DIE WESTBALKANSTAATEN

Untertitel

Serbien und der Kosovo haben zwar Ende August 2022 ihren Streit über die gegenseitigen Einreiseregeln beigelegt, doch der Konflikt um die Anerkennung von Kfz-Kennzeichen, wonach Kosovo-Serben ihre Autokennzeichen durch solche der Republik Kosovo ersetzen müssen, schwelt weiter. Somit bleibt der Dauerkonflikt bestehen, da Serbien die Unabhängigkeitserklärung der einstigen serbischen Provinz Kosovo aus dem Jahre 2008 weiterhin nicht anerkennt. Die serbische Bevölkerung im Norden des Kosovo ist großteils weiterhin loyal zur Regierung in Belgrad, von der sie großzügig finanziell unterstützt wird. Auch fünf EU-Staaten - Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und die Republik Zypern - haben den Kosovo bisher nicht anerkannt. Vor dem Hintergrund der latenten Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo hat die NATO einmal mehr festgehalten, dass die NATO-geführten Schutztruppen im Kosovo einsatzbereit seien, zur Sicherung des Friedens „jede notwendige Maßnahme“ zu ergreifen.

Die EU kann zwar vorerst einen Punktesieg verbuchen, bleibt in der Vermittlerrolle jedoch mehr als geschwächt. So droht im Kosovo die Lage im November 2022 wieder zu eskalieren. Nach einem Beschluss der kosovarischen Serben-Partei Srpska Lista, ethnische Serbinnen und Serben nun doch dazu zu verpflichten, ihre vom Nachbarland Serbien ausgestellten Kfz-Kennzeichen durch kosovarische zu ersetzen, haben alle ethnischen Serbinnen und Serben ihre Ämter in kosovarischen Institutionen wie Polizei, Justiz, Parlament und Kommunen niedergelegt. Es kommt zu Protesten.

Dieses Beispiel zeigt wie stark die Verwerfungen am Balkan und hier speziell der Westbalkanstaaten ihre Schatten auf das europäische Einigungsprojekt werfen. Der Ukraine-Krieg führt zusätzlich zu geopolitischen Instabilitäten im Raum. Der Westbalkan verbindet die Südostflanke der NATO mit Mitteleuropa. Für die langfristige Sicherheit und Stabilität des europäischen Kontinents ist die Region unverzichtbar. Deshalb bemühen sich die EU/NATO, aber auch Russland und China aktiv um die Region.

Der seit 2015/2016 und speziell seit 2022 wieder markant angestiegene Migrationsdruck über die sogenannte Balkanroute unter anderem nach Mittel- und Westeuropa (wo vor allem auch Österreich signifikant betroffen ist) führt zu zusätzlichen Verwerfungen und politischen Spannungen am europäischen Kontinent, die die Rufe nach einer Überarbeitung der Europäischen Menschenrechtskonvetion und des europäischen Asylrechts immer lauter werden lassen.

Der Beitrag bietet vor diesem Gesamthintergrund einen kurzen Überblick.


Der Beitritt der Balkanländer zur EU ist ein mühsamer Prozess, da die Situation der Staaten der Region in Bezug auf die Integrationskriterien zu sehr zu wünschen übrig lässt. Angesichts der Einmischung von Mächten wie Russland, der Türkei oder China ist es jedoch dringend notwendig, dass die EU eine echte Perspektive bietet.

„Die Europäische Union bekräftigt ihre unmissverständliche Unterstützung für die europäische Perspektive des westlichen Balkans“. Dieses Versprechen, das am 21. Juni 2003 auf dem Gipfeltreffen in Thessaloniki gegeben wurde, weckte enorme Hoffnungen, da die Beitrittsverträge für die mitteleuropäischen Länder gerade erst am 16. April in Athen unterzeichnet worden waren. Gestärkt durch diesen Erfolg wendete die EU die Instrumente der Erweiterung auf den Balkan an. Zu den Beitrittskriterien kam eine spezifische Konditionalität hinzu: gutnachbarschaftliche Beziehungen und regionale Zusammenarbeit.

Fast zwanzig Jahre später ist die Formel von Thessaloniki, die auf jedem Gipfeltreffen wiederholt wurde, zu einer Beschwörungsformel geworden, da nur Kroatien der Union beigetreten ist. Mit Montenegro wird seit zehn Jahren über den Beitritt verhandelt, aber nur drei der 33 offenen Kapitel wurden vorläufig abgeschlossen. Die Bilanz von zwei zu achtzehn Kapitel ist für Serbien, das seit acht Jahren in Verhandlungen steht, nicht schmeichelhafter.

Zunächst war es das Fehlen der Schlüsselreformen zur Herstellung der Rechtsstaatlichkeit, die bislang fehlten. Dort haben die Informationskontrolle, die Spaltung der ansonsten dämonisierten Opposition und die Ermüdung den Sieg von Präsident Aleksandar Vucic bei den Präsidentschaftswahlen am 3. April 2022 erneut gesichert.

Die EU-Kommission hat in ihren Jahresberichten die Hauptprobleme des westlichen Balkans aufgezeigt: mangelhafte Regierungsführung, schwache Gegenkräfte, ein abhängiges Justizsystem und hohe Korruption. Sie sprach 2018 sogar von „Vereinnahmung“. Der politische Wille zur Schaffung eines Rechtsstaates fehlt weitgehend und untergräbt die Wirksamkeit der EU-Hilfe, wie der Europäische Rechnungshof gerade hervorgehoben hat.

Die jüngsten Balkankriege haben wieder physische Grenzen geschaffen, deren Abgrenzung noch immer nicht von allen akzeptiert wird. Sie haben vor allem mentale Grenzen eingerissen, wo die Viktimisierung das am meisten geteilte Syndrom ist. Die Nationalismen waren Anfang der 2010er-Jahre in einer von der Zivilgesellschaft - wie der RECOM-Initiative zur Aufarbeitung der begangenen Kriegsverbrechen - und von mutigen Staatsoberhäuptern wie Boris Tadic in Serbien und Ivo Josipovic in Kroatien getragenen Versöhnungsbewegung zurückgegangen. Ethno-Nationalismen blühen wieder auf, in denen Kriegsverbrecher geehrt, die Identität gegen den Nachbarn behauptet sowie die Rechte von Minderheiten gezielt missbraucht werden. Das Ergebnis sind fragile Staaten, wie im Kosovo, wo der von der EU vermittelte Dialog mit Serbien nur begrenzte Ergebnisse brachte. Die Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX wurde mit Exekutivbefugnissen verlängert, doch das Justizsystem ist nach wie vor schwach. Der derzeitige Premierminister des Kosovo, Albin Kurti, der entschlossen ist, die Korruption zu bekämpfen, trifft auf die mächtigen Netzwerke der politischen Klasse, die aus der Kosovo-Befreiungsarmee (KLA) hervorgegangen ist. Die KLA hat jedoch einige Persönlichkeiten verloren, die von einem Sondergericht in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurden.


Der Europäische Rechnungshof zeichnete Albanien für die tiefgreifende Reform des Justizsystems aus, die durch eine Bewertung der Fähigkeiten und des erworbenen Vermögens aller Richter und Staatsanwälte erreicht wurde, von denen ein Drittel entlassen wurde oder zurückgetreten ist. Albanien hat sich von einem „hybriden Regime“ zu einer „unvollkommenen Demokratie“ entwickelt.

Weitaus fragiler ist Bosnien-Herzegowina, wo die bosnische Partei SDA - die die Grenzlinie der Republika Srpska immer noch ablehnt - die Schaffung eines zentralisierten Einheitsstaates vorantreibt und dabei die Warnung von Richard Holbrooke, dem ehemaligen Unterhändler des Dayton-Abkommens, vergisst, dies niemals zu versuchen, da sonst Instabilität droht. Die nationalistische Überhöhung des Führers der Republika Srpska, Milorad Dodik, der Moskau sehr nahe steht, hält das Land in der permanenten Krise. Die bosnisch-kroatische Föderation ist unregierbar, was Dragan Covic dazu veranlasste, eine kroatische Entität zu fordern. Die Wahlrechtsreform ist eine wichtige Voraussetzung, um Bosnien-Herzegowina den formellen Status eines EU-Kandidaten zu verleihen und wird seit Jahren diskutiert.

In Nordmazedonien wurde die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU von Bulgarien in einem Streitfall lange blockiert, in dem die Geschichte, die Identität und die Sprache die regionalen Schwächen deutlich machen. Vor dem Hintergrund des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine beeilte sich die EU schließlich Mitte Juli 2022, Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien aufzunehmen.[1]

Auch Montenegro ist auf der Suche nach einer eigenen Identität und ist gespalten in pro-serbische Parteien, die von der orthodoxen Kirche unterstützt werden und die Trennung der beiden Länder nie akzeptiert haben, sowie von Parteien, die in Opposition zu Präsident Milo Djukanovic stehen. Nachdem dieser die Parlamentswahlen verloren hatte, gelang es der Minderheitsregierung nicht, ihre Politik, insbesondere den Kampf gegen die Korruption, durchzusetzen.

Die Protektorate des Amtes des Hohen Repräsentanten und der Zwischenverwaltungsmission der UNO im Kosovo (UNMIK), die von der internationalen Gemeinschaft in Sarajewo bzw. Pristina eingerichtet wurden, erscheinen veraltet und verdecken nur sehr mangelhaft die Ohnmacht der bisherigen Beschützer - mit Ausnahme der USA, die die eigentliche Schutzmacht des Kosovo sind.

Der internationale Bosnien-Beauftragte Christian Schmidt sorgte Mitte August 2022 mit einem Wutausbruch für Aufsehen. Bei einem Besuch in der bosnischen Kleinstadt Gorazde schimpft der 64-Jährige: „Rubbish, full rubish. I am rid of this“ („Unsinn, völliger Unsinn. Ich habe genug davon“). Der Wutausbruch war eine Reaktion auf die Frage einer Journalistin, ob er bereit sei, Änderungen des Wahlgesetzes durchzusetzen, obwohl es keine politische Einigung gebe. Schmidt wurde zuletzt scharf kritisiert, da er das Wahlgesetz mitten im Wahlkampf, kurz vor den Wahlen am 2. Oktober, ändern wollte.[2]


Die OSZE leistet in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission gute Arbeit. Die Militärmissionen KFOR/NATO im Kosovo und EUFOR/ALTHEA in Bosnien sind die eigentlichen Garanten der Stabilität. Ihre Truppenstärke wurde aus Angst vor den lokalen Folgen des Krieges in der Ukraine gerade erhöht.

Der Traum von Thessaloniki hat sich nicht bewahrheitet. Der europäische und globale Kontext hat sich seither verändert. Und die Infragestellung ihrer Werte durch auoritäre Regime - von Ankara bis Moskau und Peking - schadet der Union in ihren Beziehungen zu den westlichen Balkanstaaten erheblich. Es ist an der Zeit, dass sie alle Instrumente ihrer wirtschaftlichen, kommerziellen und finanziellen Macht für eine neue Politik mobilisiert, damit die Union in dieser für ihre Sicherheit strategischen Region wirksam, glaubwürdig und souverän auftritt. [3]


Zwischen Militarisierung und Radikalisierung?

Die Länder des westlichen Balkans haben ihre Verteidigungsanstrengungen aus mehr oder weniger unklaren Gründen hochgefahren, die häufig durch ein Wiedererstarken nationalistischer Haltungen gekennzeichnet sind. Obwohl die Gefahr eines Krieges gering zu sein scheint, muss die EU wachsam bleiben und ein Interesse an der Zukunft des Balkans aufrechterhalten.

„Wir befürchten, dass die derzeitige Aggression gegen die Ukraine auf den Westbalkan übergreifen könnte“, so Christian Schwarz-Schilling und Valentin Inzko, ehemalige hohe internationale Vertreter in Bosnien und Herzegowina, am 2. März 2022. Während die tragische Rückkehr des Krieges in Europa durch eine russische Aggression wahrscheinlich auf den westlichen Balkan übergreifen wird, könnte ein Konflikt auch durch das jüngste und gefährliche Wettrüsten zwischen den verschiedenen Ländern der Region verursacht werden.

Während Kroatien, Montenegro, Nordmazedonien und Albanien alle Mitglieder der NATO sind, und Bosnien und Herzegowina sich um einen Beitritt bewirbt, hat Serbien seine militärische Neutralität 2019 in seine Nationale Verteidigungsstrategie aufgenommen. Serbien scheint sich militärisch nicht nur Russland, sondern auch China anzunähern.[4]

In einem Klima des wiedererstarkten Nationalismus auf dem Westbalkan, 30 Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens, ist ein spektakulärer Anstieg der Militärausgaben dieser Balkanstaaten zu beobachten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Militärausgaben auf dem Westbalkan zwar stark angestiegen sind, dies aber vor allem auf das Konto von Koratien und Serbien geht. Außerdem scheinen sich ihre Programme zur Anschaffung neuer militärischer Ausrüstung zwar zu überschneiden, was einen Rüstungswettlauf befürchten lässt, doch im Vergleich zu anderen Regionen der Welt bleiben die Beträge, die für die Verteidigung ausgegeben werden, bescheiden. Darüber hinaus ist der Anstieg der Militärausgaben in der Region vor dem Hintergrund der mehr oder weniger kurzen NATO-Mitgliedschaft der Länder zu sehen. Die nationalistische Rhetorik, mit der diese neuen Militärausgaben gerechtfertigt werden, deutet jedoch auf eine Zunahme der politischen Spannungen in der Region hin, in der Bosnien-Herzegowina und der Kosovo nach wie vor die Spannungen kristallisieren. Ein zwischenstaatlicher Konflikt scheint unwahrscheinlich, insbesondere zwischen dem NATO-Mitglied Kroatien und Serbien. Im Gegensatz dazu scheint der Krieg in der Ukraine die erhöhte Aufmerksamkeit zu rechtfertigen, die die Regierungschefs der Länder in der Region ihrer Sicherheit widmen.


Die Realität einer erkennbaren islamischen Radikalisierung in den westlichen Balkanstaaten ist das Ergebnis des Zerfalls Jugoslawiens, der den Transit von Terroristen aus dem Nahen Osten nach Europa erleichtert hat. Daher ist es notwendig, dass die EU präsent bleibt und zur Bekämpfung dieser Bedrohung beiträgt.

Seit dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens ist die muslimische Bevölkerung auf dem Balkan vielfältigen Einflüssen ausgesetzt, die die Frage nach der Existenz eines eigenständigen „Balkan-Islam“ aufwerfen. Nach dem Ende des stalinistischen Regimes, das eine antireligiöse Politik befürwortete, und dem Fall des kommunistischen Regimes im ehemaligen Jugoslawien sahen sich die jugoslawischen Muslime mit dem Wiederaufbau nach dem Krieg und den Herausforderungen der nationalen Identitäten sowie einer islamisierten Bevölkerung konfrontiert. Denn während die Muslime in Bosnien 1969 als Nation anerkannt wurden, führte der staatliche Wiederaufbau dazu, dass der Begriff für „Bosnier“ aufgegeben wurde. In Albanien, im Kosovo und in Mazedonien zeigt die Debatte zwischen Religionszugehörigkeit und nationaler Identität das schwierige Gleichgewicht zwischen individuellem Glauben, gemeinsamer Kultur und religiöser politischer Ideologie auf. Dieser europäische „Islam“ sieht sich mit radikalen Strömungen konfrontiert, die durch den Kontext nach dem Konflikt implantiert wurden: schwache Regierungen, Institutionen und eine schlechte soziale Lage.[5]

Angesichts der wachsenden Bedrohung durch Terroranschläge in Europa und insbesondere der Angst vor einer massiven Rückkehr von radikal-islamischen Kämpfern aus dem Nahen Osten über die Balkanachse muss die EU mit den Westbalkanstaaten zusammenarbeiten, um ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten. In diesem Sinne könnte die Zusammenarbeit zwischen der EU und den Balkanländern in Sicherheitsfragen die Integration der Balkanländer in die Union begünstigen.


NATO-Aktivitäten am Balkan

Es ist hervorzuheben, dass viele Länder in der Region multinationale Truppen und/oder Infrastrukturen aufnehmen. Dabei kann es sich um Investitionen handeln, die entweder durch multinationale Finanzierung oder direkt durch das Gastland getätigt werden.

So beherbergt etwa Rumänien das Hauptquartier der Multinationalen Division Süd-Ost der NATO, Kroatien ein Ausbildungszentrum für multinationale Spezialkräfte der Luftwaffe und Nordmazedonien die Südosteuropäische Brigade.

Das US Special Operations Command Europe hat vor kurzem angekündigt, dass sein vorgeschobenes Hauptquartier in Albanien angesiedelt wird. NATO-Einheiten zur Integration von Streitkräften sind bereits in Bulgarien und Rumänien stationiert. Nach dem außerordentlichen NATO-Gipfel vom 24. März 2022 wurden vier neue NATO-Gefechtsverbände angekündigt, jeweils zwei in Bulgarien und Rumänien.[6]

Da die Bemühungen um eine Stärkung der Ostflanke der NATO fortgesetzt werden, wird die Verbesserung der Interoperabilität im gesamten Spektrum der militärischen Bereiche sicherlich wichtiger denn je. Sie wird wahrscheinlich praktische Auswirkungen auf die meisten Beschaffungsentscheidungen haben. Da viele südosteuropäische Staaten der NATO erst vor relativ kurzer Zeit beigetreten sind, werden Investitionen in die Interoperabilität - auch im Bereich der Kommunikation - wahrscheinlich auch in den kommenden Jahren oberste Priorität haben.


Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Balkanstaaten

Der Krieg in der Ukraine hat zu einer zunehmenden Spaltung auf dem Balkan geführt. Einige Staaten haben sich entschlossen, Kiew zu unterstützen, während andere, wie Serbien, im Namen der slawischen Einheit weiterhin enge Beziehungen zu Russland unterhalten wollen. All dies bedeutet, dass Europa ein größeres Interesse an dieser bereits fragilen Region zeigen muss.[7]

Bekanntlich hat die überwältigende Mehrheit der internationalen Gemeinschaft in einer Resolution der UNO-Generalversammlung vom 2. März 2022 die russische Invasion in der Ukraine verurteilt, die von Russland begangene Aggression bedauert und den Rückzug seiner Truppen gefordert. Unter den 141 UNO-Mitgliedern, die für die Resolution stimmten, befanden sich alle europäischen Länder, darunter auch die Balkanstaaten.

Doch hinter dieser Einstimmigkeit der Haltung der Balkanstaaten bei der UNO verbergen sich sehr unterschiedliche Situationen - je nachdem, ob sie geografisch in der Nähe Russlands liegen oder nicht. Der Krieg in der Ukraine hat die Spaltungen auf dem Balkan verstärkt.

Auf dem westlichen Balkan stimmte Serbien, nicht ohne zu zögern, für die Resolution der UNO-Generalversammlung. Während seine Verbindungen zu Russland sowohl auf kultureller, religiöser als auch wirtschaftlicher Ebene stark sind, erklärte sich die Stimmabgabe Serbiens durch seinen Wunsch, sich nicht vom Rest Europas abzuschneiden, da es einen EU-Beitritt anstrebt. Einige Tage später versammelten sich jedoch mehrere tausend Menschen in Belgrad zu pro-russischen Demonstrationen, die von der serbischen extremen Rechten initiiert wurden. Belgrad ist übrigens die einzige Stadt in Europa, in der es Pro-Putin-Demonstrationen gab. An einer anderen Demonstration, die die Ukraine unterstützte, nahmen nur 500 Personen teil.

Mit der Erinnerung an die 78 Tage dauernde Bombardierung durch die NATO im Kosovo-Krieg von März bis Juni 1999 sieht Serbien in Russland einen Unterstützer, um sich der Unabhängigkeit des Kosovo zu widersetzen (Einigungsgespräche zwischen Serbien und dem Kosovo gingen Mitte August 2022 denn auch ohne Ergebnis zu Ende). Serbien betrachtet Russland als Unterstützung für den Widerstand gegen die Unabhängigkeit des Kosovo. Es betrachtet Russland als den Führer der slawischen Nationen. Die serbische Bevölkerung ist daher sehr durchlässig für russische Propaganda. Die serbischsprachigen Sendungen von Russia Today und Sputik wurden in Serbien fortgesetzt, während die englisch-, französisch-, spanisch- und deutschsprachigen Sendungen in der EU durch einen Ratsbeschluss vom 2. März ausgesetzt wurden. Nordmazedonien und das Kosovo taten dies ebenfalls.

Die große Mehrheit der Serben lehnt es ab, dass russische Propaganda gesendet wird, unterstützt aber dennoch Russland im Krieg in der Ukraine. Serbien schloss sich daher vorerst nicht den Sanktionen gegen Russland an, die vom Rest Europas verhängt wurden. Serbien ist neben Weißrussland der einzige Staat auf dem europäischen Kontinent, der diese Haltung eingenommen hat. Serbien hat seinen Luftraum auch nicht für russische Verkehrsflugzeuge gesperrt. Stattdessen verdoppelte Air Serbia mehrere Wochen lang seine Flugverbindungen nach Moskau, bevor es sie auf europäischen Druck hin wieder reduzierte.

Mit der Entscheidung Belgrads, jüngst ein Kooperationsabkommen mit Russland zu unterzeichnen, sendete Serbien eine zweispältige Botschaft an die EU - ungeachtet seiner Haltung, die Ergebnisse eines Referendums, das Russland in den besetzten Gebieten der Ukraine durchführt, nicht anzuerkennen. Gleichzeitig versucht Belgrad die EU zu beschwichtigen, die immer mehr Druck auf das Balkanland ausübt, sich den Sanktionen Brüssels gegen Russland endlich anzuschließen. Der Kreml warnte postwendend Serbien vor einem unüberlegten Schritt gegen Russland. Moskau reagiert mit dieser Drohung auf Anzeichen, dass Belgrad seine Politik gegenüber Russland überdenken könnte. Die serbische Schaukelpolitik zwischen Ost und West, die das Land seit dem Ende der Jugoslawienkriege führt, befindet sich in einer prekären Lage. Serbien hatte sich 2007 für militärisch neutral erklärt und hat es mit einigem Erfolg immer wieder geschafft, sowohl von seinen Beziehungen zur EU als auch jenen zu Russland und China zu profitieren.


Bosnien-Herzegowina ist nach wie vor tief gespalten. Bulgarien ist der einzige EU-Mitgliedstaat, in dem die öffentliche Meinung Russland gegenüber positiv eingestellt ist.

Schließlich ist die Realität, dass in dieser Krise, der schwersten, die Europa seit über siebzig Jahren erlebt hat, die Schaffung eines Europas der Verteidigung dringend erforderlich ist. Zum ersten Mal seit 1945 sind sich die europäischen Staaten bewusst, dass der Frieden in Europa dauerhaft bedroht ist.



Abgeschlossen: Mitte November 2022


Anmerkungen:

[1] EU nimmt Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien auf. In: Europäische Kommission - Vertretung in Deutschland - Pressemitteilung v. 19.7.2022: EU nimmt Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien auf (europa.eu)

[2] Wie es zu Christian Schmidts Wutausbruch in Bosnien kam. In: FAZ-Online v. 18.8.2022: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/bosnien-wie-kam-es-zum-wutausbruch-von-christian-schmidt-18253103.html

[3] Siehe dazu etwa: Pierre Mirel, „L’ADHÉSION DES BALKANS OCCIDENTAUX À L’UE: LE ROCHER DE SISYPHE?“. In: Revue Défense Nationale 5/2022, S. 53-59.

[4] Les Jeunes IHEDN (Institut des Hautes Études de Défense Nationale), „LE RÉARMEMENT DANS LES BALKANS OCCIDENTAUX“. In: Revue Défense Nationale 5/2022, S. 78-82.

[5] Morgane Bonnière, „LA LUTTE CONTRE LE TERRORISME ET LA RADICALISATION DANS LES BALKANS OCCIDENTAUX“. In: Revue Défense Nationale 5/2022, S. 64-67.

[6] Manuela Tudosia, „ACQUISITION PROGRAMMES IN SOUTH-EASTERN EUROPE“. In: European Security & Defence 5/2022, S. 50-53.

[7] Siehe dazu: Jean-Christian Cady, „LA GUERRE EN UKRAINE A ACCRU LES DIVISIONS DANS LES BALKANS“. In: Revue Défense Nationale 5/2022, S. 73-78.