ERDOGANS TÜRKEI
Die Beziehungen der USA zum ehemals engen Verbündeten im Kalten Krieg, Türkei, scheinen in der Ära von Präsident Recep Tayyip Erdogan zu erodieren. Der zunehmende Machtanspruch der von der gemäßigt-islamischen AKP regierten Türkei nach innen wie außen berührt spätestens nach dem Putschversuch gegen Erdogan im Lande 2016 auch das amerikanisch-türkische Verhältnis. Spezielle Streitpunkte sind die amerikanische Unterstützung der syrischen Kurden im Grenzgebiet zur Türkei, die Ankara als verlängerten Arm der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) ansieht. Die PKK selbst war im Berichtszeitraum wieder vermehrt Ziel intensivierter Luftschläge durch die türkische Luftwaffe im Nordirak. Für Washington waren und sind die syrischen Kurden ein wesentlicher Bestandteil der Bodentruppen im Rahmen der Anti-IS-Koalition in Syrien. Im Zuge der Wirren im syrischen Bürgerkrieg hat Erdogan zunehmend eine politische Annäherung an seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin gesucht. In diesem Zusammenhang hat Erdogan schließlich das russische S400-Flugabwehrsystem für die Türkei gekauft. Die US-Administration von Präsident Donald Trump hat diesen Schritt Erdogans stets scharf kritisiert und schließlich die geplante Lieferung von etwa 100 modernsten US-Kampfflugzeugen vom Typ F-35 an die Türkei verhindert. Beim G-20-Gipfeltreffen in Osaka im Juni 2019 hatte Erdogan offenbar laut US-Medien Trump mit dem Austritt der Türkei aus dem westlichen Verteidigungsbündnis NATO gedroht. Trotz allem Säbelrasseln auf beiden Seiten dürfte aber vorerst „nicht alles so heiß gegessen werden, wie es gekocht wird“. Auch wenn Erdogan die Umwandlung der Türkei als eine „eigenständige Regionalmacht“ in neoosmanischen Traditionen anvisiert, so dürfte das Land am Bosporus nach Meinung internationaler Beobachter doch nicht militärisch stark genug sein, um sich aus der westlichen Allianz wirklich zu lösen und an Moskau zu binden. Dennoch dürfte die Türkei unter Erdogan langfristig gegenüber dem Westen immer mehr auf Distanz gehen. Wenn die NATO gegen mögliche russische hybride Angriffstaktiken im laufenden Ukraine-Konflikt oder eventuell auch in den baltischen Ländern militärische Gegenmaßnahmen starten würde, dann bleibt noch weitgehend unklar, wie sich die Türkei aus Rücksicht gegenüber dem Kreml und seinen Interessen in beiden Regionen verhalten wird. Trotzdem scheint die westliche Führungsmacht nicht wirklich daran zu denken, den „wankelmütigen“ türkischen Bundesgenossen aus dem gemeinsamen Bündnis zu verstoßen. Dafür ist der strategische Wert der Türkei an der Südostflanke der NATO für die westliche Allianz denn doch viel zu hoch. [1] Auch jüngste Sanktionen der USA gegen das türkische Direktorat der Verteidigungsindustrie wegen der türkischen Inbetriebnahme des russischen S-400-Raketenabwehrsystems dürften daran nicht wirklich viel ändern. |
Erdogans harte Haltung gegenüber den Kurden In drei kurdisch geprägten Großstädten im Südosten der Türkei, in Diyarbakir, Mardin und Van setzte das türkische Innenministerium am 19. August 2019 die gewählten kurdischen Bürgermeister ab. Dies sorgte nicht nur bei der pro-kurdischen HDP, sondern auch in den Reihen der AKP-Regierungspartei für erhebliche Kritik. Die Regierung warf den Volksvertretern Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor. In einer langen Erklärung hieß es, die von der Türkei als Terrororganisation eingestufte PKK habe dank „dem entschiedenen Kampf gegen den Terrorismus in den letzten Jahren empfindliche Verluste“ hinnehmen müssen. Konkret warf Ankara den drei Bürgermeistern vor, ihr Amt missbraucht zu haben, um die PKK politisch und finanziell zu unterstützen, indem sie beispielsweise von der Regierung entlassene Angestellte wieder eingestellt und Jobs an Angehörige von getöteten Rebellen vergeben hätten. Das jeweilige Bürgermeister-Amt übertrug die türkische Regierung kommissarisch dem jeweiligen Provinzgouverneur. Die Gouverneure werden in der Türkei nicht gewählt, sondern vom Präsidenten eingesetzt. Viele Kurden in der Türkei hatten gehofft, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nunmehr einen Neuanlauf für eine politische Lösung des seit 35 Jahren andauernden Konflikts nehme. Dass der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan nach Jahren endlich wieder von seinen Anwälten Besuch erhalten konnte und sich zu Wort melden durfte, hatte so manchen Betroffenen im kurdischen Südosten des Landes Mut gemacht. Mit dem harten Vorgehen machte aber der türkische Präsident deutlich, dass er kein Interesse an einem friedlichen Ausgleich hat. Vielmehr glaubt er, die Kurden mit Repression und Gewalt in die Knie zwingen zu können. Erdogan als ReformerLange wurden die Aramäer in der Türkei verfolgt und diskriminiert. Im August 2019 bekam die älteste christliche Gemeinde des Landes ein neues Gotteshaus in Istanbul. Auch für den Vatikan war dies eine Überraschung: Der türkische Präsident Erdogan stand am 3. August in der mehrheitlich muslimischen Metropole Istanbul zwischen drei christlich-orthodoxen Würdenträgern mit ihren schwarzen Roben und vollzog den Spatenstich für den ersten Neubau einer christlichen Kirche seit Gründung der türkischen Republik 1923. In seiner Ansprache bezeichnete Erdogan es als Pflicht des Staates, allen Bürgern zu dienen, egal welcher Religion sie angehörten. Denn unter der fast tausendjährigen türkischen Herrschaft sei das gesamte Gebiet der heutigen Türkei „stets ein Zentrum verschiedener Farben, Kulturen, Religionen und Ethnien gewesen“, betonte Erdogan. Er nannte die künftige syrisch-orthodoxe Mor-Efrem-Kirche, die in zwei Jahren fertig sein soll, „eine Bereicherung“ für Istanbul und sagte, die Assyrer gehörten „seit alten Zeiten zu unserer Geografie“. Die Assyrer oder Aramäer sind die älteste christliche Gemeinde des Landes, stammen historisch aus dem antiken nördlichen Mesopotamien und siedelten sich lange vor den Türken in der heutigen südostanatolischen Provinz Mardin an. Sie sprechen Aramäisch, die Sprache von Jesus Christus. Im Osmanischen Reich wurden sie wie Armenier und Griechen Opfer von Vertreibungen, Pogromen und Massakern. Erdogan besucht mit Putin die russische Luft- und Raumfahrtmesse in Schukowski nahe MoskauIm Juli 2019 hatte die US-Administration die Türkei von der Teilnahme am amerikanischen F-35-Kampfjet-Programm ausgeschlossen und mit Sanktionen gegen Ankara gedroht, da das NATO-Land Türkei von Russland das Raketenabwehrsystem S-400 gekauft hatte. Moskau signalisierte Ankara die Möglichkeit des Kaufs von russischen Kampfflugzeugen als Alternative zu den amerikanischen F-35. Ende August besuchte dann auch Erdogan auf Einladung des russischen Präsidenten Wladimir Putin die Luft- und Raumfahrtmesse in Schukowski nahe Moskau, um sich die neueste Kampfflugzeug-Generation der „Su-57“ zeigen zu lassen. Der Tarnkappen-Kampfjet Su-57 ist allerdings noch in der Entwicklungsphase und gilt für russische Militärspezialisten als eine mögliche Konkurrenz zu den F-35 der Amerikaner. Während Erdogan mit Putin in Schukowski die dortige Flugshow mitverfolgte, landete in Ankara ein weiteres russisches Transportflugzeug, das Teile für die zweite Batterie des S-400 lieferte. Nächster kalkulierter Schritt: Erdogan will offenbar die Türkei zu einer Atommacht machenAn einem Wirtschaftsforum im September 2019 in der ostanatolischen Stadt Sivas erklärte der türkische Präsident vor Anhängern, dass die Türkei zu wenig militärisch aufgerüstet sei: „Einige Länder haben Raketen mit nuklearen Sprengköpfen, nicht nur eine oder zwei. Aber sie sagen uns, wir könnten sie nicht haben. Das akzeptiere ich nicht.“ Sollte dementsprechend also nicht auch die Türkei über eigene Atomwaffen verfügen? Es gebe jedenfalls „keine entwickelte Nation in der Welt“ ohne Kernwaffen, so Erdogan. Dass Ankara sowohl den Atomwaffensperrvertrag von 1968 als auch den Kernwaffen-Teststopp-Vertrag von 1996 ratifiziert hat, erwähnte er nicht. Jedenfalls baut der russische Staatskonzern Rosatom derzeit am Mittelmeer, südwestlich der Stadt Mersin, das erste türkische Kernkraftwerk. Türkische Militärintervention in Nordsyrien gegen die KurdenNachdem US-Präsident Donald Trump Erdogan in einem Telefonat Anfang Oktober 2019 mehr oder weniger freie Hand dazu gegeben hatte, im nordsyrisch-türkischen Grenzgebiet auf syrischer Seite eine „Sicherheitszone“ einzurichten, die laut türkischen Aussagen gegen die kurdische PKK und ihre Ableger gerichtet sei, startete Ankara schließlich seine Militäroperation gegen die Kurden. Während Trump die amerikanischen Einheiten im Raum abziehen ließ, schlossen die bedrängten, von den Kurden dominierten Syrisch-Demokratischen Streitkräfte (SDF), ein Zweckbündnis mit der syrischen Armee von Präsident Baschar al-Assad – und mit Russland. Moskau schien im Hintergrund die Fäden zu ziehen und rückte auch in Gebiete am Boden vor, die die US-Einheiten parallel dazu verließen. Trump rief Erdogan bereits am 9. Oktober 2019 – also jenen Tag, an dem die Türkei mit ihrer Militäroffensive begann – in einem Brief zu einer friedlichen Lösung im Nordsyrien-Konflikt auf. Der US-Präsident ermahnte Erdogan darin, er wolle doch sicher nicht für den Tod Tausender Menschen verantwortlich sein. Andernfalls werde die US-Regierung die türkische Wirtschaft zerstören. Die kurdische Seite sei zu Verhandlungen bereit, schrieb Trump. „Sie können ein großartiges Abkommen schließen.“ Erdogan könne auf positive Weise in die Geschichte eingehen, wenn er in dem Konflikt richtig und menschlich agiere. Andernfalls werde er als Teufel in die Geschichte eingehen. „Seien Sie kein harter Kerl. Seien Sie kein Narr!“, appellierte er an seinen türkischen Amtskollegen. Offenbar im Einvernehmen mit Russland und – mehr oder weniger – auch mit den USA rückte schließlich ab Herbst 2019 die türkische Armee gegen die kurdischen Stellungen auf syrisches Gebiet vor und errichtete schließlich die von Erdogan angekündigte „Schutzzone“ entlang der syrisch-türkischen Grenze. Die syrischen Kurden fühlten sich von Moskau und von Washington verraten und riefen schließlich den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad um Hilfe gegen die vorrückenden türkischen Kräfte. Kurz danach brachte sich Trump als Vermittler im Konflikt mit den syrischen Kurden wieder ins Spiel und betrachtete den Schutz der Erdölfelder und -anlagen in Zentralsyrien durch US-Streitkräfte als wichtige Aufgabe, um – nach offizieller Lesensart - ein neuerliches Erstarken der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im Raum zu verhindern. Unterstützt von russischer Luftwaffe und Spezialtruppen ging danach die syrische Armee gegen die von der Türkei unterstützten islamistischen Rebellengruppen in der Provinz Idlib vor. Im Zuge der Kämpfe griff die syrische Armee auch türkische Stellungen an, wobei zahlreiche türkische Soldaten ums Leben kamen. Als Vergeltung nahm die türkische Armee in der Nacht auf den 28. Februar 2020 Stellungen der syrischen Regierungstruppen ins Visier und forderte Beistand von Seiten der NATO. Die Lage blieb im Berichtszeitraum äußerst komplex und unübersichtlich. Schließlich einigten sich der türkische Präsident und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin am 5. März 2020 in Moskau auf einen Waffenstillstand in der umkämpften syrischen Provinz Idlib. Neben der Waffenruhe richteten Russland und die Türkei einen „Sicherheitskorridor“ entlang der wichtigen Verbindungsstraße M4 in Nordsyrien ein. Die türkische Armee rüstet seither in den nordsyrischen Gebieten Idlib, in der Kurdenregion Afrin und im Teil des Aleppo-Gvouvernements von Azaz bis Jarablus rigoros auf und baut dort ihre Stützpunkte aus. Dazu kommt ein ca. 30 Kilometer langer Streifen in der kurdischen Autonomiezone im Nordosten Syiens. Während die türkische Regierung die Besetzung der besagten Territorien auf syrischem Staatsgebiet mit dem „Kampf gegen die Terrorismus“ durch die PKK und ihre Ableger rechtfertigt, gehen internationale Beobachter davon aus, dass dies nur ein Vorwand sei, um Nordsyrien schrittweise zu „annektieren“ bzw. zu „türkisieren“. Die örtliche Verwaltung sowie die Schulen, neu renovierten Krankenhäuser stehen unter türkischer Leitung. Auf den Gebäuden weht die türkische Fahne. Die Schülerinnen und Schüler müssen nun türkisch lernen. Schließlich gilt seit geraumer Zeit die türkische Lira als das hier anerkannte Zahlungsmittel. Aus Sicht Erdogans sei Nordsyrien aus geschichtlichen Gründen eigentlich „türkisches Heimatland“. Damit beruft er sich auf eine Entscheidung des letzten Parlaments im Osmanischen Reich von 1920. Wie Anfang August 2020 bekannt wurde, entsandte Ägypten 150 Soldaten nach Syrien, um die Truppen des Assad-Regimes militärisch zu unterstützen. US-Repräsentantenhaus stuft Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich als „Völkermord“ einEs war das erste Mal, dass der US-Kongress am 29. Oktober 2019 die Massaker der Jahre 1915 bis 1917 der osmanischen Truppen gegenüber der armenischen Bevölkerung als Genozid bezeichnete. Damals wurden rund 1,5 Millionen armenische Männer, Frauen und Kinder systematisch ermordet. Kim Kardashian West gilt seit Jahren als prominente Unterstützerin der armenischen Sache. [2] Sie ist als Geschäftsfrau, Model und Reality-TV-Star bekannt. Im Frühjahr kündigte sie an, Anwältin zu werden. Ankara reagierte äußerst verärgert und bestellte den US-Botschafter in der Türkei ein. Erdogan gab bekannt, dass er die Resolution als „größte Beleidigung seines Volkes“ ansehe. Das sei ein Schritt, der „allein aus innenpolitischen Erwägungen getroffen“ wurde, sagte er.
Erfolgreiche türkische Militärhilfe für libysche EinheitsregierungDas türkische Parlament unterzeichnete am 21. Dezember 2019 ein umfassendes Abkommen zur Sicherheits- und Militärzusammenarbeit mit der von der UNO gestützten Einheitsregierung in Libyen. Der Militärpakt erlaubt es neben militärischem Gerät unter anderem auch Ausbildner und Berater der türkischen Streitkräfte nach Libyen zu schicken. Zudem würde der Austausch geheimdienstlicher Informationen intensiviert, hieß es. Weiterhin verpflichte sich die Türkei, beim Aufbau einer Schutztruppe zu helfen, die in Libyen polizeiliche und militärische Aufgaben übernehmen soll. Mit Hilfe türkischer Waffen (vor allem türkischer Flugdrohnen) und pro-türkischer syrischer Söldner gelang es den Einheiten der Regierung von Fayez as-Sarradsch im Verlauf des Jahres 2020, auf die Siegesstraße gegen die Armee seines Herausforderers, General Chalifa Haftar, zurückzukehren. Haftars Truppen mussten sich zumindest zurückziehen. Seither besteht eine militärisch-politische Pattsituation. Haftar gilt als Vertrauter Putins und des ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi, der Erdogan mit einer Intervention der eigenen Streitkräfte im Nachbarland Libyen auf Seiten Haftars gedroht hatte. Die Türkei unter Präsident Erdogan wird dennoch das erdölreiche Libyen nicht so schnell mehr verlassen. Erdogan folgt damit einem neoosmanischem Ordnungsmuster, war doch Libyen eine der letzten Kolonien des Osmanischen Reichs. Erdogan erhöht Druck auf EU und lässt Flüchtlinge Richtung Europa ziehenInmitten steigender Migrationswellen aus dem syrischen Konfliktraum machte der türkische Präsident am 27. Februar 2020 seine Drohung gegenüber den Europäern wahr und öffneten die Grenzen zur EU. [3] Mehr als 35.000 Flüchtende ließ die Türkei nach eigenen Angaben die Grenze Richtung EU passieren. Ankara forderte bereits seit längerer Zeit von der EU mehr finanzielle Hilfe im Rahmen des EU-Türkei-Flüchtlingspakts. Innerhalb der EU besteht dabei jedoch keine einheitliche Richtung. Mehrere Mitgliedsstaaten sperrten sich gegen zusätzliche Milliarden für die türkischen Behörden. Infolge der anhaltenden Kampfhandlungen im Norden Syriens, insbesondere in der Provinz Idlib, sind allerdings seit Ende 2019 ca. eine Million neue Flüchtlinge dazugekommen. Die Türkei trägt zudem mit ihrer militärischen Präsenz in Nordsyrien ebenfalls dazu bei, dass sich die humanitäre Lage im Konfliktgebiet verschärft. Dennoch hat die Türkei mit derzeit rund 3,59 Millionen Flüchtlingen einen Großteil der Geflohenen aus dem südlichen Nachbarland aufgenommen. In dieser prekären Situation war Brüssel gefordert, zu handeln. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Abkommen mit Ankara federführend ausverhandelt hatte, telefonierte mit Erdogan. Merkel zeigte sich solidarisch mit Erdogan im Hinblick auf verstärkte humanitäre Hilfsmaßnahmen für die vertriebenen Menschen. Die EU-Spitze verhandelte mit der türkischen Regierung um den Erhalt des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens von 2016. Zugleich wurden die EU-Außengrenzen zur Türkei abgeriegelt. Griechenland signalisierte Härte und erklärte, man werde keine neuen Flüchtlingsströme mehr dulden. Die EU-Kommission sagte Athen für das Migrationsmanagement bis zu 700 Millionen Euro Unterstützung zu. Auch die EU-Grenzschutztruppe Frontex weitete ihre Hilfe deutlich aus. Der türkische Präsident Erdogan stellte der EU neue Bedingungen für eine Lösung des Flüchtlingsstreits. Der „Migrationsstrom“ werde so lange anhalten, bis in Syrien eine neue Verfassung ausgearbeitet und freie Wahlen abgehalten werden könnten. „Wenn die Länder Europas die Probleme überwinden wollen, dann müssen sie die politische und humanitäre Lösung, die die Türkei in Syrien zu realisieren versucht, unterstützen“, so Erdogan. Er hoffe, dass die EU durch die aktuellen Entwicklungen die „Wahrheit“ erkenne, fügte er hinzu. Den Europäern warf Erdogan vor, die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte mit Füßen zu treten“, wenn sie Migranten mit Gewalt von ihren Grenzen abhalten. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) verurteilten Erdogans Strategie, die Flüchtlingsströme konzertiert für seine Zwecke zu missbrauchen. Man kündigte zudem „volle Unterstützung“ für Griechenland an. Kurz sprach von einem finanziellen Beitrag und von einem „Beitrag mit Polizisten und Polizistinnen“ für den Grenzschutz. Griechenland bleibt hart: Der Flüchtlingspakt mit der Türkei sei aus Sicht Athens „tot“„Griechenland tut, wozu jeder souveräne Staat ein Recht hat, nämlich seine Grenzen vor illegalen Übertritten zu schützen“, erklärte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis am 7. März dem Sender CNN. Die Menschen, die versuchten die Grenze zu überwinden, würden von der türkischen Führung missbraucht. „Ich fürchte, das ist eine anhaltende und sehr systematische Provokation im Namen der Türkei und hat nichts mit der Notlage dieser Menschen zu tun.“ Der Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei sei hinfällig. „Lassen Sie uns nun ehrlich sein, die Vereinbarung ist tot“, so Mitsotakis. Schuld sei Ankara, das entschieden habe, „komplett gegen die Vereinbarung zu verstoßen“. Weitere EU-Zahlungen zur Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei würden nach Angaben von EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn parallel deutlich geringer ausfallen als die bisherige Hilfe. „Viele Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser für Flüchtlinge wurden ja bereits gebaut und müssen nicht noch einmal finanziert werden. Der Bedarf ist also kleiner“, sagte Hahn. Zugleich knüpfte Hahn EU-Zahlungen an eine Bedingung: „Wir erwarten, dass die erpresserische Politik Ankaras durch die Entsendung von Flüchtlingen in Richtung EU eingestellt wird. Dann wäre die EU prinzipiell auch künftig bereit, weitere Finanzhilfen zur Unterstützung der Flüchtlinge in der Türkei bereitzustellen.“ [4] Angesichts der auch über die Türkei hereinbrechenden Coronavirus-Epidemie ließ Erdogan kurz darauf die Grenzen zur EU schließen. Energie- und machtpolitische Überlegungen der Türkei im MittelmeerraumDen spektakulärsten Aufbau an Kapazitäten hat nach wie vor die türkische Marine zu verzeichnen. Während die türkische Marine im Großen und Ganzen ein Instrument der Küstenverteidigung geblieben ist, sind die aktuellen Programme der Rüstungsindustrie (sowohl in den türkischen Werften als auch im Ausland) darauf ausgerichtet, die Marine als weitreichende Eingreiftruppe zu nutzen. Diese Kapazitätssteigerung, wenn sie im Zusammenhang mit dem Schutz der Energieressourcen im östlichen Mittelmeer verstanden wird, beunruhigt die anderen Anrainerländer. [5] Letztlich geht es um die zu erwartenden Gewinne bei der Hebung der Erdgasressourcen am Meeresgrund, wo alle involvierten Akteure mitnaschen wollen. Das wiederum birgt erhöhte Spannungen, die rasch zu einer militärischen Eskalation ausarten könnten. Und tatsächlich eskalierte die Lage zwischen den NATO-Mitgliedsländern Türkei und Griechenland unter anderem wegen der umstrittenen Erdöl- und Erdgasbohrungen im östlichen Mittelmeer. Griechenland und Ägypten einigen sich auf Einfluss- und Nutzungszonen im MittelmeerGriechenland und Ägypten unterzeichneten am 6. August 2020 in Kairo ein Abkommen, um die türkisch-libyschen Pläne zur Aufteilung des Mittelmeers zu durchkreuzen. Damit wird die Nutzung der Ressourcen in den Meeresabschnitten und die Geltung von Hoheitsrechten zwischen den beiden Seiten festgelegt. Der Vertrag mache das konkurrierende Abkommen vom November 2019 zwischen der Türkei und Libyen obsolet, bekräftigte der griechische Außenminister Nikos Dendias. Die griechisch-ägyptische Zone überschneidet sich mit der türkisch-libyschen, die nach Auffassung Athens aber auch in der EU gegen geltendes Seerecht verstößt. Die Übereinkunft mit Kairo sei Teil einer umfassenden Strategie Griechenlands, um seinen Besitzstand im östlichen Mittelmeer vertraglich abzusichern. Gespräche mit Italien wurden im Juni 2020 erfolgreich beendet, mit Albanien seien sie geplant, betonte Athen. Die Antwort Ankaras kam postwendend. Die ausschließliche Wirtschaftszone, die Athen und Kairo vereinbart hätten, verletze türkisches Hoheitsgebiet. In Wahrheit existiere keine Seegrenze zwischen Griechenland und Ägypten, so das türkische Außenministerium. Der Vertrag sei „null und nichtig“, hieß es. Die türkische Marine kündigte zur Bekräftigung ihrer Position Marinemanöver zwischen Kastelorizo und Rhodos an. Im Streit um Gasvorkommen im Mittelmeer sprach der türkische Präsident von „Heimtücke“ Griechenlands und rief gleichzeitig zu Verhandlungen auf. „Die Haltung, die Griechenland in der Ägäis und im Mittelmeer an den Tag legt, ist heimtückisch“, so Erdogan am 13. August in Ankara. Er betonte aber auch: „Der Weg zur Lösung im östlichen Mittelmeer geht über Dialog und Verhandlungen.“ Wenn man mit „Vernunft und Menschenverstand“ vorgehe, könne man eine Formel finden, die die Rechte aller schütze. „Wir sind absolut nicht hinter unnötigem Abenteuer her und suchen keine Spannungen.“ Der griechische Außenminister Nikos Dendias warnte hingegen, Griechenland sei bereit, seinen Hoheitsbereich zu „verteidigen“. Er forderte den sofortigen Rückzug des von türkischen Marineschiffen begleiteten Erkundungsschiffs „Oruc Reis“ aus griechischen Gewässern. Frankreich kündigte inzwischen an, seine Militärpräsenz in der Region zu verstärken. Die „Oruc Reis“ suchte südlich von Rhodos und der kleinen Insel Kastelorizo nach Erdgas. Kastelorizo ist nur rund zwei Kilometer vom türkischen Festland entfernt, gehört aber wie Rhodos zu Griechenland. Während die Türkei ein großes Erdgasfeld vor der türkischen Schwarzmeerküste entdeckte und diesen Fund propagandistisch groß hervorhob, hielt Erdogan weiter daran fest, umstrittene Bohrungen im östlichen Mittelmeer durchzuführen. Vor dem Hintergrund von bewusst angesetzten Marinemanövern jeweils der griechischen und auf der anderen Seite der türkischen Marine im Raum eskalierte der griechisch-türkische Streit gegen Ende August weiter. So drohte die Türkei Griechenland für den Fall einer Ausdehnung seiner Territorialgewässer in der Ägäis offen mit einer militärischen Auseinandersetzung. Die Taktik Ankaras, den Nachbarn mit Krieg zu drohen, wenn sie ihre legalen Rechte in die Tat umzusetzen versuchten, sei „gegen die internationale politische Kultur“, hielt das griechische Außenministerium fest. Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatte am 26. August im Parlament in Athen erklärt, Griechenland dehne seine Hoheitszone – im Italien zugewandten – Ionischen Meer von sechs auf zwölf Seemeilen aus. In Seegebieten, wo andere Staaten mehr als vierundzwanzig Seemeilen entfernt seien, könne dies möglicherweise ebenfalls geschehen. Über die Festlegung des Festlandsockels sowie der Ausschließlichen Wirtschaftszone in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer sei Athen zum Dialog mit der Türkei bereit, hieß es. „Der Größenwahn und die Wichtigtuerei auf der anderen Seite der Ägäis sind ein schlechter Berater“, entgegnete der griechische Energieminister Kostis Chatzidakis. Türkei startet massierte Militärschläge gegen PKK im NordirakDie Türkei startete im Juni 2020 im Nordirak einen neuen Militäreinsatz gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Die Luftoperation „Tigerkralle“ sei nach Beschuss der PKK und „anderen Terroristen“ auf türkische Stellungen gestartet worden, teilte das türkische Verteidigungsministerium mit. Es handle sich daher um das legitime Recht auf Verteidigung der Türkei, hieß es. Der Einsatz wurde unter anderem mit dem Einsatz von Kampfdrohnen und Helikoptern durchgeführt. Bereits zuvor hatte die Türkei schwere Angriffe im Nordirak geflogen. Dieser „Adlerkralle“ genannte Einsatz hatte sich unter anderem gegen Ziele in den Kandil-Bergen nahe der iranischen Grenze und in Sinjar gerichtet. Die irakische Armeeführung hatte parallel dazu die türkischen Attacken als „provokatives Verhalten“ verurteilt. Die PKK hat in den nordirakischen Kandil-Bergen ihr Hauptquartier. Sie gilt in der Türkei, der EU und den USA als Terrororganisation. Der türkische Staat und die PKK bekämpfen sich seit Jahrzehnten. Im Sommer 2015 war ein Waffenstillstand gescheitert. Seitdem lanciert die türkische Luftwaffe wieder regelmäßig Angriffe auf mutmaßliche Stellungen der PKK im Nordirak und in der Südosttürkei. In der letzten Zeit hatte die Türkei ihre Militäreinsätze gegen die PKK in der Südosttürkei verschärft. Türkei kritisiert Annäherung Israels mit den Vereinigten Arabischen Emiraten scharfAm 13. August 2020 verständigten sich die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel unter Vermittlung der USA auf ein Abkommen auf dem Weg zur Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen. Damit soll der Druck vor allem auf den Iran verstärkt werden. Neben dem Iran reagierte vor allem die Türkei scharf auf diesen Schritt. Mit der Einigung hätten die Emirate die Interessen der Palästinenser verraten, hieß es in einer Mitteilung des türkischen Außenministeriums. Die Türkei drohte wegen der Vereinbarung damit, ihren Botschafter aus den Vereinigten Arabischen Emiraten abzuziehen. „Ich habe dem Außenminister eine Anordnung erteilt. Ich sagte, wir könnten die diplomatischen Beziehungen mit der Regierung in Abu Dhabi aussetzen oder unseren Botschafter abziehen“, sagte der türkische Präsident Erdogan vor der Presse. EU-Kritik über den EU-Erweiterungskandidaten TürkeiDie Türkei habe sich im Jahr 2019 nach Einschätzung der EU-Kommission weiter vom Ziel einer Mitgliedschaft in der EU entfernt. Es gebe „schwerwiegende Rückschritte in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und bei der Unabhängigkeit der Justiz“, erklärte die Behörde am 6. Oktober 2020 in ihrem jährlichen Bericht zu den EU-Erweiterungskandidaten. Vor dem Hintergrund wachsender außenpolitischer Differenzen wies die Kommission auf die jüngsten Spannungen mit Griechenland und Zypern wegen des Konflikts um Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer hin. Der EU-Gipfel hatte der Türkei mit weiteren Sanktionen gedroht. Gleichzeitig boten die Staats- und Regierungschefs aber auch Gespräche über ökonomische Vorteile an, falls Ankara einlenken und einem Dialog zustimmen würde. Außerdem spielt die Türkei seit Jahren eine zentrale Rolle in den Konflikten in Libyen und Syrien, die auch Auslöser für Flüchtlingsbewegungen nach Europa darstellen. Einmal mehr betonte die EU, dass „die Nutzung von Migrationsdruck für politische Ziele“ nicht hinnehmbar sei. Wieder aufgeflammter Konflikt um Berg-KarabachDer seit dem Ende des letzten Krieges zwischen dem christlich geprägten Armenien und dem muslimischen Aserbaidschan (1992-1994) bislang als „eingefroren“ gegoltene Konflikt, brach gegen Ende September 2020 wieder auf. Traditionell gilt die Türkei als Schutzmacht des aserbaidschanischen „Brudervolkes“, wie es heißt. Das armenisch-türkische Verhältnis ist seit dem Genozid am armenischen Volk im Ersten Weltkrieg mehr als zerrüttet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stellte sich demonstrativ hinter Aserbaidschan: Die Türkei stehe „mit allen Mitteln und ganzem Herzen“ an der Seite des Landes. So soll die Türkei bereits Söldner nach Aserbaidschan entsendet haben. Dies wurde allerdings vehement zurückgewiesen: Aserbaidschan habe eine professionelle Armee, die selbst stark genug sei, hieß es. Jedenfall entspricht dies Erdogans machtbewusster Außenpolitik etwa im östlichen Mittelmeerraum, in Syrien und in Libyen. Überall dort tritt Russland mehr oder weniger im Vordergrund als „Gegenspieler“ auf. In Armenien unterhält Moskau eine Militärbasis und gilt als traditioneller Schutzverbündeter der christlichen Armenier. Armenien ist Mitglied in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, einem von Russland angeführten Militärbündnis ehemaliger Sowjetrepubliken. Im Fall eines Angriffs könnte Armenien auf die Unterstützung der Verbündeten zählen. Dies gilt aber nicht bei einem Angriff auf das Territorium von Berg-Karabach. Nach heftigen und blutigen Kämpfen kam schließlich ein Waffenstillstandsabkommen unter russischer und schließlich auch türkischer Vermittlung zustande. Russische und türkische Soldaten fungieren im Krisengebiet als Friedenstruppen. Der künftige Status von Berg-Karabach soll durch die Minsker Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ausverhandelt werden, hieß es. Erhöhte Spannungen zwischen Paris und AnkaraNach der brutalen Ermordung eines französischen Geschichte-Lehrers durch einen seiner Schüler mit muslimisch-tschetschenischen Wurzeln Mitte Oktober 2020 hatte der französische Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung angekündigt, ihr Vorgehen gegen den „radikalen Islamismus“ zu verschärfen. Es gab danach zahlreiche Polizeieinsätze gegen das radikalisierte islamistische Milieu in Frankreich, hieß es. Vor diesem Hintergrund warf der türkische Präsident Erdogan Macron vor, anti-islamische und anti-muslimische Debatten für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Es sei das wirksamste Mittel für westliche Politiker, um eigene Fehler zu vertuschen, so Erdogan. Derartige Initiativen, die besonders durch Macron vorangetrieben würden, hätten etwa zum Ziel, Muslime „passiv“, „kümmerlich“ und „ängstlich“ zu machen. Diejenigen, die durch den Aufstieg des Islams gestört würden, griffen die Religion an, indem sie selbstverursachte Krisen vorschieben würden, polterte Erdogan. „Was ist das Problem, das diese Person mit Namen Macron mit Muslimen und dem Islam hat? Macron benötigt eine psychische Behandlung.“ Erdogan weiters: „Was kann man sonst über ein Staatsoberhaupt sagen, das die Religionsfreiheit nicht versteht und sich in dieser Art gegenüber Millionen an Menschen gibt, die in seinem Land leben und einem anderen Glauben angehören?“ Macron selbst nannte die Worte „inakzeptabel“. „Maßlosigkeit und Grobheit“ seien nicht annehmbar. „Wir akzeptieren keine Beleidigungen.“ Erdogan müsse seine Politik ändern, die „in jeder Hinsicht gefährlich“ sei. Paris wies überdies darauf hin, dass Erdogan nach der Ermordung eines Geschichtslehrers durch einen radikalen Islamisten nicht kondoliert habe. Der Botschafter aus Ankara wurde am 24. Oktober nach Paris zurückbeordert. Hintergrund der erhöhten bilateralen Spannungen der beiden NATO-Länder waren und sind geopolitische und geoökonomische Dissonanzen – insbesondere in Syrien und Libyen, aber auch im Gasstreit im östlichen Mittelmeer. Frankreich verteidigte die politischen Positionen Griechenlands und Zyperns gegen die türkischen Interessen und entsendete zusätzliche Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer, um die machtpolitische Haltung Frankreichs einmal mehr zu unterstreichen. Auch bei den Kämpfen zwischen Armenien und Aserbaidschan um die umstrittene Krisenregion Berg-Karabach stellte sich Macron klar gegen die Türkei, die Aserbaidschan unterstützt. Unter anderem warf Macron der Türkei vor, dschihadistische Kämpfer von Syrien nach Aserbaidschan verlegt zu haben. Macron sprach in diesem Zusammenhang von einer „roten Linie“, die Erdogan damit überschritten habe. Erdogan wies die Vorwürfe brüsk von sich. Eine neue Karikatur des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ ließ den Konflikt zwischen Paris und Ankara noch weiter eskalieren. Die Karikatur, die am 27. Oktober veröffentlicht wurde, machte sich einmal mehr über den türkischen Präsidenten Erdogan lustig. Die türkische Regierung verurteilte die Karikatur als „antimuslimisch“ und „abstoßend“. Erdogan selbst sprach gar von einer „Neuauflage der Kreuzzüge“. Vereinigte Arabische Emirate (VAE) verteidigen französische PositionDie Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) nahmen im Konflikt über Meinungsfreiheit und Islamismus Frankreichs Staatspräsident Macron hingegen in Schutz. Dem türkischen Präsidenten Erdogan warfen sie zugleich unlautere Absichten vor. „Als Muslim fühle ich mich zwar beleidigt durch bestimmte Karikaturen“, sagte der VAE-Staatsminister für Auswärtiges, Anwar Gargasch. „Aber als denkender Mensch sehe ich die Politik, die rund um dieses Thema betrieben wird.“ Erdogan verbreite „die Ideologie der Muslimbrüder“ und wolle das Osmanische Reich wiedererrichten. „Wie der Iran betreibt er eine imperialistische Politik, und das ist eine der Hauptgefahren in der Region“, so Gargasch. Er verwies dabei auf die türkischen Militärinterventionen im Irak, in Syrien und in Libyen. „Und überall expandiert die Türkei zulasten der Araber“, sagte Gargasch. Im konkreten Karikaturenstreit verteidigte Gargasch den französischen Präsidenten. „Man sollte sich anhören, was Macron in seiner Rede wirklich gesagt hat“, erklärte er. „Er will nicht, dass Muslime im Westen ghettoisiert werden, und damit hat er recht.“ Frankreich habe das Recht, nach Wegen zu suchen, um Muslime zu integrieren und Militanz zu bekämpfen. USA beschließen Sanktionen gegen die TürkeiWenige Wochen vor dem Ende der Präsidentschaft von Donald Trump ließen die USA ihrer angekündigten Drohung nun Taten folgen und verkündeten Sanktionen gegen den NATO-Bündnispartner Türkei. Die Sanktionen fielen aber relativ milde aus - weder Präsident Erdogan selbst noch hohe Regierungsbeamte waren davon betroffen. Konkret verhängten die USA Strafmaßnahmen gegen das türkische Direktorat der Verteidigungsindustrie (SSB). Dieses ist dem Amt von Präsident Erdogan unterstellt. Die Sanktionen beinhalteten unter anderem ein Verbot aller amerikanischen Exportlizenzen und -genehmigungen für das SSB. Ausschlaggebend für die Sanktionen war, dass die türkischen Streitkräfte im Oktober das russische Flugabwehrsystem S-400 getestet hatten. Bereits dessen Kauf im Sommer 2019 hatte die USA erzürnt: In der Folge schloss Washington die Türkei aus dem Programm für den Bau und Einsatz des neusten Mehrzweck-Kampfflugzeugs F-35 aus. Zudem stimmte der Kongress parteiübergreifend für Sanktionen gegen Ankara. Die USA befürchten, dass Russland über das empfindliche Radar der S-400 an Daten über die Tarnkappenfähigkeiten des F-35 gelangen könnte. Ankara verteidigte den Kauf des S-400-Systems damit, dass die Türkei eine eigene Raketenabwehr gegen Bedrohungen aus dem benachbarten Bürgerkriegsland Syrien benötige.
Abgeschlossen: Anfang Jänner 2021 |