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Heinz Brill
Geopolitische Grundbegriffe als Forschungsaufgabe
Geopolitik ist das Studium von Raum, Macht und Zeit. Diese Faktorenkombination findet bei Vertretern der klassischen Geopolitik allgemeine Anerkennung. Sie untersucht die internationalen Machtstrukturen aus räumlicher Perspektive. Insbesondere für Welt- und Großmächte, aber auch für zahlreiche Regionalmächte kann diese Tendenz bei der Beurteilung internationaler Lagen aufgezeigt werden. Deutschland ist aufgrund seines geoökonomischen Machtpotenzials und seiner wiedergewonnenen „Mittellage“ seit geraumer Zeit in den Fokus gerückt. Aber auch für zahlreiche andere Regionalmächte kann diese Tendenz aufgezeigt werden. Die besondere geopolitische Lage der Türkei und (die) der Ukraine werden nahezu bei jeder internationalen Diskussion hervorgehoben. Für beide Staaten ist aufgrund der veränderten Raum-Mächte-Konstellation die „Geopolitik“ ein zentrales Kriterium bei der neuen „Lagebeurteilung“ geworden: Die Türkei aufgrund ihrer Lage an der Schnittstelle geopolitischer Großräume mit dem Bestreben, als aufsteigende Macht „Geopolitischer Dreh- und Angelpunkt in Eurasien“ zu werden; und die Ukraine aufgrund ihres inneren Systemwandels und deren Folgen bei der Neuordnung des postsowjetischen Raumes ihre internationale Position neu zu bestimmen. Während die Subjektfunktion der Türkei in der internationalen Politik zunehmend Anerkennung findet, sucht die Ukraine bei Drohung des Staatszerfalls sich aus der russischen Einflusssphäre zu entziehen.
In der operativen Politik bestimmen geopolitische Überlegungen weltweit das Handeln der Akteure, sei es bei der Analyse des Streits um Einflusssphären oder Bestimmung des nationalen Interesses, bei der Beurteilung von „Pan-Ideen“, Chinas „Seidenstraßeninitiative“, der Entwicklung von Weltbevölkerung und Ressourcen, der NATO-Osterweiterung, Perspektiven des „Westens“, Globale Migrationsströme der Gegenwart, Hegemonie und Gleichgewicht in Europa, der Arktis, im Mittelmeerraum, in der Nahost-Region, im Südchinesischen Meer oder von Modellen für eine neue Weltordnung. Nicht zuletzt aufgrund dieser Herausforderungen hat die EU (Sept. 2019) als internationaler Akteur eine „Geopolitische Kommission“ gegründet.
Die Darlegung der Entwicklungsgeschichte und Definitionen der ausgewählten Begriffe gehören zur geopolitischen Grundlagenforschung. Hierbei zeigt sich v.a. im deutschen Sprachraum eine Forschungslücke: Es fehlt für die Sicherheitspolitik ein „Geopolitisches Standardwörterbuch“, das gerade bei Strukturveränderungen in der Weltpolitik von erheblichem Nutzen wäre. Die bisher vorliegenden „Wörterbücher zur Sicherheitspolitik“ behandeln geopolitische Grundbegriffe nur am Rande und sind daher lediglich als „Torsi“ anzusehen.
Die Fachbegriffe bzw. deren Definitionen sind ein unerlässliches Hilfsmittel für den, der eine klare Aussage machen muss. Neben der Sichtung einschlägiger, v.a. deutscher, englischer und französischer Literatur und der Einholung von Stellungnahmen wissenschaftlicher Institute, beruht die Arbeit auf der Befragung von Wissenschaftlern, Politikern, Offizieren und Publizisten, soweit sie selbst diese Begriffe für ihre eigenen Arbeiten benutzt haben. Die Recherchen haben gezeigt: Je sorgfältiger die Forschungen über den jeweiligen Begriff (in Hinblick seiner Zuordnung) durchgeführt wurden, desto schwieriger erscheint es, in dieser Frage abschließend Stellung zu nehmen. Deshalb wird das vorliegende Ergebnis v.a. als Bestandsaufnahme bzw. als Diskussionsgrundlage für weiterführende Arbeiten zu betrachten sein.
Walter Posch
Kommunismus und Linksextremismus in und aus der Türkei - Teil 1
Von der Studentenbewegung zum Putsch (1968-1980)
Eine Arbeit über bewaffnete kommunistische Gruppen aus der Türkei mag angesichts der Tatsache, dass kommunistische Regime nach dem Ende der Sowjetunion und des Kalten Krieges nur mehr als historische Anachronismen wahrgenommen werden, wie eine Fleißaufgabe wirken. Außerdem gelten, mit Ausnahme der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), islamistische und rechtsextreme Gruppen aus der Türkei viel mehr als Bedrohung für die Sicherheit in Europa, als linksextreme. Mit der PKK wird aber ein weiterer Aspekt angesprochen, nämlich jene kommunistischen Strömungen, die als Untergrund- oder, in ihrer Diktion, als Widerstandsbewegungen in der Dritten Welt, zu der die Türkei zweifelsohne zu rechnen ist, aktiv sind. Und hier ändert sich das Bild signifikant: Von den in den 1990er-Jahren aktiven Gruppen wurden nur die Tamil Tigers in Sri Lanka und der Leuchtende Pfad in Peru militärisch (aber nicht ideologisch) besiegt, andere wie die nepalesischen Maoisten spielen in anderer Form eine bedeutende Rolle. Doch die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC), die indischen Naxaliten, die mexikanischen Zapatisten und die PKK sind ideologische, gesellschaftspolitische und militärische Akteure geblieben, deren Ende noch nicht abzusehen ist.
In diese Kategorie gehören die hier zu behandelnden türkischen (türk) oder besser: „türkeiischen“ (Türkiyeli) Parteien, die nach wie vor als Stadt- und als Landguerillas aktiv sind. Sie stehen zwar im Schatten der viel mächtigeren und bekannteren PKK, mit der die meisten von ihnen kooperieren, doch sie haben eine eigene Geschichte und eine eigene Identität und sind nach wie vor in der Lage, die politische Debatte in der Türkei und in den türkischen Gemeinden in Europa direkt oder indirekt zu beeinflussen - u.a. auch durch Gewalteinsatz. Die meisten dieser Gruppen entstanden in den frühen 1970er-Jahren, waren bis zum Militärputsch 1980 aktiv und reorganisierten sich ab Mitte der 1980er-Jahre im Untergrund und in der Legalität wieder. Es handelt es sich bei ihnen um ideologisch gefestigte Kommunisten verschiedener Strömungen.
Der Ablehnung des Rechtsstaates folgt die Relativierung der Menschenrechte. Denn diese werden funktionalistisch als Möglichkeit, den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern und nicht sui generis verstanden. Menschenrechte haben sich - wie bei den Islamisten - der Ideologie unterzuordnen. Das erklärte auch die Zurückhaltung einiger linksextremer Gruppen bei der Frage zur Abschaffung der Todesstrafe, denn wenn man einmal selbst an die Macht kommt, werden doch alle Konterrevolutionäre hingerichtet. Lenin folgend ist der Begriff „revolutionäre Gewalt“ (devrimci şiddet) positiv besetzt. Seit den 1970er-Jahren wurde ein eigener morbider newspeak entwickelt: Gefallene Militante sterben nicht, sie werden entweder „Märtyrer“ (șehit) ein ursprünglich religiöser Begriff oder „unsterblich“ (ölümsüz) bzw. „unsterblich gemacht“ (ölümsüzleșmek). Der Einsatz von Gewalt - oder der Verzicht darauf - hängt ausschließlich von den politischen und operativen Voraussetzungen ab, bleibt aber integraler Teil des ideologischen Kampfes, der in Europa überwiegend in der Form des politischen Aktivismus geführt wird.
In der vorliegenden Arbeit hat der Autor auf Begriffe wie „Revolutionär“, der ihm zu romantisch und zu ungenau ist, oder auf „Terrorist“, der ihm zu sehr wertend und zu wenig analytisch erscheint, verzichtet, auch wenn es sich um jeweils etablierte Eigen- oder Fremdbezeichnungen handelt. Stattdessen verwendet der Autor „linksradikal“ für jene Gruppen, meistens legale Parteien der Untergrundorganisationen, die eine sozialistische bzw. kommunistische Veränderung der Machtverhältnisse in der Türkei auf gewaltfreiem Weg herbeiführen wollen und „linksextrem“ für jene, die den, aus kommunistischer Sicht notwendigen Weg der bewaffneten Revolution gehen.
Herwig Jedlaucnik
Grenzsicherung als Symbol staatlicher Kontrolle
Einsatz militärischer Machtmittel zur Kontrolle der österreichisch-slowenischen Grenze am Beginn der Jugoslawienkriege 1991
Unmittelbar nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien am 25. Juni 1991, und somit ihrem Austritt aus der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, übernahmen slowenische Polizei und Territorialverteidigung die Kontrolle an den jugoslawischen/slowenischen Grenzübergängen. Jugoslawische Bundesbeamte wurden entwaffnet, Hoheitsabzeichen und Flaggen ausgetauscht. Mit dieser Symbolik wurde die staatliche Machtübernahme zur Realisierung der Unabhängigkeit vollzogen. Das jugoslawische Staatspräsidium erklärte wiederum die Unabhängigkeitserklärung für illegitim und erließ ein Dekret zum Schutz der jugoslawischen/slowenischen Staatsgrenze durch die Jugoslawische Volksarmee (JVA) und die Bundespolizei. Die Eskalation des Konfliktes nahm ihren Lauf. In den folgenden Tagen kam es zu Gefechten an den internationalen Grenzübergängen bzw. an den Anmarschwegen zu diesen. In weiterer Folge gingen auf der anderen Seite dieser Grenze österreichische Soldaten, die Vertreter und Repräsentanten österreichischer Staatsmacht, in Stellung.
Welche Bedeutung hatte „Grenze“ im Kontext der Slowenienkrise 1991? Was symbolisierte sie? Wie in dieser Analyse dargelegt wird, hatte in diesem Konflikt die nationalstaatliche Grenze auf jugoslawischer/slowenischer Seite v.a. eine signifikante Bedeutung für die soziale Konstruktion gesellschaftlicher Identität, auf österreichischer Seite für die soziale Konstruktion von Bedrohung und Sicherheit.
Diese historischen Erfahrungen sind die Grundlage für die vollkommen unterschiedliche Wahrnehmung der Ereignisse des Jahres 1991 aus Wiener bzw. südösterreichischer Sicht. Diese Wahrnehmung wurde auf Grundlage der eigenen kollektiven Erfahrungen sozial konstruiert und divergierte seitens der nationalen Führung bzw. der regionalen Bevölkerung und Politik massiv. Bevölkerung und Regionalpolitiker fühlten sich aufgrund ihrer historischen Erfahrungen und natürlich auch der Unmittelbarkeit der militärischen Gewalt an ihrer Grenze bedroht. Diese Bedrohung war keine Frage einer rationalen Beurteilung der potenziell zu erwarteten Feindseligkeiten der JVA, sondern eine Frage der sozialen Konstruktion durch die Bevölkerung insbesondere aus dem Grenzraum. Dieses Bedrohungsgefühl zu ignorieren, wagte die österreichische Bundesregierung 1991 - nach langem Zögern - schlussendlich nicht. Der sozial konstruierten Bedrohung sollte durch ein „Sicherheitsgefühl“ begegnet werden. Der Einsatz der österreichischen Streitkräfte erfolgte daher im Wesentlichen auf Grundlage der seitens der Bundesregierung und ihrer Organe wahrgenommenen Notwendigkeit, eine symbolhafte Grenzsicherung durchzuführen, um der sozial konstruierten Bedrohung der regionalen Bevölkerung und ihrer politischen Vertreter zu entsprechen. Die dafür vorgesehenen Truppen einzusetzen, lehnte die Bundesregierung jedoch ab. Der Einsatz von dafür im Wesentlichen nur sehr begrenzt befähigten Truppen unterstreicht den Symbolismus des österreichischen Grenzsicherungseinsatzes, der letztlich primär nach Innen und nur sekundär nach Außen gerichtet war.
Immédiatement après la déclaration unilatérale d'indépendance de la République yougoslave de Slovénie, le 25 juin 1991, et donc son retrait de la République fédérale socialiste de Yougoslavie, la police et la défense territoriale slovènes ont pris le contrôle des postes frontières yougoslaves/slovènes.
Les fonctionnaires fédéraux yougoslaves ont été désarmés et les insignes et drapeaux souverains ont été échangés. Par ce symbolisme, le nouvel État slovène a pris le pouvoir pour réaliser son indépendance. La présidence de l'État yougoslave a déclaré à son tour que la proclamation d'indépendance des Slovènes était illégitime et a publié un décret prévoyant la protection de la frontière entre l'État yougoslave et l'État slovène par l'Armée populaire yougoslave (APY) et la police fédérale. L'escalade du conflit a suivi son cours. Les jours suivants, des combats ont éclaté aux postes frontières internationaux ou sur les voies d'accès à ceux-ci. Par la suite, des soldats autrichiens ainsi que des représentants du pouvoir étatique autrichien ont pris position de l'autre côté de cette frontière. Quelle était la signification de la « frontière » dans le contexte de la crise slovène de 1991 ? Qu’est-ce qu’elle symbolisait ? Comme l’auteur le montre dans cette analyse, dans ce conflit, la frontière nationale avait une signification importante pour les Yougoslaves et les Slovènes en ce qui concerne la construction d’une propre identité sociale et pour les Autrichiens en ce qui concerne leur construction d’un sentiment de menace et de sécurité. Ces expériences historiques sont la base des perceptions complètement différentes des événements de 1991, c’est-à-dire la perception viennoise et la perception de l'Autriche du Sud. Ces perceptions étaient des constructions sociales basées sur les expériences personnelles et collectives et divergeaient massivement entre les dirigeants nationaux, la politique et la population régionale affectée par la crise. La population et les politiciens régionaux se sentaient menacés en raison de leurs expériences historiques et, bien sûr, aussi en raison de l'immédiateté de la violence militaire à leur frontière. Cette menace n’était pas une question d'une évaluation rationnelle des hostilités potentielles à attendre du côté de la JVA (Armée populaire yougoslave), mais d'une construction sociale de la population autrichienne, notamment de celle qui habitait dans la zone frontalière. Finalement, le gouvernement fédéral autrichien n'a pas osé ignorer ce sentiment de menace en 1991 - après bien des hésitations : la menace socialement construite devait être contrée par un « sentiment de sécurité ». Le déploiement des forces armées autrichiennes était donc essentiellement fondé sur la nécessité perçue par le gouvernement fédéral et ses organes d'assurer symboliquement la sécurité des frontières afin de répondre à la menace socialement construite par la population régionale et ses représentants politiques. Cependant, le gouvernement fédéral a refusé de déployer les troupes prévues à cet effet. Le déploiement de troupes dotées de capacités essentiellement très limitées à cette fin souligne le symbolisme de l'opération de sécurisation des frontières autrichiennes, opération qui, en fin de compte, était principalement dirigée vers l'intérieur et seulement secondairement vers l'extérieur.
Günther Trattnig/Daniel Watzenig
Militärisches und ziviles Automatisiertes Fahren - Prämissen, Definitionen, Gemeinsamkeiten, Unterschiede
Automatisiertes Fahren in militärischer Nutzung (milAutomatFahren) bedeutet einen völlig anderen ursächlichen, gedanklichen, definitorischen, rechtlichen und dadurch auch technologischen Ansatz in der Umsetzung gegenüber „zivilen“ Ansätzen zum Automatisierten Fahren. Wichtig ist daher das Verständnis der (Nutzer-)Anforderungen an das milAutomatFahren, aber auch jener, die in der „zivilen“ Welt angewendet werden.
In den nachfolgenden Ausführungen soll über definitorische Ansätze, Erläuterungen der Prämissen, die Bedeutung der Anforderungen ihre Ziel- u. Zweckorientierung und die (teilweise vollkommen) unterschiedliche technologische Umsetzung das Verständnis über Automatisiertes Fahren in seinen unterschiedlichen Ausprägungen und Stufen, sowohl in der „zivilen“ Verkehrs(um)welt als auch im spezifischen, militärischen Umfeld nähergebracht und erläutert werden.
Der Auftrag milAutomatisierter Fahrzeuge ist klar definiert. Durch Tele-Operation und/oder Automatisierung sollen Menschleben geschont und Gefährdungen von Menschen auf Fahrzeugen durch unterschiedliche Bedrohungsszenarien (Gewalt, Naturereignisse aber auch menschliches Versagen) minimiert werden. Während die zivilen Anwendungen ausschließlich der jeweiligen Straßenverkehrsordnung unterliegen und sich dementsprechend nur auf Straßen bewegen, ist die Komplexität und der technische Anspruch im militärischen Bereich signifikant höher. Die Einschränkung auf nicht-emittierende Sensorik, die Lokalisierung ohne Satelliten-Unterstützung oder die Bewegung im unwegsamen Gelände zählen zu den wesentlichen Anforderungen. Objekte müssen sicher erkannt werden. Es muss auch sichergestellt sein, dass milFahrzeuge nicht vor jedem Gestrüpp, das offensichtlich überfahren werden kann, eine Bremsung einleiten. Zusätzlich müssen diese Fahrzeuge auch den zivilen Funktionsumfang abdecken können. Das Amt für Rüstungs- und Wehrtechnik (ARWT) hat im Bereich des milAutomatisierten Fahrens ganz klar die Führungsrolle in Österreich inne und hat dies auch durch zahlreiche Forschungsprojekte über die letzten Jahre demonstriert.
Ilya Zarrouk
Freiheit und Sicherheit im Spannungsverhältnis zwischen Rüstungsexport und den Menschrechtsvereinbarungen im Völkerrecht
Eine Analyse zum sicherheitspolitischen und rüstungspolitischen Verhältnis des Westens zum Nahen Osten
Die neuesten Entwicklungen in Tunesien, Algerien, dem Sudan und letztlich auch im Nahen Osten, haben die Frage auf die Agenda gehoben, inwieweit man überhaupt noch Rüstungsgüter in diese Regionen exportieren soll, und inwieweit man von der deutschen Wirtschaft insgesamt die Einhaltung von menschenrechtlichen Kodizes insgesamt beim Auslandshandel einfordern solle. Dies hat nicht nur zu diplomatischen Verwicklungen mit den orientalischen Staaten geführt, sondern auch innerhalb der EU gibt es in dieser ökonomischen wie sicherheitspolitischen Frage anscheinend keine einheitliche Linie. Damit stellt sich zur Disposition, ob Handel, insbesondere der Handel mit Rüstungsgütern, grundsätzlich an den Werten der UNO-Menschenrechts-Charta gebunden sein muss, oder ob die Abwägung von Freiheit und Sicherheit nicht anderen Variablen in der geostrategischen Lagebeurteilung unterliegen?
Sicherheit und Freiheit sind zwei Seiten einer Medaille. Sie können nicht voneinander getrennt werden und erst recht nicht, wenn man auf dem Grundsatz des demokratischen Primats besteht. Die Forderung, dass dieselben demokratischen Elemente auch für andere Kulturkreise gelten sollen, ist zwar ein berechtigter Wunsch, führt aber am Kernproblem anderer struktureller Elemente vorbei. Wenn die Freiheit der westlichen Hemisphäre nicht nur demokratisch manifestiert, sondern auch eine Frage der sozialen Wohlstandssicherung ist - und damit auch des sozialen Friedens, dann ist dies nicht gleichzeitig die auch für andere Weltregionen geltende Bedingung. Am Beispiel Tunesiens und anderer maghrebinischer Gebiete ist deutlich geworden, dass die ökonomischen Vorbedingungen der Grund für andere politische Strukturen in diesem Raum sind. Das Vakuum, das soziokulturell u. a. dadurch entstanden ist, wurde und wird durch die Konservierung militärstruktureller Bedingungen abgesichert. Ansonsten erodieren orientalische Systeme zumeist, wie am Beispiel Syriens deutlich wird, in Bürgerkriege und in „failed states“. Dies wiederum wirkt wie ein Magnet auf extremistische Gruppierungen, die entweder Staaten in dieser Region weiter destabilisieren, oder noch viel schlimmer, die Sicherheit in Europa selbst in Frage stellen. Die Forderung die Menschenrechte von den Empfängerländern von Rüstungsgütern einzufordern, wie bspw. von Saudi-Arabien, führt noch lange nicht dazu, dass erstens Sicherheit in der Region wiederhergestellt wird, noch führt es dazu, dass die Menschenrechte einen hohen Stellenwert erlangen. Es müssen sich letztlich die ökonomischen Rahmenbedingungen und die syndikalen Strukturen transformieren, damit sich die Zivilgesellschaft verändert. Schließlich werden auch die Sicherheitsapparate transformiert, die versuchen, Stabilität als Kompensation für ökonomischen Erfolge und sozialen Frieden zu gewährleisten.