CHINA UND DIE UNO


In den letzten 30 Jahren hat sich die Volksrepublik China von einem Skeptiker zu einem Verfechter der Friedenssicherung im Rahmen der UNO entwickelt. Im gleichen Zeitraum hat sich die UNO-Friedenssicherung stark verändert. Es zeigt sich, wie China auf die verschiedenen praktischen und doktrinären Neuerungen des UNO-Peacekeeping reagiert hat, was etwa die Hinwendung zu einer robusteren Friedenssicherung, zum Schutz der Zivilbevölkerung, die Schutzverantwortung, die Forderung nach einer besseren Absicherung der Truppen, und schließlich die Initiative „Action for Peacekeeping“ beweisen. Angesichts des zunehmenden Gewichts Chinas innerhalb der UNO ist es wahrscheinlich, dass sich China allmählich stärker in die Gestaltung von Friedenssicherungskonzepten einbringen wird. Erste Anzeichen sind im Zusammenhang mit der Rolle der Menschenrechte bei der Friedenssicherung und im sich herausbildenden konzeptuellen Verständnis von Friedenskonsolidierung erkennbar.

Es gilt nach wie vor, dass die Demokratie und damit die Idee des „Liberalen Friedens“ für westliche Gelehrte und westliche Praktiker das Endziel der Friedenskonsolidierung bleibt. Es besteht eindeutig ein starker Konsens darüber, demokratische Institutionen als untrennbar mit dem Frieden verbunden und als überlegen und wünschenswerter als jedes andere politische Regime zu betrachten. Der chinesische Ansatz „Frieden durch Entwicklung“ ist immer noch kein wirklich ausgereiftes Modell, doch werden die Konturen immer sichtbarer. Es ist dennoch unklar, welche Politik und Praxis ein solches Modell inspirieren würde. Wie könnte zum Beispiel wirtschaftliche Entwicklung in einem Land Wurzeln schlagen, in dem die staatlichen Kapazitäten als gering oder nicht vorhanden erscheinen, in dem die Eliten zersplittert und korrumpiert sind, in dem sich die Gesellschaften als gespalten bzw. ethnisch heterogen darstellen und in dem die Gewalt noch immer grassiert? Wie können unter solchen Bedingungen lebensfähige staatliche Strukturen aufgebaut werden - selbst, wenn diese Strukturen autoritär und illiberal wären? Es ist auch alles andere als klar, wie die chinesische Friedensförderung mit Chinas seit langem vertretenem Grundsatz der Nichteinmischung vereinbar sein könnte. Friedensaufbau ist zwangsläufig eine Einmischung in die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen eines Konflikts mit dem letztendlichen Ziel, Institutionen aufzubauen und Anreize zu schaffen, die es weniger wahrscheinlich machen, dass die Akteure zur Gewalt greifen.

China wird in der UNO auf die Annahme eines neuen Regelwerks drängen, das „Frieden“ nicht als „liberalen Frieden“ begreift, was immer noch die Blaupause der westlich geprägten UNO-Friedenskonsolidierung darstellt, sondern als einen „Entwicklungsfrieden“,[1] der wirtschaftliche Konsolidierung, allmähliche Veränderung und eine eher autoritär ausgerichtete Regierung betont.


Während die Volksrepublik China unter Mao Tse-tung in ihrer revolutionären Haltung einer eigenen Beteiligung an UNO-Friedenseinsätzen in der Welt distanziert gegenüberstand, so hat sich diese Position im 21. Jahrhundert deutlich aufgeweicht. Besonders in der Ära von Präsident Xi Jinping versucht sich die aufgestiegene Großmacht ökonomisch-politisch und diplomatisch als maßgebliche „verantwortungsbewusste Größe“ auf internationaler Bühne zu präsentieren, wobei es jetzt an der Zeit sei, einen wichtigen „Beitrag zum Schutz des Weltfriedens und der globalen Sicherheit zu leisten“, wie es von offizieller Seite in Peking heißt. Damit soll Chinas Ansehen in der Welt als „großer Partner“ insbesondere auch im Rahmen der global ausgerichteten „Neuen Seidenstraßen“-Strategie gesteigert werden – mitsamt hoher chinesischer Investitionssummen in regionale Infrastrukturen und dem Export von chinesischer Kontroll- und Überwachungstechnologie speziell für jene Schwellenländer und auch für deren Eliten, die am Handel mit China profitieren.

Nach dem Ende des Kalten Krieges ist die Zahl der Peacekeeping-Missionen der UNO deutlich angestiegen. Die UNO-Einsätze waren in den Krisenregionen im Vergleich zu früher wesentlich gefährlicher. Dabei hat der „Schutz der Zivilbevölkerung“ in Bürgerkriegen insbesondere in westlichen Expertendiskursen immer mehr eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit solchen UNO-Friedenseinsätzen eingenommen. In China hingegen ist man hier weiterhin zurückhaltender. Trotzdem hat sich China im 21. Jahrhundert zum zweitgrößten Beitragszahler der UNO gemausert. Inzwischen stellt China auch mehr Blauhelme für Peacekeeping-Operationen bereit, als die anderen ständigen Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat.

Aber die kommunistische Führung in Peking betrachtet weiterhin den „Schutz der amtierenden Regierungen“ in den Konfliktgebieten als wichtige Aufgabe. China will in Bezug auf solche Friedensmissionen folgende Richtlinien gewahrt wissen: „Zustimmung der Konfliktparteien“, „Unparteilichkeit“ und „Einsatz von Gewalt nur zur Selbstverteidigung“.

Dieser von Kritikern als „konservativ staatszentristisch“ bezeichnete Ansatz lähmt die Arbeit der Weltorganisation und schaffe „weitere Instabilitäten“, heißt es.

Chinas langfristiges Ziel ist eine verstärkte politische Einflussnahme auf die UNO-Entscheidungen, um als Großmacht auf internationaler Ebene in Zukunft vermehrt die „chinesische Handschrift“ erkennen zu lassen. Auch wenn chinesische Protagonisten immer wieder beteuern, dass sich die chinesischen Zielsetzungen im Grunde gar nicht so sehr von den westlichen Vorstellungen des „liberalen Friedens“ unterscheiden, so sei das nicht so, betonen westliche Beobachter.[2] Der auf „Entwicklung beruhende Frieden“ eines autoritär regierten Chinas steht in Wahrheit der westlichen liberalen Weltordnung diametral entgegen.


Progressiveres Vorgehen unter dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping

2015 beschwörte der chinesische Präsident Xi Jinping vor der UNO-Generalversammlung „eine neue gleichberechtigte partnerschaftliche Kooperation“ und eine „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“, die nur mit einer intensivierten Interaktion Chinas in der gesamten UNO-Struktur zu machen sei. Hier will Peking seinen „Fußabdruck“ in den diversen Organisationen und Unterabteilungen hinterlassen, indem chinesische Beamte dort verstärkt eingesetzt werden sollen. Es geht insbesondere um „globale Ordnungspolitik“ (Global Governance) im Rahmen der UNO, für die sich die aufgestiegene Großmacht China mehr als berufen sieht. Nach Ansicht des chinesischen Präsidenten sollten vermehrt chinesische Wissenschaftler und akademisch gebildetes Personal Posten in den diversen UNO-Gremien bekommen, um (wie Xi sagte) „mehr Fairness und Gerechtigkeit“ in und außerhalb der UNO zu verwirklichen. Ausdrücklich stehen Arbeitsplätze in den Führungsetagen der Weltorganisation mit engagierten Chinesinnen und Chinesen im Mittelpunkt, um die Welt letztlich nach Chinas Vorstellungen zu formen.

Doch bislang klafft Theorie und Praxis noch weit auseinander. So sind die innerchinesischen Auswahlverfahren für solches Personal noch immer viel zu restriktiv und „überbürokratisch“, sodass viele potenzielle Anwärterinnen und Anwärter eher davor zurückschrecken, sich wirklich für die Arbeit in der UNO zu bewerben. Das soll sich aber ändern, heißt es aus Peking.

Dazu kommt, dass vor allem westliche Mitgliedsländer der UNO davor warnen, China innerhalb der höchsten Gremien der Weltorganisation „zu viel Gestaltungsspielraum“ zu geben. So zeigt sich speziell in der Ära von Xi Jinping, dass „Loyalität“ chinesischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der UNO zu den Werten der Kommunistischen Führung in China und damit zu den Zielvorstellungen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) von zentraler Wichtigkeit für Peking ist.[3]

Auch wenn manche Experten im Westen den Einfluss Chinas in der UNO heute trotzdem als „vom Westen übertrieben dargestellt“ herausstreichen, ist Peking dennoch darauf fokussiert, die Führungsetagen innerhalb der UNO-Strukturen emporzuklettern, um am Ende doch der Welt verstärkt „seinen Stempel“ aufzudrücken.


Ziele Chinas im UNO-Menschenrechtsrat

Das zur Großmacht aufgestiegene China ist bestrebt, immer mehr Einfluss auf internationaler Ebene zu erreichen. Zu diesem Zweck präsentiert sich das kommunistisch-autoritär regierte China als „verlässlicher Akteur“ in globalen Fragen. Speziell in der Ära des chinesischen Präsidenten Xi Jinping drängt das „Reich der Mitte“ in die verschiedenen UNO-Gremien und versucht dort eigene Leute in Schlüsselpositionen zu bringen.

Im Oktober 2020 wählte die UNO-Generalversammlung China wieder mit großer Mehrheit in den UNO-Menschenrechtsrat. Die „schiefe Optik“ bleibt und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass China in seiner nordwestlichen Provinz Xinjiang an der überwiegend muslimisch geprägten Bevölkerung der Uiguren massive Menschenrechtsverletzungen verübt; und die demokratische Opposition in Hongkong mit massiven Repressionsmaßnahmen zum Schweigen gebracht hat. Zudem muss festgehalten werden, dass China der Weltgesundheitsorganisation WHO „wichtige Informationen“ zum Coronavirus-Ausbruch in der chinesischen Stadt Wuhan „vorenthalten“ habe, so westliche Kritik.

Die propagandistische Rhetorik der von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) geschulten chinesischen Beamten und Diplomaten, die in der UNO arbeiten, ist immer gleich: „China misst der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte stets große Bedeutung bei.“

Die Kritik westlicher UNO-Experten an den chinesischen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang wird von Peking empört vom Tisch gewischt. Man spricht dabei stets von „unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten“. Mit der Kritik an China habe man „auf eklatante Weise gegen die Charta der UNO verstoßen“, heißt es von offizieller Seite aus Peking.

Aus Sicht kritischer westlicher Diplomaten wird China versuchen, neben Fragen zur Personalpolitik auch die „grundsätzliche politisch-ideologische Ausrichtung“ des UNO-Menschenrechtsrats zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Damit würden schrittweise „autoritäre und zunehmend totalitäre Züge“ in dem UNO-Gremium Einzug halten und würden damit die politisch neutralen Strukturen der Weltorganisation untergraben.[4]

Dass sich die USA unter Präsident Donald Trump 2018 aus dem UNO-Menschenrechtsrat zurückzogen, war für China eine Chance, seine Macht und seinen Einfluss auszubauen.


China stützt Militärjunta Myanmars

Der jüngste Militärputsch in Myanmar wurde von China im UNO-Sicherheitsrat mehr oder weniger „zur Kenntnis genommen“. Eine gemeinsame Resolution des höchsten UNO-Gremiums, wonach das gewaltsame Vorgehen des Militärs in Myanmar und die Absetzung der demokratisch gewählten Regierung von Aung San Suu Kyi, verurteilt hätte werden sollen, wurde von Peking verhindert. In Myanmar verurteilte indes Anfang Dezember 2021 und Anfang Jänner 2022 ein Gericht die entmachtete Regierungschefin Aung San Suu Kyi zu mehrjährigen Haftstrafen.

Myanmar, als ehemalige britische Kolonie, erlebte während des Zweiten Weltkrieges schwere Kämpfe und war als Brückenkopf für Japans geplante Invasion in Britisch-Indien vorgesehen. Jetzt fungiert Myanmar als ein „strategischer Landweg“ von Südchina zum Indischen Ozean und ist im Fokus eines bedeutenden diplomatischen, informativen und wirtschaftlichen Engagements der chinesischen Regierung. Myanmar muss heute sowohl als aktuelle Operationslinie für Chinas strategische Ziele im Indischen Ozean als auch als Beispiel dafür angesehen werden, wie China die Instabilität eines Landes ausnutzt, um seine Interessen im Ausland weiter zu vertiefen.[5] 


Peking investiert gezielt in die UNO-Entwicklungshilfe

Die kommunistische Führung Chinas investiert nun in letzter Zeit massiv in Global Governance und in Entwicklungspolitik. Dabei unterstützt China insbesondere das Entwicklungssystem der UNO (United Nations Development System – UNDS).

Die Geldzuweisungen Chinas an das UNDS steigerten sich „von 5,1 Millionen US-Dollar im Jahr 2010 auf 80,1 Millionen US-Dollar im Jahr 2018“.[6] China gilt vor diesem Hintergrund als der „größte Geldgeber aus der Gruppe der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika).

Peking priorisiert Entwicklungshilfe vor humanitären Maßnahmen. Dabei geht China nicht ganz uneigennützig vor und verfolgt in den diversen Entwicklungsländern, wohin die Gelder fließen, eigene Interessen. Nicht zuletzt versucht man mit hohen Investitionssummen die dortigen Regierungen für die global ausgerichtete „Neue Seidenstraßen“-Initiative zu gewinnen und diese Staaten dann langfristig an sich zu binden. Das verstärkte Engagement Chinas in der UNO dient auch diesem Zweck, um dort den Einfluss auf die künftige politisch-diplomatisch-ökonomische Ausrichtung der UNO-Organisationen zu mehren.

Westliche Kritiker befürchten eine schrittweise „Aushöhlung“ der Weltgemeinschaft. „Chinas Auffassung vom Grundsatz der Nichteinmischung und von individuellen Menschenrechten hebt sich deutlich von jener des westlich-demokratischen Wertekanons ab“, so die Kritik.

Die kommunistische Partei Chinas (KPCh) mit ihrem autoritären Machtanspruch lässt sich in ihrer langfristigen Strategie der Einflussnahme insbesondere auch auf das UNDS nicht beirren und weist solche Vorwürfe brüsk von sich.

Es bleibt offen, wie tiefgreifend es Peking gelingen wird, in den nächsten Jahren den „normativen Kern“ der UNO speziell auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik nach chinesischen Vorstellungsmustern zu verändern.


Abgeschlossen: Anfang Jänner 2022


Anmerkungen:

[1] Vgl. Christoph Zürcher, „CHINA AS A PEACEKEEPER – PAST, PRESENT, AND FUTURE“. In: International Journal 2/2020, S. 123-143.

[2] Siehe dazu etwa: Rosemary Foot, „CHINA UND UN-FRIEDENSEINSÄTZE: BEIJINGS POLITISCHE DILEMMATA“. In: Vereinte Nationen 6/2020, S. 249-254.

[3] Courtney J. Fung / Lam Shing-hon, „CHINAS „BÜROKRATISCHER FUSSABDRUCK“ IN DEN UN“. In: Vereinte Nationen 6/2020, S. 243-248.

[4] Katrin Kinzelbach, „WAS WILL CHINA IM UN-MENSCHENRECHTSRAT?“. In: Vereinte Nationen 6/2020, S. 255-260.

[5] Vgl. Wayland Blue, „UNRESTRICTED WARFARE BEYOND THE SOUTH CHINA SEA“. In: Marine Corps Gazette 11/2020, S. 60-62.

[6] Siehe dazu: Mao Ruipeng/Silke Weinlich, „CHINAS FINANZIERUNG DES UN-ENTWICKLUNGSSYSTEMS“. In: Vereinte Nationen 6/2020, S. 261-266.