INDIENS BEZIEHUNGEN ZUR ASEAN-GRUPPE


Indien beging im Jahr 2017 sein 25-jähriges Bestehen der Dialogpartnerschaft, 15 Jahre Interaktion auf Gipfelebene und 5 Jahre strategische Partnerschaft mit der ASEAN-Gruppe. Der Verband Südostasiatischer Nationen (Association of Southeast Asian Nations – ASEAN) ist eine internationale Organisation südostasiatischer Staaten mit Sitz in Jakarta/Indonesien. Anfangs stand die Vertiefung der ökonomischen, politischen und die soziale Kooperation im Vordergrund. Später erweiterte sich das Betätigungsfeld um Sicherheits-, Kultur- und Umweltbelange. 2009 beschlossen die ASEAN-Mitgliedsländer einen gemeinsamen Wirtschaftsraum nach dem Vorbild der EU zu errichten.

Internationale Beobachter gehen davon aus, dass sich die Beziehungen zwischen Indien und der ASEAN in der Zukunft weiter vertiefen werden.

Für Indien sind die Beziehungen jedoch mehr auf wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgerichtet als auf andere Themen. Daher ist es unwahrscheinlich, dass Neu-Delhi konfrontative Maßnahmen ergreifen wird, die die Spannungen mit Peking weiter anheizen könnten – zumindest nicht in naher Zukunft. Solange Indien zögert, sich zu den aggressiven Aktivitäten Chinas klar zu äußern bzw. eine allzu auf Ausgleich mit Peking ausgerichtete Position in strittigen Punkten zu übernehmen, wird die ASEAN-Gruppe Indien weiterhin als „nicht wirklich zuverlässigen Sicherheitspartner“ betrachten.

Der 2007 geschaffene Quadrilaterale Sicherheitsdialog ist ein multilaterales pro-westliches Sicherheitsforum, in dem Indien, die USA, Japan und Australien für die Sicherheit des Indopazifiks bzw. des asiatisch-pazifischen Raums einschließlich des Südchinesischen Meeres kooperieren. Parallel zum Dialog werden auch gemeinsame Militärmanöver abgehalten. Die diplomatische und militärische Vereinbarung wurde allgemein als Reaktion auf die zunehmende wirtschaftliche und militärische Macht Chinas angesehen. Auch wenn Washington darauf drängt, dass Indien darin ein größeres Engagement zeigt, bleibt Neu-Delhi eher bislang noch zurückhaltend, um nicht in die „direkten sino-amerikanischen Machtrivalitäten“ hineingezogen zu werden. Diese Haltung nimmt Indien auch gegenüber der ASEAN-Gruppe ein.[1]


Die maritimen militärischen Kapazitäten der ASEAN-Staaten

Es mag überraschen, dass die südostasiatische Region über standardisierte Marinestreitkräfte verfügt. Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: auf den Erfolg der multilateralen Organisation Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) bei der Bewältigung regionaler politischer Differenzen; die Konzentration auf wirtschaftliches Wachstum und nicht auf militärische Macht; auf die Tatsache, dass regionalen Streitkräften häufig Haushaltspriorität eingeräumt werden; auf die begrenzten inländischen Schiffsbaukapazitäten; auf den Wunsch, mit den Nachbarstaaten Schritt zu halten, sie aber nicht zu übertreffen; und auf das Interesse, ein regionales Wettrüsten zu vermeiden.

Das Ergebnis ist, dass sich die Flottenverbände der ASEAN-Staaten (Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam) eher ähneln als unterscheiden. Die meisten verfügen heute über eine Handvoll Fregatten oder Korvetten, einige schnelle Angriffsboote, zahlreiche Patrouillenboote und über begrenzte amphibische Kapazitäten. Die größeren Seestreitkräfte besitzen auch alle eine kleine Anzahl von U-Booten. Thailand verfügt über einen kleinen, in Spanien gebauten Flugzeugträger. Der in Sattahip beheimatete Multifunktionsträger „CHAKRI NARYBET“ nimmt unter anderem auch Touristen auf, um die hohen Betriebskosten zu decken.[2]

Die Seestreitkräfte der ASEAN-Staaten sind seit jeher selbstreferenziell und orientieren sich eng an dem, was andere tun. Die geostrategische Lage der Region ermöglichte es, dass sich dieser Ansatz, mit den anderen mitzuhalten, entwickeln konnte. Seit 2012 sind die chinesischen maritimen Aktivitäten jedoch zunehmend selbstbewusster geworden. Es gibt Anzeichen dafür, dass dies in Aggressivität von Seiten der chinesischen Kräfte umschlagen könnte.

Die chinesische Führung in Peking verabschiedete ein Gesetz, das es der chinesischen Küstenwache erlaubt, auf ausländische Schiffe innerhalb der berüchtigten „Nine-dash“-Linie im Südchinesischen Meer zu schießen. Dieses Gesetz ist Teil von Chinas langjährigem Plan, die Souveränität über mehr als 80% des Südchinesischen Meeres zu erlangen. Dies würde die ausschließlichen Wirtschaftszonen Vietnams, Malaysias, Indonesiens, Bruneis und der Philippinen stark beeinträchtigen. Die Seestreitkräfte dieser fünf Staaten stehen nun an der Spitze der südostasiatischen Länder, wenn es darum geht, in geeignetem Maße auf die chinesische maritime Herausforderung zu reagieren.

Die Aktivitäten Chinas in der Grauzone haben definitiv Auswirkungen auf die operativen Aktivitäten der südostasiatischen Seestreitkräfte. In Bezug auf die Streitkräftestruktur hat dies jedoch dazu geführt, dass bereits bestehende Konzepte gestärkt, aber nicht umgestoßen wurden. Eine Ausnahme bildet die zunehmende Zahl von Hochsee-Patrouillenbooten – auch wenn viele davon gebraucht und für die expandierenden Küstenwachen der Region bestimmt sind. Einige U-Boote, mehrere Fregatten, eine Reihe von Korvetten und einige Schiffe mit amphibischen Kapazitäten sind dennoch nach wie vor die Grenze der regionalen Bestrebungen.


Indiens Interessen im Südchinesischen Meer

Im Laufe der Jahre kam es zu Streitigkeiten zwischen ASEAN-Staaten und China in der Frage des Eigentums, der Kontrolle sowie der Nutzung und Ausbeutung von Erdöl, Erdgas, Fischerei und Bodenschätzen. Während sie sich alle der chinesischen Durchsetzungskraft in Form von Landgewinnung und künstlichen Inselbauten widersetzen, überschneiden sich die Ansprüche der ASEAN-Staaten untereinander, was es für den regionalen Block schwierig macht, eine einheitliche Stimme zu finden. Indien ist über die zunehmenden Spannungen im Südchinesischen Meer nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen besorgt. Neu-Delhi ist zudem daran interessiert, die fossilen Ressourcen in der Region zur Deckung seines Energiebedarfs nutzbar zu machen. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass die ONGC Videsh Ltd (OVL), die Auslandsabteilung des halbstaatlichen indischen Energieunternehmens ONGC, mit Vietnam eine Vereinbarung über die Ölförderung in den Blöcken 127 und 128 vor den Paracel-Inseln getroffen hat. Das Interesse Indiens an der Region zeigt sich auch darin, dass es die Freiheit der Schifffahrt zur Gewährleistung der maritimen Sicherheit, die Beilegung von Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln und im Einklang mit dem Völkerrecht sowie durch den zwischen der ASEAN-Gruppe und China ausgehandelten Verhaltenskodex unterstützt hat. Aber wegen der zunehmenden Machtfülle Chinas in den letzten Jahren wünschen die ASEAN-Staaten, dass Indien eine stärker ausgleichende Rolle in der Region spielen sollte.[3]

Das Problem ist jedoch, dass Indien, obwohl es ein ähnliches Interesse mit Ländern wie den USA, Australien, Japan oder der EU teilt, wenn es um die Frage der Freiheit der Navigation und des Überflugs und eine Lösung auf der Grundlage des Völkerrechts geht, weder die Idee teilt, maritime Operationen im Südchinesischen Meer durchzuführen, um „politische Ziele“ zu erreichen, noch würde Indien öffentlich die US-Strategie in der Region unterstützen, die Chinas größere maritime Aktivitäten in der Nähe der Andamanen-Inseln rechtfertigen würde. Angesichts dieser heiklen Situation und der möglichen Auswirkungen werden Indien und die USA sich möglicherweise nicht an gemeinsamen Patrouillen im betroffenen Raum beteiligen, zumindest nicht in naher Zukunft, obwohl Neu-Delhi die Position Washingtons zu den territorialen Streitigkeiten mit Peking im Südchinesischen Meer unterstützt. Auch wenn Indien in den dortigen anhängigen Disputen wahrscheinlich nicht so schnell Partei ergreifen wird, könnte die zunehmende politisch-militärisch-ökonomische Stärke der Chinesen und die maritimen Aktivitäten im „eigenen Hinterhof Indien“ dazu veranlassen, seine Marinepräsenz in der Region zu verstärken.[4]


Der Quadrilaterale Sicherheitsdialog (Quadrilateral Security Dialogue – Quad) ist eine multilaterale Sicherheitsgruppe, in der sich Indien, die USA, Japan und Australien für die Sicherheit des Indopazifiks oder des asiatisch-pazifischen Raums, einschließlich des Südchinesischen Meeres, zusammengeschlossen haben.[5] Während dieses Forum weitgehend als Sicherheitsbündnis betrachtet wird, um die zunehmende Durchsetzungsfähigkeit und die territorialen Ambitionen Chinas zu kontrollieren oder einzudämmen bzw. kritische Seewege freizuhalten, hat es keinen Konsens darüber gegeben, was ihre Prioritäten sein sollten. Die USA wollen zum Beispiel, dass Indien eine viel größere Rolle übernimmt, aber Neu-Delhi hat gezögert, der Plattform eine militärische Form zu geben. Indien kann zwar eine größere Rolle spielen, aber es will sich nicht in die Machtrivalität oder das geopolitische Spiel zwischen China und den USA hineinziehen. Mit anderen Worten: Indien geht insbesondere im asiatisch-pazifischen Raum vorsichtig vor, sodass man möglichst nicht als Verbündeter der USA oder Chinas angesehen werde. Darüber hinaus gibt es Meinungsverschiedenheiten über das Konzept von Quad durch die Mitgliedstaaten. Niemand ist sich über die Pflichten, Verantwortlichkeiten und Vorteile im Klaren. Trotz einer gewissen Aufwertung bleibt Quad weitgehend ein Dialogforum für den Gedankenaustausch und nicht ein Sicherheits- oder Militärbündnis, um dem Aufstieg Chinas im Indopazifik- oder Asien-Pazifik-Raum entgegenzuwirken.

In den letzten Jahren wurde die Partnerschaft zwischen ASEAN und Indien durch den „Aktionsplan (2016-20) zur Umsetzung der Partnerschaft zwischen ASEAN und Indien für Frieden, Fortschritt und gemeinsamen Wohlstand“ („Plan of Action <2016-20> to implement the ASEAN-India partnership for peace, progress and shared prosperity“) vertieft. Während des 21. Treffens hochrangiger Beamter der ASEAN-Indien-Konferenz in Neu-Delhi vom 11. bis 12. April 2019 überprüften die Staats- und Regierungschefs die strategische Partnerschaft zwischen der ASEAN-Gruppe und Indien sowie das künftige Vorgehen in drei Bereichen: politische Sicherheit, Wirtschaft und soziokulturelle Fragen. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen, ihre Zusammenarbeit im maritimen Bereich zu vertiefen und schlugen eine Reihe von Maßnahmen vor, darunter die Förderung der Blue Economy. Am Gipfel wurde auch beschlossen, die Konnektivität zwischen Indien und den ASEAN-Staaten in allen Formen zu verbessern.

Indiens Fokus auf eine verstärkte und facettenreiche Beziehung zu ASEAN ist ein Ergebnis der bedeutenden Veränderungen in der politischen und wirtschaftlichen Situation der Welt seit Anfang der 1990er-Jahre und Indiens eigener Orientierung in Richtung wirtschaftlicher Liberalisierung. Indien ist ein aktiver Teilnehmer in mehreren regionalen Foren.

Indien und die ASEAN-Gruppe haben sich dazu verpflichtet, ihre bilateralen Beziehungen zu stärken, was von den gegenseitigen Bedürfnissen angetrieben wird und auch durch die geopolitische Bedrohung vor dem Hintergrund aufstrebender Macht Chinas und durch das gemeinsame Interesse an einem Ausgleich erforderlich ist.

Indien unterstützt vor allem auch im Südchinesischen Meer die Freiheit der Navigation und des Überflugs sowie den ungehinderten Handel auf Basis des Völkerrechts. Indien ist auch der festen Überzeugung, dass Staaten Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln ohne Androhung oder Anwendung von Gewalt lösen und bei der Durchführung von Aktivitäten, die Streitigkeiten, die Frieden und Stabilität beeinträchtigen, komplizieren oder eskalieren könnten, Selbstbeschränkung üben sollten. Aber wegen des zunehmenden Dominanzstrebens Chinas mit seinen Landgewinnungen, militärischen Aktivitäten, dem Bau künstlicher Inseln sowie seinem Anspruch auf das Südchinesische Meer wollen die ASEAN-Staaten, dass Indien eine ausgleichende Rolle gegenüber dem aufstrebenden China spielt. Indien wahrt hier weiterhin „noble Zurückhaltung“, um China nicht zu reizen.[6] Neu-Delhi ist auch besorgt, dass eine offene Unterstützung für die ASEAN als Vorwand für China dienen könnte, im Indischen Ozean verstärkt Präsenz zu zeigen. Ein weiterer Grund ist auch, dass Indiens Marineverbände[7] es derzeit im Konfliktfall nicht wirklich mit den modernen chinesischen Kapazitäten aufnehmen könnten.[8]

Interne Streitigkeiten unter den ASEAN-Mitgliedern erschweren zudem die Fähigkeit des Regionalblocks, eine gemeinsame Position nach außen hin festzulegen. Aufgrund seiner wirtschaftlichen und militärischen Macht ist es China gelungen, einige ASEAN-Mitglieder wie Kambodscha oder Laos für sich zu gewinnen. Durch bilaterale Zusammenarbeit stärkt Indien die Beziehungen zu einzelnen ASEAN-Ländern, insbesondere zu Vietnam.


Für Indien ist die Zusammenarbeit mit der ASEAN-Gruppe durchaus im Fokus, doch richtet sich diese Bereitschaft noch immer primär auf ökonomischen Austausch aus. Indien versucht so lange wie möglich die direkte Konfrontation mit Chinas Expansionismus hinauszuschieben.[9] Erst wenn aus indischer Sicht die „roten Linien“ durch Chinas Expansionismus überschritten werden würden und damit Neu-Delhi den „Ernstfall“ ausrufen müsste, dann würde Indien einer pro-westlichen Allianz voll und ganz beitreten. Was die ASEAN-Gruppe betrifft, so bleibt Indien bis zu diesem Zeitpunkt außer in Wirtschafts- und Handelsfragen eher weiter inhaltlich „vage“.


Abgeschlossen: Anfang November 2021


Anmerkungen:

[1] Siehe dazu: Neghinpao Kipgen, „INDIA – ASEAN RELATIONS: THE INITIATIVES, SUCCESSES, AND CHALLENGES“. In: India Review 3/2020, S. 207-222.

[2] Siehe dazu etwa: Peter Layton, „SOUTH EAST ASIAN NAVIES: CHALLENGES AND PRIORITIES“. In: Maritime Security & Defence 6/2021, S. 6-10.

[3] Dazu vertiefend: Alexandre Vaillant, „L’INDIAN NAVAL AIR ARM: ENJEUX ET PERSPECTIVES DE L‘AÉRONAUTIQUE NAVALE INDIENNE“. In: Revue Défense Nationale 5/2020, S. 101-108.

[4] Harsh V. Pant / Arashi Tirkey, „THE 5G QUESTION AND INDIA’S CONUNDRUM“. In: Orbis 4/2020, S. 571-588.

[5] Sudarshan Shrikhande, „FOR A SECURE INDO-PACIFIC, GROW THE QUAD!“. In: Naval Institute Proceedings 8/2020, S. 38-43.

[6] Rajesh Rajagopalan, „EVASIVE BALANCING: INDIA’S UNVIABLE INDO-PACIFIC STRATEGY“. In: International Affairs 1/2020, S. 75-93.

[7] Vertiefend dazu: Richard Scott, „INDIGENOUS AMBITIONS: PROJECT 75 GROWS INDIA’S SUBMARINE ECOSYSTEM“. In: Jane’s International Defence Review 1/2020, S. 54-59.

[8] Heinz Nissel, Selbstbewusstes Indien – „Unsere Zeit ist gekommen“. In: ÖMZ 6/2020, S. 699-708.

[9] Feng Liu, „THE RECALIBRATION OF CHINESE ASSERTIVENESS: CHINA’S RESPONSES TO THE INDO-PACIFIC CHALLENGE“. In: International Affairs 1/2020, S. 9-27.