NAHOSTKONFLIKT: Zwischen Gewalt und neuer Kooperation im Raum

Zwischen Gewalt und neuer Kooperation im Raum

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 virulent. Damals hat die UNO entschieden, das britische Mandatsgebiet Palästina in einen neuen Staat für arabische Palästinenser und einen für Juden als Zufluchtsort nach dem Holocaust aufzuteilen. Die Stadt Jerusalem sollte unter internationale Kontrolle gestellt werden. Doch bereits in der Gründungsnacht erklärten die Nachbarstaaten Israel den Krieg. Israel siegte und besetzte einen Teil des im Teilungsplan für Palästinenser vorgesehenen Gebietes. Im Krieg von 1967 nahm Israel dann die gesamte Westbank und den Gazastreifen ein. Seither kommt es zwischen Israel und den Palästinensern immer wieder zu Auseinandersetzungen und Besitz-Verschiebungen. Trotz internationaler Anläufe und Friedensbemühungen (wie dem Camp David-Abkommen von 1978 oder dem Oslo-Friedensprozess) ist bis dato eine endgültige Zwei-Staaten-Lösung nicht in Reichweite.

Auch wenn die USA sich von den komplexen Angelegenheiten des Nahen und Mittleren Ostens zugunsten des Indopazifikraums zurückzuziehen scheinen, dürfen sie das Thema nicht aus den Augen verlieren. Die Sicherheit Israels und die Ambitionen des Irans, die von China und Russland vorangetrieben werden, bleiben für Washington von großem Interesse.[1]

So verfolgten die USA zwischen 1945 und 2013 eine sehr aktive Strategie im Nahen Osten. Für sie war dies eine strategische Zone, in der sie wichtige Interessen zu fördern und zu verteidigen hatten. Die verfolgten Ziele waren vielfältig und manchmal widersprüchlich. Das wichtigste war die Sicherung der Versorgung mit Kohlenwasserstoffen unter guten Bedingungen zu einer Zeit, in der die Wirtschaft der USA teilweise von diesen abhängig war. Außerdem galt es, die Interessen der großen amerikanischen Unternehmen zu wahren - seien es die Unternehmen, die mit Konzessionsverträgen im Bereich Kohlenwasserstoffe tätig waren, oder die Unternehmen, die Rüstungsgüter exportierten. Die USA machten sich sehr schnell Gedanken darüber, wie sie den Bedrohungen, die in diesem sensiblen Gebiet auftauchten, begegnen konnten. Die erste, chronologisch gesehen, war die Politik der UdSSR, ihren Einfluss dort auszuweiten, wo das zaristische Russland bereits präsent war. Tatsächlich wurde der Nahe Osten bis 1989 zu einem der Schlachtfelder des Kalten Krieges, mit einer sowjetischen Verankerung in Syrien, dem Irak, Ägypten und dem Südjemen. Dann tauchten andere Gefahren für die amerikanischen Interessen auf: die iranische Revolution 1979 mit der Gründung der Islamischen Republik, die ihre dem „Großen Satan“ feindlich gesinnte Ideologie exportieren wollte, mitsamt der Geiselnahme von 52 Amerikanern; Saddam Husseins Ziele in Kuwait und schließlich nach dem 11. September 2001 die Entwicklung einer vielgestaltigen terroristischen Bedrohung, von al-Qaida, die sogar amerikanisches Territorium angegriffen hatte, bis hin zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Der Globale Krieg gegen den Terror sollte mit einem „gestiefelten Wilsonismus“ einhergehen, der darauf abzielte, Demokratie und freies Unternehmertum im erweiterten Mittleren Osten, der sich von Marokko bis Pakistan erstreckt, zu fördern. Schließlich wurde die Gewährleistung der Sicherheit Israels zu einem wichtigen Ziel, insbesondere nach der Wende in der französischen Politik ab 1967, und zu einem innenpolitischen Problem.

In einem Umfeld, in dem der Mittleren Osten wahrscheinlich unruhig oder gar chaotisch bleiben wird, dürfte es für die USA schwierig sein, sich gegenüber den Ereignissen in dieser nach wie vor strategisch wichtigen Region gleichgültig zu zeigen. In diesem Zusammenhang wird Washington die Entwicklungen in den sensiblen Bereichen der Sicherheit Israels und der Bedrohung durch den Iran, die miteinander verknüpft sind, weiterhin aufmerksam verfolgen. Darüber hinaus können die USA nicht akzeptieren, dass Russland und vor allem China das Feld überlassen wird. Der erweiterte Mittlere Osten kann kein „toter Winkel“ der US-Außenpolitik sein, da die Fakten veraltet und die Interessen noch vorhanden sind. Ein verringertes Engagement der USA in dieser wichtigen Region wird wahrscheinlich nur eine vorübergehende Erscheinung sein.

China positioniert sich dennoch vor dem Hintergrund des laufenden Ukraine-Krieges immer präsenter als diplomatisch-politischer Krisenmediator und Vermittler etwa im Nahen Osten zwischen Israel und den Palästinensern, aber auch im erweiterten Mittleren Osten in den angespannten Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran.


Zankapfel Jerusalem

Die Al-Aksa-Moschee liegt in der Altstadt Jerusalems auf einem Gelände, das die Juden Tempelberg und die Muslime edles Heiligtum nennen. Ostjerusalem stand von 1948 bis 1967 unter jordanischer Kontrolle. In dieser Zeit siedelten sich palästinensische Flüchtlinge in Sheikh Jarrah an. Das Land dort gehörte aber bereits seit dem 19. Jahrhundert Juden. Jüdische Organisationen kauften deshalb Häuser der Altstadt und wollen mit Zwangsräumungen durchsetzen, dass israelische Siedler dort einziehen können. Der Status Jerusalems ist eine der zentralen Streitfragen im Nahost-Konflikt. Israel beansprucht Jerusalem als „ewige und unteilbare Hauptstadt“ für sich. Die Palästinenser halten ihrerseits an ihrem Anspruch auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt fest. Parallel dazu hat Israel den Ausbau jüdischer Siedlungen im Osten Jerusalems stets gefördert und vorangetrieben.

Die Al-Aksa-Moschee liegt in der Altstadt Jerusalems auf einem Gelände, das die Juden Tempelberg nennen und die Muslime als Heiligtum verehren.

In jüngster Zeit lieferten sich vermehrt militante Palästinenser mit ihren Raketenangriffen auf Israel und die israelischen Streitkräfte mit ihren Vergeltungsschlägen auf Ziele im Gazastreifen heftige Gefechte. Das israelische Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ konnte zwar die meisten anfliegenden Geschoße abfangen, doch schlugen einige Raketen auf israelischem Boden ein und töteten israelische Bürger. Die israelische Luftwaffe bombardierte dagegen wiederholt Stellungen und Gebäude mutmaßlicher palästinensischer Extremisten (Hamas und Islamischer Dschihad) im Gazastreifen.


Eskalation und Ausweitung des Konflikts

Während der militärische Schlagabtausch zwischen militanten palästinensischen Gruppen im Gazastreifen und der israelischen Armee weiterging, erhöhte sich in Israel selbst die Gefahr bürgerkriegsähnlicher Zustände zwischen Juden und der arabischen Bevölkerung. In der Stadt Lod bei Tel Aviv, in der Juden und Araber gemeinsam leben, kam es etwa am 11. Mai 2021 zu schweren Ausschreitungen. Dabei schändeten arabische Einwohner eine Synagoge und setzten sie in Brand. Außerdem wurden Dutzende Autos in Brand gesetzt und Fenster von Geschäften eingeworfen. Der Bürgermeister von Lod sprach im Fernsehen von einem „Bürgerkrieg“ in der Stadt und forderte eine sofortige Ausgangssperre. Um für Ruhe zu sorgen, wurden zahlreiche weitere Polizeitruppen in die Stadt geschickt. Auch in den arabisch geprägten Orten wie Akko im Norden des Landes und in Jaffa bei Tel Aviv kam es immer wieder bis in die aktuelle Zeit zu mehr oder weniger schweren Zusammenstößen.

Mittlerweile erklärte der jetzige israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, dass die militanten Palästinenserorganisationen Hamas und Islamischer Dschihad „einen hohen Preis“ für die jüngsten Angriffe auf Israel bezahlen werden. „Diese Operation wird Zeit brauchen, aber wir werden den Bürgern Israels die Sicherheit zurückbringen.“ Generalstabschef Aviv Kochavi sagte, man sei fest entschlossen, den militanten Gruppierungen einen harten Schlag zu versetzen.

Internationale Experten gaben insbesondere Teheran vor diesem Eskalationshintergrund eine Mitschuld an den Raketenangriffen auf Israel.[2]


Raketen auch aus dem Libanon auf Israel

In der Folge wurden auch aus dem Libanon Raketen auf israelisches Staatsgebiet abgefeuert. Als Reaktion hatten die israelischen Streitkräfte mit Artillerie auf die Angreifer gefeuert. In der libanesischen Hauptstadt Beirut hatten sich zuvor unter anderem Anhänger und Anhängerinnen der Hisbollah mit den Palästinensern im Gazastreifen solidarisiert.

Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hatte nach wiederholtem Raketenbeschuss aus dem Libanon und dem Gazastreifen auf die Fachleute im Sicherheitsapparat gehört, und es bei einer eher symbolischen Reaktion belassen. Die Luftwaffe bombardierte im Gazastreifen nach eigenen Angaben Tunnel und eine unterirdische Anlage zur Waffenproduktion der Hamas, die den abgeriegelten Streifen beherrscht.

Im Süden des Libanons wurden mehrere Einrichtungen der Hamas durch Luftangriffe getroffen, erklärte die israelische Armee. Die israelischen Raketen schlugen in einem Feld in der Nähe eines palästinensischen Flüchtlingslagers in der südlibanesischen Stadt Tyros ein. Israel reagierte damit auf die Angriffe offenbar radikaler Palästinensergruppen von Anfang April 2023, als das Land gleichzeitig aus dem Süden und dem Norden mit jeweils mehr als dreißig Raketen beschossen worden war. Die Angriffe aus dem Libanon waren die schwersten seit 2006, als es zum Krieg zwischen Israel und der mächtigen schiitischen Miliz Hisbollah gekommen war, die den Südlibanon kontrolliert.

Sowohl die israelischen Streitkräfte wie die israelische Regierung machten diesmal jedoch die Hamas für den Angriff verantwortlich. Sie signalisierten damit, dass sie kein Interesse an einem offenen Konflikt mit der Hisbollah haben. Nach dem Gegenangriff traf sich der für Nordisrael zuständige Armeekommandant mit dem Vertreter der UNO-Truppe, die den Waffenstillstand an der israelisch-libanesischen Grenze überwacht. Die libanesische Regierung machte ebenfalls deutlich, dass sie keinen Krieg möchte.


US-Administration von Präsident Joe Biden im aktuell aufgeflammten Nahostkonflikt eher zurückhaltend

Alle Amtsvorgänger Bidens verschrieben sich einer Lösung des latent vorhandenen israelisch-palästinensischen Konflikts. Selbst Donald Trump suchte auf einen Frieden zwischen Israelis und Palästinenser hinzuarbeiten. Anders als seine Vorgänger hat Biden weder die Ausarbeitung eines neuen Friedensplans angekündigt noch einen Sondergesandten für die Region ernannt. Biden macht laut Experten auch keine großen Anstrengungen, möglichst rasch die Nahostpolitik seines Vorgängers Trump zu korrigieren. Überraschender Weise hat er Trumps Hinterlassenschaft im Nahen Osten bisher kaum angetastet. Am auffallendsten war die Entscheidung, die von Trump gestoppte humanitäre Hilfe an die Palästinenser wiederaufzunehmen. An der Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem rüttelt Biden aber nicht.

Ebenso wenig machte er Anstalten, die Anerkennung der israelischen Annexion der syrischen Golanhöhen durch die USA infrage zu stellen. Immerhin hatte Biden Israel zu einer sofortigen Deeskalation auf dem Weg zu einer Waffenruhe gedrängt.


Vertiefte Zusammenarbeit zwischen Israel, USA und arabischen Partnerländern - Das „Negev-Format“

Vor allem mit Blick auf den Iran als gemeinsamen Feind wollen Israel und verbündete arabische Staaten gemeinsam mit den USA ihre Kooperation ausbauen. Dazu wollten sie sich künftig regelmäßig auf hoher Ebene treffen, sagte der damalige israelische Außenminister Yair Lapid am 28. März 2022 im Wüstenort Sde Boker bei einem Gipfeltreffen mit seinen Amtskollegen aus den USA, Ägypten, Bahrain, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Es war die erste Konferenz dieser Art in Israel.

„Wir haben entschieden, den Negev-Gipfel zu einem dauerhaften Forum zu machen“, sagte Lapid. Man öffne gemeinsam mit den USA „eine Tür für alle Völker der Region, einschließlich der Palästinenser, und bieten ihnen an, den Weg von Terror und Zerstörung mit einer gemeinsamen Zukunft von Fortschritt und Erfolg auszutauschen“, hieß es.

„Wir bauen eine neue regionale Architektur auf der Basis von Fortschritt, Technologie, religiöser Toleranz, Sicherheits- und Geheimdienstkooperation“, betonte Lapid. „Diese neue Architektur, die gemeinsamen Fähigkeiten, die wir aufbauen, machen unseren gemeinsamen Feinden Angst und schrecken sie ab - vor allem den Iran und seinen Verbündeten.“[3]

US-Außenminister Antony Blinken sowie die arabischen Außenminister erklärten, die neue regionale Kooperation sei kein Ersatz für eine Friedenslösung Israels mit den Palästinensern. Beide Seiten müssten „ein gleiches Maß an Freiheit genießen“, sagte Blinken.

Marokkos Außenminister Nasser Bourita sagte: „Wir sind heute hier, weil wir ehrlich, aufrichtig und tief an Frieden glauben.“ Es gehe nicht um einen passiven Frieden, sondern einen „grundlegenden und fruchtbaren Frieden in dieser Region, der Paradigmen formt und Werte schafft“. Der emiratische Außenminister Abdullah bin Sajid sagte zu Lapid: „Yair, Du bist nicht nur ein Partner, Du bist ein Freund.“

Der unter chinesischer Vermittlung eingeleitete Aussöhnungsprozess insbesondere zwischen Saudi-Arabien und dem Iran dürfte allerdings den Einfluss Amerikas vor diesem Hintergrund deutlich einschränken.


EXKURS:
Die USA betrachten Geschäfte mit israelischer Technologie vor allem mit China mit Argusaugen

Während der enge US-Verbündete Israel schon seit den 1990er-Jahren mehr oder weniger verdeckt auf dem Gebiet israelischer Fertigkeiten und Technologie gute Geschäfte mit China gemacht hat, drängen die Vereinigten Staaten die Israelis, vor allem Militär- und Überwachungstechnologie nicht weiter an den großen Konkurrenten Peking zu verkaufen und solche Praktiken zu beenden. Wegen des konstanten Drucks der Amerikaner wurden die israelisch-chinesischen Handelsbeziehungen auf die „zivile“ Ebene umgepolt. Washington schaut dennoch weiter mit Argusaugen auf den Handel zwischen Israel und China.

Neben dem akademischen Diskurs fokussierten sich dennoch die israelisch-chinesischen ökonomischen Beziehungen in letzter Zeit vor allem auch auf Nano- und Satellitentechnologie sowie auf den Cyberspace. Die US-Administration unter Präsident Donald Trump drohte Israel damit, die beiderseitige enge Zusammenarbeit signifikant einzuschränken, sollte Israel seine florierenden Wirtschaftsbeziehungen zu China nicht deutlich verringern. Schließlich wurde aufgrund anhaltender amerikanisch-israelischer Spannungen eine „gemeinsame Vereinbarung“ veröffentlicht, wonach beide Länder ihre technologischen Kapazitäten nur „im Einklang mit den demokratischen Werten und Positionen“ beider Partner an Drittstaaten weitergeben dürfen.

Doch der seit 2019 von Israel lancierte „Investitionsmechanismus“ erscheint keineswegs in Stein gemeißelt. Dass Israel völlig den von Washington geforderten „Regeln“ folgt, dürfte nicht unbedingt den Tatsachen entsprechen.[4] So sei der Zugang letztlich des chinesischen Militärs zu westlichen GPS-Daten und WI-FI-Zugangsmöglichkeiten via chinesischer Konzerne und deren benützte Produkte im Westen (wie Huawei-Smartphones, die Handelsplattform Alibaba, Baidu-Suchmaschine etc.) gegeben, befürchten vor allem die USA. Mit den damit gehackten, sensiblen westlichen Daten könnten die chinesischen Streitkräfte besser ausgerüstet werden. Erklärtes Ziel Washingtons ist es, die Positionen der Vereinigten Staaten und Israels enger abzustimmen und damit die vermehrte Einflussnahme auf speziell israelische Militärtechnologie speziell durch China und Russland möglichst einzudämmen.

Trotz aller demonstrativer Verbundenheit Israels zu Amerika verfolgt man in Israel dennoch eigene Wege - wie etwa im laufenden Ukraine-Krieg. Während man den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine entschieden verurteilt hatte, halten sich die Israelis dennoch nicht völlig an das westliche Sanktionsregime.

Der israelisch-chinesische Handel könnte sich künftig auf strikt zivile Infrastrukturbereiche - bis hin zum Klimaschutz - fokussieren, zumal Peking stets darauf aus sein wird, quasi „durch die Hintertür“ an israelische Militärtechnologie heranzukommen.


Eskalationsspirale dreht sich weiter

Im Nahost-Konflikt eskalierte Ende Juli/Anfang August 2022 die Gewalt zwischen Israel und militanten Palästinensern. Bei israelischen Luftangriffen wurde am 5. August 2022 in Gaza Taisir al-Dschabari, ein ranghohes Mitglied des Islamischen Dschihad (PIJ), getötet. Die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestufte Gruppe reagierte mit Raketenangriffen Richtung Israel. Israel selbst stellte sich auf einen längeren Einsatz ein. Der damalige israelische Ministerpräsident Yair Lapid sagte zeitgleich: „Israel ist nicht an einer breiten Operation im Gazastreifen interessiert, hat aber auch keine Angst vor ihr.“

Dem jüngsten Gewaltausbruch vorausgegangen war zuvor die Festnahme zweier ranghoher Mitglieder des Islamischen Dschihad. Daraufhin wurden zwei Grenzübergänge zwischen Israel und dem Gazastreifen geschlossen. Das hatte zur Folge, dass das einzige Kraftwerk im Gazastreifen abgeschaltet werden musste, da kein Diesel mehr in den schmalen Küstenstreifen gelangte. Die Stromversorgung in den Palästinensergebieten musste daher von bisher zwölf auf vier Stunden reduziert werden. Ein Mitarbeiter der Stromgesellschaft sprach von einer „katastrophalen Situation“.[5]

Russland und die EU riefen zur Mäßigung auf.

Am 7. August 2022 tötete die israelische Armee einen zweiten hochrangigen Dschihad-Anführer, Khaled Mansour. Mansour habe das Kommando über die militante Organisation im Süden des Gazastreifens gehabt und sei bei einem Luftangriff in der Stadt Rafah ums Leben gekommen, teilte die israelische Militärführung mit. Zwei weitere ranghohe Dschihad-Mitglieder seien ebenfalls getötet worden, darunter ein Stellvertreter Mansours.

Von der israelischen Armee hieß es in einer Mitteilung: „In den vergangenen Tagen hat Mansour an der Vorbereitung eines Angriffs auf Israel mit einer Panzerabwehrrakete sowie Raketen gearbeitet“, er sei außerdem für Terroranschläge in der Vergangenheit verantwortlich gewesen.

Die israelische Luftwaffe flog etliche Angriffe auf Ziele im Gazastreifen, von dort feuerte die Miliz des Islamischen Dschihad Hunderte Raketen auf israelisches Territorium ab. Letztere gingen entweder auf offenem Gelände nieder oder wurden vom Raketenabwehrsystem Iron Dome abgefangen. Der Islamische Dschihad ist eng mit dem Iran, Israels Erzfeind, verbunden und stellt nach der Hamas die zweitstärkste militärische Kraft im Gazastreifen. „Die Kämpfer des Islamischen Dschihad sind bereit, den Krieg fortzusetzen“, teilte die militante Organisation mit. Die palästinensischen Raketen Richtung Israel zielten auch auf den internationalen Flughafen Ben Gurion im Zentrum des Landes.


Abbas wirft Israel „Holocausts“ vor und rudert dann wieder zurück

Eine Äußerung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Berlin sorgte bei seinem Berlin-Besuch am 17. August 2022 für Aufregung. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz der Politiker im Berliner Kanzleramt fragte ein Journalist Abbas, ob er Israel anlässlich des 50. Jahrestags des Attentats auf die israelische Olympiamannschaft in München um Entschuldigung bitten wolle. „Wenn wir weiter in der Vergangenheit wühlen wollen, ja bitte“, antwortete Abbas. Täglich würden Palästinenser von der israelischen Armee getötet. „Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen“, sagte der Palästinenserpräsident weiter. Und fügte hinzu: „50 Massaker, 50 Holocausts.“

In Israel hatte der Holocaust-Vorwurf des Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde, Abbas, eine Welle der Empörung ausgelöst. Dass Abbas auf deutschem Boden Israel beschuldige, „50 Holocausts“ verübt zu haben, sei nicht nur eine „moralische Schande, sondern eine monströse Lüge“, twitterte Ministerpräsident Yair Lapid. „Die Geschichte wird ihm das niemals verzeihen.“ Der Leiter der Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Dayan, nannte den Vergleich von Abbas entsetzlich und verachtenswert.


UNO-Vollversammlung gibt grünes Licht für Untersuchung der israelischen Besatzungspolitik durch IGH

Die UNO-Vollversammlung beauftragte am 30. Dezember 2022 den Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) damit, die Besetzung der Palästinsergebiete durch Israel zu untersuchen. Der IGH soll „rechtlichen Konsequenzen“ ermitteln, die sich „aus der fortwährenden Verletzung des Rechts des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung“ ergeben würden. Die Entscheidung für eine entsprechende Resolution fiel mit 87 zu 24 Stimmen. Nahezu die gesamte muslimische Welt votierte für die Untersuchung, ebenso Russland und China. 53 Länder, darunter Frankreich, enthielten sich.

Neben Österreich stimmten unter anderem auch die USA, Großbritannien und Deutschland dagegen. Der palästinensische Botschafter Salah Abdel Schafi drückte danach sein Bedauern über Österreichs Ablehnung der UNO-Resolution zur völkerrechtlichen Überprüfung der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete aus. „Mit Bedauern müssen wir erneut feststellen, dass die österreichische Bundesregierung versucht, Israel und seiner kolonialen Besatzung einen unverdienten Schutz zu gewähren“, hieß es in einer Aussendung.

Österreich begründete sein Abstimmungsverhalten damit, dass „einzig direkte Verhandlungen zwischen den Palästinensern und Israel mit dem Ziel einer Zweistaatenlösung auf Basis des Völkerrechts den Konflikt dauerhaft beilegen können“. Die in der Resolution vorgesehene „einseitige Befassung des Internationalen Gerichtshof mit Israel“ bringe das Ziel einer Zweistaatenlösung nicht näher, betonte das österreichische Außenministerium.


Mit Übernahme der neuen, deutlich politisch rechts stehenden israelischen Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Ende 2022 verschärften sich die israelisch-palästinensischen Spannungen immer mehr.[6] Im Berichtszeitraum kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen auf beiden Seiten, sowie zu Attentaten radikalisierter Palästinenser auf israelische Bürger etwa in Ostjerusalem.[7]

Zu den Regierungsvorhaben gehörten einerseits die Stärkung ethno-kollektiver Prinzipien und zugleich das Schwächen liberaler Institutionen im Staat, insbesondere des Obersten Gerichtshofs. Ein wesentliches Ziel ist die sogenannte „Überstimmungsklausel“. Diese würde es dem israelischen Parlament erlauben, Urteile des Obersten Gerichtshofes, die im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gefällt wurden, zu überstimmen. Damit würde der zentrale Bestandteil des israelischen Systems von Checks and Balances deutlich geschwächt und ein reines Mehrheitsregime ohne Beschränkung von übergeordneten Prinzipien wie Menschen- oder Minderheitsrechten ermöglicht.[8]


Israels rechtsgerichtete Regierungskoalition beschließt einen Teil der umstrittenen Justizreform

Trotz massiven Protesten der Bevölkerung wurde in der Knesset in einer turbulenten Sitzung über die umstrittene Gesetzesänderung beraten und schließlich ein Teil der Justizreform verabschiedet. Die Reform, die auf eine Schwächung des Obersten Gerichts zielt, spaltet Israel tief. Kritiker sprachen von einem „Ende der Demokratie“ in Israel. Im Gegensatz zu anderen Ländern sei das Oberste Gericht die einzige Instanz, die Exzesse der Exekutive verhindern und die Grundrechte aller Bürger sichern könne, so die Opposition. Die Regierung verteidigte die Reform damit, dass das höchste Gericht zu mächtig geworden sei und sie wieder eine Balance zwischen Exekutive, Legislative und Justiz herstellen wolle.

Der israelische Premierminister Netanjahu kündigte zudem einen “breit angelegten Einsatz“ gegen radikale, gewaltbereite Palästinenser nach dem jüngsten Anschlag mit einem Auto auf Passanten in Ostjerusalem an.[9]

Nach der Tötung von elf Palästinensern bei einem israelischen Militäreinsatz im Westjordanland Mitte Februar 2023 griffen einander beide Seiten erneut mit Raketen an. Vom Gazastreifen wurden zuerst mehrere Raketen auf Israel abgefeuert. Kurz darauf flog Israel Luftangriffe auf Ziele in dem Palästinensergebiet.

Ein tödlicher Anschlag radikaler Palästinenser auf zwei Israelis im nördlichen Westjordanland führte am 26. Februar 2023 zu schweren Ausschreitungen israelischer Siedler vor Ort.

Zuvor waren bei einem Treffen in der jordanischen Hafenstadt Akaba vertrauensbildende Maßnahmen Israels und der Palästinenser vereinbart worden. An den mutmaßlich ersten direkten Verhandlungen dieser Art zwischen beiden Seiten seit Jahren nahmen auch Regierungsvertreter der USA, Jordaniens und Ägyptens teil. Israelis und Palästinenser wollten „einseitige Maßnahmen“ für drei bis sechs Monate aussetzen, hieß es ohne Nennung weiterer Details in einer gemeinsamen Erklärung. Israel habe angeblich zugestimmt, vier Monate lang keine Diskussionen über den Bau neuer Siedlungen im Westjordanland zu führen und sechs Monate lang keine neuen Siedlungsaußenposten zu genehmigen.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte dagegen, Israel habe sich zu keinem Baustopp verpflichtet. Der Ausbau und die Legalisierung von Siedlungen im Westjordanland sollten wie geplant weitergehen.


Angesichts der anhaltenden Massenproteste gegen die von der Regierung Netanjahu propagierten Justizreform wurde schließlich eine Verschiebung der geplanten Maßnahmen beschlossen. Ungeachtet der Verschiebung des Umbaus der Justiz durch die rechts-religiöse Regierung in Israel gingen im ganzen Land weiter Hunderttausende Menschen auf die Straßen, um gegen Netanjahu zu protestieren. „Die Regierung will keine Einigung, sondern nur Zeit gewinnen, um den Justizputsch zu verabschieden“, hieß es von den Organisatoren des Protests.

Vor dem Hintergrund anhaltender Demonstrationen gegen den von der Regierung Netanjahu lancierten Umbau des Justizsystems in Israel ruderte diese vorerst mit einem zwischenzeitlichen Stopp des Vorhabens zurück, doch zurück bleibt eine tief gespaltene israelische Gesellschaft. Die offensichtliche Instabilität der israelischen Regierung nützen nun vor allem die Gegner Israels aus: der Erzfeind Iran - neben anderen schiitischen Milizen in der Region - die Hisbollah, die sunnitische Hamas und der extremistische Palästinensische Islamische Dschihad im Gazastreifen.

Nach neuerlicher Eskalation der Gewalt im Gazastreifen infolge des Todes eines palästinensischen Häftlings, eines prominenten Mitglieds der Extremistengruppe Islamischer Jihad, verständigten sich Israel und die bewaffneten palästinensischen Gruppen Anfang Mai 2023 auf eine Waffenruhe. Allerdings hielt diese Waffenruhe nicht lange. Neuerliche Raketenangriffe palästinensischer radikaler Gruppen auf Israel und Gegenschläge der israelischen Armee auf palästinensische Ziele folgten. Dabei wurde am 10. Mai 2023 einer der führenden Köpfe des Islamischen Dschihad getötet.


Israelische Luftschläge vor allem gegen Stellungen der mutmaßlichen proiranischen Hisbollah-Miliz in Syrien

Im Berichtszeitraum griff die israelische Luftwaffe wiederholt nicht näher benannte Ziele im Nachbarland Syrien an.

Israel hat in den vergangenen Jahren Hunderte Luftangriffe in dem Nachbarland geflogen. Sie zielten auf Stellungen der syrischen Armee sowie der mit dem Iran verbündeten islamistischen Hisbollah. Israel äußert sich nur selten zu den Angriffen, betont jedoch regelmäßig, man werde nicht zulassen, dass der Iran seinen Einfluss bis an die Grenze Israels ausdehne.


Der iranische Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei sagte an einem Auftritt Anfang April 2023, der „innenpolitische Kollaps“ Israels komme schneller als erwartet. Am gleichen Tag kam das politische Oberhaupt der Hamas, Ismail Haniyeh, zu einem „privaten“ Besuch (wie es hieß) in den Libanon, wo er sich mit dem Chef der Hisbollah, Hassan Nasrallah, und mit radikalen Palästinenservertretern traf.

Das Mullah-Regime in Teheran und die Hisbollah könnten dabei grünes Licht für die Raketenangriffe der Hamas gegeben haben, um israelische Luftangriffe in Syrien zu vergelten, durch die zuvor zwei iranische Offiziere getötet wurden.[10]

Parallel dazu stürmten Einheiten der paramilitärischen israelischen Grenzpolizei zweimal die Aksa-Moschee auf dem Tempelberg (Haram al-Sharif), die eines der wichtigsten Heiligtümer der Muslime ist. Nach Angaben der israelischen Sicherheitskräfte hatten sich in der Moschee Hamas-Anhänger verschanzt. Dabei ging sie auch gegen Gläubige vor, die sich zum Gebet versammelt hatten. Bilder von Hunderten von Betenden, die mit Plastikfesseln an Händen und Beinen am Boden lagen, und von Polizisten, die vor der Moschee auf Gebetsteppiche trampelten und ältere Männer brutal zur Seite drängten, machten in den sozialen Netzwerken die Runde und heizten die Spannungen weiter an.[11]


Während die USA versuchten, die Gewaltspirale im Nahen und Mittleren Osten einzudämmen, berief die israelische Armee Reservisten der Luftwaffe ein.

Mehrere arabische Länder, aber auch die Türkei verurteilten den Einsatz scharf. In einem Telefonat mit seinem iranischen Amtskollegen Ibrahim Raisi sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, die islamische Welt sollte sich gegen die israelischen Attacken verbünden, um den Status der heiligen Stätte zu wahren. Es müssten Schritte ergriffen werden, die alle Seiten zur Vernunft brächten, um eine Gewaltspirale einzudämmen.

Die Wellen gewalttätiger Eskalation auf verschiedenen Seiten konnten im Berichtszeitraum jedenfalls nicht beseitigt werden. Der Nahost-Konflikt sowie die israelisch-iranische Feindschaft können das „Pulverfass“ einer mehr als volatilen Gemengelage sehr rasch zum Entzünden bringen.


Abgeschlossen: Mitte Mai 2023


Anmerkungen:

[1] Siehe dazu etwa: Denis Bauchard, „LE MOYEN-ORIENT, UN ANGLE MORT DE LA POLITIQUE AMÉRICAINE?“. In: Revue Défense Nationale 1/2022, S. 15-25.

[2] Israelischer Bericht: So schmuggelt Iran Waffen an die Hamas. In: Mena-Watch.com v. 20.4.2021: https://www.mena-watch.com/israelischer-bericht-zeigt-wie-der-iran-waffen-an-die-hamas-schmuggelt/

[3] Live Updates: Israel, U.S. and 4 Arab Nations Focus on Security at Summit. In: THE NEW YORK TIMES-Online v. 28.3.2022: https://www.nytimes.com/live/2022/03/28/world/israel-arab-nations-meeting

[4] Siehe dazu: Klara Leithäuser, „DIGITALER DRAHTSEILAKT - Sicherheitsrisiko oder Druckmittel? Israels Technologiebeziehungen zu China“. In: Internationale Politik Special 11/2022, S. 30-37.

[5] Israel-Gaza: Death toll rises as Israel targets militants - BBC: https://www.bbc.com/news/world-middle-east-62445951

[6] Netanyahu's new government in Israel is 'against the state'. In: Middle East Monitor-Online v. 3.1.2023: https://www.middleeastmonitor.com/20230103-netanyahus-new-government-in-israel-is-against-the-state/

[7] Auto fährt in Menschenmenge - zwei Tote. In: FAZ-Online v. 10.2.2023: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/jerusalem-zwei-tote-bei-anschlag-mit-auto-18668892.html

[8] What Does Israel’s New Government Mean for the Israeli-Palestinian Conflict? In: United States Institute of Peace-Online v. 5.1.2023: https://www.usip.org/publications/2023/01/what-does-israels-new-government-mean-israeli-palestinian-conflict

[9] Netanjahu kündigt größeren Einsatz gegen palästinensische Attentäter und deren Unterstützer an. In: DER STANDARD-Online v. 12.2.2023: https://www.derstandard.de/story/2000143459514/netanjahu-kuendigt-groesseren-einsatz-gegen-palaestinensische-attentaeter-und-deren-unterstuetzer

[10] IRAN-UPDATE APRIL 6, 2023. In: Institute for the Study of War-Online: https://www.understandingwar.org/backgrounder/iran-update-april-6-2023

[11] Festnahmen nach Zusammenstößen in Al-Aksa-Moschee in Jerusalem. In: Deutsche Welle-Online v. 5.4.2023: https://www.dw.com/de/festnahmen-nach-zusammenst%C3%B6%C3%9Fen-in-al-aksa-moschee-in-jerusalem/a-65232323

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