GELBWESTEN-PROTESTE IN FRANKREICH GEGEN PRÄSIDENT MACRONUpdate Mai 2019Eine Rekonstruktion der vorläufigen Ereignisse:Am Anfang standen der Unmut und die anschließende Erhebung gegen die staatliche Benzinpreiserhöhung, die sich in eine Auflehnung gegen die Steuerlast des französischen Staates transformierte. Ihre Flexibilität hat die Bewegung aber zu einem Sammelbecken für alle möglichen Ideen, Forderungen und Frustrationen werden lassen. Trotz Zugeständnissen Macrons und seiner Regierung ebben die Proteste und Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften nicht ab. |
- 27. Jänner 2019: Seit Wochen protestieren die „gilets jaunes“ gegen die französische Politik. Teile davon schrecken auch vor Gewalt nicht zurück. Nun bildet sich mit den „foulards rouges“ eine Gegenbewegung, die Reformen nur mit friedlichen Mitteln herbeiführen will.
- 1. Februar 2019: Mit einer überraschenden Aussage zieht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Spott und Häme von Anhängern der Protestbewegung auf sich. „Wenn eine ‚Gelbweste‘ jemand ist, der für eine bessere Bezahlung der Arbeit eintritt und für eine bessere Funktionsweise des Parlaments, dann bin ich auch eine ‚Gelbweste‘“, sagt er gegenüber mehreren Medien.
- 2. Februar 2019: Der Philosoph Alain Finkielkraut sieht in der Präsenz der „Gelbwesten“ ein Resultat der zerschlagenen Parteistrukturen – und der zunehmenden Macht sozialer Netzwerke. Er wird später von Männern offenbar mit islamisch-salafistischem Hintergrund auf offener Straße beschimpft. Im ganzen Land bekunden Tausende ihr Entsetzen über die jüngsten antisemitischen Vorfälle, wobei Unbekannte unter anderem zuvor auch auf einem jüdischen Friedhof bei Straßburg Gräber mit Hakenkreuzen beschmiert haben.
- 5. Februar 2019: Die Demonstrationen gegen die Regierung nehmen wieder Fahrt auf. In ganz Frankreich folgen Zehntausende dem Aufruf mehrerer Gewerkschaften und gehen auf die Straße. Auch „Gelbwesten“ sind unter den Demonstranten, die Lohnerhöhungen, niedrigere Studiengebühren oder Steuergerechtigkeit fordern.
- 7. Februar 2019: Frankreich ruft seinen Botschafter aus Rom zurück – als Reaktion auf eine Reihe „extremer Erklärungen“ Italiens, wie es heißt. Das Fass zum Überlaufen brachte ein Treffen des italienischen Vizeregierungschefs Luigi Di Maio mit Vertretern der französischen „Gelbwesten“-Bewegung. Frankreich sieht in dem Treffen eine „Provokation“ und eine Einmischung in die Innenpolitik, wie das französische Außenministerium bekräftigte. Der Vorgang sei „beispiellos seit Kriegsende…Sie verletzen den Respekt, den demokratisch und frei gewählte Regierungen einander schulden.“
Schließlich können die Wogen wieder auf bilateralem diplomatischem Wege geglättet werden.
- 23. Februar 2019: Anhänger der „Gelbwesten“-Bewegung gehen den 15. Samstag in Folge erneut in ganz Frankreich auf die Straße. In Paris setzen sich zwei Protestzüge mit Tausenden Teilnehmern am Triumphbogen über die Champs-Elysees in Richtung Eiffelturm in Bewegung.
Vor dem Loire-Schloss Chambord, wo Präsident Emmanuel Macron Ende Dezember 2017 seinen 40. Geburtstag gefeiert hatte, versammeln sich weitere „Gelbwesten“ bei frühlingshaftem Wetter zu einem Massenpicknick.
- 2. März 2019: Zehntausende Menschen nehmen in Frankreich am 16. Wochenende hintereinander an „Gelbwesten“-Protesten teil.
- 16. März 2019: In Frankreich eskalieren die Proteste der „Gelbwesten“. Häuser gehen in Flammen auf, etliche Menschen werden verletzt.
Der Protest haben in den vergangenen Wochen allerdings an Zulauf verloren. Zahlreiche Führungsfiguren haben schließlich dazu aufgerufen, wieder Stärke zu zeigen. Der Aufruf wirkt: Am 16. März protestieren dem Innenministerium zufolge 14.500 Menschen landesweit, davon 10.000 in Paris. Dabei kommt es zu schweren Ausschreitungen, zu Plünderungen, Brandstiftungen und Sachbeschädigungen.
- 23. März 2019: Die französische Regierung baut ihr Sicherheitsdispositiv aus, um neuen Krawallen zu begegnen. Auf den Champs-Elysées gilt zum ersten Mal ein Demonstrationsverbot. Die Gelbwesten demonstrierten anderswo – weitgehend ruhig.
- 5. April 2019: Fünf Monate nach der ersten Gelbwesten-Demonstration kommt ein Film über die französische Protestbewegung in die französischen Kinos. Sein Autor, ein Abgeordneter der Linkspartei „La France insoumise“, erhofft sich davon ein Wiederaufleben der Bewegung.
- 11. April 2019: Vor dem Hintergrund der „Gelbwesten“-Proteste setzt der französische Präsident Macron ein umstrittenes „Anti-Randalierer-Gesetz“ in Kraft. Damit dürfen Sicherheitskräfte bei Demonstrationen schärfer gegen mutmaßliche Gewalttäter und Vermummte vorgehen.
- 13. April 2019: Bei neuen Protesten der „Gelbwesten“-Bewegung kommt es in der südwestfranzösischen Stadt Toulouse zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten.
In Paris bleiben die Proteste ruhig. Die Polizei meldet 15 Festnahmen und 5.885 Personen- und Fahrzeugkontrollen.
- 16. April 2019: Als Antwort auf die Proteste der „Gelbwesten“-Bewegung und die anschließende Bürgerbefragung plant Frankreichs Präsident Macron Steuersenkungen.
Zudem sollen Pensionistinnen und Pensionisten entlastet werden, die über maximal 2.000 Euro verfügen. Der Staatschef hatte einen am Abend des Vortages geplanten TV-Auftritt wegen des Brandes in der Kathedrale Notre-Dame kurzfristig abgesagt.
Weiters wolle der Präsident Volksbefragungen ermöglichen, wie sie die „Gelbwesten“ fordern, allerdings vorwiegend zu „Themen von lokalem Interesse“, wie es heißt. Darüber hinaus schlägt Macron vor, die Pariser Elitehochschule Ecole Nationale d’Administration (ENA) abzuschaffen. Diese Kaderschmiede hatte er selbst als Student besucht.
Die „Gelbwesten“ und viele andere Bürger werfen der politischen Klasse Frankreichs vor, zu „abgehoben“ zu sein. Macron ist für sie ein „Präsident der Reichen“, weil er die Vermögenssteuer weitgehend abgeschafft hat.
- 19. April 2019: Wut unter den „Gelbwesten“ lösen unter anderem die Millionenspenden für den Wiederaufbau der Kathedrale Notre Dame aus.
Nach dem Feuer haben französische Milliardärsfamilien immense Summen versprochen. „Was ‚Notre-Dame‘ betrifft, so ist es gut, dass die Milliardäre eine Milliarde Euro finden konnten, aber 140.000 Obdachlose, das interessiert niemanden!“, heißt es in einem Facebook-Aufruf.
Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hatte bei einem Festakt am Vortag zu einem Schulterschluss der Franzosen aufgerufen. „Die Zeit des Wiederaufbaus muss eine Zeit der Einigkeit werden“, forderte sie in einer emotionsgeladenen Rede vor dem Pariser Rathaus.
- 20. April 2019: Die „Gelbwesten-Bewegung“ mobilisiert wieder landesweit tausende Menschen, die in ganz Frankreich auf die Straße gehen. Behördenangaben zufolge gehen 27.900 Menschen in ganz Frankreich auf die Straße, davon 9000 in Paris. Es kommt vor allem in Paris wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei.
Es war die erste „Gelbwesten“-Kundgebung seit dem Brand der Kathedrale von Notre-Dame. Der Bereich unmittelbar um die Kirche war für die Demonstranten gesperrt. Das Innenministerium bot in ganz Frankreich mehr als 60.000 Mitarbeiter von Polizei und Gendarmerie auf, um die Proteste gegen die Regierung in einigermaßen geordneten Bahnen ablaufen zu lassen.
Die „Gelbwesten“ protestieren seit fünf Monaten für mehr soziale Gerechtigkeit und niedrigere Steuern. Im Dezember 2018 hatte Präsident Macron zunächst Zugeständnisse im Umfang von rund zehn Milliarden Euro angekündigt, unter anderem einen höheren Mindestlohn. Von Mitte Jänner bis Mitte März 2019 ließ Macron die Bürger zudem im Rahmen einer „großen nationalen Debatte“ befragen, um „die Wut in Lösungen zu verwandeln“.
- 25. April 2019: In Reaktion auf die seit November 2018 laufenden Proteste der „Gelbwesten“ legt Macron seine Reformpläne vor. Macron verzichtet dabei auf eine TV-Ansprache und hält eine äußerst ausführliche Pressekonferenz im Pariser Elysee-Palast ab. Insgesamt sollen die Steuern deutlich gesenkt werden. Es gehe um Erleichterungen „für diejenigen, die arbeiten“, so der Präsident. Als weitere Zugeständnisse an die Protestbewegung kündigt er zudem eine mögliche Rückkehr zur Vermögensteuer an, die er weitgehend abgeschafft hat. Die Maßnahme werde im kommenden Jahr geprüft. Auch wolle er Bezieher und Bezieherinnen niedriger Pensionen besserstellen, wie er sagt.
Als weitere Konsequenz aus den Protesten und der folgenden zweimonatigen Bürgerbefragung stellt Macron erleichterte Referenden in Aussicht. Bindende Referenden nach Schweizer Modell, wie sie die „Gelbwesten“ fordern, würden jedoch „die repräsentative Demokratie infrage stellen“, so Macron.
Auf die geplante Schließung von Schulen und Krankenhäusern in der Provinz will Macron bis zum Ende seiner Amtszeit 2022 verzichten. Eine Schließung der Elitehochschule ENA, über die zuvor spekuliert worden war, lehnt der Präsident jedoch ab.
- 27. April 2019: In Paris gehen neuerlich Anhänger der „Gelbwesten“-Bewegung und Gewerkschaftsmitglieder gemeinsam auf die Straße. Gemeinsam demonstrieren sie gegen die Regierung und ihre Reformvorschläge. Auch in Straßburg versammeln sich die „Gelbwesten“ zum Protest.
- 1. Mai 2019: Am Rande einer Gewerkschaftskundgebung zum 1. Mai kommt es in Paris zu Ausschreitungen. Die Polizei setzt im Süden der Hauptstadt Tränengas gegen gewalttätige Demonstrierende ein. In ganz Frankreich nehmen über 150.000 Menschen an Demonstrationen gegen die französische Regierung teil. Allein in Paris sind es 40.000 Protestierende. Unter den Demonstranten befinden sich wieder viele „Gelbwesten“. Es kommt zu hunderten Festnahmen.
Die Chefin der rechtspopulistischen Rassemblement National (bis Juni 2018 „Front Nationale“), Marine Le Pen, greift nach den Ausschreitungen die Regierung von Premier Édouard Philippe an. Diese trage die Verantwortlichkeit für die Gewalttätigkeiten, so Le Pen.
Abgeschlossen: Anfang Mai 2019 |