JAPANS SICHERHEITSPOLITISCHE PRIORITÄTEN

Die Politik von US-Präsident Donald Trump widerspiegelt generell einen hohen Grad an Unberechenbarkeit für Freund und Feind – gerade im Hinblick auf die Strategie gegenüber China oder dem nordkoreanischen Regime. Obwohl das scheinbar gute Einvernehmen Trumps mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un unmittelbar nach dem Gipfel von Singapur im Juni 2018 zwar in positiver Weise zu einer deutlichen Reduktion der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel führte, so bleiben erst recht nach dem ergebnislosen zweiten Treffen beider Staatsführer im Februar 2019 in Hanoi insbesondere für die US-Verbündeten Südkorea und vor allem Japan die Unsicherheiten gegenüber Trumps weiteren Schritten in Bezug auf die Festigkeit der westlichen Allianz in Ostasien bestehen. Vor allem können sich die pro-westlichen Anrainerstaaten im Großraum angesichts der Zwiespältigkeiten Trumpscher Außen- und Sicherheitspolitik nie ganz sicher sein, wie verlässlich die USA unter Trump im Ernstfall in der asiatisch-pazifischen Region die Freiheit der Verbündeten militärisch verteidigen würden.[1]
Nordkoreas Staatschef konnte mit dem Treffen in Singapur seine politische Position auf diplomatischer internationaler Bühne stärken, während er gleichzeitig sein Atomprogramm keinesfalls völlig aufgeben würde, weil er es als wichtiges Faustpfand im Machtpoker mit den USA um eine weitgehende Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel braucht.
Der Mangel an einer gemeinsamen Definition von Denuklearisierung und das Fehlen eines bindenden Masterplans zur Verringerung des nordkoreanischen Atom- und Raketenprogramms steuern möglicherweise am Ende zu unüberwindlichen Hindernissen auf dem Weg zu einer vollständigen Lösung des Konfliktes hin, was schließlich eine neue Kriseneskalation nach ziehen könnte.
Darüber hinaus ist mit dem Aufstieg Chinas zur Großmacht die militärische Bedrohung durch das Reich der Mitte sowohl für Japan als auch die USA dramatisch gestiegen.

Japan hat vor diesem Hintergrund auf diese zunehmenden Unsicherheiten reagiert und lässt verstärkt seine Muskeln spielen, indem das Land die selbst angelegten Fesseln für die eigenen Streitkräfte lockert. Tokios Verteidigungsbudget ist seit 2013 aber nur bescheiden angestiegen. Japan hat bisher nur marginal die sich verändernde Machtbalance in der Region verlangsamt. Die eindrucksvollen Kapazitäten, die auf einer Reihe neuer Waffensysteme fußen, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass große Teile der Streitkräftestruktur Japans mittlerweile in die Jahre gekommen sind. Weitere Anstrengungen werden jedenfalls erforderlich sein, die einer klaren Strategie folgen und eine größtmögliche Abschreckungskraft entfalten müssen, ohne die vorherrschende Instabilität zu verschlimmern.

Japan scheint eine Strategie der Abhaltung in enger Allianz mit den USA und den pro-westlichen Anrainerländern in der asiatisch-pazifischen Region zu bevorzugen, um Chinas weiteren Machtprojektionen Einhalt zu gebieten. Dafür braucht es aber verstärkt moderne, flexibel einsetzbare und hochmobile Waffensysteme von hoher Schlagkraft. Die Schwert-und-Schild-Metapher aus der Ära des Kalten Krieges scheint wieder mit Leben erfüllt zu werden, wobei dazu eine Mischung aus offensiven und defensiven Varianten erforderlich ist. Jedenfalls würden offensive und defensive Kapazitäten jeweils in die gleichen Plattformen eingebettet werden, um bei einer möglichen großen militärischen Konfrontation mit China letztlich auch erfolgreich sein zu können.[2] Die Annahme einer aktiven Verteidigungsarchitektur der Abhaltung und Verweigerung vervielfacht am Ende die defensiven und offensiven Optionen für Japan, um im verteidigungspolitischen Verbund mit der Weltmacht USA und den pro-westlichen Anrainerländern im Großraum gegen vermehrt aggressivere militärisch-politische Aktionen Chinas entschieden auftreten zu können.
Vor allem der wichtige US-Verbündete Japan könnte im Falle einer möglichen Abnahme des amerikanischen Einflusses im asiatischen Großraum zu einer Art „West-Deutschland“ werden: Ein treuer Verbündeter Washingtons mit bedeutenden militärischen Kapazitäten, der zusammen mit den USA gegenüber weiter ausgreifenden Machtprojektionen Chinas seine nationale Verteidigung organisiert.[3] Andere pro-westliche Anrainerländer wie Australien, Indien, Neuseeland, die Philippinen sollten in einem mehr von China geprägten Asien dennoch verstärkt ihre gemeinsamen verteidigungspolitischen Interessen zusammen mit den USA koordinieren. Akteure wie unter anderem Indonesien, Malaysia, Singapur und Thailand wären dabei durchaus auf Seiten eines von Amerika angeführten Bündnisses im Großraum willkommen.
Chinas Ansprüche auf eine Reihe von Territorien und maritimen Gebieten in der Region, einschließlich der Senkaku-Inseln, die von Japan gehalten werden, berühren zunehmend die nationalen Sicherheitsinteressen Tokios. Parallel dazu ist das fortwährende militärische Muskelspiel des mittlerweile atomar bewaffneten kommunistischen Nordkoreas nicht nur gegenüber den USA und Südkorea, sondern auch gegenüber Japan insbesondere eine direkte Gefahr für Tokio. Nordkorea drohte etwa erst vor einigen Jahren nach verschärften UNO-Sanktionen unter anderem Japan mit nuklearer Vernichtung. Und schließlich versucht Russland unter Präsident Wladimir Putin seine Präsenz als wiedererstandene Großmacht auch im asiatisch-pazifischen Großraum unter Beweis zu stellen, indem die russischen Flottenverbände versuchen, Amerikas engsten Verbündeten in der Region (nämlich Japan) zu „testen“. Ziel dieser russischen Strategie ist es letztendlich, die bisherige Vorrangstellung der USA im Großraum zu unterminieren. Die japanischen Streitkräfte haben in erhöhtem Maße 231 Abfangmanöver zwischen April und Dezember 2016 gegenüber russischen Militärflugzeugen im eigenen japanischen Luftraum durchführen müssen.  Diese Zahl an Vorfällen ist allerdings immer noch deutlich niedriger als jene, die durch chinesische Kampfjets im gleichen Zeitraum verursacht wurden. Es waren immerhin 644 an der Zahl.[4]
Während die japanische Flotte immer wieder Hilfe bei Naturkatastrophen im Raum leistet, so sind seit 2009 abwechselnd 2 Zerstörer und 2 P-3C Seeaufklärer und U-Boot-Jagdflugzeuge für Anti-Piraterie-Patrouillen an der Küste Somalias und rund um den Golf von Aden im Rahmen der Combined Task Force 151 im Einsatz.
Die neue Nationale Sicherheitsstrategie Japans von 2013 sieht ein global wesentlich größeres militärisches Engagement Japans im Rahmen der amerikanisch-japanischen Allianz vor. Zudem haben Tokio und auch Seoul ihre militärische Kooperation erhöht, um nicht nur gegenüber der nordkoreanischen Bedrohung gewappnet zu sein, sondern auch gegenüber dem zunehmenden Einfluss Chinas im Raum.
Nach China besitzt Japan die zweitgrößte Flotte mit insgesamt 155 Schiffen (einschließlich von 4 Hubschrauberträgern). Dazu zählen etwa 46 Zerstörer verschiedener Größen, 17 U-Boote (deren Zahl auf schließlich 22 erhöht werden soll), 3 große Landungsschiffe, 30 MCM Minensuchboote, 6 Patrouillenboote und weitere Trainings- und Versorgungsschiffe. Vor allem sollen die Raketenabwehrkapazitäten bei den einzelnen Plattformen der japanischen Flotte angesichts der vielschichtigen Bedrohungslage deutlich ausgebaut werden.
In den letzten Jahren hat Japan dementsprechend seine Verteidigungsausgaben erhöht und hat zudem damit begonnen, selbst produzierte Ausrüstung an andere Länder zu verkaufen – hauptsächlich an südostasiatische Anrainerstaaten. Japans Ära des Pazifismus und Neutralismus seit dem Ende des II. Weltkrieges hat im Dezember 2012 unter dem konservativen Premierminister Shinzo Abe sein endgültiges Ende gefunden. Im Dezember 2014 änderte die japanische Regierung unter Premierminister Abe den diesbezüglichen Artikel 9 der Verfassung, der Japans pazifistische Haltung festschrieb und hob das Verbot für eigene Rüstungsexporte auf. Seither sucht Japan einen neuen außenpolitischen Weg, um als aktiver militärisch-sicherheitspolitischer Akteur in der Region wieder verstärkt Verantwortung zu übernehmen. Rüstungsexporte sind für die japanische Verteidigungsindustrie notwendig, um nicht in finanzielle Probleme zu schlittern. Zuletzt hatten die drei großen japanischen Konzerne Mitsubishi Heavy Industries (MHI), Kawasaki Heavy Industries (KHI) und Fuji Heavy Industries (FHI) Profitrückgänge zu verzeichnen. Im Oktober 2015 wurde eine eigene Agentur für Akquisition, Technologie und Logistik (ATLA) gegründet, um Japans neuen Weg zu ebnen. Eines der Hauptziele der Agentur ist die Stärkung der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rüstungstechnologie und Verteidigung mit ausländischen Partnerländern. So will Japan eine robuste Kooperation auf diesen Gebieten mit den ASEAN-Staaten Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. All diese Länder grenzen an vitale See- und Handelswege, die für Japan von hoher Bedeutung sind. Japanische Waffenexporte gehen offiziell nur an solche Staaten, die in keinen militärischen Konflikten involviert sind. Die japanischen Selbstverteidigungskräfte durchlaufen derzeit tiefgehende strukturelle Veränderungen. Das neue Beschaffungsprogramm der japanischen Marine umfasst zusätzliche „AEGIS“-Zerstörer, U-Boote, P-3C- Seeaufklärungs- und U-Boot-Jagdflugzeuge sowie SH-60K/J Transporthubschrauber.[5]
Um amphibischen Operationen unterstützen zu können, hat Japan ein Modernisierungsprogramm etwa seiner 3 amphibischen Landungsschiffe der OSUMI-Klasse auf den Weg gebracht. Japans Verteidigungskapazitäten sind geprägt von einer jahrzehntelangen Kooperation mit den USA. Japan ist zum Beispiel an der Produktion der Lockheed Martin F-35A Lightning II Mehrzweckkampfflugzeuge und der V-22 Osprey Kipprotor-Wandelflugzeuge mit vertikaler Start- und Landefähigkeit sowie Kurzstart- und Landefähigkeit beteiligt. Der japanischen Marine geht es auch darum, die Unterwasser-Kapazitäten samt neuen U-Booten der 3.000t-Klasse und Tiefsee-Drohnen zu erweitern.
Japan und Südkorea[6] haben das Design der US-amerikanischen ARLEIGH BURKE-Klasse als Grundlage für ihre eigenen Fregatten hergenommen.[7] Die Zerstörer der ARLEIGH BURKE-Klasse (DDG-51) sind zahlenmäßig die am meisten gebauten Schiffsklassen der US Navy seit dem II. Weltkrieg und die meistgebaute seit dem Ende des Kalten Krieges. Das neue elektronische Warn- und Feuerleitsystem wurde an die japanische Marine weiterverkauft, um die Lenkwaffenzerstörer der KONGO- und ATAGO-Klasse damit auszurüsten.[8]
Japan bietet für den Export unter anderem seine U-Boote der SORYU-Klasse an, die in der neuesten Variante mit Lithium-Ionen-Batterien ausgestattet sind.[9]


Die 2 neuen Hubschrauberträger der IZUMO-Klasse (22DDH) sollen schrittweise die Träger der HYUGA-Klasse verstärken und mit einer Länge von fast 250 Metern künftig auch moderne Kampfjets beherbergen. Die im Stealth-Design gebauten neuen Plattformen wurden offiziell für die U-Boot-Jagd entwickelt. Platz hätten auf einem IZUMO-Träger etwa ein Dutzend F35-B senkrecht startende und landende Marinekampfjets sowie etwa gleich viele Helikopter. Eine Einschränkung ist, dass die japanischen Träger kein Katapult haben: So können keine Überwachungsflugzeuge von den bisherigen Plattformen abheben. Das Startgewicht der F35-B muss kleiner sein als bei waagrecht startenden Jets, was die Treibstoffzuladung und damit die Reichweite sowie die Bewaffnung einschränkt.
Der Bedarf an solchen Mehrzweckplattformen wird von Tokio damit begründet, dass man damit abgelegene Inseln besser verteidigen könne. Neben der langen, bis nach Taiwan reichenden Inselkette der Präfektur Okinawa stehen vor allem die Senkaku-Inseln im Fokus Japans, eine unbewohnte Inselgruppe, die auf chinesisch Diaoyu heißt und von Peking beansprucht wird. Immer wieder dringen chinesische Schiffe in die von Japan kontrollierten Territorialgewässer um die Inseln ein.[10]


Die japanische Marine zielt mit anvisierter erhöhter Kampfkraft darauf ab, das Heimatland durch größeres internationales militärisches Engagement im Rahmen der Sicherheitsallianz unter Führung der USA zu verteidigen. Für Washington ist Japan ein zentraler Eckstein in der westlichen Eindämmungsstrategie gegenüber den besagten Bedrohungen, die die bisher bestimmende Rolle der Weltmacht USA im Großraum zurückdrängen wollen.


Abgeschlossen: 31. Juli 2019

Weiterführende LINKS:

JMSDF | Naval Today

China vs Japan | Comparison military strength - ArmedForces.eu

Japan’s Self-Defence Forces are beginning to focus on China

Chinese Navy puts military might on display with fleet review attended by Japan and others

Why you're seeing more of Japan's military - CNN

Japan's struggle with a rising China | Financial Times

U.S., Japan, India and Philippines challenge Beijing with naval drills in the South China Sea

Japan vs North Korea | Comparison military strength - ArmedForces.eu

Japan's View of the North Korean Threat | IAI Istituto Affari Internazionali

Is South Korea Pro-China and Anti-Japan? It’s Complicated – THE NATIONAL INTEREST

In Trump's World, Nukes Are Self-Defense – Foreign Policy

Nori Katagiri, Primacy of Diplomacy and Economic Power: How Japan Counters North Korea’s Nuclear Weapons and Ballistic Missile Development. In: Journal of Peace and War Studies March 2019, S.89 – 108.  

Japan bolsters military to counter China, Russia in East Asia

Japan eyes aircraft carriers to counter North Korea, China

Pekka Korhonen/Tomoomi Mori, North Korea as a Small Great Power – The Asia-Pacific Journal  - Japan Focus March 1, 2019

Japan surges new weapons, military roles to meet China's rise – Military Times 15.1.2019


Anmerkungen:

[1] Matteo Dian, „TRUMP’S MIXED SIGNALS TOWARD NORTH KOREA AND US-LED ALLIANCES IN EAST ASIA“. In: The International Spectator 4/2018, S. 112-128. 

[2] Eric Heginbotham / Richard J. Samuels, „ACTIVE DENIAL - Redesigning Japan’s Response to China’s Military Challenge“. In: International Security 4/2018, S. 128-169.

[3] Jennifer Lind, „LIFE IN CHINA’S ASIA - What Regional Hegemony Would Look Like“. In: Foreign Affairs 2/2018, S. 71-82.

[4] Dzirhan Mahadzir, „JAPAN MARITIME SELF-DEFENCE FORCE REVIEW“. In: Military Technology - MT 6/2017, S. 96-98.

[5] Robert Czulda, „CHERRY BLOSSOMS - Defence For and From Japan“. In: Naval Forces 3/2017, S. 58-61.

[6] Ridzwan Rahmat, „CROUCHING TIGER: SOUTH KOREA MODERNISES AMID SHIFTING SECURITY DYNAMICS“. In: Jane’s Navy International 9/2018, S. 28-32.

[7] Conrad Waters, „BLUE WATER NAVAL SHIPS“. In: European Security & Defence 6/2018, S. 73-75.

[8] Thomas Withington, „THE SHIELD - Aegis CMS – Genesis and Future Promises“. In: Naval Forces 4/2018, S. 26-28.

[9] Conrad Waters, „CONVENTIONAL SUBMARINES – GLOBAL DEVELOPMENTS“. In: European Security & Defence 12/2017, S. 52-58.

[10] Japan sieht sich von China bedrängt – sind Flugzeugträger die Lösung? In: NZZ-Online v. 27.11.2018: https://www.nzz.ch/international/japan-sieht-sich-von-china-bedraengt-und-setzt-auf-flugzeugtraeger-ld.1440263