KÜNSTLICHE INTELLIGENZ-SYSTEME IM MILITÄRISCHEN RAHMEN
Die Konzentration von Wissenschaftlern und Politikern auf die KI ist sicherlich gerechtfertigt, da KI viele Aspekte der traditionellen Staatskunst erheblich beeinflussen wird. Wissenschaft ist das Bemühen um die Entdeckung einer objektiven Wahrheit oder eines vereinbarten Satzes von Fakten, anhand derer Theorien verifiziert werden können. Das Mittel, mit dem wir diese Tatsachen bestimmen, ist die wissenschaftliche Methode, indem wir Vermutungen (Hypothesen) anstellen, aus ihnen Vorhersagen als logische Konsequenzen ableiten und dann auf der Grundlage dieser Vorhersagen Experimente oder empirische Beobachtungen durchführen. Wissenschaft ist ein unvollkommenes Geschäft. Es stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit der wissenschaftlichen Methode, weil der Mensch mit seinen inhärenten kognitiven Verzerrungen diesen Prozess durchführt. Von Wissenschaftlern wird erwartet, dass sie über ein umfassendes Hintergrundwissen zu ihrem Untersuchungsgegenstand verfügen. In der Vergangenheit konnte ein Forscher schnell zu einem Experten für ein Studienthema werden, der in der Lage war, innerhalb weniger Tage alle veröffentlichten Artikel eines Fachgebiets zu lesen. Um relevante Forschungsergebnisse der Vergangenheit zu ermitteln, ist es heute üblich, dass Forscher Publikationsdatenbanken wie „Google Scholar“ abfragen. Die Ergebnisse dieser Recherchen sind zwar umfangreich, aber für das menschliche Verständnis oft schwer begreifbar. Beispielsweise liefert eine Suche in „Google Scholar“ mit der Suchanfrage „Atommodell“ rund 3,9 Millionen Publikationen – ein Volumen, das Forscher daran hindert, den gesamten Korpus an Forschungsergebnissen zu einem Thema von Interesse einzusehen.
Diese grundlegenden Probleme, die mit dem modernen wissenschaftlichen Prozess verbunden sind, haben sowohl Wissenschaftler als auch die Industrie dazu veranlasst, Hilfe bei der maschinellen Automatisierung zu suchen. In dem Maße wie die wissenschaftliche Automatisierung zunimmt und durch „intelligente“ Prozesse unterstützt wird, werden sowohl die Wissenschaftler als auch die Anwender der daraus resultierenden Technologie beginnen, große Sprünge nach vorn zu machen.[2]
Die „Kommerzialisierung“ von Wissenschaft mit Hilfe von IT-Modulen ist aber ein zunehmendes Problem, auf die sich verstärkt der demokratiepolitische Fokus richten sollte.
Fortschreitende Satellitentechnologie
Ein besonderes Fallbeispiel für den verstärkten Einsatz von KI-Modulen ist die Satellitentechnologie. Dabei geht es insbesondere um die Auswirkungen auf die nationale Sicherheit, die sich aus Fortschritten bei Rendezvous- und Annäherungs-Operationen über Satelliten und der Technologie für die Wartung im Orbit ergeben. Es zeigt sich immer mehr, wie der doppelte Verwendungszweck dieser Technologien ihre Verbreitung als Folge militärischer Anforderungen und sich verändernder kommerzieller Märkte sowie das Fehlen einer Reihe von Verhaltensregeln, das Sicherheitsumfeld verändert haben. Mit dem Wiederaufleben des Großmachtwettbewerbs und der zunehmenden Zahl staatlicher und nichtstaatlicher Akteure im Weltraum könnte die potenzielle Instabilität, die durch diese aufkommenden Technologien verursacht wird, tiefgreifende Auswirkungen auf Frieden und Stabilität in der Welt haben.
Die rasche Weiterentwicklung aufkommender Weltraumtechnologien verspricht eine transformative Wirkung sowohl auf friedliche Weltraumoperationen als auch auf die Zukunft der Kriegsführung. Diese Fähigkeiten bieten eine breite Palette von Optionen – von der Aufklärung über die Reparatur bis hin zur Zerstörung. Welche dieser Funktionen an einem bestimmten Tag zum Einsatz kommen werden, wird schwer zu bestimmen sein. In den nächsten 15 Jahren werden höchstwahrscheinlich im Orbit Raumfahrzeuge eingesetzt werden, die von privaten und öffentlichen Akteuren betrieben werden.
Zwischenstaatliche Konflikte könnten sich aus absichtlichen und unabsichtlichen Operationen im Weltraum entwickeln. Konflikte könnten aufgrund der durch den Weltraum ermöglichten Fähigkeiten zur Kriegsführung aus anderen Bereichen überkochen. Transparenz oder sogar eine genaue Bedrohungswahrnehmung könnten Konflikte auslösen oder zu Kooperation führen. Schließlich könnte Stabilität auch aus Verwundbarkeit entstehen. Wenn die gegnerischen Parteien erkennen, dass sie verwundbar sind und eine gegenseitige Aktion als zu kostspielig erachtet wird, dann kann dieses Gleichgewicht auch für Stabilität sorgen, so manche Experten.[3]
Wie die internationale Gemeinschaft mit dieser zunehmend herausfordernden Situation umgehen wird, sollte für die politischen Entscheidungsträger eine dringende Frage sein. Die Integration des Weltraums mit der Cyber- und Informationstechnologie und der elektronischen Kriegsführung unterstreicht die Bedeutung von Kontrolle und Verweigerung für diejenigen, die eine kriegerische Haltung einnehmen. Für diejenigen, die mehr an den Vorteilen friedlicher Operationen interessiert sind, ist Kooperation der erwünschte Endzustand. Im weiteren Sinne ist der Weltraum zu einem „Bindegewebe“ geworden, das sich über die Domänen Land, See, Luft und Cyber erstreckt und gleichzeitig eine eigenständige operative Domäne darstellt.[4] Da es immer schwieriger wird, diese Bereiche zu isolieren und zwischen kommerziellen und militärischen Mitteln zu unterscheiden, müssen die Staatsführer, die globalen Frieden und globale Sicherheit schätzen, Wege finden, um die Verhaltenserwartungen zu klären und echtes Vertrauen aufzubauen. Die hier erörterten Technologien öffnen Fehleinschätzungen, Eskalation und Konflikten Tür und Tor, aber sie bieten auch einen zwingenden Grund für die Zusammenarbeit im Weltraum.
In letzter Zeit ist viel über Informations- und Cyberkriegsführung und über die Rolle von KI bei der Erzielung von Erfolgen bei Kampfhandlungen diskutiert worden. All das ist im heutigen Informationszeitalter, das durch eine unbegrenzte Ausdehnung der Daten- und Wissensströme in allen Bereichen des menschlichen Lebens gekennzeichnet ist, von größter Aktualität. Die potenzielle Zerstörung oder Beschädigung sensibler Infrastrukturen von Staaten (Fabriken, Anlagen, Transportsysteme, Energieanlagen usw.) wird eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Kriegsführung sein. Mit Hilfe von Cyberattacken und den Mitteln der elektronischen Kriegsführung sind militärische Kontrahenten zunehmend in der Lage, die lebenswichtigen Ressourcen und Zonen des Gegnerlandes lahmzulegen oder zumindest schwer in Mitleidenschaft zu ziehen.[5] Solche erhöhten militärischen Kapazitäten zur Generierung größtmöglicher Langzeitschäden beim Feind, schließt auch ein, dass Terrororganisationen ihren Fokus auf diese Technologien richten, um bei ihren künftigen Angriffsstrategien auf diese Werkzeuge zurückgreifen zu können.[6]
Es müssen jetzt rasch effiziente Gegen- und Schutzmaßnahmen unternommen werden, um solche feindlichen Einwirkungen auf die eigenen Infrastrukturen möglichst zu verhindern oder deutlich abzuschwächen. Dafür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie notwendig, um solche Negativszenarios nicht Wirklichkeit werden zu lassen.
Modernste autonom agierende KI-Systeme können speziell auch für westliche Marineverbände Abhilfe schaffen, um ein autonomes „Netzwerk bewaffneter Plattformen“ gegen feindliche Kräfte loszuschicken, das in der Lage ist, gezielt unter anderem mittels Schwarmattacken gegnerische Ziele auszuschalten.[7] Um diese Kapazitäten angesichts schwindender Effektivität im Bereich der Tarnung zu erreichen, müsse die nötige technische Infrastruktur geschaffen werden, um KI-Modelle zeitnah in die Tat umzusetzen, die den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden. Eine enge Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie ist dabei notwendig, um am Ende auch in künftigen militärischen Konflikten erfolgreich bestehen zu können.[8]
Abgeschlossen: Anfang November 2021
Anmerkungen:
[1] Jean Magne, „INTELLIGENCE ARTIFICIELLE ET DÉFENSE NATIONALE“. In: Revue Défense Nationale 1/2021, S. 74-81.
[2] Siehe dazu etwa: Erica Briscoe / James Fairbanks, „ARTIFICIAL SCIENTIFIC INTELLIGENCE AND ITS IMPACT ON NATIONAL SECURITY AND FOREIGN POLICY“. In: Orbis 4/2020, S. 544 -554.
[3] Mariel John Borowitz / Lawrence Rubin / Brian Stewart, „NATIONAL SECURITY IMPLICATIONS OF EMERGING SATELLITE TECHNOLOGIES“. In: Orbis 4/2020, S. 515-527.
[4] Vgl. James Pavur / Ivan Martinovic, „THE CYBER ASAT: ON THE IMPACT OF CYBER WEAPONS I OUTER SPACE“. In: 2019 11th International Conference on Cyber Conflict, S. 213-230.
[5] So machte der Iran Ende Oktober 2021 seine politischen Erzfeinde Israel und USA für den jüngsten Cyberangriff auf das landesweite Tankstellennetz verantwortlich. Der Cyber-Angriff auf das Zahlungssystem der Tankstellen hatte für lange Schlangen und Chaos in der Hauptstadt Teheran und anderen Städten gesorgt. Iraner konnten an vielen Tankstellen nur ohne ihre Karte für subventioniertes Benzin tanken, der Kraftstoff war dann aber doppelt so teuer. Der Iran sprach zunächst von einem „technischen Defekt“, bestätigte allerdings später den Cyberangriff.
[6] R. A. Durnev / K. Yu. Kryukov / F. M. Deduchenko, „PREVENTING MAN-MADE DISASTERS PROVOKED BY THE ADVERSARY IN THE COURSE OF FIGHTING“. In: Military Thought 4/2019, S. 15-23.
[7] CYBERSPACE OPERATIONS: THE PENTAGON’S APPROACH THE PENTAGON HAS BEEN AWARE OF THE INTERNET’S POTENTIAL AS A DEFENSIVE AND OFFENSIVE WARFIGHTING DOMAIN FOR MORE THAN TWO DECADES. In: European Security & Defence 6/2018, S. 44-47.
[8] Tom Wester / Richard Kuzma, „THE END OF DECEPTION“. In: Naval Institute Proceedings 11/2019, S. 62-66.
Weiterführende LINKS:
Innovation, Hochtechnologie und Rüstungsforschung - ÖMZ
Operational Art im 21. Jahrhundert - Your Intranet - ÖMZ
Cyber Defence - eine nationale Herausforderung (Teil 1) - ÖMZ
Aufstrebende Technologien in der Logistik - Your Intranet - ÖMZ
2019/5/6 Elektronische Kriegsfuehrung - Your Intranet - ÖMZ
Military Applications of Artificial Intelligence - Ethical Concerns in an Uncertain World
Artificial Intelligence: guidelines for military and non-military use
Artificial Intelligence and the Future of Warfare - Chatham House
Military artificial intelligence can be easily and dangerously fooled
Experts say military could treat artificial intelligence (AI) in the say they treat any intelligence
Artificial Intelligence - AI | Military.com
Rise of artificial intelligence in military weapons systems
NOT SMART ENOUGH: THE POVERTY OF EUROPEAN MILITARY THINKING ON ARTIFICIAL INTELLIGENCE
Artificial Intelligence and the Future of Defense - HCSS
IS THE U.S. MILITARY FALLING BEHIND IN ARTIFICIAL INTELLIGENCE?
Special Operations Strives to Use the Power of Artificial Intelligence
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The Impact of Artificial Intelligence on the Military Profession