CHINA UND DIE UNO
Während die Volksrepublik China unter Mao Tse-tung in ihrer revolutionären Haltung einer eigenen Beteiligung an UNO-Friedenseinsätzen in der Welt distanziert gegenüberstand, so hat sich diese Position im 21. Jahrhundert deutlich aufgeweicht. Besonders in der Ära von Präsident Xi Jinping versucht sich die aufgestiegene Großmacht ökonomisch-politisch und diplomatisch als maßgebliche „verantwortungsbewusste Größe“ auf internationaler Bühne zu präsentieren, wobei es jetzt an der Zeit sei, einen wichtigen „Beitrag zum Schutz des Weltfriedens und der globalen Sicherheit zu leisten“, wie es von offizieller Seite in Peking heißt. Damit soll Chinas Ansehen in der Welt als „großer Partner“ insbesondere auch im Rahmen der global ausgerichteten „Neuen Seidenstraßen“-Strategie gesteigert werden – mitsamt hoher chinesischer Investitionssummen in regionale Infrastrukturen und dem Export von chinesischer Kontroll- und Überwachungstechnologie speziell für jene Schwellenländer und auch für deren Eliten, die am Handel mit China profitieren.
Nach dem Ende des Kalten Krieges ist die Zahl der Peacekeeping-Missionen der UNO deutlich angestiegen. Die UNO-Einsätze waren in den Krisenregionen im Vergleich zu früher wesentlich gefährlicher. Dabei hat der „Schutz der Zivilbevölkerung“ in Bürgerkriegen insbesondere in westlichen Expertendiskursen immer mehr eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit solchen UNO-Friedenseinsätzen eingenommen. In China hingegen ist man hier weiterhin zurückhaltender. Trotzdem hat sich China im 21. Jahrhundert zum zweitgrößten Beitragszahler der UNO gemausert. Inzwischen stellt China auch mehr Blauhelme für Peacekeeping-Operationen bereit, als die anderen ständigen Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat.
Aber die kommunistische Führung in Peking betrachtet weiterhin den „Schutz der amtierenden Regierungen“ in den Konfliktgebieten als wichtige Aufgabe. China will in Bezug auf solche Friedensmissionen folgende Richtlinien gewahrt wissen: „Zustimmung der Konfliktparteien“, „Unparteilichkeit“ und „Einsatz von Gewalt nur zur Selbstverteidigung“.
Dieser von Kritikern als „konservativ staatszentristisch“ bezeichnete Ansatz lähmt die Arbeit der Weltorganisation und schaffe „weitere Instabilitäten“, heißt es.
Chinas langfristiges Ziel ist eine verstärkte politische Einflussnahme auf die UNO-Entscheidungen, um als Großmacht auf internationaler Ebene in Zukunft vermehrt die „chinesische Handschrift“ erkennen zu lassen. Auch wenn chinesische Protagonisten immer wieder beteuern, dass sich die chinesischen Zielsetzungen im Grunde gar nicht so sehr von den westlichen Vorstellungen des „liberalen Friedens“ unterscheiden, so sei das nicht so, betonen westliche Beobachter.[2] Der auf „Entwicklung beruhende Frieden“ eines autoritär regierten Chinas steht in Wahrheit der westlichen liberalen Weltordnung diametral entgegen.
Progressiveres Vorgehen unter dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping
2015 beschwörte der chinesische Präsident Xi Jinping vor der UNO-Generalversammlung „eine neue gleichberechtigte partnerschaftliche Kooperation“ und eine „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“, die nur mit einer intensivierten Interaktion Chinas in der gesamten UNO-Struktur zu machen sei. Hier will Peking seinen „Fußabdruck“ in den diversen Organisationen und Unterabteilungen hinterlassen, indem chinesische Beamte dort verstärkt eingesetzt werden sollen. Es geht insbesondere um „globale Ordnungspolitik“ (Global Governance) im Rahmen der UNO, für die sich die aufgestiegene Großmacht China mehr als berufen sieht. Nach Ansicht des chinesischen Präsidenten sollten vermehrt chinesische Wissenschaftler und akademisch gebildetes Personal Posten in den diversen UNO-Gremien bekommen, um (wie Xi sagte) „mehr Fairness und Gerechtigkeit“ in und außerhalb der UNO zu verwirklichen. Ausdrücklich stehen Arbeitsplätze in den Führungsetagen der Weltorganisation mit engagierten Chinesinnen und Chinesen im Mittelpunkt, um die Welt letztlich nach Chinas Vorstellungen zu formen.
Doch bislang klafft Theorie und Praxis noch weit auseinander. So sind die innerchinesischen Auswahlverfahren für solches Personal noch immer viel zu restriktiv und „überbürokratisch“, sodass viele potenzielle Anwärterinnen und Anwärter eher davor zurückschrecken, sich wirklich für die Arbeit in der UNO zu bewerben. Das soll sich aber ändern, heißt es aus Peking.
Dazu kommt, dass vor allem westliche Mitgliedsländer der UNO davor warnen, China innerhalb der höchsten Gremien der Weltorganisation „zu viel Gestaltungsspielraum“ zu geben. So zeigt sich speziell in der Ära von Xi Jinping, dass „Loyalität“ chinesischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der UNO zu den Werten der Kommunistischen Führung in China und damit zu den Zielvorstellungen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) von zentraler Wichtigkeit für Peking ist.[3]
Auch wenn manche Experten im Westen den Einfluss Chinas in der UNO heute trotzdem als „vom Westen übertrieben dargestellt“ herausstreichen, ist Peking dennoch darauf fokussiert, die Führungsetagen innerhalb der UNO-Strukturen emporzuklettern, um am Ende doch der Welt verstärkt „seinen Stempel“ aufzudrücken.
Ziele Chinas im UNO-Menschenrechtsrat
Das zur Großmacht aufgestiegene China ist bestrebt, immer mehr Einfluss auf internationaler Ebene zu erreichen. Zu diesem Zweck präsentiert sich das kommunistisch-autoritär regierte China als „verlässlicher Akteur“ in globalen Fragen. Speziell in der Ära des chinesischen Präsidenten Xi Jinping drängt das „Reich der Mitte“ in die verschiedenen UNO-Gremien und versucht dort eigene Leute in Schlüsselpositionen zu bringen.
Im Oktober 2020 wählte die UNO-Generalversammlung China wieder mit großer Mehrheit in den UNO-Menschenrechtsrat. Die „schiefe Optik“ bleibt und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass China in seiner nordwestlichen Provinz Xinjiang an der überwiegend muslimisch geprägten Bevölkerung der Uiguren massive Menschenrechtsverletzungen verübt; und die demokratische Opposition in Hongkong mit massiven Repressionsmaßnahmen zum Schweigen gebracht hat. Zudem muss festgehalten werden, dass China der Weltgesundheitsorganisation WHO „wichtige Informationen“ zum Coronavirus-Ausbruch in der chinesischen Stadt Wuhan „vorenthalten“ habe, so westliche Kritik.
Die propagandistische Rhetorik der von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) geschulten chinesischen Beamten und Diplomaten, die in der UNO arbeiten, ist immer gleich: „China misst der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte stets große Bedeutung bei.“
Die Kritik westlicher UNO-Experten an den chinesischen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang wird von Peking empört vom Tisch gewischt. Man spricht dabei stets von „unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten“. Mit der Kritik an China habe man „auf eklatante Weise gegen die Charta der UNO verstoßen“, heißt es von offizieller Seite aus Peking.
Aus Sicht kritischer westlicher Diplomaten wird China versuchen, neben Fragen zur Personalpolitik auch die „grundsätzliche politisch-ideologische Ausrichtung“ des UNO-Menschenrechtsrats zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Damit würden schrittweise „autoritäre und zunehmend totalitäre Züge“ in dem UNO-Gremium Einzug halten und würden damit die politisch neutralen Strukturen der Weltorganisation untergraben.[4]
Dass sich die USA unter Präsident Donald Trump 2018 aus dem UNO-Menschenrechtsrat zurückzogen, war für China eine Chance, seine Macht und seinen Einfluss auszubauen.
China stützt Militärjunta Myanmars
Der jüngste Militärputsch in Myanmar wurde von China im UNO-Sicherheitsrat mehr oder weniger „zur Kenntnis genommen“. Eine gemeinsame Resolution des höchsten UNO-Gremiums, wonach das gewaltsame Vorgehen des Militärs in Myanmar und die Absetzung der demokratisch gewählten Regierung von Aung San Suu Kyi, verurteilt hätte werden sollen, wurde von Peking verhindert. In Myanmar verurteilte indes Anfang Dezember 2021 und Anfang Jänner 2022 ein Gericht die entmachtete Regierungschefin Aung San Suu Kyi zu mehrjährigen Haftstrafen.
Myanmar, als ehemalige britische Kolonie, erlebte während des Zweiten Weltkrieges schwere Kämpfe und war als Brückenkopf für Japans geplante Invasion in Britisch-Indien vorgesehen. Jetzt fungiert Myanmar als ein „strategischer Landweg“ von Südchina zum Indischen Ozean und ist im Fokus eines bedeutenden diplomatischen, informativen und wirtschaftlichen Engagements der chinesischen Regierung. Myanmar muss heute sowohl als aktuelle Operationslinie für Chinas strategische Ziele im Indischen Ozean als auch als Beispiel dafür angesehen werden, wie China die Instabilität eines Landes ausnutzt, um seine Interessen im Ausland weiter zu vertiefen.[5]
Peking investiert gezielt in die UNO-Entwicklungshilfe
Die kommunistische Führung Chinas investiert nun in letzter Zeit massiv in Global Governance und in Entwicklungspolitik. Dabei unterstützt China insbesondere das Entwicklungssystem der UNO (United Nations Development System – UNDS).
Die Geldzuweisungen Chinas an das UNDS steigerten sich „von 5,1 Millionen US-Dollar im Jahr 2010 auf 80,1 Millionen US-Dollar im Jahr 2018“.[6] China gilt vor diesem Hintergrund als der „größte Geldgeber aus der Gruppe der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika).
Peking priorisiert Entwicklungshilfe vor humanitären Maßnahmen. Dabei geht China nicht ganz uneigennützig vor und verfolgt in den diversen Entwicklungsländern, wohin die Gelder fließen, eigene Interessen. Nicht zuletzt versucht man mit hohen Investitionssummen die dortigen Regierungen für die global ausgerichtete „Neue Seidenstraßen“-Initiative zu gewinnen und diese Staaten dann langfristig an sich zu binden. Das verstärkte Engagement Chinas in der UNO dient auch diesem Zweck, um dort den Einfluss auf die künftige politisch-diplomatisch-ökonomische Ausrichtung der UNO-Organisationen zu mehren.
Westliche Kritiker befürchten eine schrittweise „Aushöhlung“ der Weltgemeinschaft. „Chinas Auffassung vom Grundsatz der Nichteinmischung und von individuellen Menschenrechten hebt sich deutlich von jener des westlich-demokratischen Wertekanons ab“, so die Kritik.
Die kommunistische Partei Chinas (KPCh) mit ihrem autoritären Machtanspruch lässt sich in ihrer langfristigen Strategie der Einflussnahme insbesondere auch auf das UNDS nicht beirren und weist solche Vorwürfe brüsk von sich.
Es bleibt offen, wie tiefgreifend es Peking gelingen wird, in den nächsten Jahren den „normativen Kern“ der UNO speziell auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik nach chinesischen Vorstellungsmustern zu verändern.
Abgeschlossen: Anfang Jänner 2022
Anmerkungen:
[1] Vgl. Christoph Zürcher, „CHINA AS A PEACEKEEPER – PAST, PRESENT, AND FUTURE“. In: International Journal 2/2020, S. 123-143.
[2] Siehe dazu etwa: Rosemary Foot, „CHINA UND UN-FRIEDENSEINSÄTZE: BEIJINGS POLITISCHE DILEMMATA“. In: Vereinte Nationen 6/2020, S. 249-254.
[3] Courtney J. Fung / Lam Shing-hon, „CHINAS „BÜROKRATISCHER FUSSABDRUCK“ IN DEN UN“. In: Vereinte Nationen 6/2020, S. 243-248.
[4] Katrin Kinzelbach, „WAS WILL CHINA IM UN-MENSCHENRECHTSRAT?“. In: Vereinte Nationen 6/2020, S. 255-260.
[5] Vgl. Wayland Blue, „UNRESTRICTED WARFARE BEYOND THE SOUTH CHINA SEA“. In: Marine Corps Gazette 11/2020, S. 60-62.
[6] Siehe dazu: Mao Ruipeng/Silke Weinlich, „CHINAS FINANZIERUNG DES UN-ENTWICKLUNGSSYSTEMS“. In: Vereinte Nationen 6/2020, S. 261-266.
Weiterführende LINKS:
China und Russland neu im UN-Menschenrechtsrat
The US and China at the UN: Global Diplomacy
UNDP and the UN | UNDP in China
The G2 at the UN: The United States and the People’s Republic of China at the United Nations
UN Chief Urges US-China 'Reset' | Voice of America
Struggle to restore China's lawful seat in the United Nations
Britain challenges China at UN over access to Xinjiang
China's long game on human rights at the United Nations
China benimmt sich wie eine Piratenbande