence in the Post-COVID World
DIE ZUKUNFT DER EUROPÄISCHEN VERTEIDIGUNG – EINE LAUFENDE DEBATTE
Nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und des Falles der Berliner Mauer ist es angemessen zu fragen, welchen Platz Europa in der Welt einnimmt und wie seine Verteidigungsinstitutionen funktionieren. Obwohl die NATO der wichtigste Sicherheitsdienstleister ist, ist es dringend erforderlich, ihre Beziehungen zur EU zu überprüfen, damit die EU als politische Macht agieren kann.
Bei einer Konferenz, die am 8. November 2019 im Palais du Luxembourg in Paris in Partnerschaft unter anderem mit dem Senatsausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, dem französischen Verteidigungsministerium und der Schuman-Stiftung organisiert wurde, wurden drei Fragen gestellt: Eine Welt ohne Europa? Ein wehrloses Europa? Ein Europa ohne Zukunft?
Spielt Europa in einer globalisierten und sich rasch verändernden Welt immer noch eine bedeutende Rolle, oder sollten wir bedenken, dass die Präsenz Europas auf der internationalen Bühne vernachlässigbar geworden ist? Wenn Europa seinen Einfluss aufrechterhalten will, kann es dies tun, ohne seine eigene Verteidigung und Sicherheit zu gewährleisten? Ist es möglich, eine europäische Zukunft ohne echte strategische Autonomie aufzubauen?
Eine Gruppe von Experten, hochrangigen Militäroffizieren, Diplomaten und politischen Persönlichkeiten, die von der Notwendigkeit Europas überzeugt, aber realpolitisch in Bezug auf Europas Integrationsbemühungen denken, hat sich mit all diesen Fragen befasst. Ihre Erfahrung innerhalb der europäischen Institutionen oder in militärischen bzw. diplomatischen Strukturen ermöglichte es, eine umfassende und klare Analyse dieser Fragen vorzunehmen.
Was stellt Europa heute, dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges, in der Welt dar? Ist der Platz Europas in der Welt des 21. Jahrhunderts zu einem Anhang geworden? Die EU hat es sich zur Aufgabe gemacht, jene Länder zu integrieren, die auf der „falschen Seite“ des Eisernen Vorhangs standen, und die sich, nachdem sie zutiefst europäisch geblieben waren, „verraten“ fühlten. Diese Einigung Europas ging Hand in Hand mit einer beantragten Erweiterung der amerikanischen Sicherheitsgarantie und damit der Erweiterung der NATO.
Die Beziehungen zu Russland sind wichtig. Die Europäer dürfen sich aber von Moskau politisch-ökonomisch und militärisch nicht entzweien bzw. über den Tisch ziehen lassen. Deshalb braucht es auch eine starke NATO in enger Kooperation mit der EU.
Wiederkehr der Präsenz westlicher Flugzeugträger im euro-atlantischen Raum
Die Wiederkehr der Präsenz westlicher Flugzeugträger im euro-atlantischen Raum im Rahmen der NATO erhöht beispielsweise die operativen Kapazitäten und die Flexibilität gegenüber etwaigen Bedrohungen der Sicherheit durch Russland. Die strategischen und operativen Interessen der USA in einer Region manifestieren sich häufig in der Präsenz eines nuklearbetriebenen Flugzeugträgers der Nimitz-Klasse. Da die USA sich zunehmend auf den indisch-pazifischen Raum konzentrieren, ist die Präsenz von Flugzeugträgern der US-Navy bis zum Ausbruch der Ukraine-Krise in der euro-atlantischen Region eher selten geworden.
Nunmehr hat sich die operative Lage deutlich verändert. Der russische Flugzeugträger „Admiral Kuznezow“ befindet sich derzeit in einer umfangreichen Umrüstungs- und Modernisierungsphase. Russland ringt mit der Frage, wie, wann und ob es seine eigene Flugzeugträgerfähigkeit wiederherstellen soll. Es gibt jetzt auch drei regelmäßig im euro-atlantischen Raum operierende Flugzeugträger europäischer Staaten. Das sind die beiden Flugzeugträger der Royal Navy (die HMS Queen Elizabeth und die HMS Prince of Wales) sowie der französische Flugzeugträger Charles de Gaulle.
Für die US-Navy, die im Nordatlantik Präsenz zeigt, war und ist es vor allem die Trägergruppe der USS Harry S. Truman, die unter dem Kommando der US Second Fleet für hohe Einsatzbereitschaft sorgt. Im April 2020 war die Truman-Trägergruppe im Mittelmeerraum aktiv. Im April 2019 führte etwa die USS John Stennis mit der französischen Trägergruppe Charles de Gaulle kombinierte Operationen im Roten Meer durch. Generell lancieren die Flugzeugträger der europäischen Verbündeten intensive gemeinsame Manöver mit der US-Navy - auch im Rahmen von gemischten Verbänden der Marineflieger. [1]
Ob die französische Marine künftig noch einen zweiten Flugzeugträger erhalten wird, bleibt nicht zuletzt aus Kostengründen unklar.
Der seit 2009 in Dienst stehende kleine Mehrzweckflugzeugträger der italienischen Marine, die „Cavour“, hat den in die Jahre gekommenen Hubschrauberträger „Vittorio Veneto“ ersetzt und soll den bisher einzigen Träger „Giuseppe Garibaldi“ noch bis ca. 2025 unterstützen.
Die spanische Marine hat das Mehrzweckkriegsschiff „Juan Carlos I.“ sowohl in der Rolle eines kleineren Flugzeugträgers als auch eines amphibischen Angriffsschiffs seit 2010 im Einsatz.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es auch in schwierigen Zeiten im Rahmen der Bewältigung der Corona-Pandemie jetzt eines globalen und kollektiven Ansatzes der europäischen Länder für die Sicherheit in Europa bedürfe. Neben der unverzichtbaren Konkretisierung der bereits eingeleiteten Maßnahmen ist es besonders wichtig, die Komplementarität zwischen NATO und EU weiter zu vertiefen. [2]
Zukunft der nuklearen Abschreckung für Europa
Insbesondere das wiedervereinigte Deutschland versucht sich als „Macht des Ausgleichs und des Friedens“ sowie als Mediator in diversen Konflikten zu präsentieren. Dementsprechend werden die heute auf deutschem Territorium nach wie vor lagernden Bestände an US-Atomwaffen mehr oder weniger als „politische Waffen“, als ultimative Werkzeuge militärischer Abschreckung, verstanden. Auch wenn es so manche deutsche Politikerinnen und Politiker gibt, die diese nuklearen Arsenale am liebsten „wegwünschen“ würden, ist und bleibt die Berliner Republik im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ in die atomare Strategie der Abschreckung des westlichen Verteidigungsbündnisses NATO involviert. Unter anderem könnten im absoluten Ernstfall bei einem militärischen Konflikt mit Russland deutsche Tornado-Kampfflugzeuge diese Atomwaffen auf gegnerische Angriffslinien abschießen - eine auch heute mehr als befremdliche „Eventualität“ für die politischen Eliten im deutschen Reichstag. [3]
Die Tornado-Jets gelten mittlerweile als veraltet und müssen durch neue, moderne ersetzt werden. Offen bleibt, ob Berlin künftig dazu bereit ist, neue Kampfflugzeuge wie zuvor im Kalten Krieg mit diesen Atomwaffen als „letztes Abschreckungsmittel“ zu bestücken. Wenn nicht, dann würde Deutschland dennoch in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO eingebunden bleiben. Damit könne sich Berlin nicht „aus der Verantwortung“ über die künftige atomare Abschreckungsstrategie heraushalten, wird von Expertenseite immer wieder betont.
Angesichts der Unwägbarkeiten der vorangegangen US-Administration von Präsident Donald Trump über das militärische Engagement der USA im Ernstfall in Europa hat sich Frankreich bereits als nach dem Brexit einzige Nuklearmacht in der EU angeboten, den französischen Atomabschreckungsschirm über den Kontinent auszubreiten. Die französischen nuklearen Arsenale würden aber dabei nicht „europäisiert“, sondern würden weiterhin Frankreich unterstehen.
Die von Frankreich und Großbritannien lancierte Strategie der „nuklearen Minimalabschreckung“ kommt der deutschen Haltung am ehesten entgegen, die eine „Trennung von Abschreckung und Kriegsführung“ im Fokus hat.
Im deutlichen Gegensatz dazu steht die atomare Strategie der in der NATO bestimmenden Macht, USA. Die in der Ära Trump vorangetriebene Modernisierung der eigenen nuklearen Arsenale sieht „flexibel einsetzbare, atomare Systeme für einen eventuellen begrenzten Atomkrieg“ vor. Wie diese diesbezüglich deutlich divergierende Denkweise zwischen Washington und Berlin künftig in der NATO auf einen Nenner gebracht werden könne, ist und bleibt eine offene Frage.
Mit Amtsantritt der neuen US-Administration von US-Präsident Joe Biden dürften sich die eher angespannten transatlantischen Beziehungen seit der Ära seines Vorgängers wieder entspannen. Doch werden die Europäer um einen verstärkten Aufbau ihrer militärischen Rüstungskapazitäten nicht herumkommen.
Abgeschlossen: Anfang März 2021
Anmerkungen:
[1] Lee Willett, „STRIKE RESURGENCE - French, UK carrier air wings add punch to CSG presence in the North Atlantic“. In: Naval Forces 3-4/2020, S. 28-30.
[2] Patrick Bellouard / Jean-Paul Perruche / Patrice Mompeyssin / Nathalie de Kaniv, „TRENTE ANS APRÈS LA CHUTE DU MUR DE BERLIN: OÙ EN EST LA DÉFENSE DE L’EUROPE?“. In: Revue Défense Nationale 5/2020, S. 39-46.
[3] Siehe dazu etwa: Peter Rudolf, „DEUTSCHLAND, DIE NATO UND DIE NUKLEARE ABSCHRECKUNG“. In: SWP-Studie 11/2020, S. 1-24.
Weiterführende LINKS:
Zeitleiste: Zusammenarbeit der EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung
European Defence - Ministry for Europe and Foreign Affairs
Zusammenarbeit von EU und NATO
Die Rolle der Nato für Europas Verteidigung - SWP
Europäische Verteidigungspolitik | bpb
EU-Verteidigungspolitik: Nur auf dem Papier ist alles bestens - FAZ
Die Europäische Union und die NATO
Europäische Sicherheits und Verteidigungspolitik
EU rückt militärisch weiter zusammen
European defence / NATO Archives - Egmont Institute
Atomwaffen - Warum es immer noch 13.400 Atombomben gibt
Wie Deutschland sich selbst zur Zielscheibe eines Atomangriffs macht
Maas steht zu US-Atomwaffen in Deutschland
USA modernisieren Atombomben in Deutschland - DW
Die Zukunft der Nuklearen Teilhabe in Deutschland
Deutschland muss in die nukleare Teilhabe der Nato investieren