KÜNSTLICHE INTELLIGENZ-SYSTEME IM MILITÄRISCHEN RAHMEN


In letzter Zeit wurde viel darüber diskutiert, wie sich Künstliche Intelligenz (KI) kurz- und langfristig auf die nationale Sicherheit auswirken könnte. Diese Diskussionen finden vor dem Hintergrund des Verlustes der technologischen und wissenschaftlichen Überlegenheit der Vereinigten Staaten statt, da andere Länder, vor allem die Volksrepublik China, ihre Forschungs- und Entwicklungsbudgets aufstocken. Angesichts der enormen Ausmaße jüngst bekannt gewordener, großangelegter Hackerattacken auf US-Behörden und Firmen bleibt das Thema hochbrisant.

Der Anstieg von KI im militärischen Bereich ist exponentiell und bringt neue Möglichkeiten, um die operative Überlegenheit ausspielen zu können. Es ist jedoch unerlässlich, die Dimensionen zu messen und die Entscheidungsprozesse mit Algorithmen zu beherrschen. Der befehlhabende Offizier wird immer die Letztentscheidung für anstehende militärische Operationen haben, weil er ja aus einer möglichst umfassenden Sicht handelt.

Manch einer träumt von KI-Systemen, die vor jeglicher Bedrohung schützen. Das ist leider eine Utopie, betonen kritische Beobachter. Die Maschine denkt nicht und kann sich sogar gegen ihren Benutzer wenden, wenn der Gegner den „wunden Punkt“ gefunden hat. Man sollte KI-Module weiterhin als ein Werkzeug ansehen, das sicherlich sehr mächtig ist, das aber beherrscht werden müsse. Nur der Mensch hat die Fähigkeit, das große Ganze zu sehen, angemessene Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie mit Risiken verbunden sind. Er weiß, wie er seinem Handeln einen Sinn geben kann. Der Mensch sollte die frei gewordene Zeit nützen, die durch KI ermöglicht wird, repetitive und uninteressante Arbeiten zu erledigen, um währenddessen als Operateur voraus zu planen. Die Kooperation Mensch-Maschine wird insbesondere auch im militärischen Bereich dann am gewinnbringendsten sein. Immer aber sollte der Mensch die „Oberhand“ über die Robotik und andere KI-Lösungen behalten – ohne dabei die bereits erzielten Erfolge durch maschinelles Lernen in Abrede zu stellen.[1] KI eröffnet nicht zuletzt den Streitkräften neue Spielräume, aber auch neue Herausforderungen. Dies sollte in diesem Zusammenhang immer mit einkalkuliert werden.


Die Konzentration von Wissenschaftlern und Politikern auf die KI ist sicherlich gerechtfertigt, da KI viele Aspekte der traditionellen Staatskunst erheblich beeinflussen wird. Wissenschaft ist das Bemühen um die Entdeckung einer objektiven Wahrheit oder eines vereinbarten Satzes von Fakten, anhand derer Theorien verifiziert werden können. Das Mittel, mit dem wir diese Tatsachen bestimmen, ist die wissenschaftliche Methode, indem wir Vermutungen (Hypothesen) anstellen, aus ihnen Vorhersagen als logische Konsequenzen ableiten und dann auf der Grundlage dieser Vorhersagen Experimente oder empirische Beobachtungen durchführen. Wissenschaft ist ein unvollkommenes Geschäft. Es stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit der wissenschaftlichen Methode, weil der Mensch mit seinen inhärenten kognitiven Verzerrungen diesen Prozess durchführt. Von Wissenschaftlern wird erwartet, dass sie über ein umfassendes Hintergrundwissen zu ihrem Untersuchungsgegenstand verfügen. In der Vergangenheit konnte ein Forscher schnell zu einem Experten für ein Studienthema werden, der in der Lage war, innerhalb weniger Tage alle veröffentlichten Artikel eines Fachgebiets zu lesen. Um relevante Forschungsergebnisse der Vergangenheit zu ermitteln, ist es heute üblich, dass Forscher Publikationsdatenbanken wie „Google Scholar“ abfragen. Die Ergebnisse dieser Recherchen sind zwar umfangreich, aber für das menschliche Verständnis oft schwer begreifbar. Beispielsweise liefert eine Suche in „Google Scholar“ mit der Suchanfrage „Atommodell“ rund 3,9 Millionen Publikationen – ein Volumen, das Forscher daran hindert, den gesamten Korpus an Forschungsergebnissen zu einem Thema von Interesse einzusehen.

Diese grundlegenden Probleme, die mit dem modernen wissenschaftlichen Prozess verbunden sind, haben sowohl Wissenschaftler als auch die Industrie dazu veranlasst, Hilfe bei der maschinellen Automatisierung zu suchen. In dem Maße wie die wissenschaftliche Automatisierung zunimmt und durch „intelligente“ Prozesse unterstützt wird, werden sowohl die Wissenschaftler als auch die Anwender der daraus resultierenden Technologie beginnen, große Sprünge nach vorn zu machen.[2]

Die „Kommerzialisierung“ von Wissenschaft mit Hilfe von IT-Modulen ist aber ein zunehmendes Problem, auf die sich verstärkt der demokratiepolitische Fokus richten sollte.


Fortschreitende Satellitentechnologie

Ein besonderes Fallbeispiel für den verstärkten Einsatz von KI-Modulen ist die Satellitentechnologie. Dabei geht es insbesondere um die Auswirkungen auf die nationale Sicherheit, die sich aus Fortschritten bei Rendezvous- und Annäherungs-Operationen über Satelliten und der Technologie für die Wartung im Orbit ergeben. Es zeigt sich immer mehr, wie der doppelte Verwendungszweck dieser Technologien ihre Verbreitung als Folge militärischer Anforderungen und sich verändernder kommerzieller Märkte sowie das Fehlen einer Reihe von Verhaltensregeln, das Sicherheitsumfeld verändert haben. Mit dem Wiederaufleben des Großmachtwettbewerbs und der zunehmenden Zahl staatlicher und nichtstaatlicher Akteure im Weltraum könnte die potenzielle Instabilität, die durch diese aufkommenden Technologien verursacht wird, tiefgreifende Auswirkungen auf Frieden und Stabilität in der Welt haben.

Die rasche Weiterentwicklung aufkommender Weltraumtechnologien verspricht eine transformative Wirkung sowohl auf friedliche Weltraumoperationen als auch auf die Zukunft der Kriegsführung. Diese Fähigkeiten bieten eine breite Palette von Optionen – von der Aufklärung über die Reparatur bis hin zur Zerstörung. Welche dieser Funktionen an einem bestimmten Tag zum Einsatz kommen werden, wird schwer zu bestimmen sein. In den nächsten 15 Jahren werden höchstwahrscheinlich im Orbit Raumfahrzeuge eingesetzt werden, die von privaten und öffentlichen Akteuren betrieben werden.

Zwischenstaatliche Konflikte könnten sich aus absichtlichen und unabsichtlichen Operationen im Weltraum entwickeln. Konflikte könnten aufgrund der durch den Weltraum ermöglichten Fähigkeiten zur Kriegsführung aus anderen Bereichen überkochen. Transparenz oder sogar eine genaue Bedrohungswahrnehmung könnten Konflikte auslösen oder zu Kooperation führen. Schließlich könnte Stabilität auch aus Verwundbarkeit entstehen. Wenn die gegnerischen Parteien erkennen, dass sie verwundbar sind und eine gegenseitige Aktion als zu kostspielig erachtet wird, dann kann dieses Gleichgewicht auch für Stabilität sorgen, so manche Experten.[3]

Wie die internationale Gemeinschaft mit dieser zunehmend herausfordernden Situation umgehen wird, sollte für die politischen Entscheidungsträger eine dringende Frage sein. Die Integration des Weltraums mit der Cyber- und Informationstechnologie und der elektronischen Kriegsführung unterstreicht die Bedeutung von Kontrolle und Verweigerung für diejenigen, die eine kriegerische Haltung einnehmen. Für diejenigen, die mehr an den Vorteilen friedlicher Operationen interessiert sind, ist Kooperation der erwünschte Endzustand. Im weiteren Sinne ist der Weltraum zu einem „Bindegewebe“ geworden, das sich über die Domänen Land, See, Luft und Cyber erstreckt und gleichzeitig eine eigenständige operative Domäne darstellt.[4] Da es immer schwieriger wird, diese Bereiche zu isolieren und zwischen kommerziellen und militärischen Mitteln zu unterscheiden, müssen die Staatsführer, die globalen Frieden und globale Sicherheit schätzen, Wege finden, um die Verhaltenserwartungen zu klären und echtes Vertrauen aufzubauen. Die hier erörterten Technologien öffnen Fehleinschätzungen, Eskalation und Konflikten Tür und Tor, aber sie bieten auch einen zwingenden Grund für die Zusammenarbeit im Weltraum.


In letzter Zeit ist viel über Informations- und Cyberkriegsführung und über die Rolle von KI bei der Erzielung von Erfolgen bei Kampfhandlungen diskutiert worden. All das ist im heutigen Informationszeitalter, das durch eine unbegrenzte Ausdehnung der Daten- und Wissensströme in allen Bereichen des menschlichen Lebens gekennzeichnet ist, von größter Aktualität. Die potenzielle Zerstörung oder Beschädigung sensibler Infrastrukturen von Staaten (Fabriken, Anlagen, Transportsysteme, Energieanlagen usw.) wird eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Kriegsführung sein. Mit Hilfe von Cyberattacken und den Mitteln der elektronischen Kriegsführung sind militärische Kontrahenten zunehmend in der Lage, die lebenswichtigen Ressourcen und Zonen des Gegnerlandes lahmzulegen oder zumindest schwer in Mitleidenschaft zu ziehen.[5] Solche erhöhten militärischen Kapazitäten zur Generierung größtmöglicher Langzeitschäden beim Feind, schließt auch ein, dass Terrororganisationen ihren Fokus auf diese Technologien richten, um bei ihren künftigen Angriffsstrategien auf diese Werkzeuge zurückgreifen zu können.[6]

Es müssen jetzt rasch effiziente Gegen- und Schutzmaßnahmen unternommen werden, um solche feindlichen Einwirkungen auf die eigenen Infrastrukturen möglichst zu verhindern oder deutlich abzuschwächen. Dafür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie notwendig, um solche Negativszenarios nicht Wirklichkeit werden zu lassen.

Modernste autonom agierende KI-Systeme können speziell auch für westliche Marineverbände Abhilfe schaffen, um ein autonomes „Netzwerk bewaffneter Plattformen“ gegen feindliche Kräfte loszuschicken, das in der Lage ist, gezielt unter anderem mittels Schwarmattacken gegnerische Ziele auszuschalten.[7] Um diese Kapazitäten angesichts schwindender Effektivität im Bereich der Tarnung zu erreichen, müsse die nötige technische Infrastruktur geschaffen werden, um KI-Modelle zeitnah in die Tat umzusetzen, die den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden. Eine enge Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie ist dabei notwendig, um am Ende auch in künftigen militärischen Konflikten erfolgreich bestehen zu können.[8]


Abgeschlossen: Anfang November 2021


Anmerkungen:

[1] Jean Magne, „INTELLIGENCE ARTIFICIELLE ET DÉFENSE NATIONALE“. In: Revue Défense Nationale 1/2021, S. 74-81.

[2] Siehe dazu etwa: Erica Briscoe / James Fairbanks, „ARTIFICIAL SCIENTIFIC INTELLIGENCE AND ITS IMPACT ON NATIONAL SECURITY AND FOREIGN POLICY“. In: Orbis 4/2020, S. 544 -554.

[3] Mariel John Borowitz / Lawrence Rubin / Brian Stewart, „NATIONAL SECURITY IMPLICATIONS OF EMERGING SATELLITE TECHNOLOGIES“. In: Orbis 4/2020, S. 515-527.

[4] Vgl. James Pavur / Ivan Martinovic, „THE CYBER ASAT: ON THE IMPACT OF CYBER WEAPONS I OUTER SPACE“. In: 2019 11th International Conference on Cyber Conflict, S. 213-230.

[5] So machte der Iran Ende Oktober 2021 seine politischen Erzfeinde Israel und USA für den jüngsten Cyberangriff auf das landesweite Tankstellennetz verantwortlich. Der Cyber-Angriff auf das Zahlungssystem der Tankstellen hatte für lange Schlangen und Chaos in der Hauptstadt Teheran und anderen Städten gesorgt. Iraner konnten an vielen Tankstellen nur ohne ihre Karte für subventioniertes Benzin tanken, der Kraftstoff war dann aber doppelt so teuer. Der Iran sprach zunächst von einem „technischen Defekt“, bestätigte allerdings später den Cyberangriff.

[6] R. A. Durnev / K.  Yu. Kryukov / F. M. Deduchenko, „PREVENTING MAN-MADE DISASTERS PROVOKED BY THE ADVERSARY IN THE COURSE OF FIGHTING“. In: Military Thought 4/2019, S. 15-23.

[7] CYBERSPACE OPERATIONS: THE PENTAGON’S APPROACH THE PENTAGON HAS BEEN AWARE OF THE INTERNET’S POTENTIAL AS A DEFENSIVE AND OFFENSIVE WARFIGHTING DOMAIN FOR MORE THAN TWO DECADES. In: European Security & Defence 6/2018, S. 44-47.

[8] Tom Wester / Richard Kuzma, „THE END OF DECEPTION“. In: Naval Institute Proceedings 11/2019, S. 62-66.

Weiterführende LINKS:

Innovation, Hochtechnologie und Rüstungsforschung - ÖMZ

Operational Art im 21. Jahrhundert - Your Intranet - ÖMZ

Cyber Defence - eine nationale Herausforderung (Teil 1) - ÖMZ

Aufstrebende Technologien in der Logistik - Your Intranet - ÖMZ

2019/5/6 Elektronische Kriegsfuehrung - Your Intranet - ÖMZ

Military Applications of Artificial Intelligence - Ethical Concerns in an Uncertain World

Artificial Intelligence: guidelines for military and non-military use

Artificial Intelligence and the Future of Warfare - Chatham House

Military artificial intelligence can be easily and dangerously fooled

Experts say military could treat artificial intelligence (AI) in the say they treat any intelligence

Artificial Intelligence - AI | Military.com

Rise of artificial intelligence in military weapons systems

NOT SMART ENOUGH: THE POVERTY OF EUROPEAN MILITARY THINKING ON ARTIFICIAL INTELLIGENCE

Artificial Intelligence and the Future of Defense - HCSS

IS THE U.S. MILITARY FALLING BEHIND IN ARTIFICIAL INTELLIGENCE?

Special Operations Strives to Use the Power of Artificial Intelligence

Military artificial intelligence weapons

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MODERNIZING THE MILITARY THROUGH ARTIFICIAL INTELLIGENCE

Artificial intelligence co-pilots US military aircraft for the first time

Responsible Military Use of Artificial Intelligence: Can the European Union Lead the Way in Developing Best Practice?

The Impact of Artificial Intelligence on the Military Profession

Artificial Intelligence and the Future of Conflict